Ich les' mich gern schreiben

Lehrer sind auch nur Menschen. Und nicht jeder trifft sich abends mit Kolleginnen abwechselnd zum Nordic Walking oder zum Fortgeschrittenenkurs in Seidenmalerei. Ich denke ich bin das Kuckucksei im Lehrerzimmer. Etwa wie ein Veganer, der ausversehen Metzger geworden ist oder ein Pilot mit Höhenangst. Oder wie eine Franzi van Almsick, die immer wieder vom Schwebebalken fällt weil sie noch nie jemand ins Wasser geschubst hat.

Donnerstag, 18. Oktober 2018

Gladiatorenkämpfe, Sturzflüge und Gulaschpotpourri - Menschenhass über den Wolken


„Nächstes Mal buch‘ dir einen Plussize-Sitz, du Missgeburt in Überlänge – das kostet nur vier Euro mehr. Oder fliege nicht in meinem Flugzeug!“ höre ich mich im Geiste meinem Hintermann entgegenschmettern, während sich das Knie des Dreimetermannes mit Holzbein seit einer Stunde mit konstantem Druck genau in die Stelle diagonal zwischen meiner linken Niere und dem Kreuzbein bohrt. Ein innereuropäischer Flug der Discounterkategorie wirkt wie LSD auf Misanthropensinne.

Die ersten Fünkchen im Flächenbrand des Menschenhasses stieben bereits auf, als die unfreundliche Frau mit dem bajuwarischen Akzent hinter der Theke mit den belegten Backwaren mehrfach „Werte Kunden, bitte stellen sie sich in einer Schlange von rechts an“ wiehrt, während ich die Vielfalt der Auslage studiere und zu diesem Zeitpunkt noch längst nicht entschieden habe, ob ich überhaupt Kundin von dieser bellenden Gans mit Fönwelle sein möchte. Nein, möchte ich nicht. Nach dem vierte „Werte Kunden“ habe ich beschlossen, auf das Frühstück zu verzichten. Gefühlsintern die richtige Entscheidung, um der Brötchenziege hinter dem Niesschutz gegenüber nicht handgreiflich zu werden. Gefühlsextern ein Risiko für all meine mir persönlich bekannten Mitreisenden. Sarah erkennt das und erwirbt mir ein Weizenmehlcroissant, vermutlich selbst unter der größten Anstrengung ihren für gewöhnlich tödlichen Laserblick als Teil der RestingBitchFace-Grundaustattung von „Todbringend“ auf deeskalierendes „Zutiefst verachtend“ herunter zu regulieren.

Die Auswirkungen des Weizenmehls auf meine Darmtätigkeit kämpfen nun mit dem Knie des misswüchsigen Riesen hinter mir einen ziemlich hässlichen Gladiatorenkampf, bei dem zwischen den Kontrahenten nur 2 ¾ Lagen billiges Kunstleder, ein paar Gramm Ladyhüftspeck und einhorngleiche Knochenmasse liegen. Sein Übriges steuert der Kleine Müller bei, der mir in regelmäßigen Abständen schlaftrunken seinen Ellbogen in die Flanke bohrt.
Während ich also das Knie angestrengt wegignoriere indem ich mir das Mantra meiner Yogalehrerin „Liebe den Schmerz“ in die Synapsen zwinge, damit ich mir nicht fortwährend neue Flüche gegen den Stelzenmann ausdenken muss, gießt der Rest der Menschen in der Kabine kontinuierlich Öl in den misanthropischen Großbrand.


Handgepäck. Ein Kapitel für sich. Handgepäck. Was inDreiteufelsnamen kann außer Buch, Telefon, Geldbörse, Penisstrohhalm und 1,5kg Handtaschensedimente am Boden der Tasche in zweieinhalb Stunden über den Wolken so wichtig sein, dass man es in einen Trolley packen muss, mit dem man dann allen gegens Knie fährt, bis man seinen Sitz in der hintersten Reihe erreicht hat? Und noch viel wichtiger die Frage: Warum packt man diese Scheißteile oben in die Fächer für das leichte Gepäck, nur um sie dann noch bevor das fucking Flugzeug seine Reiseflughöhe erreicht hat, wieder raus zu zerren? „Das Anschnallsymbol gilt auch für dich, du Pisser!“ schreit es wieder aus meinen Gedanken. Ich glaube, mittlerweile zuckt mein linkes Auge nervös. Pauschalreisen. Der Cruciatusfluch für Eigenbrötler. 

„…Und wenn ein Gedanke kommt, lass ihn einfach vorbei ziehen… rechts einatmen … verschließen… links ausatmen…“ höre ich die Stimme meiner Yogalehrerin aus dem Off.

Die Mehrzahl der Menschen wird, je länger man sie beobachtet, nur umso verabscheuungswürdiger. Warteschlangen zum Beispiel sind prädestiniert für solche Studien im Zeichen der Abneigung. Wie sie sich für das Gefühl, wenigstens einmal im Leben ganz vorne mit dabei zu sein, auf jedes Leben stürzen, das sich morgens gegen fünf hinter einem verwaisten Boardingschalter regt. Wie die Geier aufs Aas.

Die Flugbeleiterin rollt mit dem Fressalienwägelchen vorbei. Essen und Getränke gibt es, genau wie Beinfreiheit, bei ALDIfly nur gegen 24 Stunden vorher online zu entrichtendes Entgelt. Für die Kurzentschlossenen gibt’s Muffins mit dem Feuchtigkeitsgehalt einer Dose Babypuder zum Preis eines Fertigteilhauses. Ich verstehe Menschen nicht, die morgens halb sieben auf einem innereuropäischen Flug unbedingt eine warme Mahlzeit brauchen, die noch dazu weder schmeckt noch einen Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe der Müllvermeidung leistet. Diabetiker natürlich ausgeschlossen. Sind wir doch mal ehrlich. 98,9% der Menschen in diesem Flieger werden die nächsten 7 bis 14 Tage zwischen Strandliege, Buffet und Poolbar verbringen. ALDIfly könnte stattdessen gratis Brotdosen , von mir aus in Trolleyform, an alle Fluggäste verteilen, in denen sich dann jeder für den nächsten Flug selbst geschmierte Stullen belegt mit Mett und Radieschen plus mundgerecht geschnippelte Kohlrabischnitze für’s kollektive Geschmacks-, Lausch- und Duftvergnügen, verpacken und im Handgepäck mitführen könnte. Das bindet gleichzeitig auch den Fluggast ans Unternehmen. Ja, Business kann ich auch. 

