Lehrer sind auch nur Menschen. Und nicht jeder trifft sich abends mit Kolleginnen abwechselnd zum Nordic Walking oder zum Fortgeschrittenenkurs in Seidenmalerei. Ich denke ich bin das Kuckucksei im Lehrerzimmer. Etwa wie ein Veganer, der ausversehen Metzger geworden ist oder ein Pilot mit Höhenangst. Oder wie eine Franzi van Almsick, die immer wieder vom Schwebebalken fällt weil sie noch nie jemand ins Wasser geschubst hat.

Mittwoch, 4. April 2018

Von Zahnpastafamilien, Laseraugen und individuellen Ruhestandsphantasien


Kennt ihr das, wenn schon die Kinder den Kühlschrank öffnen, rein schauen und sagen: „Orr Mama, du musst mal wieder einkaufen gehen!“? Und die Mutter zaubert aus schrumpligen Paprika, drei angefangenen Nudelpäckchen, Eiern, deren Geburtsdatum keiner mehr kennt und einem offenen Becher Schlagsahne, der zumindest noch riecht als bekommt man davon keinen Durchfall, etwas Essbares, das zwar die Kinder nicht zufriedenstellt („Das hast du mit Absicht gekocht!“) , aber zumindest lebensmittelgewordene mütterliche Kompetenz und Zufriedenheit duftig-dampfend repräsentiert. Mir schmeckt immer, was ich koche. Der Rest ist Erziehung. 
Mein Hirn ähnelt gerade diesem kinderalptraumgewordenen Kühlschrank. Da stehen jede Menge letzte Wurstscheiben, ungeöffnete Aiolibecher vom letzten Silvester und Glasbesetzer-Gürkchen drin rum. Wird Zeit, was draus zu machen, dass zumindest mich unterhält. Euch verkaufe ich das Ganze als fundamentalbanale Gesellschaftsbeobachtung. Containern für Soziologen sozusagen…
 
Eigentlich besteht ja keine Notwendigkeit, sich für bestimmte Lebensentscheidungen zu rechtfertigen. Aber zuweilen bringen einen gesellschaftliche Reaktionen auf eben diese Entscheidungen dazu, nach Erklärungen zu suchen; uns dann schließlich doch zu rechtfertigen. Und wenn es vor uns selbst ist. Nehmen wir die Sache mit der Familienplanung. Die Gesellschaft steckt den Rahmen dessen, was als normal toleriert wird, recht eng.

"Was? Nur ein Kind? Hm? Kein Pärchen? Was, wenn das zweite ein Junge/Mädchen wird? Und überhaupt. Einzelkinder haben es echt schwer im Leben."
Zwei Kinder – alles gut. Insbesondere dann, wenn beim Nachwuchs beide Geschlechter vertreten sind. 
Die von mir gemeinhin als Zahnpastafamilie (wahlweise auch Waschmittel- oder Golffamilie – wegen der Werbetauglichkeit) bezeichnete Familienstruktur entspricht dem gesellschaftlich anerkannten Ideal eines Lebensmodells. Von implizierten Erwartungen zu Altersspannen, Zeitraum der Eheschließung, Beischlaf- und Auslandsurlaubshäufigkeit sowie Bausparverträgen schreib ich jetzt lieber nicht. Das würde den Rahmen sprengen. Dass auch das äußerlich perfekte Zahnpasta-Idyll zuweilen der mit Senf gefüllte Krapfen sein kann, beweist die müllereskinterpretierte Familie nach dem Modell der Quattroehe. Aber das nur am Rande. Ich jedenfalls mag Senf.

Ab dem dritten Kind wird den Eltern nachgesagt, sie hätten die Kontrolle über jedwede Form der Empfängniskontrolle verloren, wahlweise sind diese Menschen auch einfach zu blöd zum Verhüten oder schlicht zu faul zum Arbeiten. Mit Kind vier gilt das Prädikat: Assige Leute. Ist natürlich Blödsinn, muss jeder selbst wissen. Zumal auch die Müllerin ein Kontrollverlustkind ist, die Seniormüllers aber weder doof noch arbeitsscheu sind.

Was will nun diese Einleitung, bei der ich wie gewohnt in bester Hammerwerfermanier aushole (ich hoffe die holen seeehr weit aus, ich hab‘s nicht so mit Leichtathletik) und bei deren Umfang in Relation zur Gesamtlänge des Artikels meine Deutschlehrerin hektische Flecken bekommen hätte, für diesen Artikel leisten? 
Nun, mir ist kürzlich aufgefallen, dass es sich mit befelltem Familienzuwachs ähnlich verhält, wie mit der fleischfarbenen Variante. Die Gesellschaft glaubt, solche ganz individuellen Entscheidungen bewerten zu müssen.

