Ich
bin stets bemüht, den möglichst vielseitig interessierten Leser anzusprechen.
Daher finde ich auch nichts daran befremdlich, direkt nach einem Artikel über
Swingerclubs und Wege zur Eheöffnung eine Story über Kinderfeste zu
veröffentlichen. Auch wenn ich es mir manchmal gerne anders herum wünsche:
derzeit besuche ich letztgenannte Veranstaltungen öfters als die körperbetonte
Erwachsenenvariante. Das liegt primär daran, dass die Müllerkinder leider immer
noch nicht aus dem Alter heraus sind, in dem man bei Hüpfburgen den Spaß und
nicht die Bakterien sieht und sekundär an Sarahs „Robbenmann“-Trauma vom letzten Clubbesuch. Letztlich leben Müllers in einer Art Scheindemokratie, in
der man zumindest manchmal den Kindern Mitspracherecht bei der
Freizeitgestaltung einräumt (und sei es nur für's Gewissen), Sarah und Marco
haben als Gegenstück der Quattroehe so eine Art doppelte Staatsbürgerschaft und
nehmen nicht an jedem Entscheid teil, entgehen dadurch aber auch in der
Mehrheit der Teilnahme an Kinderfesten. Das ist auch gut so. Für die Kinder.
Und vor allem für Sarah.
Schon vor über 30 Jahren schafften es solche Events nicht, mir ehrlich positive Emotionen zu entlocken. |
Meistens läuft es ja so: Man
fährt einige Wochen täglich auf dem Weg zur Schule möglichst so schnell an den
Plakaten für solche Veranstaltungen vorbei, dass man hofft, die Kinder könnten
auf Grund der Geschwindigkeit die quasi vorbeifliegenden bunten Buchstaben und
Clownsnasen nicht erfassen. Irgendein Kind aus der Klasse posaunt dann aber
heraus, dass es mit seinen offenbar distanzgeminderten und grenzwahnsinnigen Eltern
genau dieses Fest am Wochenende besuchen wird und so nimmt das Unglück seinen
Verlauf. „Mutti, da könnten wir doch auch mal hingehen.“ „Wir könnten es aber
auch lassen.“ - „Aber…!?“ Hat also wieder nicht geklappt.
Man hofft bis wenige Minuten
vor dem Aufbruch zum bunten Reigen aus Schmetterlingen mit Zahnlücken und
rothaarigen DarthVaders zumindest auf meteorologische Kooperation obwohl einem
unterbewusst völlig klar ist, dass es schon Scheiße regnen müsste, um die
Kinder noch von ihrem freudbetontem Plan abzubringen. Ist ja eigentlich auch egal
ob es regnet oder arschkalt ist, wir sind ja eh im Bubblefußball. Dass Frau Mutter
nur knapp an einer Nierenbeckenentzündung vorbeischrammt, während sie Jacken
und Rucksäcke haltend wie ein Lakai im Matsch wartet, weil unter allen
schützenden Bäumen Gruppen aus Müttern mit Babybäuchen oder Kinderwagen stehen,
wird billigend in Kauf genommen.
Schon mehrfach habe ich direkt beim Erblicken der ersten Menschenansammlungen im Umfeld solcher
Festivitäten leidvoll feststellen müssen, dass ich schon wieder den Flachmann
vergessen und noch nicht mal Zugriff auf einen Handtaschenprosecco habe.
Freilich kann man diesen groben Planungsfehler niemandem anderen außer mir
selbst zur Last legen. Dass sich der Alkoholausschank bei Familienfesten
allerdings in der Regel auf Bier und süßen Sekt beschränkt, betrachte ich als
groben Affront.
Man kann sich im privaten
Umfeld andere Eltern und Kinder so gut es geht vom Hals halten, indem man den
notwendigen Smalltalk auf ein „Hallo“ beschränkt. Als Lehrer allerdings ist man quasi
dienstlich zu mehr als einer Begrüßungsfloskel verpflichtet. Da die Mehrzahl
der Eltern und Kinder Dienstpflicht von echtem Interesse allerdings nicht
unterscheiden können, wird einem in der Freizeit oft unmenschlich viel
Interaktionsbereitschaft abverlangt.