Vermutlich würde diese olfaktorische Sinfonie aus 250 Brotdosen auch genauso widerlich duften, wie das Bouquet aus Rindergulasch und Kichererbsen-Masala, welches sich gerade eben in der Kabine ausbreitet während hinter den Fenstern die Morgensonne freundlich strahlt. Lasst euch euer Umami-Frühstück schmecken, ihr Unmenschen.

Jetzt kommt die Halstuchfrau mit dem Müllwägelchen vorbei. Warum wasche ich mir eigentlich meine Haare mit unverpackten Seifenstücken, während diese Verpackungsfaschisten jeden Scheißkeks zum Kaffee extra in Folie wickeln?
Gerade hab ich gesehen, dass der Typ rechts vor mir ne Brotbüchse auf seinem Klapptischchen liegen hat. Sympathischer Typ. Den Pluspunkt bekommt er, wenn auch auf wackligen Füßen, da auf dem Schoß seiner Freundin neben ihm ein gefährlich kleines Kind sitzt. Die kleine Kröte schläft. Er darf seinen Sympathiebonus vorerst behalten.

Fünf Minuten später quäkt der Hosenscheißer. Scheiß auf die Brotbüchse. Alles Idioten hier. Und überhaupt. Was sind das eigentlich für Menschen, die ständig durch das Flugzeug latschen müssen. Vier Mal aufs Klo in zwei Stunden oder was? Wie wäre denn zur Abwechslung mal ein Wanderurlaub in der sächsischen Schweiz? Da lacht sogar die Venenpumpe.

Wir haben es inzwischen fast geschafft. Jetzt nur noch die Landeklatscher. Versteht mich nicht falsch, ich habe weder viel Vertrauen in Technik noch in Personen und gehe auch nicht davon aus, dass jeder meiner Mitmenschen seine Gefühlsausbrüche ebenso gut unterdrücken kann, wie ich. Aber der Pilot macht seinen Job. Okay, es ist für uns alle wichtig, dass er ihn gut macht. Aber sollte man das nicht von Jedem bezüglich der Ausübung seines Broterwerbs erwarten dürfen? Ich meine, mir applaudiert auch keiner, wenn täglich alle meine Schüler am Mittag das Klassenzimmer lebend und ohne offensichtlich bleibende Schäden verlassen. Ich habe auch Helmut und Lieselotte noch nie wie wild klatschen sehen, kurz bevor sie Herrmannplatz/Ecke Brechtstraße die Tram verlassen. Keiner feiert die Wurstfachverkäuferin fürs grammgenaue Mortadellaabwiegen und niemand springt aus dem Jackett, wenn er sein KfZ mit frisch montierten Winterreifen aus der Werkstatt abholt. Das könnte man noch ein Weilchen so fortführen. Und wo bitte bleibt eigentlich der Applaus für jede gewechselte Windel und all die gefütterten Senioren im Altersheim? Für 15 schlafende Terroristen in Spiderman-Schlafanzügen zur Mittagszeit im Kindergarten?

Mit den letzten Klatschern klicken im noch rollenden Flugzeug auch schon die ersten Gurtschnallen und die Geier machen sich zum Sturzflug auf den ersten Platz bereit. Wer das Flugzeug eher verlässt, ist länger im Urlaub, lautet die Devise. 2 Stunden, zwei Martini und ein Ouzo Sunrise, 6 Euro für drei Runden Airhockey und einen beinahe zertrümmerten Lobbycouchtisch später, sind Knie, Geier und Rindergulasch fast vergessen und meine Yogalehrerin im Kopf hat Feierabend. Der Seelenfrieden hält bis ich von meinem Balkon aus beobachte, wie vier stark übergewichtige Britinnen drei Kleinkinder, vier Luftmatratzen, ein Volleyballnetz und ungezählte Bälle in den Sharingpool werfen, während sie Bier aus Dosen trinken und die aktuellen UK Charts grölen. "Oooohm… einatmen.... ausatmen..."


Freitag, 14. September 2018

Von Wunderprosecco, Haarspray mit Lotuseffekt und Yoga in HighHeels


Als ich den großen Müller heute Morgen in die Schule gefahren habe, kam mir eine wirklich originelle Idee. Beim Autofahren habe ich übrigens immer die besten Ideen, genau wie beim Staubsaugen. Nach einem Tobsuchtsanfall im Stadtverkehr hatte ich mal den Geistesblitz, mittels Webcam neben dem Lenkrad eine Art Chat-Roulette „Drivers Edition“ zu erfinden. Man könnte dann anderen beim Autofahren und damit beim Singen, Popeln oder Fluchen zuschauen. Ich denke, das könnte echt lustig werden. 


