Lehrer sind auch nur Menschen. Und nicht jeder trifft sich abends mit Kolleginnen abwechselnd zum Nordic Walking oder zum Fortgeschrittenenkurs in Seidenmalerei. Ich denke ich bin das Kuckucksei im Lehrerzimmer. Etwa wie ein Veganer, der ausversehen Metzger geworden ist oder ein Pilot mit Höhenangst. Oder wie eine Franzi van Almsick, die immer wieder vom Schwebebalken fällt weil sie noch nie jemand ins Wasser geschubst hat.

Mittwoch, 27. September 2017

Ein Jahresrückblick ohne Günther Jauch – ReFlexionen einer Kuckuckslehrerin



Es ist so weit. Frau Müller feiert einjähriges Blogbestehen. Was passiert jetzt? Eine Festwoche? Gewinnspiele? Ein Fanshop? Kollektives Ausrasten? Nichts dergleichen. Ich brauche keine Festivitäten um zu feiern. Aber manche Festivitäten brauchen eine Feier. Und manche eben nicht. Ob das Befüttern eines Blogs über die Dauer eines Jahres eine Feier braucht, vermag ich allerdings nicht einzuschätzen. 

  
Plusquamperfekt  - Ich hatte gebloggt (hatte ich aber eigentlich noch nie)

Am Anfang war die kreative Energie, die irgendwie in mehr als nur viel zu langen WhatsApp-Nachrichten umgesetzt werden musste. Dem gegenüber stand das gefährliche Halbwissen um Menschen, die im Internet irgendwie irgendwas schreiben. Ich hätte googlen oder mich durch die Blogosphäre lesen können. Tat ich aber nicht. Warum auch. Ich wollte doch schreiben, nicht lesen.

Außerdem war da eine rund 15 Jahre alte Abi-Zeitung, welche ich zwar zu nicht unerheblichen Teilen selbst geschrieben hatte, die allerdings dennoch viele Lügen über mich propagierte (von wegen ich bin arrogant und kann nicht einparken, pahh!). Diese prophezeite, auf Basis einer natürlich völlig unvoreingenommenen anonymen Befragung meiner Jahrgangskameraden, dass ich später einmal potentielle Besitzerin einer eigenen Fernsehshow werden würde. Gedanken sind da um weitergesponnen zu werden, meinem Größenwahn und den seherischen Fähigkeiten meiner damaligen Mitschüler sei Dank. Die Kulisse von Wahre Liebe auf einem Sendeplatz bei ARTE und ich mittendrin. So in etwa. 

Seit dem Untergang des Qualitätsformats „Talkshow“ in den 90ern allerdings, verliert Fernsehen an Substanz. Galileo erklärte in seinen Anfängen vorabendtauglich wie Faradays Käfig funktioniert – heute schauen bildungshungrige Acht- bis Achtzigjährige Jumbo Schreiner beim Schnitzel essen zu. Also was soll ich im Fernsehen… Potential verschwenden 2.0.

Kein Plan also, nur eine Idee. Und immer wieder Menschen, die mir zuhörten und meinten ich müsste das unbedingt mal aufschreiben. Hab ich dann gemacht. Für die Festplatte erstmal. Und für mich, ihr wisst schon: sich gerne schreiben lesen. Und ich tat es für Sarahs Kunden, die die analoge Papierversion samt Tippfehlern im Plastikschnellhefter vor dem Hintergrund meiner Anonymität auf Breitentauglichkeit prüften und für gut bekloppt befanden.


Perfekt - Ich habe gebloggt (zum allerersten mal)

Zum Glück funktioniert Blog bauen so ähnlich wie das Einrichten eines Hauses damals bei SIMS. Herr Müller, der Halb-IT-Experte hatte nämlich keine Zeit. Eigentlich auch egal. Dann mach ich‘s eben selbst. Natürliche Blog-Geburt aus eigenen Kräften. Kein Kaiserschnitt. Und weil ich zwar mein zeichnerisches Alter-Ego gedanklich erfinden konnte, sich aber meine Fähigkeiten im Umgang mit Grafiksoftware in etwa auf Hauptschüler-Niveau bewegen, übernahm das eine befreundete Berufsgrafikerin dankenswerter Weise für mich und gebar eine Version meiner selbst aus Primärfarben, die treffender nicht hätte sein können.

