Lehrer sind auch nur Menschen. Und nicht jeder trifft sich abends mit Kolleginnen abwechselnd zum Nordic Walking oder zum Fortgeschrittenenkurs in Seidenmalerei. Ich denke ich bin das Kuckucksei im Lehrerzimmer. Etwa wie ein Veganer, der ausversehen Metzger geworden ist oder ein Pilot mit Höhenangst. Oder wie eine Franzi van Almsick, die immer wieder vom Schwebebalken fällt weil sie noch nie jemand ins Wasser geschubst hat.

Mittwoch, 23. August 2017

Elternabend: Fleißsternchen-Schwanzvergleich, dumme Fragen und die Sehnsucht nach der Jogginghose


Im letzten Artikel ging es um die Schattenseiten des Elterndaseins und einen toleranteren Umgang zwischen Befürwortern und Gegnern der über Paarbildung hinaus erweiterten Familienplanung. 
Die Reaktionen waren wider Erwarten zum einen ziemlich überwältigend und zum anderen auch noch durchweg positiv. Setzt mich doch nicht so unter Druck! 

Wer also nach der Lektüre von letzter Woche noch eine Entscheidungshilfe zur Frage "Mom or not Mom" benötigt, dem lege ich den heutigen Text besonders ans Herz...


Was ist der Unterschied zwischen Kindergeburtstagen und Elternabenden? Beim Kindergeburtstag ist man nur als Gastgeber am Arsch.

Stellt euch nur vor, ihr seid Pazifist aus tiefstem Herzen und vollster Überzeugung. Eine absolut übernatürliche Macht zwingt euch jedoch dazu, als Kämpfer in beiden gegenüberstehenden Heeren aufs Schlachtfeld zu treten. So geht es mir an Elternabenden.

Nehmen wir zunächst die Gastrolle an, eine Rolle in die vermutlich alle Eltern eines schulpflichtigen Kindes schon öfters per Zettelchen im Hausaufgabenheft gezwungen wurden. Elternabende sind wie Schlussverkäufe, allerdings ist die Saison nicht bundesweit sondern regional festgelegt. Das führt dazu, dass jedes Jahr kurz nach den Sommerferien und rund um Ostern der Ausnahmezustand eintritt, nicht nur parkplatzbedingt vor den Schulen. 

Wenn man mehr als ein Kind hat und vielleicht selbst noch per Arbeitsvertrag in die Elternabend-Gastgeberrolle genötigt wird, spitzt sich die Lage zu.
Rücksichtslose Schulen planen diese Veranstaltungen zu einer Zeit, zu der man vorher weder etwas essen, geschweige denn einen Feierabendprosecco trinken konnte weil man vor 15 Minuten noch den eigenen Arbeitsplatz fluchtartig verlassen hat. Das führt einerseits zu gesteigerter Anspannung des Einzelnen und wenig Gesprächsbereitschaft der Gruppe, andererseits sorgt es auch dafür, dass der Horror günstigstenfalls ein schnelles Ende hat, weil alle möglichst schnell in ihre Jogginghose wollen.

Wenn man großes Glück hat, kann man in die Schule laufen. Nicht so großes Glück hat man, wenn der nach acht Runden Suche gefundene Parkplatz so weit von der Schule entfernt ist, dass man hätte auch direkt laufen können. Man schüttelt der an der Tür wartenden Lehrerin pflichtfreundlich lächelnd die Hand, tritt ins Klassenzimmer, stellt fest, dass alle hinteren Plätze schon besetzt sind und fragt sich nebenbei angesichts der unangenehm vielen Menschen im Raum, ob jedes Kind der Klasse vier Elternteile hat. 

Also setzt man sich ganz vorne hin, an den einzigen Tisch mit einem ziemlich unaufgeräumten Stapel Blätter und Hefte im Korb unter der Bank. Die Lehrerin kommentiert die Sitzplatzwahl mit den lustigen Worten: „Ach, sie sitzen am Tisch ihres Kindes.“ Bäääm, ja seht alle her. Hier ist die Mutter, die als letztes kommt und ihrem Kind keine Ordnung beigebracht hat. Außerdem muss ihr Satansbraten ganz vorne sitzen, weil er hinten nur Scheiße baut. 

Mir ist diese Sitzordnung immer noch lieber als diese großen zusammen geschobenen Tische, an denen man wie bei einer Konferenz den anderen ins Gesicht schauen muss. Der Mutter im Kostümchen, die einerseits wirkt wie frisch vom Friseur und andererseits als hätte sie erst vor drei Minuten ihren Bankschalter geschlossen, wird das Zuspätkommen entschuldigt weil sie beim letzten Elternabend die Erlöserin aller spielte und sich als Elternsprecherin anbot während alle anderen Löcher in ihre Hände starrten oder angestrengt ihren Kuli kaputt bauten. 