Jedenfalls kam mir heute Morgen der Gedanke an ein Retro-Videospiel nach dem Super Mario-Vorbild. Das ganze heißt natürlich – völlig logisch – Super Müllerin. Dabei kämpft sich mein pixelgewordenes Ebenbild durch verschiedene Welten, vom Klassenzimmer und dem Schulhof über die Innenstadt und den Supermarkt bis hin zum Stadtfest, den Zoo und den Weihnachtsmarkt. Überall gilt es Schüler zu besiegen, in dem man sie mit Kreide und Schlüsseln bewirft, Kollegen und Eltern muss man ausweichen. Oder man schützt sich, indem man Ohrenschützer aktiviert. Den Schlüssel und die Ohrenschützer muss man aber, ähnlich wie bei Legend of Zelda das Schwert und den anderen Kram, erst mal finden. Ja, ich lege Wert auf Realitätsnähe. Man kann kleine Proseccodosen oder Schnapspralinen finden, die machen dann stärker oder schenken einem ein Extraleben. Die Schulleiterin könnte zum Beispiel ein Endgegner sein. Oder ein Schüler mit ADHS auf Ritalinentzug. Oder ein alkoholisierter Vater. Ich denke wirklich, das würde Spaß machen.
So könnte es aussehen, wenn Super Müllerin einen Justin trifft, der vor einer Unsterblichkeits-Proseccodose patroulliert (nur ohne Bart vielleicht)

Ur-Keim dieses gedanklich schon bis ins Detail ausgesponnenen Gedankenkonstrukts war übrigens mein aktives geistiges Klemmbrett zum Thema Freizeitsport, im Speziellen zum Schwimmen in öffentlichen Badeanstalten. Dort versuche ich mich nämlich seit kurzem wieder regelmäßig aufzuhalten (wenn man nach dreimal schon von regelmäßig sprechen kann). Vergangene Woche habe ich mich im Wasser wie Mario zwischen den Bowsern gefühlt. Der Rest kam dann aus meinem Hirn gesprudelt, wie Cola aus der Flasche, wenn man ordentlich schüttelt oder Mentos rein schmeißt.

Wenn sich der Leser jetzt fragt „Warum um alles in der Welt geht die Müllerin schwimmen? Das ist Baden in Menschensuppe mit nicht zu unterschätzendem Urin- und Schweißanteil und macht außerdem keinen Spaß, dafür aber ein breites Kreuz“ so muss ich ihm zunächst beipflichten. Aber nach dem Zurateziehen meines wankelmütigen Bindegewebes, der nicht vorhandenen alternativ ebenso leicht zu erreichenden örtlichen Möglichkeiten das körperliche Aktivitätsniveau zu heben, erschien mir das wöchentlich einstündige Verdrängen von Wassermassen als das geringste zu erbringende Opfer für einen kaum merklich verlangsamten Verfallsprozess. 


Okay, ich könnte joggen gehen. Aber zum einen erscheint mir Joggen insgesamt von allen Ausdauersportarten am sinnfreiesten und zweitens bin ich beim Sport am liebsten allein. Das heißt nicht, dass ich nicht Menschen im selben Raum oder Wasser dulde. Auch wenn ich mich erst gestern Abend nur knapp zurückhalten konnte, dieser dauerkichernden Ollen zwei Matten neben mir meinen hölzernen Yogablock mit Wucht gegen den Kopf zu schmettern. Oder sie mit dem Yogagurt zu erwürgen. Nur der Grad meiner Entspannung hat schlimmeres verhindert. 

Das bedeutet einfach, dass ich dabei ungern Mann, Freunde oder Kollegen dabei habe, von denen auch nur die geringste Gefahr ekelhafter Motivationsversuche ausgeht beziehungsweise die meinem Hang zur Selbstgeißelung auch nur im Ansatz im Wege stehen. Also müsste ich alleine laufen gehen, im Wald versteht sich. Denn auf der Straße sind Menschen. Im Wald hab ich aber Angst. Selbstverständlich nur vor den Wildschweinen. Daher geh ich schwimmen.

Mannschaftsport fällt ebenso aus, das ist wie die Gruppenarbeiten früher in der Schule oder Uni. Kryptonit für Misanthropen. Fitnessstudios genauso. Sarah hat mich vor kurzem gefragt, ob ich mit ihr mal hingehen will, weil sie meinen Bindegewebsmonolog nicht mehr ertragen konnte. Ich hab ihr mit einer Gegenfrage geantwortet: Hast DU Lust, mal einen Tag in einer Krippengruppe zu verbringen, in dem der Norovirus grassiert?
Dieses Gerätetraining. Wuäh. Fluchtreflex. Und dann kommt vielleicht noch ein gutaussehender Kerl Mitte Zwanzig mit Namensschild und sagt mir, dass ich irgendwas falsch mache? Hallo? Ich darf ja wohl immer noch selbst entscheiden, wie ich mir meinen Nacken verspanne. Werd erstmal so alt wie ich, Bengel. Kurse. Genauso schlimm. Keinen Bock, mich von ner Gleichaltrigen mit Caprileggings und übermotiviertem Bindegewebe im Sinne der Motivation anschreien zu lassen und dazu auch noch schlechte Musik zu hören.

Ach ja, zu Hause Sport machen geht auch. Hört sich eigentlich total schlüssig und sinnvoll an. Scheitert aber an der Realität und vor allem am Sofa. Ich habe mir sechs lange Sommerferienwochen vorgenommen, irgendwann mal morgens Yoga auf meiner Terrasse zu machen. Und dann kam etwas, das nannten Meteorologen „Jahrhundertsommer“. Ausrede genug.
Also geh ich in die Schwimmhalle.

Wenn ich einen Bikini und Badeschlappen im Auto habe, dann kann ich auch schwimmen.
Wenn ich vier Euro bezahlt und das Drehkreuz unwiderruflich passiert habe, dann kann ich auch schwimmen.
Wenn ich schon mal mitten am Tag in Badeklamotten am Beckenrand stehe, dann kann ich auch schwimmen.
Wenn ich mich schon ins 28 Grad kalte Wasser gehievt habe, dann kann ich auch schwimmen.
Wenn ich fünf Minuten geschwommen bin, dann kann ich auch ne Stunde schwimmen. Muss sich ja schließlich lohnen.

Meine Art der „Wenn dann“-Motivation. Letztlich schwitze ich beim Schwimmen nicht, meine Hüfte macht keine komischen Geräusche und das Risiko, mich zu verletzen ist gering. Dank meiner fürstlichen Arbeitszeiten, kann ich die öffentliche Badeanstalt schon am Mittag aufsuchen. Das hat den Vorteil, dass der Kinderanteil in dieser Halle mit der unvorteilhaften Akustik, gegen Null geht. Hausaufgaben statt Arschbombe heißt die Lösung. Eltern sind auch keine da, denn von 12 bis 2 läuft das Mittagsmagazin auf RTL.

