Lehrer sind auch nur Menschen. Und nicht jeder trifft sich abends mit Kolleginnen abwechselnd zum Nordic Walking oder zum Fortgeschrittenenkurs in Seidenmalerei. Ich denke ich bin das Kuckucksei im Lehrerzimmer. Etwa wie ein Veganer, der ausversehen Metzger geworden ist oder ein Pilot mit Höhenangst. Oder wie eine Franzi van Almsick, die immer wieder vom Schwebebalken fällt weil sie noch nie jemand ins Wasser geschubst hat.

Mittwoch, 27. September 2017

Ein Jahresrückblick ohne Günther Jauch – ReFlexionen einer Kuckuckslehrerin



Es ist so weit. Frau Müller feiert einjähriges Blogbestehen. Was passiert jetzt? Eine Festwoche? Gewinnspiele? Ein Fanshop? Kollektives Ausrasten? Nichts dergleichen. Ich brauche keine Festivitäten um zu feiern. Aber manche Festivitäten brauchen eine Feier. Und manche eben nicht. Ob das Befüttern eines Blogs über die Dauer eines Jahres eine Feier braucht, vermag ich allerdings nicht einzuschätzen. 

  
Plusquamperfekt  - Ich hatte gebloggt (hatte ich aber eigentlich noch nie)

Am Anfang war die kreative Energie, die irgendwie in mehr als nur viel zu langen WhatsApp-Nachrichten umgesetzt werden musste. Dem gegenüber stand das gefährliche Halbwissen um Menschen, die im Internet irgendwie irgendwas schreiben. Ich hätte googlen oder mich durch die Blogosphäre lesen können. Tat ich aber nicht. Warum auch. Ich wollte doch schreiben, nicht lesen.

Außerdem war da eine rund 15 Jahre alte Abi-Zeitung, welche ich zwar zu nicht unerheblichen Teilen selbst geschrieben hatte, die allerdings dennoch viele Lügen über mich propagierte (von wegen ich bin arrogant und kann nicht einparken, pahh!). Diese prophezeite, auf Basis einer natürlich völlig unvoreingenommenen anonymen Befragung meiner Jahrgangskameraden, dass ich später einmal potentielle Besitzerin einer eigenen Fernsehshow werden würde. Gedanken sind da um weitergesponnen zu werden, meinem Größenwahn und den seherischen Fähigkeiten meiner damaligen Mitschüler sei Dank. Die Kulisse von Wahre Liebe auf einem Sendeplatz bei ARTE und ich mittendrin. So in etwa. 

Seit dem Untergang des Qualitätsformats „Talkshow“ in den 90ern allerdings, verliert Fernsehen an Substanz. Galileo erklärte in seinen Anfängen vorabendtauglich wie Faradays Käfig funktioniert – heute schauen bildungshungrige Acht- bis Achtzigjährige Jumbo Schreiner beim Schnitzel essen zu. Also was soll ich im Fernsehen… Potential verschwenden 2.0.

Kein Plan also, nur eine Idee. Und immer wieder Menschen, die mir zuhörten und meinten ich müsste das unbedingt mal aufschreiben. Hab ich dann gemacht. Für die Festplatte erstmal. Und für mich, ihr wisst schon: sich gerne schreiben lesen. Und ich tat es für Sarahs Kunden, die die analoge Papierversion samt Tippfehlern im Plastikschnellhefter vor dem Hintergrund meiner Anonymität auf Breitentauglichkeit prüften und für gut bekloppt befanden.


Perfekt - Ich habe gebloggt (zum allerersten mal)

Zum Glück funktioniert Blog bauen so ähnlich wie das Einrichten eines Hauses damals bei SIMS. Herr Müller, der Halb-IT-Experte hatte nämlich keine Zeit. Eigentlich auch egal. Dann mach ich‘s eben selbst. Natürliche Blog-Geburt aus eigenen Kräften. Kein Kaiserschnitt. Und weil ich zwar mein zeichnerisches Alter-Ego gedanklich erfinden konnte, sich aber meine Fähigkeiten im Umgang mit Grafiksoftware in etwa auf Hauptschüler-Niveau bewegen, übernahm das eine befreundete Berufsgrafikerin dankenswerter Weise für mich und gebar eine Version meiner selbst aus Primärfarben, die treffender nicht hätte sein können.

Wenig später veröffentlichte ich den ersten Artikel und musste feststellen, dass gar nichts passiert. Noch nicht mal eine einzige Email eines euphorischen Verlegers, der alle meine ungeschriebenen Bücher kaufen will und mir einen unverschämt unrealistischen Vorschuss bietet, geschweige denn ein Stalker oder sonst irgendwer. Wer soll auch wissen, dass ich an irgendeinem Baum X in der Taiga rumstehe und dort auf Besucher mit Kaffee und Kuchen lauere, wenn ich niemandem sage, dass ich dort warte und vor allem wo.

„Mach Social Media“ schrie es sogleich aus allen Ecken. Was jetzt kam war die eigentliche Überwindung. So als müsste der Arachnophobiker endlich seine Angst überwinden um in das geerbte Baumhaus im südamerikanischen Regenwald einziehen zu können. Und so legte ich mir einen Facebook-Account an, learnte by doing und entwickelte mich vom Analphabeten sozialer Medien zumindest zu einem Legastheniker. Teilleistungsschwäche Sozialmedien-Marketing. Ich fordere Nachteilsausgleich.


Präteritum - Ich bloggte (das schreibt kein Schwein so)

Ich beneide noch heute viele Blogger darum, dass sie aus ihrer wahren Identität kein Geheimnis machen müssen. Was muss ich euch für herrlich bescheuerte Bilder manchmal leider vorenthalten. Den Anonymitätskritikern sei gesagt: meine Artikel wären nicht halb so ehrlich und vor allem oft auch sehr privat, wenn ich Gesicht zeigen würde. Ist doch nicht so schwer zu verstehen, dass mir etwas unwohl bei dem Gedanken wird, auf Eltern und halb erwachsene Schüler zu treffen, die wissen, dass ich mit meiner besten Freundin im Bett manchmal den Ehemann tausche? (Übrigens kann man mir für mehr Bildmaterial auch auf Instagram folgen. Bei kuckuckseiimlehrerzimmer gibt es allerdings überwiegend Bilder von Dingen, die kurz davor stehen, meinen oder den Schlund meiner Familie zu passieren oder noch mehr Catcontent.)