Nach dem obligatorischen Schwanzlängenvergleich unter Schulkindmüttern vor der aushängenden Liste mit den Fleißsternchen folgt günstigstenfalls ein etwa 90 minutiger Monolog einer Pädagogin, die sich bemüht an einigen Stellen einen verschwörerisch-kumpelhaften Tonfall hinzukriegen, der vermutlich auflockern und irgendwie förderlich für die Zusammenarbeit der erwachsenen Bezugspersonen sein soll. Es folgen Unmengen Erklärungen und Informationen, die die Umsitzenden alle motiviert mitprotokollieren. Man selbst schreibt sich allenfalls mit einem fix geborgten Schreibgerät die Termine auf einen Notizzettel mit Handtaschenpatina, von dem man genau weiß, dass er ohnehin noch vor dem dritten anstehenden Termin verschwunden ist. Zum Glück sind Lehrer auch nur Menschen (und oft Mütter) und sorgen dafür, dass alle Highlights pünktlich im Hausaufgabenheft stehen. Ich vermute, auch sie verschlampen regelmäßig das „Elternabendprotokoll“ ihrer eigenen Kinder. 

Wenn alles gut läuft, wachen alle pünktlich zu den Worten „So, dann wäre es das eigentlich schon, wenn sie keine weiteren Fragen haben.“ wieder auf und folgen ihrem Hunger zu McDonalds oder an den heimischen Abendbrottisch. Ein paar Ausnahmen, die der Lehrerin im Anschluss noch ein Gespräch abnötigen, nicht mitgerechnet. 

Worstcase tritt ein, wenn sich Hände erheben auf die Frage nach den Fragen. War man bis zum Punkt, an dem jemand ein Smiley-Bewertungssystem mit täglicher Auswertung für’s Schulmittagessen fordert, noch abwesend aber freundlich weil man weiß, dass niemand sein Kind gerne zum kranken Kind der Arschlochmutter fährt um die Hausaufgaben vorbei zu bringen, fällt es einem jetzt schwer, die bisher erfolgreich unterdrückte Misanthropie noch im Verborgenen zu halten. Während sich die Eltern in den folgenden 45 Minuten über Sinn und Unsinn von Bulgur, Couscous und Sojageschnetzeltem in der Schulspeisung streiten, folgt man selbst aufmerksam dem Sekundenzeiger der Wanduhr. Selbst der Lehrerin ist die Begeisterung über diese Diskussion deutlich anzusehen.

Nachdem sich alle mehr oder weniger im Einvernehmen darauf geeinigt haben, dass alles so bleibt wie es ist, ruft es im gerade aufkeimenden Aufbruchstumult: „Ach ja, äähm, ich wollte nochmal fragen, wie das mit der Klassenfahrt und der Anreise ist? Ein Bus ist doch nicht nötig. Wir könnten doch Fahrgemeinschaften bilden und die Kinder selbst hinbringen.“ 
Schlagartig wird der Rückzug gen heimischer Küche unterbrochen und alle sitzen wieder. Aus dem Gesicht der Lehrerin weichen die letzten wohlwollenden Gesichtszüge. In neuerlichen 45 Minuten Diskussion, wie denn alles zu organisieren sei, höre ich mich selbst reden: Jetzt macht euch doch mal locker, ihr elenden Glucken. Habt ihr schon mal daran gedacht, dass der Abschied am Bus und die anschließende Busfahrt zum Klassenfahrtgesamterlebnis gehören? Mein Gott, sitzt ihr auch an der Bettkante wenn euer geliebter Sohnemann am Morgen nach dem ersten feuchten Traum verstört auf den nassen Fleck in seiner Schlafanzughose kuckt?
 – natürlich sage ich nichts, 180 Minuten fragwürdig verwendete Lebenszeit haben mir die Kraft dafür geraubt. Konsens der Diskussion: Natürlich bildet man Fahrgemeinschaften und lässt den Kennenlernabend mit einem gemeinsamen Lagerfeuer ausklingen. Herr, reiß die Erde auf!

Elternabendtaugliches Statement-Shirt für Gast und Gastgeber gleichermaßen. Gibt's bei Coffeepotdiary.

Die Grundschullehrerin des großen Müllers bot zu den Elternabenden übrigens immer Getränke und Knabbereien an. Lustig, wie sich immer zunächst niemand an die bereitstehende Sektflasche traute, die wenig später aber trotzdem geradezu wie von Zauberhand leer war, nachdem ich sie geöffnet hatte. Auch wenn ich der Lehrerin dankbar bin für diese großzügige und rücksichtsvolle Geste, käme ich selbst nicht auf die Idee, als Gastgeber solch eine Bewirtung anzubieten. Am Ende fühlen sich die Leute noch wohl und bleiben womöglich länger.