Wer geht also wochentags zur Mittagszeit schwimmen außer Lehrer? Rentner natürlich. Vormittags sind sie beim Arzt und nachmittags überrennen sie die Supermärkte. Allerdings habe ich in meiner als Langzeitstudie angelegten Beobachtung (die zum gegenwärtigen Zeitpunkt drei Besuche umfasst) noch keine Ursachen für die tageweisen Schwankungen der Rentnerdichte eruieren können. Ich hatte bereits das Vergnügen, im fast leeren Becken in trauter Einsamkeit vor mich hin planschen zu dürfen, war allerdings auch schon genötigt, permanente Ausweichmanöver wie der Sat1 Superball zu vollziehen. Ich vermute eine Korrelation mit dem vierzehntägig stattfindenden Wochenmarkt in der Innenstadt. 

Jetzt hätte der konsequente Misanthrop in mir ab dem dritten Senioren auf der gleichen Bahn konsequent das Becken verlassen und nach Hause gehen können, weil aber der Sportler in mir konsequenter ist, hab ich lieber den Joey Kelly gemacht, durchgezogen und mich dabei in menschenkategorisierenden Gedanken verloren.

Da sind zunächst die Enten. Es gibt sie in allen Altersgruppen. Ich bin übrigens auch eine Ente. Man erkennt sie am konsequenten Brustschwimmstil und den trockenen Haaren, gegebenenfalls auch am unversehrten Make-up, das allerdings einen besonders langen Entenhals erfordert. Die jüngeren Enten (ich zähle mich auch knapp dazu) schützen ihr Kopfgefieder durch stylische Duttaufbauten, weswegen ich sie Schmuckenten nenne, die älteren Enten durch nicht minder modische Badehauben oder drei bis acht Extraschichten Haarlack. Die Entscheidung für eine der beiden Varianten hängt vermutlich von der Frische der Kaltwelle im edlen silbergrauen Kopfputz ab. 


Außerdem erkennt man die Enten an ihrem charakteristischen Duft, dessen Stärke und Nachhaltigkeit proportional mit dem Alter der Ente zunimmt. Ein Rudel sehr alte Enten wird zuweilen umgeben von dichten Nebelschwaden aus 4711 und Tosca, die an das Caspar David Friedrich-Gemälde einer Moorlandschaft erinnern. Außerdem steigt auch die Zeit, die die älteren Wasservögel innen am Beckenrand ähnlich einer Nudel am Topfrand klebend, verbringen proportional zum Alter.

Das männliche Pendant dazu sind die Dampfer. Eisbrecher wäre ebenso passend. Oder Walrösser. Denn genau wie ihre Namensgeber, durchpflügen nicht selten übergewichtige Männer jenseits der Lebensmitte ohne Rücksicht auf möglichen Gegenverkehr das Wasser. Dabei kämpfen viele von ihnen gegen erhöhten Wasserwiderstand aufgrund dichter Rückenbehaarung. Jeder dieser Pelzträger wäre angesprochen auf seine üppige Körperbehaarung bei einer Kontra-Burkini-Diskussion sofort mundtot. Im Gegensatz zu den Enten, treten die Dampfer meist als Einzelexemplar auf, benötigen jedoch wegen ihres sehr ausladenden Rückenschwimmstils genauso viel Platz wie ein mittelgroßes Entenrudel. Ein Dampfer hat mich einmal unter Wasser am Schenkel leicht touchiert und sich, als er mir auf der nächsten Bahn erneut entgegen kam, sehr förmlich entschuldigt und mir dabei versichert, dass es sich nicht um sexuelle Belästigung handelte. Ohne Witz.

Schließlich gibt es noch die Hechte. Von ihnen gibt es männliche und weibliche Exemplare, auch gibt es sie in nahezu allen Altersklassen. Echte Hechte erkennt man an der sehr funktionalen Badebekleidung zumeist einschlägiger Hersteller, der obligatorischen Schwimmbrille und nicht selten einer sportiven Badekappe. Hechte steigen nicht über die Leiter ins Becken sondern benutzen die vorhandenen Startblöcke. Außerdem halten sich Hechte in der Regel auf der abgegrenzten Bahn links außen auf, um im Training nicht auf Enten zu stoßen. Befinden sich sehr wenige Hechte im Becken, wird neu ankommenden Enten nicht selten fast völlige Leere im Wasser suggeriert, da sich Hechte größtenteils unter der Wasseroberfläche aufhalten. Das alles hat zur Folge, dass ich mich, wenn ich gemeinsam mit Herrn Müller die Badeanstalt aufsuche, bereits beim Betreten der Schwimmhalle von ihm verabschiede, da sich die Schwimmstile von Hechten und Enten eher schlecht miteinander vereinen lassen.

All diese Menschen sind da, aber sie sprechen nicht mit mir. Zwischen ihnen und mir befindet sich wohltuendes Schweigen und eine gesundheitlich nur knapp unbedenkliche Menge Chlor. Das und die Tatsache, dass man beim Schwimmen keine Schuhe trägt, lassen mir die Schwimmhalle als einen geeigneten Ort erscheinen, an dem ich mich sportlich betätigen kann. Vermutlich werden immer dann, wenn mein Puls steigt, Urinstinkte bei mir geweckt, die mir signalisieren, dass ich meine Füße entkleiden muss. Das klappt beim Yoga, wie beim sporadischen Kampfsport genauso wie beim Schwimmen. Vielleicht liegt es aber auch einfach nur daran, dass Turnschuhe nicht hübsch sind und es sich in HighHeels schlecht turnt.

