Lehrer sind auch nur Menschen. Und nicht jeder trifft sich abends mit Kolleginnen abwechselnd zum Nordic Walking oder zum Fortgeschrittenenkurs in Seidenmalerei. Ich denke ich bin das Kuckucksei im Lehrerzimmer. Etwa wie ein Veganer, der ausversehen Metzger geworden ist oder ein Pilot mit Höhenangst. Oder wie eine Franzi van Almsick, die immer wieder vom Schwebebalken fällt weil sie noch nie jemand ins Wasser geschubst hat.

Mittwoch, 29. November 2017

Wie Gott das Meerschweinchen erschuf... Pietro und ein Fiat Multipla

Warum also heute Gott und die Meerschweinchen? Mit der Daseinsberechtigung für diesen Artikel ist es wie mit vielen meiner Unterrichtsmethoden: erstmal machen, ich werd schon merken wofür es gut war. 
Ich wills mal so versuchen: nach dem wirklich anspruchsvollen und gesellschaftskritischen Artikel von letzter Woche, ist es in dieser Woche mein Ziel euch eher seichte Unterhaltung zu bieten. Für's Leserhirn entsteht dadurch eine geistige Kneippkur. Die Bedeutung von gestärkten Abwehrkräften in jedweder Hinsicht ist in heutigen Zeiten nicht zu unterschätzen.

Für mich selbst hat das Schreiben eine kathartische Wirkung. Ich hatte heute ein überaus angenehmes (nicht) 45minütiges Elterngespräch am Telefon mit einem türkischen Vater, der seinen Termin platzen ließ indem er uns als Schule direkt überging und seine Absage zur Teilnahme am Gespräch direkt ans Ministerium richtete. Beratungs"gegenstand" war sein zwölfjähriger, in Deutschland geborener Sohn mit 70er-IQ, für den der Vater erst eine Integration in die DAZ-Klasse erstritt und nun Fachanwälte und diverse Ministeriumsmitarbeiter bemüht, dem Sohnemann auch den Realschulabschluss zu ermöglichen. Ihre pädagogische Fachkompetenz in allen Ehren, aber sie sind EINE FRAU! Außerdem sichert ihr Bildungsminister den Eltern dieses und jenes zu... blablabla..
DESWEGEN MEERSCHWEINCHEN!!!!


Ich bin kein gläubiger Mensch. Meine Berührungspunkte mit der Kirche beschränken sich auf die als Kind in der sogenannten Christenlehre gesammelten Erfahrungen. Es handelte sich um eine Veranstaltungsreihe zur Aufzucht folgsamer Schäfchen, welche ich nur besuchte um „dazuzugehören“. Mit vierzehn fing ich an zu rauchen. Aus demselben Grund. Glücklicherweise erkannte ich bei beiden Versuchen rechtzeitig, dass es die Sache nicht wert war. 

Ganz um die Gotteshäuser komme ich dank meiner lieben Familie nicht drum herum, seien es jetzt Geschwister, die unbedingt einen Gottbrauchen, der ihr Eheversprechen bezeugt oder auch meine eigenen Kinder, deren Schulen die Kirche ständig als Austragungsort für Veranstaltungen nutzen, denen man ungern fern bleibt, wenn man als Mutter ein Restgewissen hat.

Mein Wissen zur biblischen Geschichte ist eine Mischung aus Allgemeinwissen, Erinnerungsfetzen aus den oben bereits erwähnten Bibelstunden sowie bunten Illustrationen aus einem Buch, das die Zeugen Jehovas meiner Oma einmal geschenkt hatten und aus dem sie mir gerne vorlas. Ich mochte das Buch sehr wegen der schönen Bilder und ich mochte auch die Zeugen Jehovas. Weil ich in der Zeit, während diese Frauen in knöchellangen Bundfaltenröcken bei meiner Oma auf der Eckbank saßen, immer im Wohnzimmer fernsehen durfte.  

Wir wissen heute dank findiger Forscher und nicht zuletzt gesundem Menschenverstand, dass dieser ganze Firlefanz nicht mehr als ein Märchen ist, welches erfunden wurde um Erklärungen für bis dahin Unerklärliches zu liefern und genau deshalb auch so gehyped wurde. Gott erschuf die Welt und ihr ganzes Drumherum in sieben Tagen. Das heißt genauer gesagt in sechs, denn am siebten Tag feierte er sich ja für sein Werk. Ich weiß nicht was es über mich und die Sache insgesamt aussagt, dass ich mittlerweile fünf Minuten brauche um aus vier Teilen in einem Ü-Ei ein Mini-Auto zusammenzusetzen, jedenfalls macht das alles Gott für mich nicht unbedingt glaubwürdiger. Vielleicht hätte man Gott engagieren sollen um den BER zu bauen.

Wie auch immer. Die Schöpfungsgeschichte ist also Käse. Evolution ist da schon einleuchtender. Aber- und jetzt kommt es: Welche Rolle spielt das Meerschweinchen dabei? Ich meine, schaut euch mal ein Meerschweinchen an. Was hat sich die Natur gedacht??? Da ist nix fertig dran.