In meiner Rolle als Lehrerin sehe die Anzahl der teilnehmenden Eltern immer recht ambivalent. Halten wir uns vor Augen: ich arbeite an einer Förderschule. Nehmen viele Eltern teil, muss ich zwar hinterher gut lüften und die Gefahr einer Sinnlosdiskussion über das unpädagogische Vorgehen nicht anwesender Fachlehrer, welche von mir im Keim erstickt werden muss steigt, andererseits lassen sich vielen dieser Eltern gesprochene Worte leichter nahe bringen als geschriebene. Der Satz "Das habe ich doch zum Elternabend gesagt!" kann gut zwei Drittel aller im Schuljahr seitens der Eltern anberaumten Gespräche auf ein zeitliches Minimum verkürzen.
Alle Eltern kommen ohnehin nie. Es gibt sie immer, die BigFoot-Moms, die trotz eindeutiger Hinweise auf ihre Existenz nie ein Mensch zu Gesicht bekam.

Kommen sehr wenige Eltern, hat das ganze Szenario sehr wahrscheinlich ein schnelles Ende, allerding liegt es nahe, dass die spärlich erschienen Anwesenden versuchen, die Gelegenheit zu nutzen um ein persönliches Gespräch zu führen und eine Art Vertrauensbasis mit Kumpelbonus  aufzubauen. Außerdem hat man hinterher den Stress, alle wirklich wichtigen Infos auch den ewig Abwesenden zu übermitteln, weil sie natürlich auch zum nullten Elternabend fehlten, an dem erklärt wurde, dass es die Pflicht der Eltern ist, sich über die Inhalte des versäumten Termins selbst zu informieren. Der Supergau sind auch in der Gastgeberrolle überflüssige Fragen jenseits des vom eigenen Körper tolerierten Hunger-Durst-Ruhe-Bedürfnisses oder -noch schlimmer- Privatfehden zwischen Müttern, die urplötzlich zum Gegenstand einer Elternabenddiskussion werden. Alles schon erlebt.

Übrigens mache ich um die Elternsprecherwahl kein Gewese, für die Freiwilligen gibt es ein Blümchen aus dem Garten und ich sage offen, dass ich Elternsprecher in Ruhe lasse. In der Regel funktioniert das ganz gut.

Vor einem Jahr wurde der kleine Müller eingeschult und der große Müller kam in eine neue Schule. Die Grundschullehrerin war geschätzt Mitte Fünfzig, mit dem äußerlich sichtbaren Wunsch höchstens Ende Zwanzig zu sein. Klarer Fall: Mit solchen Frauen kann Herr Müller gut, ich war aus dem Schneider. Der große Müller bekam einen jungen Lehrer, gerade frisch aus dem Referendariat geschlüpft. Die Eheleute Müller teilen sich die Elternaufgaben gerecht: also ging ich zum Elternabend des Erstgeborenen. Das Gesamtresultat dieser Elternabendsaison waren gleich zwei Elternsprecherposten (wenn auch nur als Stellvertreter) für das männliche Familienoberhaupt und mein damit verbundener liebevoller Spott. Die Wahl in dieses Amt erfolgte zum Elternabend beim Junglehrer sogar in Abwesenheit meines Mannes, ein im Vorfeld achtlos von Herrn Müller ausgefüllter Zettel und ausbleibende Intervention meinerseits führten dazu. Posten Nummer Zwei erwirkte sich mein selbstloser Ehemann als ihm das Warten auf Freiwillige und die damit verbundene Rückkehr zu Netflix zu lange dauerte und er sich selbstlos opferte. Tja, so ist das – wenn die Lehrerin verschweigt, dass ein Elternsprecher nicht gewählt werden muss, im Falle es erklärt sich niemand dazu bereit. Hätte mir nicht passieren können.

Dem heutigen Elternabend wird wieder Herr Müller beiwohnen. Ich hoffe nicht, dass er dieses Jahr selbstlos in die Bresche springt, wenn nach einem Hauptsponsor für das anstehende Schulfest gesucht wird. Ich für meinen Teil resümierte den gestrigen Elternabend, von dem ich mich nur zu gerne aufgrund einer realen Wurzelbehandlung entschuldigt hätte, mit den Worten: „Lass uns heute abend American Horror Story gucken, ich will normale Menschen sehen!“

In diesem Sinne: Viel Glück bei der Parkplatzsuche. 
Wenn's länger dauert - schaut mal bei Facebook rein
Frau Müller bietet Parkplätze in direkter Nähe zum virtuellen Lehrerzimmer. Kostenfrei und jederzeit kündbar. 
Einfach auf "Gefällt mir" klicken.

Mittwoch, 16. August 2017

Mom or not Mom – that’s the Question: 10 Müttersprüche, die Kinderlose hassen!



