Lehrer sind auch nur Menschen. Und nicht jeder trifft sich abends mit Kolleginnen abwechselnd zum Nordic Walking oder zum Fortgeschrittenenkurs in Seidenmalerei. Ich denke ich bin das Kuckucksei im Lehrerzimmer. Etwa wie ein Veganer, der ausversehen Metzger geworden ist oder ein Pilot mit Höhenangst. Oder wie eine Franzi van Almsick, die immer wieder vom Schwebebalken fällt weil sie noch nie jemand ins Wasser geschubst hat.

Mittwoch, 12. Oktober 2016

Gargamel und die Sache mit dem Gold: Wer ist diese Frau Müller eigentlich

Dieser Artikel ist so etwas wie der letzte ungedrehte Teil der StarWars-Filme 
(Ich seh' die Fans vor meinem inneren Auge mit der flachen Hand gegen ihre Stirn schlagen - keine Ahnung ob das jetzt passt aber spielt das Ganze nicht irgendwie rückwärts? Ich hörte davon. Also der neue Film zeigt jeweils, was vor dem letzten passierte? Warum? Wieso macht man sowas? Ist das wie beim Einkaufen, wenn man erstmal alles was lecker aussieht in den Wagen packt und dann zu Hause keine Ahnung hat was man aus Wirsing, Vanilleeis und Halloumikäse kochen soll? Und dann kommt doch irgendwas meeega-kreatives total experimentelles aber absolut innovatives raus?) 
Worauf ich hinaus wollte: der heute aufgewärmte Artikel ist quasi der Nullte. Er enthält alle notwendigen Informationen, die man bei seriösen Bloggern unter dem Button "Über mich" zu finden erhofft...
 

Mit Anfang 30, einem Herrn Müller, dem großen und dem kleinen Müller, einem Häuschen im Dorf, meinem Kleinstadt-Lehrerjob und Gallensteinen bin ich niemand besonderes.  Zumindest statistisch gesehen. Warum mache ich das Ganze hier und erwarte ernsthaft, dass Leute sich für das, was meinem vom Standard-Alltags-Wahnsinn  gebeutelten Hirn entspringt, interessieren und es im besten Falle sogar noch irgendwie unterhaltsam finden?


Wer sich sowohl über die antiquierte Unterrichtsmethode als auch das futuristische Outfit der Pädagogin im Bild wundert, der möge HIER klicken.

Man muss heutzutage auf einen Therapieplatz beim Psychologen sehr lange warten. Ich spreche da aus Erfahrung. Das Erstellen eines Blogs dauert dagegen nur wenige Minuten. Bei mir etwa 20, davon entfallen 10 Minuten auf Einfügen, Platzieren und Auswählen von Inhalten und 10 Minuten auf vorheriges Schimpfen auf unübersichtliche Schaltflächen mit unverständlichen Anglizismen inklusive ausgiebiger Selbstbemitleidung.

Die Medien sind voll von Katzenmüttern die Hundebabys adoptieren, Menschen die Bäume heiraten und schrecklich unerwarteten Skandal-Scheidungen von vielversprechenden Promi-Paaren samt tragisch-multikultureller Großfamilie. Ich behaupte vor diesem Hintergrund mein Leben hat keinen geringeren Unterhaltungswert. 

Auch wenn ich die meisten meiner Nachbarn nicht leiden kann (ich wäre nicht überrascht wenn das irgendwie auf Gegenseitigkeit beruht), interessiere ich mich für ihr Leben. Ich beobachte und führe gedanklich Indizienprozesse bei ungewohntem Verhalten hinter dem Gartenzaun. 

Wir interessieren uns für das Leben um uns herum, deswegen haben wahrscheinlich Realitiy-Dokus ähnlich hohe Einschaltquoten wie TerraX. Die Tür nebenan ist wie das Universum jenseits der Milchstraße, unerforscht, geheimnisvoll und rätselhaft. Was da passiert ist so abseitig-alltäglich, dass es unser eigenes Leben sein könnte: zwischen Chefbüro, Elternabend und Swingerclub.

Nun gehören Lehrer zu einer Berufsgruppe, die in den letzten Jahrzehnten wahrscheinlich wie keine andere an Ansehen verloren hat. Meine Mission ist es nicht das Image aufzubessern. Ich mag meinen Job selbst oft nicht, eine  Betrachtungsweise aus meinem Blickwinkel ist einer „Pro-Image-Kampagne“ wahrscheinlich nicht gerade zuträglich. 

Ich werde gelegentlich Erlebnisse aus meinem Job – oder wie ich gerne sage: dem „Planet der Affen“, „Mordor“ oder "Absurdistan" - zum Blog-Inhalt machen, wegen der Mülleimer-Funktion. Das Ganze wird aber weder pädagogisch noch irgendwie hochwertig bildungspolitisch.

