Lehrer sind auch nur Menschen. Und nicht jeder trifft sich abends mit Kolleginnen abwechselnd zum Nordic Walking oder zum Fortgeschrittenenkurs in Seidenmalerei. Ich denke ich bin das Kuckucksei im Lehrerzimmer. Etwa wie ein Veganer, der ausversehen Metzger geworden ist oder ein Pilot mit Höhenangst. Oder wie eine Franzi van Almsick, die immer wieder vom Schwebebalken fällt weil sie noch nie jemand ins Wasser geschubst hat.

Mittwoch, 2. August 2017

Frau Müller und die heißen Eisen: Meine Chakren stemmen keine Hanteln!



Bloggen hat einen enormen Vorteil: unter dem Vorwand der Recherche gelingt es einem immer wieder, die absurdesten Aktionen als Recherche vor der Welt und sich selbst zu rechtfertigen. Und als guter Autor überschreitet man zuweilen seine eigenen Grenzen. Nur für die geneigte Leserschaft...

Vorweg: es gibt ja bestimmte Weltbilder, die Menschen nach ihren Elementen einteilen. Ihr wisst schon, Erde, Wasser, Luft und so. Mein Element ist Sofa. Bedeutet: Bewegung, egal wo, ist grundsätzlich nichts, zu dem sich mein Körper ganz von allein hingezogen fühlt. Jetzt nützt es ja nix, auch wenn ich Expertenmeinungen gerne selbstgerecht in Frage stelle: eines hat mich mein Leben mit dem Jojo-Effekt gelehrt – ganz ohne Leibesertüchtigung ist es schwierig den eigenen Körper in Stand zu halten.

Vor etwa zehn Jahren habe ich Yoga für mich entdeckt. Hier bitte, da habt ihr ein Klischee. Die Lehrerin macht Yoga. Für mich als Sofa-Mensch steht bei dieser Form sich zu bewegen, das Verhältnis zwischen Anstrengung und Effektivität genau im richtigen Gleichgewicht. Außerdem bin ich beim Yoga auch in der Gruppe mit mir allein. Wenn ich nicht möchte, muss ich mit niemandem reden. Wunderbar. Aber darum soll es hier nicht gehen.

Kürzlich überredete mich meine beste Freundin Sarah dazu, doch mal eine Probestunde in ihrem Fitnesskurs zu besuchen. Hm, denke ich: Hallo Tellerrand, dann mach ich das doch mal. 

„Komm doch mal mit zum Hot-Iron“ sagte sie immer dann, wenn ich an meinem Innenschenkelfett herumnörgelte.
„Muss ich da beide Arme und beide Beine gleichzeitig koordinieren? Das kann ich nämlich nicht!“ gab ich als Einwand zu bedenken.
„Nein!“, antwortete sie (ein bisschen hatte sie gelogen, wie sich im Nachhinein rausstellte). 
„Muss ich mich rhythmisch zu Musik bewegen? Das kann ich nämlich auch nicht!“ – der Kampf war noch nicht verloren.
„Nein!“ antwortete sie abermals und log erneut. 
„Okay, ich sag dir gleich: ich habe weder Kraft noch Ausdauer.“ Immerhin galt es, keine falschen Erwartungen zu schüren.
„Kein Ding, antwortete sie, du kannst ja langsam anfangen.“ Dabei rechnete sie nicht mit meinem Ehrgeiz.

„Ich hab dich mal zum Probetraining angemeldet“ war das nächste. Zwei Tage später saß ich schon auf dem Hinweg im Auto, verfluchte mich selbst für meine Entscheidung und fügte Fitnesskurse gedanklich meiner Liste der Orte hinzu, die Misanthropen meiden sollten. 
Der Fairness halber: es handelte sich beim Austragungsort weniger um ein Fitnessstudio im klassischen Sinne als vielmehr um irgendwas Eklektisches, zusammengesetzt aus Praxis, Physio und Mehrzweckraum. Also nix Ergometer und schweißschillernde Narzissten. Immerhin.
Als erstes zahlte ich 1,50€ für einen knappen Liter Wasser aus einem profanen Wasserhahn. Ganz schöne Preise für den Kubik-Liter Wasser haben die hier in der Nachbarkleinstadt. „Nein“, klärt mich Sarah auf, "das ist speziell gefiltert." Aaaaha. Der Verzehr von mitgebrachtem Wasser ist nicht gestattet. Ich kann mir das jetzt kaum erklären aber irgendwas wehrt sich in mir, das zu verstehen. Wie auch immer, wer schwitzt muss trinken und auch wenn die Probestunde kostenlos ist, das Wasser ist es nicht. Vielleicht kann ich ja ab morgen mit Tieren sprechen oder Farben schmecken. Ich gebe dem Zauberwasser eine Chance.

Während wir im gesellig-gesprächigen Grüppchen (ich nicht!) darauf warten, dass die Menschen, welche uns eine Stunde lang den gleich notwendigen Sauerstoff aus dem Trainingsraum geatmet haben, die Arena verlassen, höre ich von oben Trainergeschrei und Musik. Ich unterdrücke den Fluchtreflex erfolgreich. Das Gefühl ähnelt diesem "Was hab ich mir nur dabei gedacht" wenn die Achterbahn anfährt.

Man baut also auf: Steppdings, Matten, Hantelstangen, Gewichte – ein Equipment als würde man mit dem A-Team einen improvisierten Hubschrauber zusammenschustern wollen. Was dann folgt ist eine reichliche Stunde rhythmische Kniebeuge, Bankdrücken und anderes Hantelgefuchtel. Sarah neben mir mit riesigen Gewichten und diesen Handschuhdingern, die Gewichtheben professionell aussehen lassen und vermutlich ihre zarten Lady-Hände vor Schwielen schützen sollen.