Dass ich Eltern (und insbesondere Mütter) im Allgemeinen nicht besonders mag – darum habe ich hier im Blog noch nie ein Geheimnis gemacht. Mein Elternhass beschränkt sich nicht nur auf meine Lehrerrolle sondern ist auch in meinem Mutter-Ich verwurzelt. 

Ironie und Übertreibung sind wie immer meine Stilmittel der Wahl. Die Kernaussage bleibt jedoch ganz „unironisch“.

“Früher hätte ich dich verurteilt. Ich hätte dich für eine selbstsüchtige, egozentrische und oberflächliche Person gehalten“ sage ich zu meiner besonderen Freundin Sarah, die mit ihrem Mann Marco überzeugt kinderlos lebt. Sarah schaut mich mit großen Augen an. Früher, das war mein Leben und Denken vor dem Burnout. Ein Leben zwischen Studentinnen der Pädagogik und Erziehungswissenschaften, die beneidenswert galant und glücklich Studium und Wunschmutterschaft vereinbarten, indem sie ihre Kinder in den Seminarpausen wahlweise stillten oder mit Dinkelwaffeln fütterten. Spielplatznachmittage zwischen Sandkasten und Familienratgeber in der Handtasche fürs Parkbank-Amüsement. Das war meine Welt. Hier fühlte ich mich angekommen.

„Das kann man sich bei dir gar nicht vorstellen!“ erwidert Sarah überzeugt. Sarah kennt mich im Heute als Mutter, die ihre Kinder liebend gerne auch mal länger als vom Schlafen gehen bis zum Aufstehen der Oma überlässt und nicht am zweiten Tag sofort in Sehnsuchtsgeheule ausbricht. Erwachsenenurlaube, Kurztrips ohne Kinder und das gute Gefühl, dass wohl alles in Ordnung sein muss, wenn sechs Tage kein Lebenszeichen aus dem Ferienlager kommt  - für mich völlig normal. Kinder am Sonntag bis zum Mittag im Schlafanzug vorm TV, Frühstück direkt aus der Cornflakesschachtel, weil man selbst viel zu verkatert von Samstagnacht ist. Auch das kommt vor. Ein ausgedehntes Hotelfrühstück ohne nervenden Nachwuchs, der statt sitzenzubleiben lieber die Schuhputzmaschine in der Lobby an ihre Grenzen bringen will. Herrlich.

Das Leben ist auch schön und sinnvoll ohne die permanente Anwesenheit indiskreter Spione, die viel zu viele Fragen stellen und Schmutzfinger rund um den Lichtschalter hinterlassen. Und dennoch: Kinder und Kinderliebe scheinen ein gesellschaftlicher Zwang zu sein – man darf sie nicht nicht mögen.  
‚Sie sind unsere Zukunft‘ schreit es aus allen Ecken. Von mir aus, Zukunft, los geht’s. Aber muss ich deswegen alles toll finden, was Kinder tun? 
Ich finde noch nicht mal alles toll, was meine Kinder tun: abends halb elf eine Grundsatzdiskussion anzetteln, Brillen an Bushaltestellen liegen lassen, Zahnbürsten im Klo runterspülen, Einträge vom Lehrer „übertip-exen“, Schuhe auf Nimmerwiedersehen auf dem Fußballplatz vergessen? Nicht toll. Scheiße sogar. Höchstens noch lustig. Wenn die Schuhe nicht all zu teuer waren und kein Handwerker ran muss, um das Klo wieder instand zu setzen.

Und dennoch liebe ich die beiden Müllers und bereue nichts. Aber ist mein Lebensentwurf der Lebensentwurf? Ist eine Biografie nur mit erledigter Fortpflanzung wirklich ernstzunehmen? Wir leben im 21.Jahrhundert! Eine Frau hat ein Recht auf den Verwendungszweck ihres Uterus und Paare müssen heute zum Glück weder verheiratet noch Eltern sein, um eine eigene Wohnung beziehen zu dürfen.
  
Ich hätte mir früher nichts sinnstiftenderes und erfüllenderes vorstellen können als Mutter zu sein. Fast ein bisschen wie religiöser Extremismus. Heute lebe ich nicht nur bezüglich meines etwas offeneren Beziehungskonzepts und meiner Einstellung zu queeren Menschen mehr denn je die oft schon „wund" zitierten Worte Leben und leben lassen. Das Leben ist schön – lasst uns verschieden sein.

Warum nehmen sich viele Mütter in ihrer Rolle so wichtig? Warum glauben sie, ist ihr Lebenssinn der Lebenssinn aller im gebärfähigen Alter? Und vor allem, wenn ihr das schon glaubt, warum müsst ihr wie Missionare durch die Kommentarspalten und Babyshowers dieser Welt ziehen und versuchen, alle mit eurem großen Glück anzustecken? 