Wenig später veröffentlichte ich den ersten Artikel und musste feststellen, dass gar nichts passiert. Noch nicht mal eine einzige Email eines euphorischen Verlegers, der alle meine ungeschriebenen Bücher kaufen will und mir einen unverschämt unrealistischen Vorschuss bietet, geschweige denn ein Stalker oder sonst irgendwer. Wer soll auch wissen, dass ich an irgendeinem Baum X in der Taiga rumstehe und dort auf Besucher mit Kaffee und Kuchen lauere, wenn ich niemandem sage, dass ich dort warte und vor allem wo.

„Mach Social Media“ schrie es sogleich aus allen Ecken. Was jetzt kam war die eigentliche Überwindung. So als müsste der Arachnophobiker endlich seine Angst überwinden um in das geerbte Baumhaus im südamerikanischen Regenwald einziehen zu können. Und so legte ich mir einen Facebook-Account an, learnte by doing und entwickelte mich vom Analphabeten sozialer Medien zumindest zu einem Legastheniker. Teilleistungsschwäche Sozialmedien-Marketing. Ich fordere Nachteilsausgleich.


Präteritum - Ich bloggte (das schreibt kein Schwein so)

Ich beneide noch heute viele Blogger darum, dass sie aus ihrer wahren Identität kein Geheimnis machen müssen. Was muss ich euch für herrlich bescheuerte Bilder manchmal leider vorenthalten. Den Anonymitätskritikern sei gesagt: meine Artikel wären nicht halb so ehrlich und vor allem oft auch sehr privat, wenn ich Gesicht zeigen würde. Ist doch nicht so schwer zu verstehen, dass mir etwas unwohl bei dem Gedanken wird, auf Eltern und halb erwachsene Schüler zu treffen, die wissen, dass ich mit meiner besten Freundin im Bett manchmal den Ehemann tausche? (Übrigens kann man mir für mehr Bildmaterial auch auf Instagram folgen. Bei kuckuckseiimlehrerzimmer gibt es allerdings überwiegend Bilder von Dingen, die kurz davor stehen, meinen oder den Schlund meiner Familie zu passieren oder noch mehr Catcontent.)

Meinen Lesern kann ich allerdings versichern, dass ich auch ohne Gesicht authentisch bin. Die Handvoll Menschen, die wissen wer wirklich hinter Frau Müller steckt und denen ich ein tolles Präteritum zu verdanken habe, würden euch das bestätigen. Sie waren es, die in den Anfängen dank treuem und konsequentem Teilen und Liken immer mehr Menschen erreicht haben, für die Frau Müller nur die boshaft-lustige Sonnenbrillen-Bobfrisur-Lehrerin ist. 
Ich gebe zu, ich habe meine Freunde und Bekannten mit einer unfucking fassbaren Party, finanziert durch ebenso unfucking fassbaren Fame meinerseits, bestochen. Die fand übrigens noch nicht statt. Ich warte noch auf den Fame. Und die Leute auf die Party. Macht also weiter.

Hilfreich dabei, immer mehr Menschen zu erreichen, die in Blogs weniger den Mehrwert als vielmehr die Unterhaltung suchen und im günstigsten Fall die Vorliebe für grenzwertigen Humor teilen, waren natürlich auch die Bloggerkollegen. Ich danke an dieser Stelle allen, die mich verlinkt, geteilt, kommentiert, erwähnt und sonst irgendwie unterstützt haben. Einige ihrer Blogs findet ihr in meiner Blogroll  
Info für Nicht-Blogger: eine Linkliste der Blogs, die ich selbst gerne lese oder einfach empfehle
Diese Liste ist nicht vollständig und wird immer mal wieder erweitert. Wenn sich jemand selbst vermisst, bitte melden. Ich hab schon zweimal den Geburtstag des Herrn Müllers fast vergessen. Ich mach sowas nicht aus Böswilligkeit, ich hab nur manchmal Schaltpausen. Leider gibt’s dafür kein Attest. Erinnert mich einfach dran.

Der ein oder andere Leser hat sicherlich auch durch die Veröffentlichung meines etwas provokanten Textes für die BRIGITTE hier her gefunden. Wobei, eigentlich war hauptsächlich die Überschrift schuld. Und die hat auch noch Sarah höchst persönlich ausgesucht. Ach ja, das BRIGITTE-Gate. Das war lustig. Sowas würde ich gerne mal wieder machen. Sarah und ich nennen uns heute gerne noch gegenseitig miese Drecksschlampen. Den Link zum Artikel gibt’s hier.