Meinen Lesern kann ich allerdings versichern, dass ich auch ohne Gesicht authentisch bin. Die Handvoll Menschen, die wissen wer wirklich hinter Frau Müller steckt und denen ich ein tolles Präteritum zu verdanken habe, würden euch das bestätigen. Sie waren es, die in den Anfängen dank treuem und konsequentem Teilen und Liken immer mehr Menschen erreicht haben, für die Frau Müller nur die boshaft-lustige Sonnenbrillen-Bobfrisur-Lehrerin ist. 
Ich gebe zu, ich habe meine Freunde und Bekannten mit einer unfucking fassbaren Party, finanziert durch ebenso unfucking fassbaren Fame meinerseits, bestochen. Die fand übrigens noch nicht statt. Ich warte noch auf den Fame. Und die Leute auf die Party. Macht also weiter.

Hilfreich dabei, immer mehr Menschen zu erreichen, die in Blogs weniger den Mehrwert als vielmehr die Unterhaltung suchen und im günstigsten Fall die Vorliebe für grenzwertigen Humor teilen, waren natürlich auch die Bloggerkollegen. Ich danke an dieser Stelle allen, die mich verlinkt, geteilt, kommentiert, erwähnt und sonst irgendwie unterstützt haben. Einige ihrer Blogs findet ihr in meiner Blogroll  
Info für Nicht-Blogger: eine Linkliste der Blogs, die ich selbst gerne lese oder einfach empfehle
Diese Liste ist nicht vollständig und wird immer mal wieder erweitert. Wenn sich jemand selbst vermisst, bitte melden. Ich hab schon zweimal den Geburtstag des Herrn Müllers fast vergessen. Ich mach sowas nicht aus Böswilligkeit, ich hab nur manchmal Schaltpausen. Leider gibt’s dafür kein Attest. Erinnert mich einfach dran.

Der ein oder andere Leser hat sicherlich auch durch die Veröffentlichung meines etwas provokanten Textes für die BRIGITTE hier her gefunden. Wobei, eigentlich war hauptsächlich die Überschrift schuld. Und die hat auch noch Sarah höchst persönlich ausgesucht. Ach ja, das BRIGITTE-Gate. Das war lustig. Sowas würde ich gerne mal wieder machen. Sarah und ich nennen uns heute gerne noch gegenseitig miese Drecksschlampen. Den Link zum Artikel gibt’s hier.

Last but not least war da natürlich noch die aus Autorensicht vermutlich größte Errungenschaft meines einjährigen Schaffens. Eine meiner Geschichten, eine von der schlüpfrigen Art, gedruckt und gebunden. Zwischen zwei Buchdeckeln. Ich bin ja selbst ein wenig bibliophil, E-reader sind Teufelswerk und ich empfinde es wie einen Mini-Orgasmus ein gelesenes Buch ins Regal zu stellen. Ein Buch allerdings, an dem man selbst mitgewirkt hat, ins Regal zu stellen, DAS ist dann schon ein Orgasmus der Kategorie Zugspitze. Ovids Erben erschien im Schwarzbuch-Verlag, ist ein Sammelband aus erotischen Kurzgeschichten und kaufen kann man das gute Stück zum Beispiel bei Amazon. Da ist natürlich noch Luft nach oben. Ich stehe im regen Austausch mit Tenzing Norgay und Reinhold Messner. Ein Autorenprofil hab ich ja schon mal.


Präsens - Ich blogge ("Ich roque" fetzt auch. Kennt das jemand?)

Der heutige Post ist der 63.Blogartikel. Im Lehrerzimmer waren knapp 58.000 Personen zu Gast und auf Facebook folgen rund 600 Menschen. Ich habe im vergangenen Jahr jede Woche mindestens einen inhaltlich mehr oder weniger hochwertigen -beachtet bitte meinen intermüllerschen Bewertungsmaßstab von Hochwertigkeit- Artikel veröffentlicht. Einzig in der Woche, welche ich am Krankenhaus-Ballermann verbrachte, blieb es still im Lehrerzimmer. Manche Artikel wurden fast 3000 Mal angeklickt, andere gerade mal ein Zehntel so oft (Das fühlt sich beim Schreiben komisch an, ist das echte Grammatik?).

Zahlen, die mich insgesamt fröhlich stimmen. Und dennoch zum Verständnis: ich brauche diese Zahlen nicht als Masturbationsvorlage oder Selbstwertstimuli. Und dennoch brauche ich sie. Erstens weil jeder, der öffentlich schreibt, für Menschen schreibt und eben nicht behaupten kann, er tut’s nur für sich. Logisch, dass man sich umso mehr freut, je mehr Leser man erreicht. 
Und zweitens – der weitaus wichtigere Aspekt: der überwiegende Teil der Leser folgt passiv aber er folgt. Das ist fein und darf so bleiben. Mein Antrieb (und das ganz ohne Schmalz und Überschwang) sind allerdings die Reaktionen. Eine kleine oder große Diskussion in der Kommentarspalte, in der sich Menschen, die sich nicht kennen, über einen Post austauschen, der meinem Hirn entsprang. Das ist der Ritterinnen-Schlag. Glaubt’s mir. Notfalls mach ich mich für sowas auch unbeliebt und schreib irgendwas über Polygamie und dicke Kinder in Faschingskostümen.


Futur I- Ich werde bloggen (wie Gargamel sagte: Und wenn es das Letzte ist...)