Mein Lehrerdasein und die dienstlich
verpflichtende Bekanntschaft mit den Eltern der geschätzten
Schülerpersönlichkeiten ist übrigens auch ein tragender Grund für den großen
Bogen, den ich um öffentliche Badeanstalten mache. Ich möchte Frau Meier weder
im Badeanzug sehen noch ihren sieben Kindern dabei zuschauen, wie sie sich
endlich mal ihre schmutzigen Ohren waschen.
Hier auf dem Land ist ein
Kinderfest ja immer auch ein Ereignis, dass sich nicht allein durch die Anwesenheit der
unfertigen Menschen im Arbeitstitel sowie ihrer Erziehungsberechtigten definiert. Wenn
sonst nichts los ist, trifft man dort nämlich auch die pubertären
Möchtegernerwachsenen, die sich in Ermangelung eines Autoscooters immer noch
lieber im Dunstkreis einer Bastelstraße aufhalten, als zu Hause zu sein.
Während ich mir morgens beim Einlass vor der Schule einen Spaß daraus mache, ihnen ein Guten Morgen abzunötigen indem ich möglichst durchdringend beim Grüßen mit Aufforderungscharakter unter ihre Basecaps oder durch das Makeup starre, genieße ich es in der Öffentlichkeit außerordentlich, wenn die reifenden Persönlichkeiten lieber Abstand halten. Das tun zum Glück die Meisten. Es gibt aber auch Individuen wie Justin. Ich schrieb bereits schon einmal eine ausführliche Abhandlung über den distanzgeminderten Jugendlichen. Nein, nicht der Justin aus der Dritten, den die Polizei abführen musste, sondern der große Justin, der mir einmal einen kompletten Einkauf kommentierte wie Béla Réthy ein WM-Spiel.
Während ich mir morgens beim Einlass vor der Schule einen Spaß daraus mache, ihnen ein Guten Morgen abzunötigen indem ich möglichst durchdringend beim Grüßen mit Aufforderungscharakter unter ihre Basecaps oder durch das Makeup starre, genieße ich es in der Öffentlichkeit außerordentlich, wenn die reifenden Persönlichkeiten lieber Abstand halten. Das tun zum Glück die Meisten. Es gibt aber auch Individuen wie Justin. Ich schrieb bereits schon einmal eine ausführliche Abhandlung über den distanzgeminderten Jugendlichen. Nein, nicht der Justin aus der Dritten, den die Polizei abführen musste, sondern der große Justin, der mir einmal einen kompletten Einkauf kommentierte wie Béla Réthy ein WM-Spiel.
Auf diesen Justin treffe ich
auch heute. Schon von weitem sehe ich ihn am Fußweg vor dem Einlass stehen und
schaue angestrengt in die geschätzt 150Grad Blickwinkel, die sich mir jenseits
seines Anblicks bieten. Ich bin ja kein Arsch und definitiv hätte ich ihm
huldvollerweise mit dem Standard-Hallo im Vorbeigehen bedacht, wollte aber
äußerst gerne auf überflüssigen Blickkontakt auf langer Distanz verzichten.
Justin allerdings scheint das nicht zufrieden zu stellen. Es gibt sie, diese
Schüler deren Körpergröße eine entgegengesetzte Proportionalität zum Intellekt
darstellt. Justin ist einer von ihnen. Deswegen tritt der 1,95große,
lederbejackte aber bartlose Lulatsch urplötzlich direkt vor den verdutzten
Herrn Müller, schneidet ihm quasi den Weg ab und stellt sich so vor mich, dass
selbst die hinter mir her laufenden Müllerkinder einen Haken schlagen müssen,
als läge bei MarioKart plötzlich eine Bananenschale kurz vorm Zieleinlauf.