Last but not least war da natürlich noch die aus Autorensicht vermutlich größte Errungenschaft meines einjährigen Schaffens. Eine meiner Geschichten, eine von der schlüpfrigen Art, gedruckt und gebunden. Zwischen zwei Buchdeckeln. Ich bin ja selbst ein wenig bibliophil, E-reader sind Teufelswerk und ich empfinde es wie einen Mini-Orgasmus ein gelesenes Buch ins Regal zu stellen. Ein Buch allerdings, an dem man selbst mitgewirkt hat, ins Regal zu stellen, DAS ist dann schon ein Orgasmus der Kategorie Zugspitze. Ovids Erben erschien im Schwarzbuch-Verlag, ist ein Sammelband aus erotischen Kurzgeschichten und kaufen kann man das gute Stück zum Beispiel bei Amazon. Da ist natürlich noch Luft nach oben. Ich stehe im regen Austausch mit Tenzing Norgay und Reinhold Messner. Ein Autorenprofil hab ich ja schon mal.


Präsens - Ich blogge ("Ich roque" fetzt auch. Kennt das jemand?)

Der heutige Post ist der 63.Blogartikel. Im Lehrerzimmer waren knapp 58.000 Personen zu Gast und auf Facebook folgen rund 600 Menschen. Ich habe im vergangenen Jahr jede Woche mindestens einen inhaltlich mehr oder weniger hochwertigen -beachtet bitte meinen intermüllerschen Bewertungsmaßstab von Hochwertigkeit- Artikel veröffentlicht. Einzig in der Woche, welche ich am Krankenhaus-Ballermann verbrachte, blieb es still im Lehrerzimmer. Manche Artikel wurden fast 3000 Mal angeklickt, andere gerade mal ein Zehntel so oft (Das fühlt sich beim Schreiben komisch an, ist das echte Grammatik?).

Zahlen, die mich insgesamt fröhlich stimmen. Und dennoch zum Verständnis: ich brauche diese Zahlen nicht als Masturbationsvorlage oder Selbstwertstimuli. Und dennoch brauche ich sie. Erstens weil jeder, der öffentlich schreibt, für Menschen schreibt und eben nicht behaupten kann, er tut’s nur für sich. Logisch, dass man sich umso mehr freut, je mehr Leser man erreicht. 
Und zweitens – der weitaus wichtigere Aspekt: der überwiegende Teil der Leser folgt passiv aber er folgt. Das ist fein und darf so bleiben. Mein Antrieb (und das ganz ohne Schmalz und Überschwang) sind allerdings die Reaktionen. Eine kleine oder große Diskussion in der Kommentarspalte, in der sich Menschen, die sich nicht kennen, über einen Post austauschen, der meinem Hirn entsprang. Das ist der Ritterinnen-Schlag. Glaubt’s mir. Notfalls mach ich mich für sowas auch unbeliebt und schreib irgendwas über Polygamie und dicke Kinder in Faschingskostümen.


Futur I- Ich werde bloggen (wie Gargamel sagte: Und wenn es das Letzte ist...)

Im kommenden Monat Oktober, sozusagen dem ersten Monat des neuen Blogjahres, wird es wieder einmal ein großes Thema geben. Wir erinnern uns an den Gayzember, den Januar der ganz im Zeichen der „Friends with Benefits“ stand und an den qualvoll-frivolen SchMärz. Im nächsten Monat möchte ich den charmanten Esprit der vielfältigen Blogosphäre versprühen, ihr vielleicht auch etwas mülleresken Glanz verleihen, gleichzeitig selbst einmal hineinschnuppern in die vielen großen und wichtigen Themenbereiche und proppevollen Nischen, mich vielleicht auch vergewissern, dass meine Art zu Bloggen genau die richtige Art für mich ist, verborgene Talente aus mir herauskitzeln und mich ausprobieren. Daher eröffne den BLOGTOBER (nicht meine Erfindung).

Interessiert es wirklich die Masse, wie ich mich in meinem Arbeitsalltag als Lehrer erfolgreich vor derArbeit drücke oder wäre ich womöglich erfolgreicher im Inszenieren eines Fashionblogs, der den Einteiler runter vom Sofa und direkt hinein in die Modewelt holt?

Will jeder meine Bordellbewerbung und die Freakshow auf Vertriebsveranstaltungen lesen oder kommt ein gnadenlos ehrlicher Travelblog mit wunderbar stimmungsvollen Bildern vom anderen Ende der Welt bei den Lesern vielleicht besser an?

Sollte ich aufhören, mich immer wieder öffentlich über Eltern und ihre Macken zu beschweren und stattdessen einen ebenso pfiffigen wie durchdachten Do-It-Yourself-Blog bieten, der Mütter und ihre Kinder gleichermaßen verzaubert?