Vermutlich wurde dieser Sinneswandel auch durch meine Erfahrungen als Lehrerin an einer Förderschule begünstigt. Ich werde in gut jedem zweiten Elterngespräch mit Personen oder Schicksalen konfrontiert, für die ein kritischerer Umgang mit Reproduktionsfähigkeit durchaus empfehlenswert gewesen wäre. In Deutschland braucht man zum öffentlichen Ausschank von Alkohol und zum Führen bestimmter Hunderassen eine Lizenz. Warum nicht zum Fortpflanzen?

Schließlich denke ich, sind bestimmte Paarkonstellationen einfach nicht für’s Kinderkriegen gemacht. Zwei Menschen, die wunderbar miteinander harmonisieren und dann den verhängnisvollen Fehler begehen, gesellschaftlichen Erwartungen zu unterliegen. Pow. Da ist das Kind. Und puff. Weg ist die Liebe. Weil nämlich pünktlich zum Einzug des kleinen Querulanten das Mächteverhältnis kippt und nicht mehr ihr bestimmt wann ihr esst, schlaft und duscht. Wollten das wirklich beide? Oder wollte es nur sie (oder er) und die Öffentlichkeit, vertreten durch die weinerlichen Stimmen der Verwandtschaft, die nach eine Babyschale gieren, in die sie mit verklärtem Blick reinhusten können. Zumindest einer muss sich für den Traum von der Familie vorübergehend opfern. Es hätte alles so schön sein können, hätte man nur nicht auf die Nachbarn gehört.

Nachbarn sind das Stichwort, stellvertretend auch Omas, Schwiegermütter, Schwestern, Tanten, Freundinnen, Kolleginnen und allen voran natürlich andere Mütter. Sie alle treiben die Kinderlosen nur allzu häufig mit stereotypen Sprüchlein, gerne fein abgestimmt an erhobenem Zeigefinger, in den Wahnsinn. Hier das Best-off und die Antwortvorschläge einer liberalen Mutter, die auch überzeugt kinderlose Frauen respektiert: 


Denk an deine innere Uhr!
Wie schaut es eigentlich mit deiner inneren Uhr aus? Die scheint irgendwie schneller zu ticken seitdem du Mutter bist.
    
Willst du mal halten?
Glückselige Wöchnerinnen fragen dies am liebsten mit verzücktem Lächeln ihre Singlefreundin. Säuglinge sind wie Haie, sie wittern Blut… äh… Ablehnung und fangen in der Regel das Plärren an, wenn man sie trägt wie einen staubigen Ziegel zum Baucontainer. Also am besten antworten mit „Ähm, nein.“ Wenn man dazu nicht mutig genug ist, dann einfach kurz halten und sich sehr ungelenk anstellen. Das Problem erledigt sich so von allein.

Warte erstmal, bis du selbst Kinder hast!
Also auf nie warten? Vielleicht will ich ja gar keine? Deswegen geht es mir aber trotzdem auf den Keks, dass deine Kinder mit ihren schmutzigen Fingern, die eben noch bis zum zweiten Gelenk in beiden Nasenlöchern waren, alle Brötchen auf dem Brunchbuffet angrabbeln. Ich hab keine, deswegen sitze ich hier und trinke seelenruhig Latte Macchiato. Du hast welche, also trink deinen Latte aber vergiss deine Brut dabei nicht.

Wann ist es bei euch soweit?
Was soll denn bitte soweit sein? Urlaub ist im Oktober und Februar, Weihnachten wie bei dir am 24.Dezember und Zalando schrieb in der Versandbestätigung Dienstag zwischen 10 und 12 Uhr. Ich versteh die Frage nicht. Ach so, du willst wissen wann ich endlich ein Kind bekomme? Tja, warte – lass uns doch gemeinsam erstmal meinen Menstruationskalender studieren. Vielleicht interessiert der dich auch.

Steht dir aber gut!
Folgt meistens direkt, wenn man nach Spruch 2 nicht den Mumm hatte, einfach NEIN zu sagen. Ich weiß, dass mir das steht. Mir stehen auch Highheels und gekämmte Haare. Die Spuckwindel und der Kotzfleck auf der Brust stehen dir aber auch unfassbar gut.
  
 Wenn du mal alt bist, wirst du seeehr einsam sein. 
Hmm, kann ich mir irgendwie nicht vorstellen. Wenn ich heute bewusst kinderlos lebe, weil ich in der Lage bin, meiner Existenz auch ohne Hausbesetzer in Gummizughosen einen Sinn zu geben, warum sollte ich das mit 75 nicht auch können?

