Lehrer sind auch nur Menschen. Und nicht jeder trifft sich abends mit Kolleginnen abwechselnd zum Nordic Walking oder zum Fortgeschrittenenkurs in Seidenmalerei. Ich denke ich bin das Kuckucksei im Lehrerzimmer. Etwa wie ein Veganer, der ausversehen Metzger geworden ist oder ein Pilot mit Höhenangst. Oder wie eine Franzi van Almsick, die immer wieder vom Schwebebalken fällt weil sie noch nie jemand ins Wasser geschubst hat.

Dienstag, 15. November 2016

Philosophie vs. Therapie: It's Onesie-Saturday

Selbstverständlich weiß ich dass heute kein Samstag ist. Aber was ist schon ein Samstag an einem Mittwoch wenn Frauen Conchitas und Männer Jorges sind oder wie auch immer. Ich mach heut Samstag. Immerhin regnet es. Ich werde im Herbst immer leichter depressiv als im Rest des Jahres. Mein Arzt sagt das liegt an den kürzen Tagen. Aber wenn die Tage kürzer werden dann sollten sie mir doch eigentlich weniger auf den Nerv gehen, oder? Heute kein Makrokosmos "Social-Media", heute Mikrokosmos "Lehrerhirn". Für Leserhirne eine Kneippkur. Die stärkt das Immunsystem. Gerade im Herbst.

Ich erzähle meinem Bruder von meinem Hobby zu bloggen. Er findet das befremdlich und fragt mich warum ich das tue. Mein Bruder ist anders. Er bestellt im Burgerladen nur Apfelsinen-Limonade, Kartoffelstäbchen und Frikadellenbrötchen, gelegentlich auch mal paniertes Geflügelformfleisch. 

„Ich muss den Mülleimer in meinem Kopf ausleeren, der Turm oben drauf stürzt allmählich ein“, antworte ich. Er: „Dafür bloggt man dann? Ich maule einfach alle voll.“ Meine Antwort: "Ich les mich einfach gerne schreiben. Außerdem sind gesprochene Worte so vergänglich. Hätten die großen Philosophen damals nur rum gemault und nie geschrieben würde sich heute keiner mehr an sie erinnern." 

Das Philosophen-Ding zieht bei ihm. Das will was heißen, denn er gibt in Diskussionen selten klein bei. 

Mir gefällt der Vergleich, ich denke in 500 Jahren nehmen Philosophie-Studenten in ihrer Master-Arbeit meinen Blog auseinander. Nur schade dass ich dann nicht mehr darüber schreiben kann, was das in mir auslöst. Die Schattenseite posthumer Prominenz.
  
Zwischenprüfung Philosophie, 1.Semester vergeigt wegen mangelndem Irrsinn (ich arbeite daran)
Wenn du Lehrer bist, ist es schwierig du selbst zu sein wenn du Lehrer nicht magst… und Eltern… und Schüler….
Wenn du nicht werden willst wie die Lehrer die du nicht magst tust du unlehrerhafte Dinge besonders gern… (streichen wir Lehrer und setzen wir Eltern ein, behält der Satz dennoch seine Gültigkeit)
Wenn du schreibst wie du wirklich bist wünschst du dir, dass die Leser den Menschen im Lehrer erkennen…

Vielleicht ist es aber auch gar nicht Genialität. Möglicherweise ist es einfach eine Krankheit. Eine sehr bösartige, unberechenbare und schnell fortschreitende. Ich nenne sie Schreib-Tourette. 

Oder die Zukunftsstudenten attestieren mir eine andere schwerwiegende Persönlichkeitsstörung? Das ist schade und kommt leider zu spät, denn die Diagnose von morgen sorgt leider nicht für die Berufsunfähigkeit von heute.  Genie und Wahnsinn liegen dicht beieinander.

Hasch-Parabel
Es regnet. It’s Onesie-Saturday - oder wie mein Bruder sagen würde: es ist Einteiler-Samstag – und deine besten Freunde sagen dir dass sie gestern Abend ohne dich gekifft haben. Das ist hart. 

Stell dir vor ihr plant einen gemeinsamen Roadtrip quer durch die Staaten und plötzlich schreibt die Clique eine Postkarte aus LasVegas. In den Tagen bevor dich ihr papiergewordener Verrat erreicht bist du schon leicht verunsichert. Warum melden sie sich so selten? Auf Nachfragen nur belangloses „Viel los und so“. 

Du liest die Karte wenn du an einem Dienstberatungsmittwoch vom Einkaufen um halb sechs nach Hause kommst und deine Kinder dich vom Sofa aus fragen wann es endlich was zu essen gibt. Ich muss bei all den depressiven Gedanken etwas Großmütiges tun und verzeihe. 
Man kan Einteiler auch an sonnigen Tagen tragen. Nur das Verzeihen sollte man nicht vergessen. (#tierbaby)

Täglich neue tiefen-philosophische Ergüsse der "Fundamentalen Banalitäts-Lehre" gibts in der Lehrerzimmer-Außenstelle.

Mittwoch, 2. November 2016

Warum ich Facebook nicht mag und wir davon immer dümmer werden


Ich finde Facebook zum kotzen. Nein, ich hasse es. Es wimmelt von Menschen deren persönliches Tages-Highlight der Gang zur Mülltonne und der anschließende Post dazu ist.

Und dann die Anderen: täglich längere Laufstrecken, mehr Gewichte auf der Hantel, neue Medaillen der Kinder, Selfies beim Sightseeing an den stylischsten Orten dieser Welt. Ich hasse solche Menschen. Sie geben mir das Gefühl faul, arm, langweilig und erfolglos zu sein. 