Um die Hintergründe später zu verstehen: Ich bin kein richtiger Lehrer. Ein Vater sagte einmal im Elterngespräch: „Wenn meine Tochter einmal groß ist wird sie Lehrer. Kein Richtiger! So einer wie sie!“
Korrekt heißt es Förderschullehrer. Meine besondere Freundin Sarah sagt „Kloppi-Lehrerin“, ich selbst vergleiche meine Arbeit gerne mit der Rolle Gargarmels bei den Schlümpfen. Der versuchte auch unermüdlich aus den kleinen blauen Kerlen Gold zu machen. Geschafft hat er es nie. 

Ich habe mal flüchtig jemanden kennengelernt der mir erzählte, er habe während seines Medizinstudiums festgestellt, dass er kein Blut sehen kann. Für mich war das eine Schlüssel-Begegnung. In dem Moment habe ich erkannt, dass ich Kinder eigentlich nicht leiden kann. 

Für meine Berufswahl kam die Erkenntnis zu spät. Jetzt bin ich an einem Punkt angelangt, an dem ich feststellen muss, dass meine einzige ernstzunehmende Kompetenz bei der Berufsorientierung die Fähigkeit ist blödes Zeug zu erzählen. Also bleibt mir nur der Lehrerberuf. Und Blogger. 

Ich kann zwar ein ehrliches Examen vorweisen, im beruflichen Alltag fühle ich mich jedoch oft wie der Gerd Postel der Dienstberatung und agiere nach dem Motto „Überzeugen bei völliger Ahnungslosigkeit“. 

Zusammengefasst: ich hätte damals auf den Rat meines Vaters hören sollen, der meine Entscheidung zur Berufswahl wie folgt kommentierte: „Warum willst du denn Lehrer werden? Lern doch erstmal was richtiges, Lehrer kannst du später immer noch werden.“

Jeder von uns kennt folgende Szene möglicherweise aus Filmen. Ein stark übergewichtiger Mann in den Sechzigern erleidet auf einem Transatlantikflug eine Herzattacke. Die Stewardess ruft dramatisch in die Sitzreihen: „Ein Arzt? Ist hier ein Arzt an Bord?“. Ein attraktiver Mitdreißiger springt auf und rettet ganz unerwartet per Notoperation das Leben. Die Fluggäste applaudieren für den Helden. 

Ich träume die Szene anders: auf dem Billigflug nach Palma dutzt der neunjährige Kevin die Stewardess, besteht auf die Trovatos im Bordfernsehen, protestiert 45 Minuten lautstark weil es kein Bordfernsehen gibt und spült seine Schuhe aus Protest die Bordtoilette runter. Die Eltern zocken unterdessen illegalerweise Candycrush auf dem Smartphone. Die Stewardess ruft: „Ein Lehrer. Ist hier ein Lehrer an Board?“ Ich mache mich ganz klein in meinem Sitz, halte meinen ausgestreckten Zeigefinger vertikal vor meine gespitzten Lippen und schaue meine Kinder drohend mit aufgerissenen Augen an. Dann wache ich schweißgebadet auf.

Meine mangelnde innere und äußere Identifikation mit meinem Beruf provoziert bei neuen Bekanntschaften verschiedenste Reaktionen auf die Offenbarung, womit ich mein Geld verdiene. Sie reichen von lautem Lachen über „Echt jetzt? Du verarschst mich doch!“ bis hin zu betroffenem Schweigen und dem „Sicher-nicht-einfach-also-ich-könnte-das-nicht“-Standard-Spruch.

Also kein Lehrer-Blog, um Himmelswillen - das tue ich keinem Leser an! Ich kann Lehrer selbst nicht leiden. Ein ICH-Blog. So etwas wie der Boden meiner Lebenshandtasche. Frauen, wissen was ich meine.

Weil ich nun mal Lehrer geworden bin -jetzt ist es zu spät, der Aufwand ist zu groß um nochmal von vorn anzufangen- werden die Blinkies oder Herbstaffen, wie ich die mir anvertrauten Schülerpersönlichkeiten intern gerne nenne,  hier gelegentlich eine Rolle spielen. 



Da fällt mir auf: hatte ich euch eigentlich erzählt, WIE es zur Bezeichnung Herbstaffen kam? Vielleicht in einem dieser vielen kleinen Facebookposts, sozusagen dem täglichen Absurdistan-Stroboskop bei Social Media? Für alle die es verpasst haben, hier die Wiederholung. Ich muss allerdings zu meiner Schande gestehen, dass ich nicht mehr weiß, welchen Decknamen ich der betreffenden Schülerin damals gab. Es war sicher eine Chantal. Es KANN nur eine Chantal gewesen sein.