 Im Alter freust du dich über deine Enkelkinder.
Warum sollte ich das tun? Wenn ich heute keine Fettfinger an meiner Glastür haben möchte, dann möchte ich das wahrscheinlich auch mit 60 nicht. Zu guter Letzt bin ich vielleicht froh, dass die Kinder nach dem Studium endlich Kohle für eine eigene Einraumwohnung haben, ohne am Fünfzehnten des Monats Geld bei mir schnorren zu müssen, kann das Kinderzimmer endlich zum Yoga-Tempel oder BDSM-Kämmerchen umfunktionieren und dann wollen sie acht Jahre später womöglich ein Gästezimmer fürs Enkelchen? No way. Übrigens: Enkelkatzen sind auch was Tolles. Die kann auch mal der Nachbar füttern.


Du musst deinen gesellschaftlichen Beitrag leisten. Denk doch mal an die Renten!
Muss ich das? Leistet doch bitte ihr einen Betrag für die Gesellschaft im Jetzt und erzieht eure Kinder zu mündigen und selbstbestimmten Erwachsenen, die im Bus ihre siffigen Sneakers nicht auf dem Sitz ablegen. Das Geld, welches ich spare in dem ich mich gegen die kleinen Finanzbremsen entscheide, investiere ich in sinnvolle Altersvorsorge und alle werden glücklich. Wie? Erziehen ist gar nicht so einfach? (Oder wahlweise Spruch 3) Seht ihr, deswegen habe ich keine Kinder.

Kinder geben einem so viel zurück.  
Ja, schimmlige Brotbüchsen, teilkaskorelevante Schäden am geborgten Kleinwagen, alle fünf Tage vier Körbe Schmutzwäsche und halbjährlich einen Stapel nicht unterschriebene Mathekontrollen mit Viererschnitt.

 Man weiß erst was Liebe ist, wenn man Kinder hat.
Ist das so? Ich möchte behaupten, die Ausmaße meiner Selbstliebe übersteigen locker das nach Abzug von Schlafmangel, Edding auf der Ledercouch und schmerzenden Dellen in Form von Legosteinen in den Fußballen verbleibende Gefühl wahrer Liebe.


Ihr lieben Übermamis, tut unseren Geschlechtsgenossinnen und ihren potenten Kindermachern ohne Mitspracherecht den Gefallen und tätowiert nicht nur die Wand hinter eurem Sofa mit dem Motto „Leben und leben lassen“. Lasst den glücklichen Kinderlosen ihren Spaß. Es gibt genug andere Muttis, die sich liebend gern mit euch duellieren im Kampf um Muttermilch, Hirsebrei und Sandförmchen aus Bio-Plastik. 

Shitstorm Ahoi. Am liebsten auf Facebook.

Mittwoch, 9. August 2017

Pimp my vagina: Von Kamelfüßen und Minzmuschis



Vorweg: Alle Produkte und Maßnahmen, die ich im Folgenden erwähne, existieren und sind käuflich zu erwerben. Ich habe nichts erfunden, auch wenn es der Grad der Absurdität zuweilen vermuten lässt. Die Mühe, den ganzen Kram allerdings zu verlinken, habe ich mir erspart. Man muss die Verbreitung dieser fragwürdigen Konsumgüter nicht noch unterstützen.

Ich weiß gar nicht so genau, was mich zu diesem Artikel inspiriert hat. Vermutlich ist es der Ausdruck Muschitand, ein zusammengesetztes Substantiv aus dem umgangssprachlichen Begriff Muschi und dem etwas altertümlichen Wort Tand als Synonym für alles Hübsche aber Unnütze, welches ich heute spontan erfand und für die Nachwelt konservieren wollte.

Keine Ahnung ob mittlerweile einfach alle Möpse aufgepolstert und Knie geliftet sind oder ob irgendeine Influencerin mit einer Followerzahl im 750K-Bereich ihre Muschi auf Instagram gepostet hat – jedenfalls avanciert die Mumu, Vulva, Vagina oder auch das Intimchen, wie eine gute Freundin ihre äußeren Geschlechtsorgane gerne nennt, zunehmend zum neuen It-Piece. Meine Oma nannte „sie“ übrigens Veronika…

Wie auch immer: unsere Veronikas oder Muschis scheinen ein Problem zu haben. Während man früher auf den Hals einer Frau schaute weil dieser beim tatsächlichen Alter des vermeintlichen Schneewittchens nie log, kucken heutzutage scheinbar alle zuerst auf die Vagina. Zu braun, zu labberig, zu schrumplig – weiß der Geier. Aber sie kucken nicht nur, sie riechen und sie schmecken sogar. Früher warnte uns Dr. Sommer vor Intim-Deos, heute diskutieren einschlägige Frauenmagazine Glitzerkapseln für untenrum. 