Im kommenden Monat Oktober, sozusagen dem ersten Monat des neuen Blogjahres, wird es wieder einmal ein großes Thema geben. Wir erinnern uns an den Gayzember, den Januar der ganz im Zeichen der „Friends with Benefits“ stand und an den qualvoll-frivolen SchMärz. Im nächsten Monat möchte ich den charmanten Esprit der vielfältigen Blogosphäre versprühen, ihr vielleicht auch etwas mülleresken Glanz verleihen, gleichzeitig selbst einmal hineinschnuppern in die vielen großen und wichtigen Themenbereiche und proppevollen Nischen, mich vielleicht auch vergewissern, dass meine Art zu Bloggen genau die richtige Art für mich ist, verborgene Talente aus mir herauskitzeln und mich ausprobieren. Daher eröffne den BLOGTOBER (nicht meine Erfindung).

Interessiert es wirklich die Masse, wie ich mich in meinem Arbeitsalltag als Lehrer erfolgreich vor derArbeit drücke oder wäre ich womöglich erfolgreicher im Inszenieren eines Fashionblogs, der den Einteiler runter vom Sofa und direkt hinein in die Modewelt holt?

Will jeder meine Bordellbewerbung und die Freakshow auf Vertriebsveranstaltungen lesen oder kommt ein gnadenlos ehrlicher Travelblog mit wunderbar stimmungsvollen Bildern vom anderen Ende der Welt bei den Lesern vielleicht besser an?

Sollte ich aufhören, mich immer wieder öffentlich über Eltern und ihre Macken zu beschweren und stattdessen einen ebenso pfiffigen wie durchdachten Do-It-Yourself-Blog bieten, der Mütter und ihre Kinder gleichermaßen verzaubert?

Ist statt Geschichten aus der Folterkammer und direkt aus der Mitte meiner Vierecksbeziehung ein Foodblog möglicherweise viel leserorientierter und bietet den hochgelobten Mehrwert?

Da fällt mir noch ein: Ein Gastbeitrag unserer schreibenden Domina Frau Schwarz wird übrigens auch dabei sein. 
 
Es kommt also Großes, Spannendes, Neues und Unterhaltsames auf uns zu.  Sag nie „Das ist nichts für mich!“ bevor du es nicht ausprobiert hast. So ging es mir übrigens mit Lasertag, Taekwondo, PoleDance und griechischem Puddingkuchen. Ihr dürft also gespannt sein. Ich bin es auch.


Futur II - Ich werde gebloggt haben (da fällt mir nix zu ein)

Auch wenn man es den Artikeln möglicherweise nicht anmerkt ist gerade in den letzten Wochen das regelmäßige Veröffentlichen für mich eher zur Qual als Freude geworden. Ein paar private und berufliche Veränderungen lassen kaum noch Zeit zum Schreiben aus Spaß an der Freude. Vielmehr fängt man Montags an verzweifelt zu überlegen, was und vor allem wann man für den Mittwoch schreibt. Die Tage zuvor bewegt man sich irgendwo zwischen Lähmung und schlafendem Schweinehund auf dem Sofa. Wobei „bewegt“ nicht wirklich zutreffend ist. 
Dieser Zustand hat mir die Freude am Schreiben ein bisschen vermiest. Und daher muss ich was ändern. Als Königin der Selbstgeißelung - ihr erinnert euch vielleicht an das gelbe Ekelgebräu, das mir zu Beginn des Jahres half in mein unverschämt knappes Faschingskostüm zu passen - hab ich mir selbst den Druck gemacht, der hier nicht hin gehört.

Es wird ab November vermutlich nicht mehr wöchentlich neue Artikel geben, Veröffentlichungstag bleibt aber dennoch der Mittwoch. Da gibt’s dann entweder wie gewohnt frische Gedankenrohkost oder aber etwas Recyceltes – ihr wisst schon, wie Reste-Kochen. Man macht aus dem, was da ist und zu gammeln anfängt irgendwas, bei dem keiner das abgelaufene MHD schmeckt. 

Zu Deutsch: ich krame einen alten Artikel heraus, hübsche ihn bei Bedarf ein wenig auf und versuche ihn noch einmal unter die Leute zu bringen. 

Vielleicht fällt er so Menschen vor die Newsfeed-Füße, die genau diesen einen Blogpost noch nicht kannten, weil sie sich eben noch nicht durch die unendlichen Weiten meiner Geistesleere gekämpft haben. Oder aber ihr macht es wie ich und lest einfach nochmal. Weil’s schön ist. Übrigens bleibt bei Facebook alles beim Alten, hier gibt es weiterhin den Untertitel zu allen Live-Alltags-Absurditäten. Und noch was bietet Beständigkeit: Tippfehler, Kommas und all die anderen charmanten Echtheitszertifikate.

Jetzt hab ich in einem Artikel, der verglichen mit dem Rest meines "Werkes" eher wenig Story aber dafür umso mehr Botschaft besitzt, knapp 1800 Wörter verbastelt. Und ihr habt genauso viele Wörter gelesen. In der Zeit hättet ihr übrigens auch was Interessantes, Informatives oder Lehrreiches lesen können. Und ich hätte etwas ebenso Interessantes, Informatives und Lehrreiches schreiben können. Haben wir aber nicht. Deswegen mag ich bloggen.

An dieser Stelle bitte drei Kreuzchen 
und eine "Frau Müller"-Unterschrift
mit Herzchen an Stelle der Ü-Striche vorstellen. 
Ich weiß nicht wie das geht. 
Bin doch Grafik-Hauptschüler.

So und jetzt rüber zu Facebook 

Damit ihr diese „Unfucking Fame“-Party nicht verpasst.

Mittwoch, 20. September 2017

The truth beyond the Klassenzimmertür: Ein Arbeitstag mit Frau Müller - Schulpraktische Studien Teil 2



An meinem Vormittag als Schneewittchen im Haus der Zwergen-Bildungselite habe ich euch bereits im letzten Blogartikel "The truth beyond the Klassenzimmertür: Ein Arbeitstag mit Frau Müller Teil 1" wortreich teilhaben lassen. Doch wer glaubt, Schneewittchen hat Zeit für prinzenrelevanten Schönheitsschlaf und ihre Maniküre während die Zwerge zurückkehren an ihre heimischen Fliesentische, der irrt gewaltig. Schließlich spielt das Leben nicht Grimms Märchen. Auch wenn es manchmal genauso grausam ist...