Wir sammeln also im Deutschunterricht der fünften Klasse Herbstwörter an der Tafel. Um den in ihrem Wortschatz stark eingeschränkten Schülern ein Vorankommen zu erleichtern, gebe ich Hilfen:

Frau Müller: "Welches Tier ist denn typisch für den Herbst?"
Chantal: "Affe!"
Frau Müller: "Na, überleg nochmal." (Ich bin meistens ein geduldiger Mensch)
Irgendjemand kommt schließlich auf Igel und wir gehen zu den Adjektiven über.
Frau Müller: "Welche Farben sind den typisch für den Herbst?"
Chantal: "Blau!"
Chantal bemerkt meinen resignierten Gesichtsausdruck und möchte mir eine Freude machen: 
"Ach nee, nee, nee! LILA!"

Wenn ich nun aber, nachdem ich täglich gut acht Stunden Lehrer bin, auch noch meine Freizeit damit verbringe, ausschließlich darüber zu schreiben, wie mein Leben als Lehrer ist, dann wäre das schon wieder ziemlich typisch Lehrer. Also verzeiht mir bitte, wenn ich gelegentlich bis öfters mal, auch um ein möglichst breites sozio-voyeuristisches Spektrum abzudecken, meine Gedanken und Ansichten jenseits der Anstalt in Schachtelsätze verpacke. Wo wenn nicht hier werde ich die netten Erlebnisse von sektenähnlichen Vertriebsfeiern, Schwulenpartys oder einer Bordellbetriebsführung los? Zur Kaffeepause im Lehrerzimmer sind Rentner mit Diarrhoe und meine Vierecksbeziehung thematisch nur bedingt geeignet...  
Aus Schlümpfen wird nie Gold und aus einer Katze kein Einhorn

So und wer es bis jetzt noch nicht getan hat, 
und der Müllerin ein Like samt Abo da lassen.
Dann könnt ihr mich nächstes Mal vielleicht
dran erinnern, 
welche Decknamen ich den einzelnen
Schülerindividuen verpasst habe.

8 Kommentare:

  1. Danke dir. Das liest man gerne und macht Lust zum weiterschreiben
    LG

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  2. Ich bin heute Abend in Deinen Blog gestolpert, irgendwie, irgendwo in Facebook.

    Drei Beiträge habe ich schon gelesen, jetzt koche ich mir einen Tee und dann lese ich weiter hier. Zu schön geschrieben, auch für Menschen, die selber keine Kinder haben und schon gar keine Lehrer sind. Das ist beste Unterhaltung hier!

    LG Thomas

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    1. Lieber Thomas,
      vielen Dank für's Kompliment und vor allem noch viel Spaß hier. Ich denke, genau solche Leser wie dich wünsche ich mir hier. Leute, die lesen, weil sie vor allem meine Art mögen. Da ist das Thema zweitrangig. Vor allem freu ich mich, dass du dich bis zu Gargamel vorgearbeitet hast ;-)

      LG
      Susann Müller

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  3. Da les ich schon eine Weile (ein paar Monate, immer wieder mal) hier herum und bin erst jetzt, auf Umwegen, über diesen Eintrag gestolpert. Ach deswegen ^^ Ich bin kein Lehrer (auch keinen Lehrerin), ich mag eigentlich auch keine Kinder (habe selber auch keine) und bekomme doch immer wieder mit ihnen zu tun, jetzt aktuell als vor einem halben Jahr frisch eingestiegene Berufseinstiegsbegleiterin. Eigentlich bin ich Landschaftsgärtnerin mit einem hinterhergeschobenen Studium der Landschaftsarchitektur. Hat mich auch nicht gerettet. Wie war das? Überzeugen trotz absoluter Ahnungslosigkeit? Es wird spannend. Ich werd mich dann weiterhin ab und zu bei Deinen Beiträgen erholen ;)

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    1. Oh, das freut mich immer besonders, wenn jemand nach so langer Zeit auf die alten Einträge stößt. Und eigentlich ist dieser ja auch so wichtig. Ich muss den mal irgendwie weiter nach vorne räumen. Wie damals an der Tankstelle, da hab ich beim Regale einräumen gelernt: das Neue immer hinten ran.
      Wie auch immer, ich könnte mir vorstellen das Bäume, Steine und Sträucher um einiges sympathischer sein können als Kinder und ihre Eltern...
      LG
      Frau Müller
      (das du mein Lehrerzimmer zu deiner Wellnessoase machst finde ich schon ein starkes Stück :)))))

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  4. Liebste Frau Müller!

    Ich lechze, seit ich Deinen Blog gefunden habe, nach mehr! Nur darf ich, wie eine der Vorrednerinnen, keinen Tee dabei trinken. ich würde ihn allzu häufig über die Tastatur spucken! Es ist einfach herrlich, nachvollziehbar und so genial was und wie Du schreibst!

    Dankeschön! Martina :-)

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    1. Und wieder eine, die zum Glück meinen "Wer bin ich eigentlich und was mach ich hier"-Artikel entdeckt hat ;-)
      Danke für's Lesen und Lechzen, liebe Martina. Ich geb mir Mühe entsprechend nachzulegen ...
      LG
      Frau Müller

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