Ein bisschen Minzaroma oder vielleicht eine exotische Vanillenote beim Cunnilingus gefällig? Während mir die gustatorische Optimierung des Oralverkehres noch entfernt einleuchtet, bleiben diese Glitzerbömbchen in Form eines Vaginalzäpfchens ein Rätsel. Wofür bitte? Damit der Mann nach dem Lecken aussieht als hätte er Heavy Petting mit Olivia Jones gehabt? Oder er nach dem Geschlechtsverkehr dank der Glitzerpartikelchen eine schicke Harnröhrenentzündung ausprägt und das One-Night-Stand mit der stylischen Disco-Vulva garantiert so schnell nicht vergisst? Was, wenn im Zuge dieses schillernden Aktes gar ein Kind entsteht? Kommt es zur Welt und sieht aus wie Lady Gaga oder Prince? 

Ich kann mir beim besten Willen keinen Reim darauf machen. Oder lasse ich meinen Intimbereich gar nur für mich erstrahlen, genauso wie ich nur für mich Bauchmuskeltraining mache und Highheels trage? Damit ich, immer wenn ich zum Klo gehe, die Hufspur eines Babyeinhorns in meinem Schlüppi entdecke? Fragen über Fragen. Das erinnert an diese schräge Pantychallenge, bei der vor einiger Zeit viele Frauen Bilder ihres blitzsauberen Zwickels ins Netz stellten. Wahrscheinlich sind daraufhin diese Glitzerkapseln entstanden. Vorher gab es die ja nur zum Schlucken. Hurra, ich bin ein Einhorn. Ich kann Sternchen kotzen. Ganz zu schweigen von dem kosmischen Glanz, der mein Hinterteil verlässt. Meine Antwort auf diese abstruse Schlüpferchallenge wäre ja die Paperchallenge gewesen. Frauen posten ihr blütenweißes Toilettenpapier und treten damit den Beweis an, dass echte Ladys nicht kacken. Höchstens in Regenbogenfarben oder Metallic. Tja, Sachen gibt’s…

Der neueste Schrei ist übrigens Highlighter für den perfekten Glow – an einem Ort der selten Licht sieht, welches von einer verfeinerten Hautoberfläche reflektiert werden könnte. Eine Creme, die mit wertvollen Inhaltsstoffen Veronikas Haut verjüngen, straffen und erstrahlen lassen soll. Die Kosmetik für eine perfekte Vulva ist nichts für den schmalen Geldbeutel. Einst erkannte man an der vornehmen Blässe die gut betuchte Frau, heute am strahlenden Teint ihrer Schamlippen. Blässe ist übrigens das Stichwort. In der Post-Baywatch-Ära wurde Bräune dank Sonnenbank-Chantals Dauerkarte erneut zum Unterschichtsindikator. Wer sich abgrenzen will probiert es mit Bleaching für die Vagina. Für ein strahlend weißes… äh… Lächeln. Da muss man bzw. Frau schon oft unten ohne bei Blitzlichtgewitter aus dem Auto steigen und in die Kameras strahlen damit sich diese Investition amortisiert.

Während also in der Vorstadt Ronny seinen Golf mit Riffelblechfussmatten und EdHardy-Schonbezügen tuned um ihn sicher von den restlichen Vehikeln der Supermarkt-Parkplatzgang unterscheiden zu können und sich dabei zumindest etwas privilegierter fühlt, traktiert seine Freundin Trixi ihre Schleimhäute mit Swarowskielements, nachdem sie den Untergrund für optimale Reflexion des Regenbogenspektrums aufgehellt hat. Möglich machts das Internet und ein diskreter Versand per Containerschiff aus Fernost. Inhaltstoffe entsprechen selbstverständlich internationalen Standards und wurden ausgiebig an Rhesusäffchen getestet. Ob die jetzt auch einen strahlenden Glow haben? Nur die Packungsbeilage kann niemand entziffern, der nicht an der Waldorfschule in der Mandarin-AG war. Trixi ist das egal, sie sucht nach einem Youtube-Tutorial für Vaginalbleaching, findet nur eins für Analbleaching. Ist aber nicht schlimm, kommt ja aufs Gleiche raus. Menschen sind merkwürdig.

Was der Glow und Glitzer für die Ottonormalfrau ist, ist die Labienplastik für die mutigen Ladys mit dem entsprechenden Kontostand.
Früher wollte man ein Stupsnäschen. Heute sollte es schon eine Brötchenmuschi sein. Richtig. Hab ich neulich erst gelesen. Laut – Achtung:UMFRAGEN! – hat die perfekte Vagina die Form eines Brötchens. Äääh, ja. Ich lass das jetzt mal so stehen und kämpfe mit der Auslage des Bäckers meines Vertrauens im Kopfkino. Ich werde wohl nie wieder Brötchen essen können. Und ich dachte Papayas und Plattpfirsiche hätten etwas obszönes. Ganz abgesehen davon verbinde ich mit Brötchen Trockenheit und Krümel. Nichts was eine Muschi auszeichnen sollte. Ich möchte meinen Intimbereich lieber mit einem weichen, süßen und saftigen Gebäckstück assoziieren. Vielleicht ein Plunderteilchen oder ein Cupcake?