Mittlerweile ist es kurz vor halb zwölf. Große Mittagspause. Den König unter den Schwarzen Petern hat man, wenn man auch hier wieder Aufsicht hat. Nach vier Stunden Unterricht werden die Irren quasi auf dem Schulhof ausgewildert. Optimale Witterung: circa 17,5 Grad Celsius, bewölkt und niederschlagsfrei. Bei allen anderen Wetterverhältnissen drehen die sensiblen Schülerindividuen am Rad und pflügen übers Gelände wie eine Horde Affen nach dem ersten Schuss mit dem Betäubungsgewehr. Wenn es sein muss auch bei sengender Hitze und Sonnenschein, nur um nach der Pause mit heraushängender Zunge und hochrotem Kopf im Klassenzimmer eine Nahtoderfahrung zu machen.

Apropos Nahtoderfahrung: 
gehe nie zwischen eine Prügelei, 
bei der die Körpergröße 
mindestens eines Beteiligten 
deine eigene Körpergröße 
um mehr als die Hälfte übersteigt. 
Ich bin zum Glück nicht groß. 
Oder wie ein älterer Kollege zu sagen pflegt: 
Wir müssen unsere Ressourcen schonen – 
Schüler kommen immer nach, Lehrer sind rar.


Wenn man keine Aufsicht hat, macht man das Gleiche wie in allen Pausen – entweder sich erfolgreich verstecken oder Erledigungen, für die bisher keine Zeit war: Unterrichtsvorbereitung zum Beispiel oder leidige Telefonate mit Eltern:


 „Ja Hallo, Frau Erte-Elzwei. Hier Müller von der Hans-Meißer-Schule zur Lernförderung…neeein, es ist nichts Schlimmes passiert blabla…Federmäppchen bitte täglich kontrollieren…blabla… schon drei Wochen keinen Bleistift … blabla … hatte ich schon fünf Mal ins Hausaufgabenheft geschrieben… blablabla… sie müssen  mit der Schule zusammenarbeiten.“


Am anderen Ende: „Mimimi… den Luca-Finley-Tyron sein Papa ist ausgezogen… mimimi…kann mir die Wohnung nicht mehr leisten… wuuuhäää… muss noch umziehen bevor den Luca seine Schwester geboren wird…mimimi… Bleistifte schon in Umzugskarton… mimimi…das Hausaufgabenheft zeigt mir der Luca immer gleich wenn er um fünf mit den Taxi aus den Hort kommt … wuhäää…“


Das folgende Gestammel aus dreisten Lügen und dummen Ausreden wird übertönt vom „Dingdongdong“ und schon ist Hufgetrappel auf dem Flur zu hören. Pause ist rum. „Vielen Dank Frau Dings, einen schönen Tag noch.“

  
Die ganz Hartgesottenen gehen mittags Essen in der Schulkantine. Wenn ich ekliges warmgemachtes Essen aus Eimern und Dosen zwischen lauten und ungepflegten Menschen haben möchte, dann kauf ich mir ein Festivalticket für Rock am Ring und ne Dose Ravioli. Dort ist wenigstens die Musik besser.



 
Fächer mit einem hohen Grad an Eigenaktivität und praktischem Handeln werden ja bevorzugt auf die Zeit rund um das Mittagstief gelegt, das heißt so lange sich die Schulleitung bei der Stundenplanung diesen Luxus leisten kann. Für mich bedeutet das: Werkunterricht, yeah! 


Die Förderung im Bereich Feinmotorik, Koordination und Handlungsplanung beginnt bereits vor dem eigentlichen Unterricht, wenn die kleinen Körperwunder gefordert sind, auf ihrem Rücken aus den Bändern ihrer Schürzen eine Schleife zu binden. Bei einigen erinnern mich die ausgeklügelten Strategien an mich selbst, wenn ich abends auf dem Sofa meinen BH durch den Ärmel meines T-Shirts ausziehe. Der Rest sieht aus wie Pinguine beim Rückenkratzen. 


Eine Werkstunde kann so vielgestaltig sein – eigentlich ist dafür ein eigener Blogpost nötig. In Kurzform:


Schulgarten: für mich die angenehmste und netteste Version von Unterricht. Wenn diese putzigen Gartenzwerglein in den Furchen des Gemüsebeets kauern, Steinchen aufsammeln, ich dazwischen stehe und die kleinen Pflänzchen auf das Unkraut aufmerksam mache …halt nein, andersrum…erinnert mich das immer ein wenig an den Film „Die Verurteilten“. Schulgarten ist toll. An der frischen Luft riecht es auch in einer sechsten Klasse zur sechsten Stunde nicht nach ungewaschenen Vorpubertären. Und man braucht nichts vorbereiten. Unkraut, Kartoffeln und Bodendecker gedeihen quasi von allein. 


Töpfern und Modellieren: gut ist, wenn man das selbst nur semiprofessionell kann, denn dann sind die Ansprüche an die Schülerarbeiten auch nicht so hoch. Schlecht wenn man Schüler wie Mohammed hat, deren formbare Masse nach jedem Zwischenschritt, den man selbst erledigt um dem Kind zu helfen, wieder wie in dem Moment aussieht als man den Klumpen aus dem Eimer gefischt hat. Wie Schnee schippen wenn es schneit. Das, was den Schülern an Phantasie fehlt, braucht man als Lehrer zusätzlich, um die Lücke zwischen der Definition des Gebildes durch den Schöpfer und der deformierten Realität zu schließen.