So aufgeklärt ich auch bin, so viele Stunden ich auch in den Tiefen meines gesunden Menschenverstandes und jenseits des Tellerrandes gesucht habe: ich finde keine weltliche Erklärung für die Existenz von Meerschweinchen. Und da Menschen nun mal dazu neigen, erfinderisch zu werden wenn sie sich etwas nicht erklären können, entwickelte ich folgende Theorie:

Gott saß am sechsten Tag in Jogginghose und EMP-Hoodie an seinem Fliesentisch. Neben ihm stand ein großer Plastikeimer, in dem einmal Kartoffelsalat aus dem Großmarkt war. Der Heilige Vater mochte den Convenience-Fraß. Ein Mann mit seinem Terminkalender hatte eben wenig Zeit zum Kochen. In diesem Gefäß hatte er also am Morgen ein Gemisch aus Bauchnabelflusen, Smegma und den Neigen des Bierkastens vom letzten Silvester hergestellt. Seit dem späten Vormittag hockte er in seinem abgeranzten Ledersessel und formte ein Tier nach dem anderen während er Reality-Dokus schaute. 

Als er am späten Nachmittag endlich dabei war, Adam und Eva zu modellieren, lief im TV gerade Berlin – Tag und Nacht. Gott betrachtete sein Werk während er sich seinen Sechstagebart nachdenklich kratzte. Er war frustriert, machte sich einen Kaffee und ging erstmal eine rauchen. Als er in seine Sitzkuhle zurückkehrte, fiel sein Blick auf die Reste der bildbaren Masse im Kartoffelsalateimer. Er seufzte. Sein Kopf war leer und seine Motivation am Boden. 

Adam und Eva sollten die Krönung seines Tagwerks werden, waren aber eine einzige Enttäuschung. Adam gab kaum zwei Minuten nach seinem ersten Atemzug seiner Eva einen neckischen Klapps auf den von Gott geformten Hintern und fragte sie zärtlich in ihr Ohr flüsternd, was es heute zum Abendbrot gibt. Eva fühlte sich nur ganz kurz in ihrer weiblichen Ehre verletzt und schmierte ihrem Adam ein mit Gewürzgürkchen garniertes Leberwurstbrot nachdem er sie bei Facebook auf irgendeine Lebensweisheit zum Thema Liebe markiert hatte. 

So kratzte der Heiland gelangweilt den Eimer aus, schnaubte verächtlich und knetete lustlos auf dem Klumpen organischem Playdoh herum. Er formte etwas, das aussah wie ein Alf. Nur die Proportionen stimmten nicht. Hätte Gott an dieser Stelle aufgehört, dann gäbe es heute zumindest eine vernünftige Erklärung für Pietro Lombardi. Leider ploppte just in diesem Moment eine Meldung seines CandyCrush-Accounts auf dem Display des heiligen Smartphones auf. Und so pfefferte der Allmächtige den Pietro-Alf-Prototyp in die Ecke genau zwischen Klappwäscheständer und der schweren Eichenholzanbauwand mit den Schnitzereien aus dem Secondhand-Kaufhaus. Und dort vergaß er ihn beim Zocken. 

Durch den Luftwiderstand auf der Flugbahn zwischen Gottes Hand und der staubigen Nische bildeten sich vier rudimentäre Beinchen und zwei ebenso nicht ernstzunehmende Ohren. Das Meerschweinchen war erschaffen. Die Geräusche, die das Meerschweinchen seine Stimmer nennt, hatte es sich immer dann von Eva abgehört, wenn Adam ihr mit seinem Leberwurstatem am Ohrläppchen knabberte…
Rechts: Gudrun  - links: keine Ahnung. Jedenfalls sind Gudrun die Meerschweinchen auch suspekt!
Gott und ich, wir sind - was unkonventionelle Ideen angeht - vom selben Schlag. Nachdem er das Meerschweinchen zwischen all den Wollmäusen und Fusselbällchen in seiner unaufgeräumten Junggesellenbude erst viel zu spät entdeckte und nach einer geeigneten Methode sann, seinen Fehler auszumärzen, erschien ihm eine Sintflut als das einzige sinnvolle Mittel. Schwimmen konnten diese Filzeier mit ihren winzigen Extremitäten unmöglich und ihr Fell würde sie nach unten in die Tiefe ziehen wie einen Frotteewaschlappen in der Badewanne.  

Wie es nun aber leider typisch ist für die Kommunikation zwischen zwei Männern, vergaß Gott Noah bei dem Befehl zum Bau einer Arche und dieser ganzen Viecher-Sammelei über seinen Meerschweinchen-Vernichtungsplan zu informieren. Es ist jedoch leider nicht überliefert, ob es auf die herkömmliche Art überlebte oder es einfach nur Glück war, dass Noah kurz vor Einsetzen des reinigenden Regens einen wirklich gut recherchierten Artikel über Vegetarismus im Spiegel las.

Was in den darauf folgenden Jahren bis zur Gegenwart geschah entzieht sich meiner Kenntnis ebenso wie sich die Spezies Cavia porcellus den Prozessen der Evolution entzog und daher heute noch die Handschrift eines Schöpfers an der Schwelle zum Burnout trägt.
 