Freitag, 7. September 2018

Ich bin dann mal weg – Adieu FACEBOOK

 Am Anfang stand das Bloggen – am Ende auch

Es ist ein bisschen wie mit der Ernährung. Da gibt es Menschen, die sind uuuunglaublich diszipliniert. Permanent. Ihr Leben lang. Dadurch bleibt zumindest ein Teil dieser Leute gesund und in Form. Ein anderer Teil pfeift drauf, was er wann isst und den Körper juckt es nicht. Gesundheit und ein Körper, wie ihn sonst nur die Bildhauer der Antike hervorbrachten, sind sozusagen ein Geschenk. Ein bisschen wie diese Gutscheine, die man manchmal am Ausgang von Möbelhäusern oder diesen unmöglichen riesigen Supermärkten geschenkt bekommt. Man kriegt sie einfach in die Hand gedrückt und warum nicht nehmen, wenn sie schon mal da sind. Dann gibt’s noch alle anderen, die einfach essen und leben und dabei den Fokus beneidenswerterweise aufs Leben legen. Und es gibt mich, ich bin von allen ein bisschen. Nur der Gutscheintyp, der bin ich nicht. 

Mit dem Essen hab ich schon früher gehadert, aber 47 Kilo und ne Essstörung sind zum Glück Vergangenheit. Heute ist es eher so ein (un)gesunder Mix aus furchtbar furchtbar konsequent und ach leck mich doch. Aber immer dann, wenn auf das Leck mich doch ein Konsequent folgt, brauche ich eine Katharsis, ein Reset, einen Punkt Null.
 
Nun soll es aber nicht ums Essen und auch nicht um mein Bindegewebe, diesen miesen Verräter, gehen sondern um meine anstehende „sozial-mediale“ Entgiftung. Ich kann ohnehin unmöglich weiter übers Essen schreiben, ohne dass ich anfange, mich von innen selbst zu verdauen. Der Kühlschrank ist leer und es ist Freitagseinkaufsrentnerrushhour. Ich schaff das einfach nicht. Kann man aus einer Yuccapalme Salat zubereiten? Essig und Öl hätte ich noch da.

Schreiben wollte ich. Weil’s mir Spaß gemacht hat. Das tut es übrigens auch nach wie vor. Jetzt stellt euch vor, ihr schreibt einen Blogartikel und keiner liest ihn. Doof, ne? So geschehen vor knapp zwei Jahren. Kein Ding und ist ja letztlich auch logisch. Also wie Menschen erreichen, wenn nicht mit Social Media. Geile Sache eigentlich. Jenseits meines schreiberischen Geltungsbedürfnisses allerdings, hielt ich bis dahin nichts oder nur schlechtes von sozialen Medien. Aber Opfer müssen eben gebracht werden. 

So wie recht häufig in meinem Leben, fang ich also erstmal an, bevor ich mich informiere. Geduld gehört nicht zu meinen Stärken. Und eigentlich läuft dieses Facebook ja ganz gut, denkt sich zunächst Frau Müller, die nämlich neben wortreichen Blogartikeln, auch gerne mal den Instant-Alltagsgedanken-Murks direkt per Posting auf die Seite donnert. Just heute, an dem Tag, an dem ich Abschied davon nehmen will, bringt mich eine Kollegin mit der Aussage, dass sie ihren achtjährigen Sohn für eine Drei auch mal ausschimpft, so nah an die geistige Kotzgrenze, dass ich nur knapp der rettenden Entspannung an den Tasten des Smartphones (Scheiße, das Ding hat ja gar keine Tasten) widerstehen kann.

Dann ist da aber noch Susann. Also die private Müllerin. Die lernt nach und nach auch den Umgang mit der Zeitvernichtungsmaschine Facebook. Haha, ein lustiges Bildchen, schnell mal jemanden markiert, interessante Artikel, lustige Artikel , strittige Artikel, aha – beim X gibt’s heute Würstchen und Bierchen, aha, die Y hört sich gerade den Teufelsgeiger an. Und jenseits der sieben mal fünfzehn Zentimeter zieht das Leben vorbei.

Ich bin an einem Punkt, an dem mich weder die Verbindung von Frau Müller zu Facebook noch meine eigene damit noch glücklich macht. Nichtsdestotrotz tut es einem Teil meines Herzens auch leid. Lasst mich versuchen, zu erklären.

Die Susann in mir ist von weiten Teilen dieser Plattform schlicht und ergreifend nur noch angewidert. Ich müsste meine Filterblase schon in medizinischen Alkohol einlegen, um sie von allem zu reinigen, was mir auf die Nerven geht. Allen voran Menschen, danach Menschen und zum Schluss immer noch Menschen. Ich bewundere diejenigen von euch, die da Ruhe bewahren. Ich kann’s nicht. Ich bin ein Gefühlsgeysir. Und immer mal wieder wird man enttäuscht, von Leuten, die einem eigentlich zu wichtig sind, um sie weg zu ignorieren, und sei es nur, weil sie zeigen, wie sie wirklich ticken. 

Ich möchte aber auch nicht unerwähnt lassen, dass es einige durch Facebook entstandene Kontakte gibt, die mir ans Herz gewachsen sind. Allen voran, die Blogger hinter Vairvetzt, Bryke, Meine Drogenpolitik und Wasmansonichtsagendarf. Alle zusammen tolle Blogger – und tolle Menschen. Ich hoffe, ich habe niemand vergessen. Besonders Jule von Vairvetzt hat mir in den letzten zwei Jahren gelernt, dass man Menschen hassen und trotzdem aktiv was für gutes Karma tun kann. Yeah, ich habe einen ökologischen Fußabdruck. Und der wird immer besser.

Aber nicht nur den Kontakt zu diesen Leuten werde ich vermissen, die kleine feine Community mit einer Kommentarkultur, die ihresgleichen sucht, die in FrauMüllers Lehrerzimmer entstanden ist, wird mir ebenso fehlen. Dieser harte Kern, der einfach immer wieder konsequent dafür gesorgt hat, dass die Kommentare viel witziger, wertvoller, informativer oder lesenswerter waren, als mein ursprünglicher Post. Ich hoffe, ihr habt gemerkt, dass ihr mir wichtig gewesen seid. Ich habe versucht, nahezu jeden Kommentar zu würdigen, wenn nicht sogar zu beantworten. Danke euch.