„Hallo,
Frau Müller“ höre ich es von oben, während sich die Brusttaschen seiner
Jacke knapp über meiner Augenhöhe befinden. „Hallo Justin“, erwidere ich ohne
meine Schrittgeschwindigkeit zu verringern und mit einem großen Schritt in
bester TakeshisCastle-Manier um die zwei Längenmeter Dummheit herum.
„Wer war das denn?“ fragt mich Herr Müller zu Recht erschrocken.
„Ein Schüler.“ – „Ah.“
Drinnen sind die Kinder genauso
schnell weg, wie das Geld. Und weil sie zwar leider noch nicht zu alt für
Kinderfeste sind, aber immerhin alt genug um sich dort weitgehend alleine zu
bewegen, bleibt es den Müllers erspart auf Rutschen zu klettern oder Hüpfburgen
zu betreten. Für die Hüpfburg fehlt der Alkohol, auch wenn der Gedanke, mit einem
gezielten 65kg-Hops eine ganze Gruppe Fünfjährige über die aufblasbare
Burgmauer zu katapultieren, durchaus einen ernstzunehmenden Reiz darstellt. Aber
man hält sich dezent im Hintergrund – das verringert auch das Risiko
angesprochen zu werden. Ein freundliches Nicken dahin, ein „Hallo“ dort hin.
Nein, ich will nicht in deinen Kinderwagen schauen. Es sei denn Magic Mike und
seine Kumpels sitzen drin und reichen mir ein Sektchen. Wie Babys aussehen,
weiß ich schon.
Das Sektchen aus der Hand des Strippers würde mir auch helfen,
die unsägliche Beschallung zu ertragen. Die Tatsache, dass Helene Fischer mit
Cabalier und dem Gorilla mit der Sonnenbrille random und in Dauerschleife
laufen, spricht erstens nicht gerade für Schlager, beleidigt zweitens den
Gorilla und sorgt drittens für noch mehr schlechte Laune. Weiter laufen, die
Augen verdrehen und sich über die Betreuer an den Ständen wundern, die wirken,
als bräuchten sie selbst Betreuung.
Zum Glück will keiner der
Müllerjungs geschminkt werden. Von geschminkten Kindern bin ich gleich mehrfach
traumatisiert. Einmal als ich zu einem Stadtfest in acht Stunden Akkordarbeit
gefühlt 200 rosa Glitzerschmetterlinge produzierte und ein paar Jahre später in
der Hälfte der Zeit auf unserem Schulhof ebenso viele Eisprinzessinnen. Eine Tätigkeit, deren Ausführung von einem Campingstuhl aus eigentlich das anschließende Notfall-Wiederbeleben durch einen talentierten Chiropraktiker nötig macht. Den
Todesstoß versetzte mir schließlich der deckend in rot und schwarz geschminkte dreijährige Minimüller
mit den Worten „Ich bin Beidersmänn (Spiderman)!“ Auge in Auge mit meinem
ivoryfarbenen Brautkleid.
Nein, heute genügen beiden
Jungs die unzähligen luftgefüllten Piratenschiffe, Rutschen und
Hindernisbahnen, deren Gesamtkeimpopulation dank einer Million sockenloser
Kinderfüße sicherlich die einer rumänischen Autobahntoilette übersteigt.
Mein Lieblingsmensch an
diesem Tag ist der mürrische kleine alte Zuckerwatterverkäufer mit der
schmuddeligen Schürze in seinem Retrocampingwagen, der sich mit der Mutter
anlegt, die sein Softeis erst zu klein und dann zu teuer findet. Aber Hauptsache
einen Hipsterkinderwagen im Wert eines 14-Tage-AI-Türkeiurlaubs vor sich herschieben.