"Du hast kein Haustier? Bist du allergisch oder einfach ein Scheißmensch?"
"Du hast eine Katze? Langweilt die sich nicht? Und überhaupt. Eine Katze ist keine Katze." (selbes gilt übrigens auch fürs geächtete Einzelkind).
Zwei Katzen – alles in Butter, normaler Mensch.
Ab Katze Drei: "Was stimmt mit dir nicht? Willst du nicht mal erwachsen werden? Was bist du? Ein Tiermessi?"

Die Reaktionen auf die Bekanntgabe der Leih(katzen)mutterschaft und dem damit verbundenen Zuwachs in der MüllerMansion fielen speziell in meinem Fall nicht ganz so diskreditierlich aus, da die meisten der mir näherstehenden Mitmenschen um meinen Geisteszustand wissen. In der Folge reichte allen meine Begründung „Es ist eine ganz Schwarze. Mit Laseraugen. Ich wollte schon immer eine Laseraugenkatze haben!“ aus. 

Und dennoch kam ich nicht umhin, für mich selbst eine Begründung für die Anschaffung einer dritten Katze zu suchen, die über das Laseraugenargument hinaus ging. Wir alle werden immer wieder (auch unbemerkt) Opfer gesellschaftlicher Zwänge und wenn es nur darum geht, ein Katzenbaby zu adoptieren. Komplettieren die schüchterne Schattenboxerin Gudrun und der kamerageile Kifferkater Andreas, Namensgeber waren die führenden RAF-Mitglieder Gudrun Ensslin und Andreas Bader, das müllersche Komödiantenstadl noch nicht ausreichend?Was ist mit deren Augen? Haben die keine Laserkräfte? 
Nein, denn dafür braucht es schwarzes Fell. Sehr sehr dunkles schwarz am besten. Den Zusammenhang könnte vermutlich Johannes Itten oder notfalls stellvertretend aufgrund von Tod meine Kunstlehrerin wunderbar erklären. Rembrandt oder Goya hätten wahrscheinlich auch am liebsten schwarze Katzen mit großen Augen gemalt.

Achtung, jetzt holt sie wieder mit dem Hammer aus. Manche Menschen haben eine bestimmte Vorstellung ihres Ruhestandes. Die meisten Optimisten träumen vermutlich von einer altersgerechten Finca in den Bergen nahe Palma, Pessimisten weigern sich, Ruhestandsvisionen zu phantasieren und würgen alles mit dem „So alt werde ich eh nicht“-Totschlagargument ab. Ist es eigentlich pessimistisch, diese Einstellung eher optimistisch zu sehen? Ich frage für einen Freund. 

Was tun die Realisten? Mal sehen, da muss ich länger überlegen, Realität ist nicht so meins. Ich vermute mal, die Realisten sichern sich im Hier gut ab, damit sie im Später dem Pflegenotstand ein Schnippchen schlagen können. Wie auch immer. Oder wie eine ehemalige Kommilitonin, liebe Freundin und ihres Zeichens auch Förderschullehrerin erst kürzlich zu mir sagte: „Wie? Du willst bis 55 arbeiten? So lang mach ich nicht. Ich geh vorher in Burnout.“

Was bin ich nun? Optimist? Pessimist? Realist? Ich bin alles, ich bin die Müllerin. Und wovon träumt die Müllerin? Und vor allem: Was zum Teufel hat das mit einer schwarzen Katze zu tun? Was sind meine Visionen? Zunächst mal muss ich in die ernste Tasche greifen. Ein Teil von mir ist tatsächlich Pessimist. Das liegt vermutlich daran, dass ich eine nicht ganz unerhebliche Anzahl mir verschieden nahestehende Personen kurz nach oder kurz vor Erreichen des Rentenalters jämmerlich krepieren sah. Was ich gegen oder auch für diese zugegebenermaßen düstere Vision tue: leben, trinken, feiern, vögeln, Lieblingsmenschen haben. Hardware: geplanter Ausstieg mit 55. Software: Auf meinem Sterbebett der Schwiegermüllerin erzählen, was eine Quattroehe ist und mit der Erinnerung an diesen Gesichtsausdruck friedlich entschlafen. 