Auch persönliches Feedback gab es, heimlicheQuattroehe-Verfechter, die aber lieber anonym bleiben wollten. Lehrer, die Kinder genauso wenig leiden können wie ich und Frauen, für die ich so eine Art Glutamat ihres sexuellen Gewürzschränkchens war. Ganz wunderbares Feedback. Allein die Tatsache, dass ich schreiben kann „Lehrer, die Kinder genauso wenig leiden können wie ich“ und dabei weiß, dass meine treuen Leser höchstens schmunzeln und nur ein paar besorgte Menschenrechtler aufs X drücken, macht mich glücklich.

Und dennoch stand zwischen mir und diesen Menschen immer Freund und Feind Facebook. Ich bin vermutlich zu sehr Idealist, wenn mich sowohl die Reichweitenregelung als auch zum Teil nicht nachvollziehbares Sperr- und Löschverhalten der Verantwortlichen unzufrieden macht. Das Ganze ist eine Maschine, an der du funktionieren musst, damit sie funktioniert. Dem mag ich mich nicht mehr unterwerfen. Am Ende werden Schreiber und Leser verarscht. Im echten Leben fände ich es ziemlich beschissen, wenn ich etwas abonniere, aber nur jede dritte oder vierte Lieferung bei mir ankommt. Und wenn es so ist wie gerade und das echte Leben zu schnell und zu voll ist, um auch noch im virtuellen Leben eine gute Figur abzugeben, dann fängt man quasi von vorn an, wenn die Muse zurück ist. Da hab ich keinen Bock mehr drauf. Nicht zu vergessen, die latente Angst vor irgendwelchen diffusen, willkürlichen Löschaktionen, weil man irgendwem irgendwie gerade nicht passt. Transparenz geht anders. Kein Bock. Ich kann mir nichts kaufen von alle dem. Aber mein Herz steckt drin. Und das ist mir wichtig.

Das Bloggen stand am Anfang und es steht am Ende. Jenseits von Facebook geht es hier bei Blogspot weiter. Auf der Festplatte jede Menge Angefangenes. Vom „Kinder-K.O.-Spray“ über Versicherungsexorzismus bis hin zu einer spektakulären Doppel-Vasektomie. Das muss raus. Dazu kommt die analoge To-Do-Liste in Form von ungezählten Post-its in der linken Ecke meiner Schreibtischplatte. Da geht’s um die verdammte Mitte, in der die Wahrheit liegt, die aber irgendwie immer mehr verschwindet. Um Kindergeburtstage zum Davonrennen und um die Geschichte, wie ich einmal mit Kind und Kegel für sechs Wochen bei der Schwiegermutter einzog und ÜBERLEBTE. Ich liebe den Blog. Oder das Blog? Mir wurscht. Das ist meine ganz eigene Katharsis. Wer mich lesen will, der findet mich hier. 

Nach einem DSGVO-Makeover bin ich mir im Augenblick meines Schaffens hier nicht sicher, was von der Möglichkeit, die Seite zu abonnieren noch übrig ist. Kuckt einfach mal. In der Webversion sollte es zu finden sein. Ich habe übrigens nur 2 – in Worten ZWEI – Abonnenten auf der Seite. Dagegen stehen über 850 auf Facebook. Ja, ich lehne mich gerade sehr weit aus dem Fenster.

Aber so weit nun auch wieder nicht. Ich möchte FrauMüller bei Facebook nicht löschen. Zwar würde ich sehr gerne mein Privatprofil löschen, das eine geht allerdings nicht ohne das andere. Einerseits ist die FrauMüller-Seite eine Art Mini-Blog. Viel zu viele Beiträge dort liegen mir fast genauso am Herzen wie die großen Brüder und Schwestern bei Blogspot. Andererseits hat die Müllerin hier eine Bühne, auf der sie, wenn der Staub beseitigt ist, die Menschen darüber informieren kann, dass sie es endlich geschafft hat, dieses Buch zu schreiben, von dem so viele immer reden. Die vielen kleinen, wütenden, verliebten, nachdenklichen und amüsierten Alltagsschnipsel werden wohl vorerst den Weg zu den anderen Post-its auf dem Schreibtisch finden. Und wenn sie Glück haben und Andreas sie nicht frisst oder Morticia sie durch die Wohnung jagt, während sie an ihrem Schwanz kleben, dann finden auch diese irgendwann irgendwie ihren Weg ins große Lehrerzimmer, fernab von fucking Facebook.

Ich freu mich jetzt aufs richtige Leben, auf geistiges anwesend sein. Ganz ohne Fakenews, Reichweite, Klickzahlen, Likes und Follower. Lest es oder lasst es. Ich bin da, wenn ihr mich sucht. Tief einatmen. Und los.

Staub müsste ich auch mal wieder wischen...




Mittwoch, 29. August 2018

Nachbarn, nackte Schafe und Naturschönheiten ODER Misanthropen beim Lasertag


Wenn ich am Sonntagvormittag aus meinem Küchenfenster schaue und sehe, wie sich die Nachbarn generationsübergreifend zum lockeren Wochenrückblick mit Boulevardnewssparte am Gartenzaun versammeln und die Sterbeanzeigen der Lokalzeitung kommentieren, widert mich das an. Ich kann noch nicht mal genau sagen warum. Vielleicht weil ich Dreiviertel der Beteiligten (Kinder eingeschlossen) einfach nicht leiden kann. Das ist nichts persönliches, ich kann den Großteil der Menschheit nicht leiden. Da ist Dreiviertel schon optimistisch formuliert und zeugt von einem ausgeglichenen Seelenzustand meinerseits in dem Moment, in dem ich diese Worte niederschreibe. Schnell veröffentlichen. Morgen kann das schon ganz anders aussehen. 