Ich glaube übrigens, dass der Fiat Multipla auf eine ganz ähnliche Weise wie das Meerschweinchen entstand. DAS allerdings ist eine andere Geschichte…

Nun sind die Meerschweinchen endlich raus aus meinem Kopf. Was ich mit der noch übrigen Zeile "Jesus war ein Lehrerkind" anfange, weiß ich noch nicht so genau. Aber ich bin zuversichtlich...

Lehrerkinder - egal ob
irdisch oder himmlisch - 
FACEBOOK. Meerschweinchen
eher nicht so. Dafür aber
Gudrun und ihren Bruder. Und die 
restlichen Kuckucksmenschen. 
Husch, ein LIKE da lassen. 
 

Mittwoch, 22. November 2017

„Frau Müllaaa, ich muss mal pullern!“ – Zwischen Bildungsmisere, häufigem Harndrang und Arschlöchern in verschiedenen Größen



Auch für diesen Artikel habe ich auf Recherche im engeren Sinne verzichtet. Es handelt sich um meine Erfahrungen, auf deren Grundlage ich mir getraut habe, eine Meinung zu bilden. Personen, denen diese Meinung nicht gefällt, dürfen mir dies gerne mitteilen oder vom x in der rechten oberen Bildschirmecke Gebrauch machen...

Ein Zehnjähriger fragt den Lehrer wenige Minuten nach Unterrichtsbeginn, ob er zur Toilette dürfe. Der Lehrer verbietet den Gang zum Klo, woraufhin der Junge einpieschert. Von Lehrer, Klassenkameraden und Schulleiter wird das Kind gerügt und sogar ausgelacht. Es folgt eine dreiwöchige Krankschreibung des Jungen sowie eine Anzeige durch die Mutter gegen den Pädagogen. (So passiert kürzlich im Süden Deutschlands und von diversen Medien ausführlich besprochen)

Ohne Zweifel, in diesem Fallbeispiel ist einiges schief gelaufen. Wir wissen nicht, ob der Junge psychische oder organische Probleme hatte – ebenso wenig wissen wir das vom Klassenlehrer, den Mitschülern, dem Schulleiter, dem Arzt oder gar der Mutter. In seinem Verlauf ein unglücklicher Einzelfall, die Diskussion zum Problem jedoch ist ebenso uralt wie haarsträubend und steht für mich sinnbildlich für den Ursprung unseres Bildungsproblems.

Der Umstand, sowohl Lehrerin als auch Mutter von schulpflichtigen Kindern zu sein, sorgt zwar für ein fast unmenschliches hohes gefordertes Maß an Interaktionsfähigkeit mit anstrengenden Eltern und nötigt mir die Anwesenheit auf viel zu vielen Elternabenden pro Schuljahr ab, ermöglicht mir aber zugleich bei der Pipi-Diskussion einen Standpunkt einzunehmen, der irgendwo zwischen Schwarz und Weiß liegt - ganz im Gegensatz zum Standpunkt mit Nullradius vieler Mütter und anderer Menschen mit viel Meinung aber wenig Ahnung.

Fakt ist, dass ein Lehrer, der verantwortlich dafür ist, dass sich mein Kind in die Hose macht und es vor allem dann noch vor der Klasse bloß stellt, auch von mir äußerst unangenehmen Mutterbesuch bekommen würde. Das steht fest.

Fakt ist aber ebenso, dass die Fähigkeit, Bedürfnisse aufzuschieben und sich an Tagesstrukturen anzupassen, eine Grundkompetenz bei Schulanfängern darstellt. Dass einige Erstklässler das noch lernen müssen ist völlig klar. 

Nicht jeder wird im späteren Leben Freiberufler. Es reicht schon Lehrer zu werden, um nicht täglich die Chance zu haben zwischen 8 und 12 Uhr zur Toilette zu gehen oder gar etwas zu essen. Von Kassierern, Fabrikarbeitern oder Berufskraftfahrern reden wir gar nicht erst.

Vor einiger Zeit unterrichtete ich probeweise eine Gruppe Vorschüler für ein paar Tage. Zum Unterricht, einer Art Beobachtungs- und Diagnosephase, gehören auch standardisierte Testverfahren, bei denen Instruktionen und Testbedingungen wichtig sind um Ergebnisse später objektiv verwerten zu können. Mitten in einer Aufgabe beschließt einer der Sechsjährigen plötzlich ganz dringend pullern zu müssen und weil Harndrang genauso ansteckend wie Gähnen ist, müssen plötzlich fünf von sechs Kindern. Um die Aufgabe zu beenden, hätte ich noch zwei oder drei Minuten gebraucht. Natürlich hab ich alle sofortgehen lassen. Das Ganze hat mich gute zehn Minuten gekostet, inklusive Öffnen und Schließen diverser Reißverschlüsse und Hosenknöpfe sowie der Suche eines Verschollenen, der den Weg zurück vom Klo zum Klassenzimmer nicht fand. Die Testergebnisse sind streng genommen nicht verwertbar. Aber das nimmt man eben in Kauf um Pfützen und Anzeigen zu vermeiden. Die Kinder kamen direkt aus dem Kindergarten, dort geht man wenn man möchte. Halloo, ich bin kein Unmensch… .
  