Sollte ich (und die Menschen, die ich liebe) von todbringenden Krankheiten verschont bleiben und die von Herrn Müller sorgsam geplante Altersvorsorge und Finanzstrategie funktionieren … ihr merkt schon, jetzt kommt die rundum optimistische Vision … sehe ich mich mit mäßig gealtertem Körper und Antlitz am Pool einer Villa in der toskanischen Einöde, rechts neben mir Sarah, die auf einem aufblasbaren Einhorn liegend auf dem Wasser vor sich hin dümpelt. Links schreitet Olivia, mein Pfau an mir vorbei. In der Ferne hört man Esel und Ziegen. Wir befinden uns im Privatteil des Anwesens. Die Männer führen gerade eine Gruppe Hipstertouristen durch unsere Weinberge und zeigen ihnen die auf sie wartenden Arbeiten. Dafür dürfen die Urlauber dann im Resort-Teil unseres Anwesens nächtigen und im Schutze der Kommune mit einer beliebigen Anzahl an Partnern leben und lieben – nach Feierabend versteht sich. Sie sind durch Empfehlungen auf unsere Webseite gestoßen, auf der wir unser Urlaubsmodell für Kurzzeitaussteiger und Alternativbeziehungsinteressierte anbieten. Wenn sich das Ganze etabliert hat, setzten wir uns auf eine einsame Insel im Süden Thailands ab und lassen uns nur noch den fertigen Wein schicken.

Zurück zur Katze. Wenn ich weder früh sterbe, noch das nötige Kleingeld für den polyamoren Ausstieg habe, brauche ich einen Plan B. Und hier kommen die Katzen ins Spiel. Unabhängig von Restattraktivität oder der Höhe meiner Pension möchte ich im Alter vor allem eins: meine Ruhe. Ich arbeite daher schon heute mit Nachdruck am äußeren Eindruck einer gewissen Schrulligkeit. Tragender Teil des Konzepts ist eine gesellschaftlich nicht anerkannte Anzahl an Katzen. Vorbild ist die verrückte Katzenlady Eleanor Abernathy aus der monumentalen Trickserie „Die Simpsons“.



Kinder wechseln tuschelnd die Straßenseite wenn sie an meinem Haus vorbei gehen und sollten sie doch den unkrautüberwucherten Weg, welcher zu meiner Haustüre führt, betreten, bewerfe ich sie von meinem Schaukelstuhl auf der Terrasse aus mit Katzen. Über den Verschlag hinten im Garten erzählt man sich in der Nachbarschaft, das sei die Katzenfutterküche. Und „Kevin-Häppchen in Gelee“ mögen die Mietzen besonders gerne. Tatsächlich bewahre ich dort nur leere Flaschen, da ich es auch im Alter noch nicht geschafft habe, einen Altglascontainer für's eigene Grundstück zu erfragen und den ganzen Einhornkram von früher auf. Ich bin ja nicht irgendwie krank oder so.

Eine ausgewachsene Katze für jedes vollendete Lebensjahrzehnt - so lautet der Plan - Babys natürlich nicht mitgerechnet. Katzenlady ist man nicht, Katzenlady wird man. Schließlich steht auch keiner früh morgens auf und sagt: Ich bin dann mal Papst. Oder Karl Lagerfeld. Das ist ein Prozess, für den man aktiv etwas tun muss. Reich-Ranicki wäre auch nicht der belesene Dauernörgler geworden, wenn er nie ein Buch in die Hand genommen hätte. Allerdings hat vermutlich auch er weder die Fibel noch TKKG übersprungen.

Also freue ich mich nun, wenn in zirka acht Wochen das Laseraugenkätzchen bei mir einzieht. Auch wenn Laseraugenkämpfe zwischen meiner und Marcos Laseraugenkatze, wie wir sie uns einst in unseren kühnsten Träumen ausmalten, vorerst nicht stattfinden werden, da er kein drittes Kätzchen adoptieren darf. Sarah hat’s ihm verboten. Und Marco hat schlechte Diskussionskatzen.. äh.. Karten. Weil die Katzenlady nun mal ne Lady ist. Schade eigentlich. Selbst vor Schrulligkeit macht Gendermainstreaming keinen Halt… schreibt’s und holt schon mal den Hammer zum Ausholen.

Wer Lust hat, der Müllerin beim
"literarischen" Restkochen zuzulesen,
der abonniert am besten mit Sternchen

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