Wie ist das eigentlich. Geht man mit dem Bild einer Vulva zum Arzt und fordert: Die hätte ich gerne? Kursieren im Internet vielleicht Bilder von Promi-Muschis und die potentielle Kundin des Schönheitschirurgen sagt: Ich hätte gerne die Vagina von Miley Cyrus. 
Ladys, ist das euer Ernst?

Für alle, die sich keinen chirurgischen Eingriff leisten können, gibt es übrigens auch im Schritt Rettung in Form von Plastik und Silikon. Kennt ihr den Cameltoe? Zu deutsch Kamelzehe. Unter den einfachen Leuten sagen wir „Muschi frisst Hose“. Ich denke spätestens jetzt weiß jeder was gemeint ist. Und nun Obacht. Es gibt so eine Art „Kamelfuß-Prothesen“ , nein nicht für die ehemaligen Kettenraucher unter den Höckertieren, sondern für alle Damen, die ihr Brötchen mit der Öffentlichkeit teilen wollen, denen aber die Hosennaht wahrscheinlich zu sehr in der Ritze scheuert. 
Also Fakemuschi drangebaut und schon läuft es mit den Freigetränken. Der Effekt ist wohl ähnlich wie bei diesen Fake-Nippeln zum Ankleben. Ich frag mich nur, was das über die Männer aussagt, die auf sowas anspringen. Wurden die womöglich nie gestillt?

Bei diesen ganzen Polster-Shaping-Bauchweg-Mopshoch-Teilen, die sonst noch so kursieren, stellt man sich ja gerne den Aha-Moment beim ekstatischen "Kleider vom Leib reißen" zwischen Fast-Kopulierenden vor. Das Gesicht des Mannes, dem ein fleischfarbenes Stück Silikon in Form eines stilisierten Kamelfußes aus dem verheißungsvoll geöffneten Reißverschluss der Jeans entgegenfällt wird wohl unbezahlbar sein. Vermutlich kommt er dann vor lauter Schreck gar nicht erst in den Genuss der Glitzer-Mumu mit Zuckerwattegeschmack.

Als Gegenbewegung zum Trend Only a perfekt V is a good V gibt es übrigens unter anderem Vulva-Watching. Das sind Workshops (per se schon etwas abstoßendes aufgrund der geforderten sozialen Interaktion, egal ob es dabei um Percussion-Improvisation oder Geschlechtsteile geht), bei denen sich zwei fremde Frauen minutenlang ihre Vaginas zeigen ohne dabei zu reden, nur um im Anschluss ihre Empfindungen zu diskutieren. Wenn es darum geht, die Muschi aus den dunklen Tiefen der Höschen an die Öffentlichkeit zu holen, sage ich pauschal nicht nein. Ich habe da ja an anderer Stelle schon mal ein Plädoyer für den Penis geliefert. Mumu-Trinkhalme gibt es leider immer noch nicht, dafür allerdings Kettenanhänger und Ohrringe in Vulva-Form und Fan-Shirts für die Veronikas. Geschlechtsorgane machen Freude, also hört auf, sie zu verstecken. Bei allen absurden Situationen, in die ich mich bewusst begab oder in welche ich hinein geriet, bleibt so ein Beobachtungsworkshop allerdings das denkbar Utopischste für mich. Und das nicht nur, weil ich mit dieser fremden Frau später reden muss.

Tja, was bleibt mir noch zu sagen. Ich, als Besitzerin einer Vagina auf Werkseinstellung, wenn auch gebraucht, dafür aber scheckheftgepflegt, kann den Hype um Vaginaoptimierung nicht nachvollziehen. Ich weiß auch nicht so wirklich, ob diese ganzen Abgründe einer Gesellschaft, in der man im Winter in jedem Supermarkt frische Erdbeeren kaufen kann, der Aussöhnung aller Frauen mit dem was ihnen die Natur gegeben hat, wirklich zuträglich ist. 
Es ist wohl auch jenseits des Bauchnabels so wie in allen Bereichen unserer Gesellschaft: die gemäßigte Mitte verschwindet zwischen all jenen, für die nur eine zimtduftende Flora in pinkem Glitter akzeptabel ist und denen, die mit Mitte Dreißig ihre Vagina noch nie im Spiegel gesehen haben. 
Also lasst die Muschis Muschis sein.

Edit: Kurz vor der Veröffentlichung erreichte mich die wertvolle Information, dass Galläpfel, vereinfacht gesagt sowas wie Wespeneier, das bakterielle Gleichgewicht der Vagina nicht positiv beeinflussen und auch keine verengende Wirkung haben. Wer hätte das gedacht. Ein Hoch auf das Internet.
Die Lehrerin hat Muschi gesagt.