Worst case Holzbearbeitung: es gibt hier zwei Sorten von Schülern. Die Einen, meistens die, deren Formulare für Ordnungsmaßnahmen auf dem PC der Schulleitung noch in der Taskleiste geöffnet sind um möglichst ökonomisch beim nächsten Vergehen nur das Datum zu ändern, sind wahre Paganinis an der Laubsäge. Wenn sie jetzt noch wüssten, dass Millimeter ein Längenmaß sind, könnte man sich direkt eine Zukunft im Handwerk für sie vorstellen. Und dann sind da noch die Anderen: man zieht eine Feinsäge aus dem Schrank, hält sie dem Schüler hin und die Körpersprache gleicht augenblicklich der Reaktion auf eine geladene und entsicherte Walter PP. 
Sie greifen nach den Werkzeugen mit zwei linken Händen an denen sich insgesamt zehn Daumen befinden, so als wären es Uran-Brennstäbe und sorgen auf diese Weise dafür, dass Frau Müller nach einer Doppelstunde Werken Muskelkater im Arm und Sägemehl vom Fuchsschwanzgebrauch auf ihren hübschen Schuhen hat, weil sie nicht mitverantwortlich sein möchte für den Tod von Schutz und Futter suchenden Standvögeln, die im Winter an Vogelhäuschen landen, welche eine Beleidigung für jeden TÜV-Prüfer darstellen.


Die letzten zehn Minuten einer solchen Unterrichtsstunde schenken wir der Erkenntnis, dass Dreck von oben nach unten fällt. Der Schwerkraft sei Dank. Wenn man nicht möglichst eingängig und anschaulich wiederholt, dass doch erst der Tisch abgeputzt und dann der Fußboden gekehrt wird, ergibt sich so etwas wie ein Putz-Perpetuum Mobile.


Die Kirsche auf der Pädagogen-Tagestorte verbirgt sich hinter einer schmucken Dienstberatung alle paar Wochen. Ihr könnt euch darunter nichts vorstellen? Kein Problem – das Ganze läuft in etwa ab wie ein Familienessen bei der Schwiegerfamilie. 
Alle treffen mehr oder weniger gestresst und pünktlich am Ort des Geschehens ein, während die Schwiegermutter bzw. Schulleiterin auch schon mit den Augen rollt. Sie ist es dann auch, die der Veranstaltung ihren anstrengend einzigartigen Charakter verleiht indem sie 90 Minuten wirres Zeug erzählt. Die Schwiegermutter drischt Phrasen, die aus dem Wahlprogramm der AfD stammen könnten. Die Schulleiterin stammelt irgendwas über Dienstvorschriften, Quereinsteiger und Altpapiersammlung. Dabei wirkt sie genauso kompetent und aufgeklärt wie ihr Pendant am Familientisch. Effekt beim Zuhören bei Beiden: Fremdscham und der Wunsch, an Ort und Stelle vom Blitz erschlagen zu werden.
  
Die stellvertretende Schulleiterin gibt den Schwiegervater, der sich nur ins Gespräch einklinkt, wenn er den Blödsinn nicht mehr aushält. Quittiert wird der vorwitzige Einwurf mit einem Laser-Blick, der selbst Metall trennen könnte. 


Weitere Gemeinsamkeiten zwischen Familienessen und Dienstberatungen: wenn es Alkohol gibt, hebt das die Stimmung ungemein, 
irgendjemand lacht ständig bescheuert an den unpassendsten Stellen, 
die Schlauen beschäftigen sich heimlich unter dem Tisch mit was anderem und alle, die nicht reden kämpfen gegen die Müdigkeit. 
Ach ja und mindestens einer schläft ein. 
Beim Familienessen ist das in der Regel die Oma. Bei der Dienstberatung ist das die Kollegin, die mangelnde Kompetenz mit Schwerbeschädigung ausgleicht und deswegen so fest auf ihrem Posten wie Schimmel im Mauerwerk von Gutshäusern sitzt. Das Figurenschlafen der Kollegin steht dem der dicken Omi im Seniorensessel in nichts nach und wenn die Zufallspädagogin auch sonst nichts kann, für die Belustigung des ganzen Kollegiums sorgen, in dem sie während den Redebeiträgen der Schwiegermutter… äh Direktorin gut sichtbar für alle am langen Tisch immer wieder einnickt – das kann sie. True Story.

Wie dem auch sei, genau wie bei Familientreffen werden solcherlei Zusammenkünfte bevorzugt genutzt um unangenehme Nachrichten, an die sich später keiner mehr erinnern kann oder will, unters „Volk“ zu bringen. Dennoch wird es immer heißen: „Darüber haben wir doch gesprochen!“ Haben wir? Vermutlich. Möglicherweise habe ich da aber auch gerade einen Post für Facebook geschrieben, Diktate korrigiert oder einfach diskret geschlafen. Und im Privatleben wie im Beruf freuen sich alle Beteiligten wenn das Leiden ein Ende hat.


Gegen halb drei macht Frau Müller sich endlich auf zur zweiten Schicht pädagogischen Wirkens und sammelt ihre Nachkommen ein. Sie hofft, dass beide heute möglichst wenig Hausaufgaben aufhaben. Ihre Geduld ist inzwischen so aufgebraucht wie die Plastik-Christbaumkugeln bei Ikea am letzten Wochenende vor Weihnachten. Noch schnell in die Hausaufgabenhefte kucken, rotes Gekrakel erblicken und sich fragen, welcher dieser nichtsnutzigen Lehrer heute lieber Einträge geschrieben hat, statt sich vor der Arbeit auf dem Klo zu verstecken.

"Werte Frau Müller, ihr Sohn hat heute in der Stunde
seinen Radiergummi gesucht!"
Frau Müller: "Und? hat er ihn gefunden?" 


Wenn man es zwischen oder nach den Stunden noch nicht geschafft hat, das didaktische Feuerwerk des nächsten Schultages zu planen, dann bleibt einem diese freudvolle Tätigkeit für die kostbaren Abendstunden. Ein ebenso variantenreiches Unterfangen, das stark von der intraindividuellen Motivation abhängt und in seiner Bandbreite vom Laminieren bunter selbst am PC erstellter Kärtchen über die Suchwörter „Arbeitsblatt“ und "Mandala" bei Google bis hin zur Auswahl einer Lehrbuchseite und der dazugehörigen Aufgabe im Arbeitsheft reicht. 
Seltener sammelt man Laubblätter, Blumen, Klorollen oder Bilder aus Zeitschriften. Immer allerdings reinigt man gummibehandschuht die Schreibfolien der Erstklässler mit Nagellackentferner.