Ich gebe zu: ich rülpse ab und zu laut, kann sehr ordinär fluchen, weiß wie man mit nem Fuchsschwanz umgeht, habe eine Wand unseres ehemaligen Badezimmers provisorisch gefliest und mochte noch nie Seifenopern aber wenn es um Hanteln – also Langhanteln – geht, dann bin ich eine Lady. Wenn mein Auftrag ‚Ölwechsel bei einem Traktor' gewesen wäre, dann hätte ich mich vermutlich genauso deplatziert gefühlt.

Das Tragen von Turnschuhen bei diesem Hantel-Popmusik-Inferno hat wahrscheinlich Gründe, die man spätestens versteht wenn einem das erste Gewicht über den  kleinen Zeh gerollt ist. Für mich - den überzeugten Yogi -  fühlt sich Leibesertüchtigung mit Schuhen an wie Sex mit Socken. Irgendwie nicht richtig.

Diese ganze Gewichte-Stemmerei findet zu allem Übel noch vor einem riesigen Spiegel statt. Klar. Ich geh zum Sport um meinen schwabbelnden Körper beim Schwabbeln zuzugucken. Das ist fast so angenehm wie Umkleidekabinen bei H&M. 
Ich habe mich früher beim Schulsport auf dem Schwebebalken immer sehr grazil gefühlt. Bis mir meine burschikose Sportlehrerin immer wieder Dreien gab. Mein sportliches Selbst wurde mit jedem weiteren „Befriedigend“ systematisch demontiert. In der Turnhalle von damals gab es eben keine überdimensionierten Spiegel, die mein trügerisches Körpergefühl mit der Reflexion unbarmherziger Realität erdeten.

Die Trainerin war objektiv betrachtet nett. Subjektiv betrachtet hasse ich JEDEN, der mir bei körperlicher Anstrengung Motivation von außen zuzuführen versucht. Da mache ich auch vor Familienmitgliedern nicht halt. Herr Müller kennt das und nimmt mein „Halt die Fresse!“ nicht persönlich, wenn wir einmal im Jahr zusammen laufen gehen. Ich bin lieber allein mit mir wenn ich mich anstrenge. 

Genauso ist es mit Lob. Geht mir auf den Nerv. Schlimm. Fürs erste Mal machst du das echt toll. Ach fickt euch doch. Ich bin Lehrer! Ich weiß, dass fast jedes Lob eine Lüge oder zumindest nur hübsch verkleidete äußere Motivation ist. Könnt ihr behalten. Lasst mich - ich kann das. Bin schon groß. Ich motiviere mich selbst. Oder eben nicht.

Der Zauber ist vorbei nach einer Entspannung am Schluss, die dem Yogi in mir alle Chakren erschüttert. Während sich die restliche Gruppe gegenseitig wieder sehr abstoßend motiviert indem alle ihre gesteigerten Gewichte in eine große Flipchart-Tabelle eintragen, kuckt mich Sarah erwartungsvoll an, nicht ohne ein anerkennend-freundschaftliches „Du hast dich echt gut angestellt“. „Das hier hat für mich den Spaßfaktor von Laufen gehen.“ Mehr muss ich Sarah nicht sagen, sie hasst Joggen genauso wie ich. Damit ist alles gesagt.

Was soll ich sagen: ich spreche dem Training seine Effektivität nicht ab. Die Treppen zum Umkleideraum runter fühlen sich meine Beine wie nahe zur Querschnittslähmung an, meine Füße gleichen denen der bösen Königin aus Schneewittchen am Ende des Märchens. In den darauffolgenden Tagen habe ich den Muskelkater meines Lebens, der mich nahezu erwerbs- nein – bewegungsunfähig macht. Nachts kann weder Herr Müller noch ich selbst schlafen, da ich bei jeder Bewegung vor lauter Schmerzen laut aufstöhne. Beim Aufstehen oder Aussteigen aus dem Auto wirke ich wie eine Wöchnerin mit schlecht verheiltem Dammriss. 

Aber: ist es wirklich besser sich FÜR den Körper zu quälen, den man sich wünscht als sich MIT dem Körper zu quälen, den man hat? Wasser, welches erst durch neuseeländsiches Vulkangestein gefiltert und dann mit den Tränen jungfräulicher Albino-Zebras veredelt wurde, kann mir die Sache auch nicht schmackhaft machen. Trainerinnen mit militärischem Grundton erwarten mich schon täglich hinter der Tür der Chefetage und dieses Hantelding… ich glaube irgendwann würde ich mich selbst oder wen anderes damit ernsthaft verletzen.

Als wir gehen, empfiehlt mir Sarah noch am selben Abend ein basisches Bad zu nehmen um dem Muskelkater vorzubeugen. Tue ich nicht. Ich muss ja schließlich erstmal das Erlebte verbloggen. Vielleicht nehme ich Sarah irgendwann mal mit zum Yoga, danach interviewe ich sie zu ihren Eindrücken und mache auch einen Artikel daraus. Das wird sicher unterhaltsam. 

ob ihr noch mehr als nur das Element SOFA mit mir teilt.  

2 Kommentare:

  1. Köstlich und mal wieder genau meine Empfindungen widergespiegelt! Ich werde dann wohl doch mal Yoga testen...

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    1. Unbedingt ausprobieren - allerdings steht und fällt es nach meiner Erfahrung mit der Yogalehrerin bzw. dem Lehrer ;-) Aber auch wenn man glaubt, das ist nur Hausfrauensport - hin und wieder kann ich die echten Sportler in meinem Freundeskreis doch noch überraschen mit dem was in mir steckt ;-)
      LG
      Frau Müller

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