Vor kurzem übernahm ich die Leitung einer ersten Klasse. Am ersten Tag meldet sich Ronny eine Viertelstunde nach Beginn der zweiten Stunde: „Duuuu, kannisch ma bullrn gehn?“, noch bevor ich antworten kann, ruft einer seiner Klassenkameraden „Ich aauuch!“ dazwischen und zusätzlich schnellen zwei weitere Hände in die Höhe. Ich antworte mit folgendem Vortrag: „Ihr seid jetzt in der Schule. Hier haben wir Pausen um zu essen, zum trinken und auch um auf die Toilette zu gehen. Daran solltet ihr denken. Versucht bitte auszuhalten so gut ihr könnt. Wenn es jemand gar nicht mehr aushält, dann fragt noch einmal, bevor es in die Hose geht.“ Ronny hat an diesem Tag nicht mehr gefragt. Und auch keiner seiner Mitschüler. In den Wochen nach Schulbeginn hat er es noch drei oder vier Mal versucht und immer die gleiche Antwort erhalten. Seine Hose ist trocken geblieben.

An dieser Stelle möchte ich, für alle denen das bisher entgangen ist, noch einmal erwähnen, dass ich an einer Förderschule arbeite. Ich lehne mich einfach mal so weit aus dem Fenster zu behaupten, dass man etwas, das bei den meisten Kindern mit oft umfassenden Entwicklungsstörungen und -verzögerungen funktioniert, doch eigentlich auch vom Durchschnittsgrundschüler erwarten kann.

In einer sechsten Klasse, welche ich einige Jahre leitete, versuchte sich ein Junge regelmäßig durch Toilettengänge vom Unterricht zu entziehen. Der Gute war und ist kein unbeschriebenes Blatt, aktuell ist er vom Unterricht suspendiert und schon damals eilte ihm sein Ruf voraus, unter anderem gerne unbeobachtet durchs Schulhaus zu tingeln und allerhand Kreatives anzustellen. In der zweiten Hälfte der Stunde fragte er, ob er zur Toilette dürfe. Natürlich durfte er nicht. Ich verwies ihn auf das baldige Unterrichtsende. Kurz vor Schluss bemerkte ich seinen wirklich gequälten Gesichtsausdruck und die wässrigen Augen. Um Schlimmeres zu vermeiden entließ ich ihn in Richtung Porzellanausstellung.

Dennoch höre ich immer wieder von Kollegen aus den kleineren Klassen, von größeren und kleineren verunfallten Geschäften vor Erreichen der rettenden Räumlichkeiten. Zum Glück hörte ich bisher nur davon. Selbstverständlich weiß ich, dass auch ich früher oder später an die Wechselsachen im Schrank ran muss.

Manche Blogger haben nicht nur Meinung sondern auch Ahnung. Und "wenige manche" können zusätzlich noch so wunderschöne T-Shirts mit Aussage machen. Coffeepotdiary kann das.
 
Zurück zur Einstiegsgeschichte. In der Kommentarspalte zum Artikel ging eine 21 jährige Kinderlose, die angab beruflich mit Paragraphen zu tun zu haben (Ich vermute, sie ist Rechtsanwaltsgespielin …äh… gehilfin.) auf alle los, die sich auch nur ansatzweise für die Lehrer und kritisch gegenüber der Reaktion der Mutter aussprachen. Paragraph X… Nötigung …Paragraph Y … Körperverletzung und so weiter und so weiter. Hüa, ihr Paragraphen, spürt ihr die Sporen!?

Eine Dame mit Wohnsitz im Glücksbärchiland warf mir vor, Kinder zu hassen und den Beruf verfehlt zu haben, nur weil ich behauptete, dass die Prinzen und Prinzessinnen nicht immer nur wollen weil sie gerade müssen. Und wie abfällig ist überhaupt der Ausdruck Prinzen und Prinzessinnen. Ja, wie abfällig ist das eigentlich? Fragt ihr Übermamis und Babybloggerinnen mit den Bauchzwergen euch das auch manchmal?

Hasse ich Kinder? Hasse ich Eltern? Hasse ich meinen Job? Hasse ich Menschen? Hm. Gute Frage. Ich hab das sicher schon mal so oder so ähnlich irgendwo geschrieben. Wahrscheinlich auch mehrfach. Auch wenn das die Kopfstimme oft aus vollster Überzeugung schreit, weiß die Bruststimme instinktiv, dass ich meine Arbeit vermutlich nicht zur tatsächlichen Zufriedenheit aller Beteiligten machen würde, wenn ich von generalisiertem Hass angetrieben werden würde.