Den wahren Experten erkennt man übrigens nicht daran, dass er täglich sein Equipment für jede einzelne Stunde im Trolly in die Schule karrt sondern dass er auch völlig unvorbereitet, übermüdet und wenn es sein muss auch mit 39Grad Fieber vier Stunden Klassenleiterunterricht abfeuert ohne dass Schüler oder Lehrer aus Frust durchdrehen oder dauerhafte Schäden erleiden. Ich nenne mich den Rüdiger Nehberg der Didaktik…


Mittwoch, 13. September 2017

The truth beyond the Klassenzimmertür: Ein Arbeitstag mit Frau Müller – Schulpraktische Studien Teil 1



Heute seid ihr Studenten der Förderpädagogik im Grundstudium, das heißt ihr dürft Zeit in der Schule verbringen – ganz nah an der Praxis sozusagen – ohne dass ihr selbst aktiv werden müsst. So war das zumindest zu der Zeit, in der ich einst meine berufliche Qualifikation erwarb. Das ist ein bisschen wie bei diesen mutigen Tauchern in den Stahlkäfigen zwischen den Haien. Nach dieser Erfahrung könnt ihr überlegen, ob ihr auch mal ohne schützenden Käfig mit den Haien spielen wollt oder ob ihr Haie einfach scheiße findet. Wenn ihr euch für Ersteres entscheidet, dann achtet darauf, dass ihr nie blutet und immer genug Futter dabei habt. Stellt ihr jedoch eher fest, dass Schwimmen mit Haifischen nicht so euer Ding ist, dann lautet die Diagnose Praxisschock.


„Schatz, du hast heute morgen Aufsicht!“, dringt es von der anderen Seite des Bettes an mein Ohr. Gerade wollte ich Herrn Müller zum fünften Mal auffordern, die Schlummertaste zu drücken. Er hat mich schon im letzten Schuljahr zuverlässig an meine Aufsichtstermine erinnert. 
„Fuck, stimmt. Ach verflucht!" und aus Trotz selbst auf die Schlummertaste gedrückt.  Also dann heute akzeptieren, dass der Lidstrich nicht symetrisch ist, den Ladyskaffee nur zur Hälfte austrinken, den kleinen Müller ins Auto scheuchen und ab, um vor der örtlichen Grundschule das Kind abwerfen. 

Im zweiten Schulbesuchsjahr des Minimüllers habe ich mich an den irritierenden Anblick meines Kindes gewöhnt, das den vorbeigehenden Klassenkameraden mit steinerner Miene den Rücken zudreht, so lange bis diese ganzen lauten Kinder außer Sichtweite sind, damit die letzten Meter zur Schule in herrlich ruhiger Einsamkeit zurück gelegt werden können. Ist eben mein Sohn.

Vor unserer Förderschule sind Parkplätze immer rar, also ist Resteparken angesagt, für diejenigen, die keine feuchte Wohnung haben und nicht schon eine Stunde vor offizieller Anwesenheitspflicht die heiligen Hallen bevölkern. Heißt also, ich parke in den Lücken längs zur Fahrrichtung, an denen meine Kolleginnen mangels autofahrerischer Fähigkeiten vorbeifuhren. Ja, einparken kann ich einigermaßen. Herrlich, wenn der Tag mit einem Erfolgserlebnis beginnt, doof nur wenn es das Einzige des Tages bleibt. Noch blöder, wenn irgendjemand besser einparken kann als ich und nur noch Plätze an der Hauptstraße übrig sind. Abgefahrene Außenspiegel traumatisieren langfristig. Das Gefühl, nach so einem Parkplatztag das Vehikel unversehrt vorzufinden, gleicht einem negativen Schwangerschaftstest.

Tasche reinbringen und direkt nach hinten durch zum Schülereingang. Heute ist Frühaufsicht, das bedeutet die bildungshungrige Meute, die entweder zu früh von den Eltern vor die Tür gesetzt wurde oder einfach die Busverbindungsarschkarte hat, davon abhalten, die Anwohner morgens halb Acht mit NeuKöllner Klassik aus ihren Smartphones und BlueTooth-Lautsprechern zu beschallen beziehungsweise in Abhängigkeit der Witterung, alles was Beine hat und im ersten Moment nicht als Lehrkörper identifizierbar ist, mit Schneebällen zu bombardieren. 

Schulhofsadomasochismus: masochistisch lächeln und winken, wenn die eigenen Erstklässler sich über das Wiedersehen am Morgen freuen und schon aus 50 Metern Entfernung „Hallo Frau Müllaaaa!“ rufen, dabei mehrfach über ihren auf dem Boden schleifenden Turnbeutel stolpern und du weißt, dass sie dich gleich umarmen wollen, an der Schultür für alle aber gut sichtbar der „Achtung – Wir haben Läuse“-Zettel hängt. Im nächsten Moment sadistisch lächeln und demonstrativ „Guten Morgen“ sagen, wenn die Karawane der Sieben- bis Neuntklässler stumm und blickkontaktmeidend an dir vorbei zieht und sich dabei über das Spachtelmake-up und die Smokey-Eyes der zukünftigen Influencerinnen amüsieren.

Wenn das letzte Opfer der Schulbesuchspflichtjahre im Höllenschlund verschwunden ist, geschwind ins Lehrerzimmer, das Klassenbuch holen und schnell was kopieren. Dabei entweder pseudokollegial tausend entgegen gestreckte Hände schütteln oder eine Erkältung vortäuschen, um die eigene Hand bei sich behalten zu dürfen ohne unsozial zu wirken. 
Am Kopierer steht eine Schlange und alle sind am Labern: 
„Nordic Walking hier… Räucherkäse da… Zucchinisuppe lecker ... das letzte Spiel war eine Katastrophe“. 
Lächeln und Winken. 
„Bla, du hast aber die Haare schön, blabla, Frau Müller, deine Ohrringe/Schuhe/ irgendwas anderes klamottenmäßiges sind/ist aber toll.“ Lächeln und Winken. 