Ich hasse Facebook. Ich hasse es wenn Herr Müller morgens nach dem Aufwachen bei geschlossenem Rollladen vor dem Fenster zu mir sagt: „Schatz, es hat geschneit!“ – er weiß es von Facebook. Verdammt, was bringt Menschen dazu morgens nach dem Aufwachen die Großwetterlage zu posten? 

Ich habe mich jahrelang dagegen gewehrt, ich wollte nie Teil dieser ekelhaften Parallelgesellschaft werden, die ihren Selbstwert über Likes und die Anzahl ihrer virtuellen Freunde definiert. Diese Leute sitzen dann ganz real mit dir zusammen und beschäftigen sich mit ihren virtuellen Freunden. Wie wäre es denn wenn mal jemand in mein Face kuckt, ganz ohne Book? 

Eine Seuche ist das! Eine Epidemie die uns zuerst die Fähigkeit raubt Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und danach noch sämtliche Empathie und echte Interaktionsfähigkeit auffrisst. Selbstreflexion? Pah, was für Anfänger. Lass das doch die Facebook-Gemeinde übernehmen.

Und noch was nimmt uns Facebook: die Lust zu lesen. Alles nur Junk. Ein schnelles Video von onanierenden Schimpansen, bearbeitete Bilder von konkaven Häusern auf neongrünen Rasen in denen nie ein Mensch wohnen wird, dazwischen Werbung, Bilder von hässlichen Tieren oder Menschen mit einem „Fass dich an die eigene Nase“-Sprüchlein, dann der ganze Selbstdarstellungsmist von oben plus „Kenn ich nicht ist jetzt mit kenn ich nicht befreundet“ , „Nie gehört stellt dir eine Freundschaftsanfrage“ und „wer ist das eigentlich findet gut“. Und das unterhält die Menschen. Sie beschäftigen sich damit beim Warten auf etwas, um sich zu entspannen oder gar parallel zu real menschlicher Interaktion. 

Facebook real - real unkommunikativ. Oder weiß jetzt jemand wie es hinter dem Buch aussieht?
Eins hat all diese Convenience-Unterhaltung gemeinsam: man muss nicht viel lesen. Ein paar Icons, Emojis und die immer wiederkehrenden Bildchen von Betrunkenen, Dicken, Hässlichen oder Tierbabys massieren unsere Synapsen weich. Wenn dann das Text-Bild-Verhältnis mal umschlägt krampft es im Hirn. „Orr nee. Voll viel lesen" (für mehr Wörter reicht es nicht mehr) und weiter gescrollt. 

Ich dachte schon Hörbücher seien der Anfang vom Ende. Seitdem ich aber festgestellt habe dass meine Posts besonders gut ankommen wenn ich sie mit dem intonatorischen Sarkasmusschild vorlese, revidiere ich meine Meinung.

Soziale Netzwerke sind überall, sogar im Lehrerzimmer. Man wird aktenkundig belehrt, dass man in seinem so geschätzten Lehreramt auch im Privatleben darauf zu achten habe wie man sich öffentlich darstellt. Von da an hasse ich Facebook noch mehr. Vielleicht war dieser dienstliche Belehrungsakt aber auch so eine Art Stein des Anstoßes. Ein Weckruf an das trotzige Kind in mir? Klar, ich bin bekloppt. Aber so bekloppt nun auch nicht wieder. Kinder müssen ernährt, Autos getankt und Kredite abbezahlt werden. Ich kann die Hand ja nicht beißen die mich füttert (sagt man doch so oder?).  Ich nicht – aber Frau Müller kann (klingt irgendwie schizophren).

Meine Freundin Sarah hasst Facebook genauso wie ich. Als ich ihr von Frau Müllers Plänen erzählte, Teil der von uns so geächteten Cyber-Community zu werden war das für sie der einzige Grund dem „Druck von außen“ endlich nachzugeben. Ich betrachte es als großen Liebesbeweis und Ausdruck tiefster Verehrung dessen was ich hier tue, dass sie diesen schweren Weg mit mir gemeinsam geht.
 
Ich muss mich beugen, mir eingestehen dass auch ich MANCHMAL mit der Herde gehen muss, auch wenn man da bekanntlich meist nur Ärsche sieht. Ich war damals auch überzeugt das Internet eine Eintagsfliege ist aber unbelehrbar bin ich nicht. 

Der mittelalterliche Ausrufer hat längst ausgedient. Bei den Benzinpreisen ist ein Touren von Ort zu Ort um auf dem Marktplatz stehend seine Gedanken ins Volk zu tragen auch zu kostspielig, vor allem bei Lehrergehalt. Dort auch noch mit den Megaphonen von AfD und Pegida zu konkurrieren stelle ich mir deutlich anstrengender vor als belanglose Auswürfe auf der Basis von Sozial-Exhibitionismus aus meiner Timeline zu löschen (hoffentlich heißt das so). 

Nicht falsch verstehen, es ist nicht der Exhibitionismus. Daran ist überhaupt nichts schlecht. Es ist die Belanglosigkeit. Wobei das wiederum etwas sehr subjektives ist. Wenn im Leben sonst nichts passiert dann ist das Mittagessen bei McDonalds schon mal ein Highlight und damit wertvoll genug per Schnappschuss mit der ganzen Welt geteilt zu werden. 

Teilen von subjektiv aufgewerteten Belanglosigkeiten. Facebook in fünf Worten. Das verstehen ALLE User. Da mach ich auch mal mit, ich hab das Gefühl das wird zum Trend. 

In der Lehrerzimmer-Außenstelle mach ich mich fast täglich zur Hure des Freiers namens "Social Media".