Lehrer sind auch nur Menschen. Und nicht jeder trifft sich abends mit Kolleginnen abwechselnd zum Nordic Walking oder zum Fortgeschrittenenkurs in Seidenmalerei. Ich denke ich bin das Kuckucksei im Lehrerzimmer. Etwa wie ein Veganer, der ausversehen Metzger geworden ist oder ein Pilot mit Höhenangst. Oder wie eine Franzi van Almsick, die immer wieder vom Schwebebalken fällt weil sie noch nie jemand ins Wasser geschubst hat.

Donnerstag, 18. Oktober 2018

Gladiatorenkämpfe, Sturzflüge und Gulaschpotpourri - Menschenhass über den Wolken


„Nächstes Mal buch‘ dir einen Plussize-Sitz, du Missgeburt in Überlänge – das kostet nur vier Euro mehr. Oder fliege nicht in meinem Flugzeug!“ höre ich mich im Geiste meinem Hintermann entgegenschmettern, während sich das Knie des Dreimetermannes mit Holzbein seit einer Stunde mit konstantem Druck genau in die Stelle diagonal zwischen meiner linken Niere und dem Kreuzbein bohrt. Ein innereuropäischer Flug der Discounterkategorie wirkt wie LSD auf Misanthropensinne.

Die ersten Fünkchen im Flächenbrand des Menschenhasses stieben bereits auf, als die unfreundliche Frau mit dem bajuwarischen Akzent hinter der Theke mit den belegten Backwaren mehrfach „Werte Kunden, bitte stellen sie sich in einer Schlange von rechts an“ wiehrt, während ich die Vielfalt der Auslage studiere und zu diesem Zeitpunkt noch längst nicht entschieden habe, ob ich überhaupt Kundin von dieser bellenden Gans mit Fönwelle sein möchte. Nein, möchte ich nicht. Nach dem vierte „Werte Kunden“ habe ich beschlossen, auf das Frühstück zu verzichten. Gefühlsintern die richtige Entscheidung, um der Brötchenziege hinter dem Niesschutz gegenüber nicht handgreiflich zu werden. Gefühlsextern ein Risiko für all meine mir persönlich bekannten Mitreisenden. Sarah erkennt das und erwirbt mir ein Weizenmehlcroissant, vermutlich selbst unter der größten Anstrengung ihren für gewöhnlich tödlichen Laserblick als Teil der RestingBitchFace-Grundaustattung von „Todbringend“ auf deeskalierendes „Zutiefst verachtend“ herunter zu regulieren.

Die Auswirkungen des Weizenmehls auf meine Darmtätigkeit kämpfen nun mit dem Knie des misswüchsigen Riesen hinter mir einen ziemlich hässlichen Gladiatorenkampf, bei dem zwischen den Kontrahenten nur 2 ¾ Lagen billiges Kunstleder, ein paar Gramm Ladyhüftspeck und einhorngleiche Knochenmasse liegen. Sein Übriges steuert der Kleine Müller bei, der mir in regelmäßigen Abständen schlaftrunken seinen Ellbogen in die Flanke bohrt.
Während ich also das Knie angestrengt wegignoriere indem ich mir das Mantra meiner Yogalehrerin „Liebe den Schmerz“ in die Synapsen zwinge, damit ich mir nicht fortwährend neue Flüche gegen den Stelzenmann ausdenken muss, gießt der Rest der Menschen in der Kabine kontinuierlich Öl in den misanthropischen Großbrand.


Handgepäck. Ein Kapitel für sich. Handgepäck. Was inDreiteufelsnamen kann außer Buch, Telefon, Geldbörse, Penisstrohhalm und 1,5kg Handtaschensedimente am Boden der Tasche in zweieinhalb Stunden über den Wolken so wichtig sein, dass man es in einen Trolley packen muss, mit dem man dann allen gegens Knie fährt, bis man seinen Sitz in der hintersten Reihe erreicht hat? Und noch viel wichtiger die Frage: Warum packt man diese Scheißteile oben in die Fächer für das leichte Gepäck, nur um sie dann noch bevor das fucking Flugzeug seine Reiseflughöhe erreicht hat, wieder raus zu zerren? „Das Anschnallsymbol gilt auch für dich, du Pisser!“ schreit es wieder aus meinen Gedanken. Ich glaube, mittlerweile zuckt mein linkes Auge nervös. Pauschalreisen. Der Cruciatusfluch für Eigenbrötler. 

„…Und wenn ein Gedanke kommt, lass ihn einfach vorbei ziehen… rechts einatmen … verschließen… links ausatmen…“ höre ich die Stimme meiner Yogalehrerin aus dem Off.

Die Mehrzahl der Menschen wird, je länger man sie beobachtet, nur umso verabscheuungswürdiger. Warteschlangen zum Beispiel sind prädestiniert für solche Studien im Zeichen der Abneigung. Wie sie sich für das Gefühl, wenigstens einmal im Leben ganz vorne mit dabei zu sein, auf jedes Leben stürzen, das sich morgens gegen fünf hinter einem verwaisten Boardingschalter regt. Wie die Geier aufs Aas.