Es klingelt, alle sind plötzlich weg und der Kopierer endlich frei. Er spuckt zwei Blätter aus und sagt mir dann freundlich-fordernd „Bitte legen sie mehr A4-Papier ein!“ Verdammte Axt, das Papierkarma. Also eine Etage höher im Sekretariat um Kopierpapier flehen und wieder runter. Die Zeit, bis der Kopierer begriffen hat, dass jetzt mehr Papier vorhanden ist, fühlt sich genauso lange an wie die letzte Minute auf dem Waschmaschinendisplay vor dem Freischalten der Tür.

Im Klassenzimmer angekommen stellt man fest, dass das Klassenbuch noch fehlt. Egal, braucht eh kein Schwein. Und Feueralarm wird es ja wohl jetzt nicht geben, nicht um die Zeit. Da ist Frühstück in der Schulleitung. Fünf Minuten vergehen bis alle Arbeitsmittel in überschaubar hübschen Häufchen auf den entkrümelten Schülertischen liegen. Was nämlich leider immer zuerst ausgepackt wird ist das Frühstück. Das sorgt dafür, dass schon vor der ersten Stunde die Möbelpolitur aus Nutella und Butter auf den Tischplatten erneuert wird.

Wenn die Milchschnitte und auch der letzte Babybel den kindlichen Schlund in Richtung Magen passiert haben, singen wir das Begrüßungslied. Die Tatsache, dass ich nach fünf Wochen, in denen wir jeden Morgen dieses Lied hören, uns dazu bewegen und mitsingen, immer noch überlegen muss, ob nun zuerst mit den Füßen gestampft oder mit den Händen auf die Schenkel geklopft wird, gibt mir zu denken. Vermutlich liegt es daran, dass ich die 2:32min in denen der Song läuft nutze, um noch einmal geistig abzuschalten bevor der Wahnsinn losgeht. Oder ich verblöde einfach solidarisch.
 
Als nächstes werden die Hausaufgaben kontrolliert. Drei Kinder diskutieren wie jeden Tag mit mir darüber, welchen Lobstempel ich ins Heft drücke, obwohl es für Hausaufgaben schon immer nur ein „Super“-Blümchen gibt. Fünf Kinder wissen nicht, in welchem Hefter die Hausaufgabe war, dabei haben wir nur zwei. Einen roten und einen blauen. Und einer heult, weil er die Hausaufgabe nicht hat. Jaaa, in Klasse 1 sind Eltern und Kinder noch hochmotiviert.

Danach machen wir irgendwas, bei dem jeder mal an die Tafel schreiben oder malen kann. Alle müssen sich die Tafel unbedingt auf ihre individuelle Zwergengröße einstellen und pfefferen dabei dank innenarchitektonischer Fehlleistungen mehrmals fast meine Teetasse runter, brauchen genauso lange sich für eine von vier Kreidefarben zu entscheiden wie Margarete Schreinemakers bei der Auswahl ihrer Showbrille und malen dann so ungeschickt zwei Striche, dass dabei die Kreide abbricht und der Fingernagel auf dunkelgrünem Metall fiese Quietschgeräusche erzeugt. Jedes Kind muss einzeln davon abgehalten werden, sich sofort die blauen oder roten oder grünen oder gelben Finger zu waschen, weil sonst irgendwann alle von spritzendem Wasser und Schaumbergen im Waschbecken abgelenkt sind.

Anschließend malen wir die Zeichen von der Tafel noch einmal mit den Fingern erst in die Luft und dann auf die Bank. Einige sehen dabei aus wie Emily Rose im Zuge ihres Exorzismus, wieder andere fühlen sich so ungelenk an wie halbseitig Gelähmte bei der Physiotherapie, wenn ich ihren Arm dabei führe.

Jetzt das Ganze ins Heft. In welches? In das Heft, in dem wir seit fünf Wochen jeden Tag schreiben. In das rote? In das? Ja, in das. 
„Alle Kinder nehmen einen Bleistift!“ Drei nehmen einen Bleistift, vier irgendeinen anderen Stift, zwei machen gar nichts und der Rest fragt zum fünfzehnten Mal, warum wir nicht mit Füller schreiben. 
Wenn der erste gleich seinen Bleistift weg wirft, die Hand hoch reißt und „Fääärtisch!“ ruft, sucht der andere noch einen Bleistift. 
Frau Müller mittendrin. 

Mach doch was mit Steinen, hatten sie gesagt. Steine reden nicht, hatten sie gesagt.
Kennt ihr dieses Spiel aus den Spielhallen, bei dem Trolle unvermittelt aus irgendeinem Loch auftauchen und man mit so einem großen Holzhammer möglichst schnell draufhauen muss, damit sie wieder verschwinden? So ungefähr fühlt sich dieser Unterrichtsschritt an. Hier ein Lob, da eine Aufforderung doch endlich mal anzufangen, dort verhindern, dass über drei Zeilen gleichzeitig gemalt oder die erste Zeile mit der rechten und die zweite mit der linken Hand geschrieben wird. Zwischendurch Fabians Hand führen, damit wenigstens eines der Zeichen der Vorgabe ähnelt. Danach schnell Hände waschen. Die Hand war klebrig. Fabian hat Schnupfen. Immer.

Dann eine Runde Smileys verteilen und der Hälfte der kleinen Selbstüberschätzer erklären, warum ich heute leider kein Foto für sie habe …äh… warum die Smileys in meinem Stift leider schon aus sind. Irgendwie haben es dann alle geschafft. Es gibt ein Blatt für die Hausaufgabe und die letzten fünf Minuten verbringe ich damit, beim Unterscheiden des roten vom blauen Hefter zu helfen und anschließend komplett verdrehte Blätter wieder aus- und richtig einzuheften. 