Ist statt Geschichten aus der Folterkammer und direkt aus der Mitte meiner Vierecksbeziehung ein Foodblog möglicherweise viel leserorientierter und bietet den hochgelobten Mehrwert?

Da fällt mir noch ein: Ein Gastbeitrag unserer schreibenden Domina Frau Schwarz wird übrigens auch dabei sein. 
 
Es kommt also Großes, Spannendes, Neues und Unterhaltsames auf uns zu.  Sag nie „Das ist nichts für mich!“ bevor du es nicht ausprobiert hast. So ging es mir übrigens mit Lasertag, Taekwondo, PoleDance und griechischem Puddingkuchen. Ihr dürft also gespannt sein. Ich bin es auch.


Futur II - Ich werde gebloggt haben (da fällt mir nix zu ein)

Auch wenn man es den Artikeln möglicherweise nicht anmerkt ist gerade in den letzten Wochen das regelmäßige Veröffentlichen für mich eher zur Qual als Freude geworden. Ein paar private und berufliche Veränderungen lassen kaum noch Zeit zum Schreiben aus Spaß an der Freude. Vielmehr fängt man Montags an verzweifelt zu überlegen, was und vor allem wann man für den Mittwoch schreibt. Die Tage zuvor bewegt man sich irgendwo zwischen Lähmung und schlafendem Schweinehund auf dem Sofa. Wobei „bewegt“ nicht wirklich zutreffend ist. 
Dieser Zustand hat mir die Freude am Schreiben ein bisschen vermiest. Und daher muss ich was ändern. Als Königin der Selbstgeißelung - ihr erinnert euch vielleicht an das gelbe Ekelgebräu, das mir zu Beginn des Jahres half in mein unverschämt knappes Faschingskostüm zu passen - hab ich mir selbst den Druck gemacht, der hier nicht hin gehört.

Es wird ab November vermutlich nicht mehr wöchentlich neue Artikel geben, Veröffentlichungstag bleibt aber dennoch der Mittwoch. Da gibt’s dann entweder wie gewohnt frische Gedankenrohkost oder aber etwas Recyceltes – ihr wisst schon, wie Reste-Kochen. Man macht aus dem, was da ist und zu gammeln anfängt irgendwas, bei dem keiner das abgelaufene MHD schmeckt. 

Zu Deutsch: ich krame einen alten Artikel heraus, hübsche ihn bei Bedarf ein wenig auf und versuche ihn noch einmal unter die Leute zu bringen. 

Vielleicht fällt er so Menschen vor die Newsfeed-Füße, die genau diesen einen Blogpost noch nicht kannten, weil sie sich eben noch nicht durch die unendlichen Weiten meiner Geistesleere gekämpft haben. Oder aber ihr macht es wie ich und lest einfach nochmal. Weil’s schön ist. Übrigens bleibt bei Facebook alles beim Alten, hier gibt es weiterhin den Untertitel zu allen Live-Alltags-Absurditäten. Und noch was bietet Beständigkeit: Tippfehler, Kommas und all die anderen charmanten Echtheitszertifikate.

Jetzt hab ich in einem Artikel, der verglichen mit dem Rest meines "Werkes" eher wenig Story aber dafür umso mehr Botschaft besitzt, knapp 1800 Wörter verbastelt. Und ihr habt genauso viele Wörter gelesen. In der Zeit hättet ihr übrigens auch was Interessantes, Informatives oder Lehrreiches lesen können. Und ich hätte etwas ebenso Interessantes, Informatives und Lehrreiches schreiben können. Haben wir aber nicht. Deswegen mag ich bloggen.

An dieser Stelle bitte drei Kreuzchen 
und eine "Frau Müller"-Unterschrift
mit Herzchen an Stelle der Ü-Striche vorstellen. 
Ich weiß nicht wie das geht. 
Bin doch Grafik-Hauptschüler.

So und jetzt rüber zu Facebook 

Damit ihr diese „Unfucking Fame“-Party nicht verpasst.

2 Kommentare:

  1. Ich bin leider erst seit kurzer Zeit auf deinen Blog aufmerksam geworden und daher auch noch nicht so lange Stammleser, ich habe noch so einiges an Stoff nachzuholen, wie mir scheint. Herzlichen Glückwunsch zum erfolgreichen Jubiläum, mögen es noch viele weitere werden.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Gaaaanz lieben Dank. Na dann passt es doch auch ganz gut, dass ich plane ein bisschen in der einjährigen Mottenkiste zu kramen ;-) Irgendwann kennst du dann wirklich alle Abgründe :))))
      GlG
      Frau Müller

      Löschen