Es ist vielmehr eine Art Kette. Eltern bringen mich dazu sie zu hassen, weil sie sich verhalten wie überhebliche Arschlöcher, die mir meine Arbeit erklären wollen und glauben, Paragraphen sind mehr wert als Entwicklungspsychologie, Konsequenz und Einfühlungsvermögen. Nicht selten produzieren Arschlocheltern Mini-Arschlöcher, die dem Lehrer mit der Erhabenheit eines 130cm großen Pablo Escobars gegenübertreten. Richtig, das bringt mich dazu manchmal Kinder zu hassen. Und dann eben „ganz manchmal“ auch meinen Job. Wer hat schon Lust auf einen Job, bei dem einen von Anderen ständig gesagt wird, wie man ihn besser oder überhaupt richtig macht. Überlegt noch jemand Lehrer zu werden? Nein? Warum denn bloß?

Als ich vor fast 30 Jahren eingeschult wurde, wäre keiner auf die Idee gekommen mit dem Lehrer eine Diskussion über Toilettengänge anzufangen. Beschissene Lehrer gab und gibt es – damals wie heute. Die neue Klassenlehrerin meines Bruders zum Beispiel, die den kleinen Kerl nach dem Umzug behandelte wie einen Aussätzigen – bis meine Mutter ihr die Müllerin machte. Oder die erste Lehrerin des großen Müllers, die ihm erst eine LRS und dann auch noch ADHS andichten wollte - bis der Schulpsychologe ihm einen überdurchschnittlichen IQ diagnostizierte. Statt sich damit auseinanderzusetzen, empfahl sie den Müllers einen Schulwechsel...

Wir brachten früher am Lehrertag Blumen mit zur Schule und ich möchte behaupten, dass aus den meisten von uns fähige Erwachsene wurden, denen die herkömmliche Struktur eines Schultags nicht geschadet hat. Keiner wäre auf die Idee gekommen, Lehrer unter den Generalverdacht des Machtmissbrauchs und Sadismus zu stellen. Nein, damals genossen Lehrer sogar noch eine Art Respekt und Ansehen. Nichts Übertriebenes. Nur das Gefühl, sich für seine Arbeit nicht rechtfertigen oder gar schämen zu müssen.

Dann passierte etwas, dessen Anfänge ich gar nicht genau beschreiben kann, weil ich zu diesem Zeitpunkt in den späten Neunzigern verweilte und Sonnenblumen an mein Loveparade-Kostüm nähte. Jedenfalls mussten Kinder plötzlich kleine Erwachsene sein, die ihre Grenzen selbst definieren durften und für die Erfüllung ihrer Bedürfnisse eigenverantwortlich sein sollten. Wie soll denn so ein Kind sonst später wissen was es will, wenn ihm der eigene Wille im Kindesalter abtrainiert wird. Es soll bitte spielen, essen, trinken, pullern, vermeiden und überhaupt machen was es will. Wo genau da die Grenzen bezüglich des Alters und dem, was eine Gesellschaft aushalten kann, sind – darüber lässt sich sicher streiten.

Versteht mich nicht falsch. Ich habe nichts gegen Fortschritt. Ich danke Gott für Pampers, bin froh dass weibliche Hysterie nicht mehr mit Stromschlägen oder gar Vibratoren behandelt wird und freue mich, dass bei Zahnschmerzen heute nicht mehr dieselben Methoden wie vor 200 Jahren angewandt werden. Ich halte es aber für falsch, alles was „alt“ ist sofort als „veraltet“ und damit als „falsch“ anzusehen. Logisch müssen wir kritisch bleiben, hinterfragen, uns weiterbilden und neue Erkenntnisse mit bestehenden Methoden abgleichen. 

Aber wir müssen uns auch revidieren können, spätestens dann, wenn die freie Entfaltung im Kindergarten in Gleichgültigkeit mündet und zur Folge hat, dass manche Schulanfänger noch nie mit Schere und Leimstift hantiert haben und Mütter mit der Kunstlehrerin diskutieren, weil es eben für den ansonsten perfekt gemalten Schneemann nur eine Zwei gibt wenn er grün und nicht weiß ist.

Entwicklungsforscher machen einen guten Job. Zweifelsohne. Ihre Arbeit ist wichtig. Aber das beste Rindfleisch nützt nichts, wenn der Hobbykoch es klopft wie ein Schnitzel.

Mamas, lest euren Kindern vor, lasst sie ohne Helm und Sicherungsseil aufs höchste Klettergerüst des Spielplatzes und vergesst ruhig mal das Hände waschen nach dem Rehe füttern aber bitte BITTE glaubt nicht länger, dass die Bereitschaft sich auch mal anzupassen und Regeln anzuerkennen oder die Fähigkeit sich auch mal unangenehmen Herausforderungen zu stellen etwas Schlechtes sind. Ihr erzieht sie sonst zu respektlosen und nicht belastbaren Jugendlichen, die den Satz des Pythagoras nicht kennen dafür aber die Nummer des Familienanwalts und die noch in der Ausbildung lieber krank feiern als bei Schneeregen mit dem Bus zur Berufsschule fahren, vor lauter Selbstverständlichkeit aber Homestories auf Snapchat posten.