Wir sind schon auf dem Weg
zum Ausgang weil es zum Glück endlich beginnt ernstzunehmend zu regnen, als der kleine Müller aus keinerlei rationalen Gründen beschließt,
unbedingt noch einen Luftballon zu benötigen. Die gibt es geschenkt und darum
steht auch eine riesige Schlange vor den beiden Praktikanten mit der
Heliumflasche. „Du willst dich nicht ernsthaft hier anstellen für einen Luftballon!?“ Und da steht er auch schon. Man überbrückt also die Wartezeit, wohnt zumindest vom Rande des Festzeltes aus dem Programm des
Alleinunterhalters bei und stellt sich die dringende Frage, ob es für oder
gegen das Talent des Tribute-to-Howard-Carpendale-Performers spricht, wenn er als
Programmpunkt für Sonntagnachmittag um vier in Kuharschhausen geplant ist, nur damit Tante Heidruns graue Kaltwelle im Takt vor sich hin wippt.
„Kuck mal Mama, ich hab…“
und da fliegt der gelbe Luftballon auch schon zielgerichtet und imaginär mit ausgestrecktem Mittelfinger Richtung Himmelblau während der kleine Müller traurig
den eben noch euphorisch in die Luft gestreckten Arm sinken lässt und leise „Scheiße“
sagt.
„Siehste!? Heliumluftballons sind Mist. Sie fliegen weg, landen
irgendwo im Wald oder im Meer. Dort werden sie von wilden Tieren gefressen und
die sterben dann daran. Die sollten längst verboten sein.“ Kaum vorstellbar, aber die Miene des
Minimüllers verdunkelt sich noch mehr. Daran kann auch die Maxipackung
Quarkkräppelchen nichts ändern. Die Tatsache, dass man im Anschluss an den
Besuch solcher Veranstaltungen als Eltern die Kochverweigerungskarte mit der „Ihr
habt doch schon gegessen“-Begründung ausspielen kann, ist für mich der einzige
ernstzunehmende Vorteil.
Zuhause angekommen
dekontaminiert man die Kinder am besten mit einem Wannenbad. Der kleine Müller
wirkt immer noch emotional stark angeschlagen. Der Luftballon, dieses
Arschloch. Als er im Bett liegt, entschuldige ich mich bei ihm. „Sorry“ sag
ich, „das war nicht in Ordnung, dass ich dich nicht getröstet habe, als dir der
Luftballon weggeflogen ist. Du hattest dich ja extra angestellt und dich so
gefreut als du einen hattest. Ich hätte mir ja auch die Zeit nehmen können und
dir gleich ordentlich erklären können, dass diese Luftballons nicht gut sind.
Tut mir leid.“ – „Schon gut, Mama.“
Schon gut? Is das alles? Bin
ich die Einzige in der Familie, die die hohe Kunst der Selbstreflexion beherrscht?
„Entschuldigung Mama, dass du mit uns da hin gehen musstest und wir dich noch
nicht mal daran erinnert haben, einen Sekt einzupacken. Sorry, dass du mit den
Müttern unserer Kumpels reden musstest und schlechte Musik deine Ohren quälte.
Es tut uns leid, dass das billige Tiefkühlbrötchen zu deiner Rostbratwurst noch
nicht mal getoastet war. Und wir entschuldigen uns auch dafür, dass die Sonne nicht
geschienen hat und das Thermometer nicht wenigstens 20 Grad zeigte.“ Das wäre
zumindest ansatzweise eine angemessene Reaktion gewesen. Was soll’s: als Eltern gibt man halt. Und
wenn es nur zweifünfzig für ne Limo sind.
Mich
würde ja mal interessieren, ob es Studien zu späten Traumata bei Lehrerkindern
gibt. Are there Erfahrungsberichte anywhere? Her damit.
Traumata und effektive Bewältigungs-
möglichkeiten gibt es in unregelmäßigen
Abständen vor allem bei Frau Müller auf
FACEBOOK. Garantiert ohne Luftballons.
Dafür aber mit Mehrweg-Penisstrohhalm.
Also am besten gleich abonnieren.