Die Flugbeleiterin rollt mit dem Fressalienwägelchen vorbei. Essen und Getränke gibt es, genau wie Beinfreiheit, bei ALDIfly nur gegen 24 Stunden vorher online zu entrichtendes Entgelt. Für die Kurzentschlossenen gibt’s Muffins mit dem Feuchtigkeitsgehalt einer Dose Babypuder zum Preis eines Fertigteilhauses. Ich verstehe Menschen nicht, die morgens halb sieben auf einem innereuropäischen Flug unbedingt eine warme Mahlzeit brauchen, die noch dazu weder schmeckt noch einen Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe der Müllvermeidung leistet. Diabetiker natürlich ausgeschlossen. Sind wir doch mal ehrlich. 98,9% der Menschen in diesem Flieger werden die nächsten 7 bis 14 Tage zwischen Strandliege, Buffet und Poolbar verbringen. ALDIfly könnte stattdessen gratis Brotdosen , von mir aus in Trolleyform, an alle Fluggäste verteilen, in denen sich dann jeder für den nächsten Flug selbst geschmierte Stullen belegt mit Mett und Radieschen plus mundgerecht geschnippelte Kohlrabischnitze für’s kollektive Geschmacks-, Lausch- und Duftvergnügen, verpacken und im Handgepäck mitführen könnte. Das bindet gleichzeitig auch den Fluggast ans Unternehmen. Ja, Business kann ich auch. 

Vermutlich würde diese olfaktorische Sinfonie aus 250 Brotdosen auch genauso widerlich duften, wie das Bouquet aus Rindergulasch und Kichererbsen-Masala, welches sich gerade eben in der Kabine ausbreitet während hinter den Fenstern die Morgensonne freundlich strahlt. Lasst euch euer Umami-Frühstück schmecken, ihr Unmenschen.

Jetzt kommt die Halstuchfrau mit dem Müllwägelchen vorbei. Warum wasche ich mir eigentlich meine Haare mit unverpackten Seifenstücken, während diese Verpackungsfaschisten jeden Scheißkeks zum Kaffee extra in Folie wickeln?
Gerade hab ich gesehen, dass der Typ rechts vor mir ne Brotbüchse auf seinem Klapptischchen liegen hat. Sympathischer Typ. Den Pluspunkt bekommt er, wenn auch auf wackligen Füßen, da auf dem Schoß seiner Freundin neben ihm ein gefährlich kleines Kind sitzt. Die kleine Kröte schläft. Er darf seinen Sympathiebonus vorerst behalten.

Fünf Minuten später quäkt der Hosenscheißer. Scheiß auf die Brotbüchse. Alles Idioten hier. Und überhaupt. Was sind das eigentlich für Menschen, die ständig durch das Flugzeug latschen müssen. Vier Mal aufs Klo in zwei Stunden oder was? Wie wäre denn zur Abwechslung mal ein Wanderurlaub in der sächsischen Schweiz? Da lacht sogar die Venenpumpe.

Wir haben es inzwischen fast geschafft. Jetzt nur noch die Landeklatscher. Versteht mich nicht falsch, ich habe weder viel Vertrauen in Technik noch in Personen und gehe auch nicht davon aus, dass jeder meiner Mitmenschen seine Gefühlsausbrüche ebenso gut unterdrücken kann, wie ich. Aber der Pilot macht seinen Job. Okay, es ist für uns alle wichtig, dass er ihn gut macht. Aber sollte man das nicht von Jedem bezüglich der Ausübung seines Broterwerbs erwarten dürfen? Ich meine, mir applaudiert auch keiner, wenn täglich alle meine Schüler am Mittag das Klassenzimmer lebend und ohne offensichtlich bleibende Schäden verlassen. Ich habe auch Helmut und Lieselotte noch nie wie wild klatschen sehen, kurz bevor sie Herrmannplatz/Ecke Brechtstraße die Tram verlassen. Keiner feiert die Wurstfachverkäuferin fürs grammgenaue Mortadellaabwiegen und niemand springt aus dem Jackett, wenn er sein KfZ mit frisch montierten Winterreifen aus der Werkstatt abholt. Das könnte man noch ein Weilchen so fortführen. Und wo bitte bleibt eigentlich der Applaus für jede gewechselte Windel und all die gefütterten Senioren im Altersheim? Für 15 schlafende Terroristen in Spiderman-Schlafanzügen zur Mittagszeit im Kindergarten?

Mit den letzten Klatschern klicken im noch rollenden Flugzeug auch schon die ersten Gurtschnallen und die Geier machen sich zum Sturzflug auf den ersten Platz bereit. Wer das Flugzeug eher verlässt, ist länger im Urlaub, lautet die Devise. 2 Stunden, zwei Martini und ein Ouzo Sunrise, 6 Euro für drei Runden Airhockey und einen beinahe zertrümmerten Lobbycouchtisch später, sind Knie, Geier und Rindergulasch fast vergessen und meine Yogalehrerin im Kopf hat Feierabend. Der Seelenfrieden hält bis ich von meinem Balkon aus beobachte, wie vier stark übergewichtige Britinnen drei Kleinkinder, vier Luftmatratzen, ein Volleyballnetz und ungezählte Bälle in den Sharingpool werfen, während sie Bier aus Dosen trinken und die aktuellen UK Charts grölen. "Oooohm… einatmen.... ausatmen..."