Aber ich meine, den Typen mit der Rotzbremse, der in typischer Dreiecksbadehose mit seinen Kindern auf der Straße Federball spielt, kann man einfach nur ablehnen. Und das Aas, welches extra die Hecke unterhalb seiner eigenen Augenhöhe beschneidet um meine Einkäufe im Kofferraum stalken zu können, verdient meine Akzeptanz ebenfalls nicht. Aber hey, ich hasse tatsächlich nicht alle meine Nachbarn. Die alte Fraumit den zerzausten Haaren, die früher mal Lehrerin war und sich heute zum Brötchen holen nur ne Jacke mit Sofamuster übers Frotteenachthemd wirft, ist mir sehr sympathisch. Lediglich die Tatsache, dass sie mit ihrem knapp dreißig Jahre alten Opel Corsa ausgerechnet zur Kirche fährt, nachdem sie mit viertausend Umdrehungen raketengleich rückwärts aus ihrer Einfahrt geschossen ist, verleitet mir ihren Vorbildcharakter etwas. Die Kirche, nicht das Auto.

Beim idyllischen Familienspaziergang (dafür müssen die Parameter Temperatur, Niederschlag, Luftfeuchtigkeit, Tageszeit und Verkehrsaufkommen in einem sehr sensiblen Gleichgewicht aufeinander abgestimmt sein), meide ich bestimmte Wege und Straßen, um nicht auf Bekanntschaften zu treffen, von denen ich erwarte, zum pseudofreundlichen Endlos-Smalltalk genötigt zu werden. Die Frau mit den dauergeröteten Bäckchen drei Straßen weiter hat es sogar drauf, mit dem Auto neben mir anzuhalten und bei heruntergelassener Scheibe ein Gespräch zu inszenieren in dem sie mir, unter dem Wissen dass ich die Lehrerin der Parallelklasse ihres Sohnes bin, Informationen jenseits meiner Schweigepflicht zu entlocken versucht. Fällt dieses Verhalten schon unter Stalking? Kann man das anzeigen? Irgendwann springe ich vermutlich in den Straßengraben, wenn ich das KfZ dieser distanzgeminderten Person herannahen sehe. Oder ich zieh‘ einfach um.

Diese Frau steht nur beispielhaft für eine ganze Reihe von Menschen, die mich von ihren Unkrauteimern aufblickend und gummibehandschut mit einem freundlichen Lächeln grüßen während ich froh bin, dass man hinter meiner Sonnenbrille das Augenrollen nicht sieht.

Mir drängt sich eine Frage auf: Ist mein Denken und Verhalten pathologisch? Und wenn ja, macht mich das zu einem schlechten Menschen? Oder bin ich vielleicht einfach wählerisch, was die Menschen angeht, denen ich meine Beachtung und Achtung schenke. Womöglich ist es eine Art Unverträglichkeit. Ähnlich wie bei Lactose oder Gluten?

Ich glaube, ich bin schon von Berufswegen täglich in so hohem Maße sozial, dass ich mir im Privatleben ohne schlechtes Gewissen eine gute Portion Misanthropie leisten kann. Das ist ein bisschen so wie sozio-emotionales Yoga. In den Asanas, also den Yogaübungen, versuche ich die Situation so gut es geht zu meistern, ich achte auf richtige Atmung, meine Haltung und die richtige Stellung der Gelenke. In meiner Arbeit tue ich das gleiche. Ich bin professionell (meistens), nehme Probleme ernst und bin Ansprechpartner für Kinder und Eltern. Weil es anstrengend ist, so professionell zu sein – beim Yoga ebenso wie in der Schule – verdient man sich eben Entspannung. Entweder in Form von Phantasiereisen durch die Körperzonen unter Begleitung von Klangschalen oder eben als ausgelebte Misanthropie. Ich gehöre sicher nicht zu den Menschen, die mit ihrem Freundeskreis den Jupiter bevölkern könnten und flüchtige Bekanntschaften, die nicht den intrinsischen Wunsch hegen, mich näher kennen zu lernen, neigen dazu mich zuweilen als arrogant einzuschätzen.

Es sprechen aber durchaus auch Argumente für meine erhöhte Sozialkompatibilität. So war ich vor einiger Zeit zum Beispiel zum Junggesellinnenabschied einer sehr langjährigen und sehr wichtigen Freundin eingeladen, die mir vorher extra noch gestand, dass ich eine der Personen sei, auf die sie bei diesem Unternehmen am wenigsten verzichten möchte. Warum kann ich mir jetzt auch nicht so gut erklären. Ich bin ja gerne mal die Frau fürs Grobe beziehungsweise Übernehme die Aufgabe des Auslotens der schmalen Grenzen zwischen fürchterlich lustig und unsagbar peinlich. Früher nannte man das glaube ich Klassenclown. Aber ob es jetzt wirklich daran lag?
Na klar nehme ich mir die Zeit für so etwas, ich bin ja sozusagen selbsternannte Junggesellenabschiedologin, beschäftige mich im Nebenfach mit dieser Art der kontroversen Freizeitgestaltung häufiger und verblogge das auch gerne mal. Und so fand ich mich ein halbes Jahr später in einer Gruppe Frauen wieder, welche allesamt Look „Ewige Studentin – ein Akademiker kennt keine Stylingzwänge“ einigte. Man stelle sich eine Schafherde vor, alle Schafe naturbelassen und ungeschoren. Nur eines steht „nackt“ dazwischen.

Nichts ist wie es scheint
Wir verbrachten bei aller Verschiedenheit einen durchaus kurzweiligen Tag in der Großstadt, auch wenn die Organisatorinnen noch viel über die Ausgestaltung eineserfolgreichen JGAs lernen sollten. Man erkennt nämlich die erfahrungslose Ersttäterin daran, dass sie vermutlich gegoogelte typisch „junggesellenabschiedische“ Freizeitaktivitäten auf die Tagesordnung setzt, bei der sie die Eignung der Teilnehmerinnen unberücksichtigt lässt.
Nicht zu vergessen der Fauxpas mit dem Alkohol. Ich habe das an anderer Stelle schon erwähnt: nur bei den Wenigsten steckt hinter der Aussage „Ich kann auch ohne Alkohol Spaß haben“ ein Fünkchen Wahrheit. Die meisten Spaßbremsen, die das behaupten, trauen sich noch nicht mal nüchtern im Auto zu singen weil sie Angst haben, jemand beobachtet sie im Rückspiegel. Vier Piccoloflaschen Sekt für acht Frauen sind zu wenig! Das trinke ich zum Warm-up auf dem Weg zur Straßenbahn. Kennt ihr den Ausdruck "Nur im Suff zu ertragen"? Er wurde erfunden, um Junggesellenabschiede in fünf Wörtern zu beschreiben.
Die nüchternen Akademikerinnen finden sich wieder beim Lasertag. Vorweg eine Preisfrage: Welche Personengruppe bildet an samstäglichen Nachmittagen im Sommer in der Großstadt wohl das Hauptklientel einer Lasertag-Anlage? Richtig! Der Kandidat hat 1 Million Punkte und gewinnt die Collectors Edition Wunderbäume und ein Originalpaar Filzpantoffeln handmade im Chemnitzer Umland. Es sind betrunkene Männergruppen.