Bis zum Klingeln nach diesen 45 Minuten hat Kevin fünfmal gesagt, dass er Hunger hat, dreimal gefragt, wann er frühstücken kann und sechs Mal dazu angeregt, doch ein Spiel zu spielen. Dazwischen Justin, der ganz dringend pullern musste und die Hälfte der Klasse mit dieser Not ansteckte. Alle Bedürfnisbekundungen gerne ohne vorherige Meldung mitten in meinen Lehrervortrag oder mit Fingerzeichen als sinnvollen Beitrag zum Unterrichtsgespräch.

So, jetzt ist Pause. Vielseitig nutzbare Zeit in vier Varianten:

Variante 1: man hat Aufsicht und tingelt von Zimmertür zu Zimmertür um beim Betreten des Klassenraums entweder alle andächtig an ihren Bananen nuckelnd vorzufinden oder aber epische Schlachten á la „300“ zu befrieden. Dabei ist man selbst der akuten Gefahr ausgesetzt, von herum fliegenden Federmäppchen, Brotdosen, Tafelschwämmen oder Schülerkörpern außer Gefecht gesetzt zu werden.

Variante 2: man hat keine Aufsicht und verpisst sich irgendwo hin, wo man von keinem menschlichen Wesen entdeckt wird. Arztzimmer, Klo oder ein Kellerraum sind zu empfehlen. Dort hat man die Qual der Wahl: Notdurft, Frühstück oder Whatsapp und Facebook – sicherlich ein Stück weit abhängig von der gewählten Location. Da ich selten tagsüber zum Essen und Trinken komme, daher auch keine Notwendigkeit besteht, daraus entstehenden Bedürfnissen nachzugehen, bleibt viel Zeit für das Pflegen sozialer Kontakte.

Variante 3: man entscheidet sich für die Kaffee-Runde im Lehrerzimmer. Dafür muss man Menschen im Allgemeinen und Lehrer im Speziellen mögen. Fällt für mich also aus. Spätestens nach vier Minuten zwischen diesem verlogenen Gegacker sehnt man sich nach hochfrequentem Kindergeschrei oder Tod durch Enthauptung.
Variante 4: man hat keine Aufsicht und bleibt im Klassenzimmer. Keine gute Entscheidung aber leider die am häufigsten gewählte Variante. Dort wird man dann zehn Minuten dazu genötigt, fettige Trinkflaschen zu öffnen, Bananen mit Nutellaschmauch zu schälen, freundlich lächelnd leberwurstverschmierte Plätzchen oder gar matschige Obstschnitze aus schmutzigen Kinderhänden abzulehnen oder sich langweilige und agrammatisch vorgetragene Wochenenderlebnisse anzuhören. 
„Weisst duuu, Frau Müllaaa…“ und „Hier, für dich Frau Müllaaaa!“ und schon meldet sich der Fluchtreflex. Die ständige Behelligung durch die Oberpetzen Shanaia und Shakira  - Zwillinge, rote Haare und bescheuerte Namen – nicht zu vergessen. 

Dazwischen Schreibkram. Einträge schreiben: 
„Werte Frau K., ihr Sohn hat zur Aufsichtsführenden Kollegin „Fick dich!“ gesagt, als sie ihn zur Tür schickte. Bitte sprechen sie mit ihm über dieses Fehlverhalten."
Elternbriefe beantworten: 
„Der Justin hat gestern am Bus dem Finn seine Jacke kaputt gemacht. Die war teuer. Mein Mann und ich kriegen nur Hartz IV. Können sie mir die Telefonnummer von dem Justin seine Eltern aufschreiben?"
 
Ach ja – und den Streit um die Toiletten-Rangfolge schlichten. Toiletten, Toilettenpapier und Klobürsten scheinen einen unglaublichen Aufforderungscharakter auf den kindlichen Spieltrieb auszuüben. Das heißt entweder mit nassen, stinkenden Schülerschuhen im Klassenzimmer und dem Hausmeister als Dauergast leben oder isoliertes Einmann-Pullern. Weil das Jungsklo im Unterstufenbereich schlimmer riecht, als eine rumänische Autobahntoilette, mich diese Gruppenexzesse zwischen den Porzellanschüsseln aber immer wieder zum Betreten dieses Raumes nötigen, mach ich gerne den Zweitjob als WC-Ordner und sorge für geregelten Stuhlgang ... äh ... Einzelzutritt.

Nach dem Stundenklingeln wiederholt sich das Desaster aus der ersten Stunde in leicht abgewandelter Form noch bis zu dreimal, die Fragen bleiben die gleichen. Abwechslung bringen die Wutausbrüche der schlechten Verlierer und die offenbar gesteigerte Erdanziehungskraft im Bereich einiger Schülertische, deren Platzinhaber mehr Zeit unter dem Tisch beim Suchen von Stiften, Würfeln, Kärtchen und Chips verbringen als auf ihrem Stuhl. 
Ein Bewegungslied, bei dem Frau Müller regelmäßig mehr Ausdauer im Schütteln, Wackeln und Zappeln beweist als eine Gruppe Siebenjähriger oder eine spannende Igelballpartnermassage zwischen distanzgeminderten Bewegungslegasthenikern sind die Streusel auf dem Pädagogik-Keks. 

Zu guter Letzt noch sechs von neun Ränzen selbst einpacken, auf links gedrehte Jacken umkrempeln, Mützen aus dem obersten Regalfach fischen (dabei wieder an den Läusezettel erinnert werden) und den Körperwundern beim Hochstellen der Stühle helfen. Das gute alte „Auf Wiedersehen“ im Chor und der Wahnsinn hat für diesen Tag zumindest für die Zwerge ein Ende. Für die Müllerin geht es in Runde 2. Fortsetzung folgt...

Als Lehramtsstudent im Hospitationspraktikum dürftet ihr jetzt nach Hause gehen um dort brav an eurem Bericht zu schreiben. Wenn ihr jedoch einen guten Eindruck bei eurer Mentorin (mir natürlich) hinterlassen wollt, bleibt ihr noch ein wenig und zeigt Interesse am Werkunterricht, der Töpfer-AG und einer konstruktiven Dienstberatung. Nächste Woche im Blog (Hier klicken).
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