Kürzlich schauten wir den dritten Teil von Fack ju Göhte im Kino – ein wenn auch stellenweise stark mit dem Stilmittel der Übertreibung garniertes Abbild unserer Bildungslandschaft. Warum hat sich das so entwickelt, fragt mich Sarah, ich meine wir waren auch manchmal kacke zu den Lehrern und hatten keinen Bock aber SO? 
Weil man vor ein paar Jahren glaubte, fähige Erwachsene zu produzieren indem man ihnen als Kindern suggerierte, dass ihre Individualität das kostbarste Gut ist. Das ist richtig und wichtig. Darüber sämtliche Grundkompetenzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu vernachlässigen oder gar als Schwäche zu betrachten, stellt sich spätestens jetzt als falsch heraus.

Kommen wir zum Abschluss nochmal zurück zum Pipi-Problem und die Debatte um den Umgang mit einem Grundbedürfnis, welche sinnbildlich für den kontroversen Wert schulischer Bildung und damit einher gehenden Regeln und Normen steht. Kinder verweichlichen, sie dürfen wann sie wollen alles was sie wollen und notfalls wird das mit richterlicher Gewalt durchgesetzt. 
„Meine Mama hat gesagt, du darfst mir das gar nicht verbieten.“ 
Bääääm. Danke Mama! Danke, dass sich unser pädagogisches Wirken so gut ergänzt. Danke, dass du mit deiner Rechtsbehelfsbelehrung dein Kind optimal auf die Schule vorbereitet hast. Danke.
Und Mäuschen, Prinz, Räuberchen oder Püppi: Hätte dir die Mama mal lieber gelernt, wie man sich Anforderungen stellt ohne zur Vermeidung aufs Klo zu flüchten, wie man Regeln und Standards des Zusammenlebens achtet und Bedürfnisse auch mal zumindest vorübergehend unterdrückt 
anstatt Misstrauen zu säen, gegenüber einer Person über deren beruflichen Erfolg auch ein Vertrauensverhältnis zwischen allen am Bildungsprozesse beteiligten entscheidet. 

Aber nein. Wir wünschen uns selbstbewusste Kinder, die wissen was sie wollen und ihre Ziele energisch verfolgen. Was wir bekommen sind Arschlöcher, die wahrscheinlich anderen schon mit 21 Jahren ihren Job erklären. Diese kleinen Arschlöcher wissen nicht, dass das Du hinter Frau Müller keinen Sinn macht aber sie wissen was ein Anwalt ist. Sie lernen nicht, dass es sich lohnen kann sich anzustrengen. Warum auch. Entweder macht‘s Mutti oder eben der Anwalt. 

Los geht's. 
Ich hab Lust mit euch zu diskutieren.
Wenn du Frau Müller 
dann heißt das nicht,
dass du mit dem Pipi machen 
bis zur Pause warten musst. 
Aaaber du verpasst nix mehr
im Lehrerzimmer.

Mittwoch, 8. November 2017

Klopf, klopf - Wer ist da? Ich bin's, der TOD (oder Isolde)

Wir befinden uns mitten im nasskalten, düstern und unsympathischen November - quasi dem Alexander Gauland unter den Monaten. Keiner will ihn, die einen trauern dem wie immer viel zu lahmen Spätsommer hinterher, die anderen sehnen sich Schnee und weihnachtlichen Lichterglanz herbei. Ein Monat, in dem nur noch die Ultras unter den Übermüttern ihre Kinder weg von der Konsole und hinaus in den Schlamm scheuchen.Den November muss man halt irgendwie überstehen.
Was passt also besser zu dieser tristen Stimmung als ein Post, der sich mit dem Sterben beschäftigt? Der heutige Artikel ist schon vor einer Weile entstanden, genauer gesagt zur Weihnachtszeit im Jahre 2016. Ein ernstes, vielleicht auch trauriges Thema, ein bisschen mülleresk interpretiert...

Es gibt wahrscheinlich nur wenige Orte, an denen Tragik und Komik so dicht beieinander liegen wie in Absurdistan, dem Ort meines täglichen pädagogischen Wirkens. Wenn zum Beispiel der stark übergewichtige Jason mit der dauerkrustigen Nase aus der dritten Klasse mit offenen Uralt-Turnschuhen in Größe 43 im Dezember ohne Socken und in Jeans, an welcher der Saum eine Handbreit über dem Knöchel endet, deren Beine aber so weit sind, dass sie auch meinen Oberschenkel locker umspielen könnten, über den Schulhof rennt, dabei mit seinen schmutzigen Wurstfingern eine stilisierte Waffe formt und Maschinengewehr-Geräusche nachahmend auf seine Mitschüler zielt, dann ist das tragisch. Sehr sogar.
Man hofft, dass Jason später nur dauerzockender Sozialleistungsempfänger wird und nicht worst case irgendein Krimineller, dessen Fahndungsfoto man im Fernsehen sieht und denkt: 'Dem hab ich früher beim Obstkörbchen kneten geholfen.'

Tragisch vor allem, wenn man die häuslichen Verhältnisse kennt, aus denen Jason stammt und schon einmal nach einem Elterngespräch die verbrauchte Luft im Beratungszimmer atmen musste oder den langhaarigen 2m-Vater im bodenlangen Ledermantel durchs Schulhaus röhren hörte. 
Aber es sieht eben auch lustig aus. Sehr sogar. Ein bisschen wie der Sohn von Samson aus der Sesamstraße, Bruce Willis zu Stirb-Langsam-Zeiten und Hagrid aus Harry Potter.  Wie? Drei Männer können zusammen kein Kind bekommen? Ich denke, so eins schon.