Sozialkompatibilität hat auch bei den ehemaligen Pädagogikstudentinnen ihre Grenzen und die Vorstellung mit diesen betrunken „Wilden“ in einen dunklen Kellerraum bei Schwarzlicht gesperrt zu sein, erregt einiges an Besorgnis bei meinen Begleiterinnen, nein, es versetzt sie geradezu in eine Art Schockstarre, die nur durch intensives Diskutieren zu lösen ist.
Nachdem auch die Letzte verstanden hat, dass Lasertag nichts mit Besenreißern oder Sehfehlern zu tun hat und man pazifistisches Gedankengut hier eher schlecht unter die Leute bringt, folgt eine Grundsatzdiskussion, deren Länge in keinem Verhältnis zur eigentliche Spielzeit steht. Die Braut erhebt ein Machtwort – „man könnte es doch einfach mal probieren, denn schließlich ist man schon mal hier“ – und beweist damit, dass jede noch so wortreiche Diskussion mit nur wenigen richtigen Worten entschieden werden kann. Der hoch motivierte und durchaus sympathische Betreiber (Ja, ich fand ihn sympathisch!) weckt mit den Worten „Los, Mädels – macht die Jungs platt!“ die Amazonen mit Killerinstinkt in den Pippi Langstrumpfs: Feministinnen aller Lager vereinigt euch gegen den Chauvinismus in Biermarinade.
Das erste Spiel zur Orientierung noch verloren, sind wir durchaus angefixt nach 20 Minuten Jagd auf Männer, von denen viele schon bei der Wahl des Hauptschulbildungsganges unseren weiblichen Respekt verwirkt hatten. Spiel 2 gewinnen wir in der Unterzahl gegen eine Gruppe „männlicher Kampfmaschinen“, die mangelnde Orientierung und Koordinationsfähigkeit in der Dunkelheit durch brutales Umrennen der Leichtbauwände kompensierten. Da halfen ihnen auch plumpe Betrugsversuche nichts.
Als Killerinnen hatten meine skeptischen Mitstreiterinnen binnen kürzester Zeit Taktik entwickelt. Als Siegerin in der Gesamtwertung entpuppte sich allerdings meine Taktik „Schießen auf alles, was sich bewegt“ als die erfolgreichste. Am Schluss wird deutlich: Berufspädagoginnen und Trägerinnen akademischer Titel rücken bei einer Treibjagd auf Männern die Gewehrläufe eng zusammen.
Ich muss wirklich zugeben, ich hatte auf diese Art der Freizeitgestaltung wirklich keine Lust, vielmehr hätte ich mir etwas ladyhafteres gewünscht. Poledance beispielsweise, wobei ich mir meine wuschlig-wollige Schafherde dabei auch ungerne vorstellen möchte. Wahrscheinlich hätte der artistische Stangentanz mit exotischen Elementen zu ähnlichen Grundsatzdiskussionen im Vorfeld geführt wie der Lasertag-Plan. Aber auch Frau Müller irrt sich mal und muss sich revidieren. Mädels, das macht echt Spaß! Vergesst nur Sagrotan, Wechselklamotten und Duschsachen nicht! Ich mag meine Laserpistole nicht gerne, wenn überall an ihr Schweiß und Sabber von fremden Männern klebt. Ich bin eine Lady!
Kommen wir zurück zur Ausgangsfrage. Bin ich sozial nicht kompatibel? Ist meine Abneigung einer Vielzahl von Menschen gegenüber gar pathologisch? Weil es so aufschlussreich ist: bleiben wir beim kollektiven Brautverramschen. Bei einem anderen JGA, welchem ich beiwohnte, war ein Viertel der Beteiligten schwanger. Schwangere sind auch nicht meine bevorzugte Peergroup, aber auch hier kam es zu keinerlei ernsthaften inneren oder äußeren Spannungen, die sich auf mangelhafte Kompatibilität meinerseits zurückführen ließen.
Ich empfinde den Wechsel aus Schwangeren, Ökofrauen, missratenen Kinder sowie deren Eltern und meiner Hand voller sehr guter Freunde  - die berühmte exklusive Sammlung ausgewählter Irrer, die Facebook so oft lobpreist -  als Kneippkur für mein Seelenwohl. Ich denke es ist wichtige Psychohygiene, wenn ich mich selbst vor Konversation und sozialen Interaktionen schütze, die weder meinen Geist noch mein Herz bereichern.
Eine Flora gedeiht besonders gut, wenn das Gleichgewicht zwischen den guten und schlechten Bakterien ausgeglichen ist. Das wissen wir schon aus den Antworten von Dr.Sommer, die es auf weniger reißerische Fragen gab. Ja, ich habe immer die ganze Doppelseite gelesen. Ich sorge für den Ausgleich wenn ich sonntags Umwege im Dorf gehe und auch bei bedecktem Himmel Sonnenbrille trage, mich dafür aber auch mal mit studierten Naturschönheiten in einen finsteren Keller sperren lasse und auf Spruchshirts mit Bier- und Senfflecken schieße. 
auf FACEBOOK und macht
werdet Teil des Menschenhass-
Shavasana... Oooohmmm.