Einige Stunden der letzten Tage verbrachte ich jedoch an einem Ort, der von mir einen noch größeren Spagat zwischen beiden Stimmungen verlangte. Ich befinde mich im Zimmer des Alten- und Pflegeheims, das meiner Oma für ihre letzten Lebensjahre mit Demenz ein gutes Zuhause war. Demenz ist eine gemeine Krankheit, die für die Betroffenen und ihre Angehörigen früher oder später Einiges im Leben ändert. Dennoch sind die Szenen, welche sich mit fortschreitender Erkrankung zuweilen ereigneten, manchmal so tragisch wie komisch.

Wenn ich etwas durch meine Arbeit an einer Förderschule gelernt habe, dann dass es einem die Arbeit nicht erleichtert wenn man Tragisches immerzu fürchterlich ernst und als Last mit sich herumträgt. Ich mache meine Arbeit nicht schlechter, nur weil ich in Erwägung ziehe, mit meinem ausgeprägten Geruchssinn die Arbeitsmittel meiner Schüler bei "Wetten dass" zu erschnüffeln. Ich habe jenseits meiner Arbeitszeit und unter den abschätzigen Bemerkungen meiner Vorgesetzten an Beratungen und Supervisionen teilgenommen, die mir helfen sollten, Kindeswohlgefährdung bei einer Schülerin zu erkennen, die mich jedesmal wenn sie unter ihren speckigen schwarzen Haaren von ihrem Heft aufschaute an den fiesen Severus Snape aus Harry Potter erinnerte, weswegen ich mir immer ein Grinsen verkneifen musste. Und ich habe meine Oma nicht weniger lieb, wenn ich manchmal herzhaft über ihre eigene kleine Welt lache.


Jetzt sitze ich am Sterbebett meiner Oma. Während ich ihre Hand halte, fällt mir auf wie ähnlich sich Menschen am Anfang und Ende ihres Lebens sind. Egal ob gerade geboren oder mit einem gelebten Leben hinter sich: sie wollen nicht alleine sein. Sie halten die Hand, die man ihnen hinhält. Sie werden gefüttert und liegen in Windeln. Weil sie es nicht anders können. Und so wie sie sich ins Leben kämpften, so kämpfend verlassen sie es auch. Ob sie dabei gegen den Tod oder das Leben kämpfen, darüber lässt sich nur spekulieren. Genau wie Babys lächeln sie im Schlaf und als Beobachter lässt einen das mitschmunzeln und grübeln, was wohl "da oben drin" gerade vorgeht. 
Kaum ein Mensch käme auf die Idee ein hilfloses Baby mit seinen Bedürfnissen einfach alleine zu lassen. Und trotzdem sterben so viele alte Menschen einsam.

Ich bin mit dem bevorstehenden Tod meiner Oma im Reinen. Sie ist 87, hatte ein schönes Leben und war nie ernsthaft krank. Nach dem Abschied von ihrem Mann lebte sie ein paar Jahre allein.  Als die Demenz kam wurde das zu gefährlich. Der Umzug ins Heim war nicht einvernehmlich, trotzdem unvermeidlich und ist niemandem leicht gefallen.

In der Anfangszeit hatte sie Mühe die Rundumverpflegung zu realisieren, forderte sie doch ganz dringend noch Waschmaschine und Kühlschrank in ihrem Einzimmer-Apartment mit Schrankwand, Seniorensessel und Pflegebett. Wenn man sie fragte, was es zu Mittag gab antwortete sie oft: 
„Ach, ich hatte noch Kartoffelsalat da. Da hab ich mir ein Würstchen dazu warm gemacht. Aber bring mir doch mal ein paar Flaschen Sekt mit. Damit ich was da habe, wenn Besuch kommt.“

Na Oma? Was hast du heute so gemacht? - "Na ich war mit der Hausordnung dran. Du kannst dir nicht vorstellen wie der Hausflur aussah. Den ganzen Tag rennen die Kinder raus und rein und keiner putzt sich die Schuhe ab."
 
In ihrer Welt war alles wie damals. Vor der Demenz. Und vor dem Umzug. Nur die Nachbarn waren jetzt viel netter. Die brachten ihr nämlich jeden Nachmittag ein Stückchen Kuchen.
Schon wenige Wochen nach ihrem Einzug hatte die ehemalige eher menschenscheue Einzelgängerin eine beste Freundin gefunden. Die beiden liefen Hand in Hand die Flure entlang und teilten die Leidenschaft für Eierlikör und Kreuzworträtsel genauso wie ihre Abneigung gegen freudbetonte Gruppenaktivitäten. Beim Aufruf zum Seniorentanz bekamen die beiden das große Rennen. 

Nach dem Schlaganfall samt Krankenhausaufenthalt meiner Oma vor drei Wochen war Hilde verwirrt über das plötzliche Verschwinden ihrer besseren Hälfte. Während wir an ihrem Bett sitzen, öffnet sie fünfmal die Tür nur einen Spalt breit, um nachzusehen ob ihre Freundin noch da ist.
Die Schwester erzählt uns, dass Hilde auch am Bett sitzt wenn gerade keiner von uns da ist. Und dass Hilde wartet. Auf den Sommer. Wenn sie mit Oma im Garten wieder spazieren gehen kann.
Und so sitzen wir also, unterhalten uns im Flüsterton, schauen auf den Brustkorb der Oma unter dem Nachthemd mit Stehkragen und Knopfleiste, der sich unregelmäßig schwach hebt und senkt. Dazwischen immer wieder Stille, das Ticken der goldenen Pendeluhr an der Wand über dem Bett und immer wieder zuverlässig die Stimmen aus dem Pflegeheim-Off:

Ein fortwährend sonor gebrülltes „Schwester!“ 
Zwei Minuten später „Schweeeester!“ in scheinbarer Endlosschleife. 
Darauf immer die gleiche Antwort vom anderen Ende des Ganges – damenhaft zurückgebrüllt: 
„Halt die Schnauze. Halt doch endlich die Schnauze. Du hast doch schon dreimal geklingelt. Die Schwester hat schließlich auch noch andere Sachen zu tun. Schnauze!“ 
Und dazwischen die so verständnisvoll-genervt wie professionell-beschwichtigend klingende Schwester, nach der Herbert so vehement verlangt, acht bis zehn Stunden am Tag, sieben Tage die Woche: 
„Herbert, schrei doch nicht so. Ich muss mich auch um die anderen Leute hier kümmern.

Herbert ist erstmal ruhig. Man kann jetzt Isolde hören. Mit ihr hat sich meine Oma das Bad geteilt. Sie schreit: 
„Ich will hier RAUS. Die lassen mich hier nicht mehr raus. Jetzt helft mir doch endlich mal einer! Ich will hier RAUUS!“ 
Meine Mutter öffnet die Tür zum Bad im Durchgangsraum. Isolde rüttelt am Haltegriff der Dusche und schreit die Fliesen an.
Isolde war es auch, die Hilde für „bekloppt“ erklärte, weil sie nicht verstand, warum meine Oma plötzlich nicht mehr in ihrem Zimmer war.

Dann wird es wieder still im Zimmer und auf dem Flur. Mal sieht die Oma ganz entspannt aus. Einen Moment später zieht sie im Dämmerschlaf ihre Stirn in krause Falten und spitzt die Lippen. Was wohl hinter dieser Stirn vorgeht?


Draußen schimpft plötzlich wieder jemand. Meine Mutter sagt: 
„Horch, das ist die Waltraud. Der hat die Oma mal eine gescheuert.“ 
Waltraud hatte die zwei Freundinnen gehänselt und sich damit nach Ansicht der Oma eine ordentliche Backpfeife verdient. Und sie wäre nicht meine Oma, wenn sie sich nicht zu den Umsitzenden gedreht hätte mit den Worten:  
„Habt ihr was gesehen? Nein? Ich auch nicht.“

Einen Tag später scheint es der Oma wieder besser zu gehen. Abwechselnd flüstert sie vor sich hin oder schnarcht ganz laut. Isolde von neben an findet mal wieder den Ausgang vom Klo nicht und ruft. Als meine Mutter sie in ihr Zimmer bringt legt Isolde den Kopf an die Schulter der für sie Fremden und sagt: „Eine Gute bist du. So eine Gute. Ich tät dir ja ein paar Mark geben wenn ich was hätte. Aber ich hab doch nichts.“ 

Später wirkt die Oma plötzlich ganz ernst, unruhig und angespannt. Sie möchte uns was sagen. Wir gehen ganz nah an sie heran und sie flüstert uns „Ihr Deppen“  in die lauschenden Ohren. Dabei verzieht den Mundwinkel der ungelähmten Gesichtshälfte zu einem kleinen Lächeln. Sie sagt an diesem Vormittag noch viel mehr. Mal mit runzliger Stirn, mal mit feuchten Augen, mal mit diesem seeligen Gesichtsausdruck um die Lippen. 

Wäre ich nun ein besserer Begleiter für die letzten Tage meiner Oma gewesen, wenn ich mich mit übertriebener Ehrfurcht und einer Art gesellschaftlich aufoktroyiertem Respekt vor Alter und Tod gefürchtet hätte. Ist es das, was die Menschen von ihren sterbenden Angehörigen leider so oft fern hält?


Ich würde meinen Job auch nicht besser machen, wenn ich den Gedanken an all die vorgezeichneten Biografien meiner Schüler täglich mit nach Hause auf's Sofa nehmen würde. Ich würde ihn vermutlich sogar schlechter machen, wenn wir "schlecht" gleichsetzen mit "nicht so gerne", "entkräftet" und "halb so lange".

Ich muss nicht traurig und ernst sein. Das kann das Leben alleine schon ganz gut. 

Im FACEBOOK-Lehrerzimmer
macht das Leben eine Ausnahme. 
Schaut rein und gebt der verrückten Frau
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