Eigentlich ist gerade der
SchMärz im Lehrerzimmer in vollem Gange, ein Themenmonat rund um BDSM und
sexuelle Revolutionen. Und dann grätscht Jule vom Blog Vairvetzt mit einer
Blogparade unter dem Titel "Ja, ich bin tätowiert und habe einen Job" dazwischen und verwurstet damit gleich
zwei weitere Herzensthemen der Müllerin miteinander. Ehrensache, dass ich meinen Senf
dazu gebe. Ganz schön gemein eigentlich, wenn man eine Veganerin etwas verwursten lässt. Sorry, Jule ;-)
Außerdem sind die Themen gar nicht so verschieden wie sie
scheinen: Tätowieren tut weh, manchmal sogar richtig scheiße-weh – so weh, wie
die immer wiederkehrende Frage aller Nichttätowierten danach. Aber nach
all dem Schmerz ist man glücklich und kann das nächste Mal gar nicht erwarten…
Okay, vorab Bestandsaufnahme
zur Frage: Bin ich ein guter Lehrer?
Mal sehen. Ich fluche gerne, trage Leggings
mit Disneymotiven, schaue die Simpsons und weiß, dass Lauch ein Schimpfwort
ist. Ich trage zu passenden Gelegenheiten Strapse auch in der Öffentlichkeit,
trinke aus penisförmigen Strohhalmen, lebe in einer Art Vierecksbeziehung,
meide Menschenansammlungen, die soziales Interagieren von mir fordern, lasse
meine Kinder fernsehen, kontrolliere selten bis nie die Punkte ihrer Leistungskontrollen
auf Fehler ihrer Lehrer und verabscheue meine Nachbarn sowie die Mehrzahl der
Menschen in meinem Wohnort. Sieht schlecht aus.
Schauen wir, was ich für die Pro-Argumentation zu
bieten habe: Ich geh‘ seit fast 10 Jahren zum Yoga, kann gut klugscheißen und hab ein leicht
überdurchschnittliches Basteltalent. Außerdem sammle ich instinktiv leere
Klorollen und scheue mich nicht davor, mich vor Kindern zum Affen zu machen. Könnte also doch was werden.
Da
fällt mir ein: Ich bin tätowiert. Argumentation ENDE. Beruf verfehlt.
Tattoos sind etwas stark
launen- und trendabhängiges – und ganz abgesehen davon auch
gesundheitsgefährdend. Nur ein schwacher und leicht zu beeinflussender
Charakter begeht solch einen folgenschweren Fehler (unter Umständen gleich
mehrmals),bereut seine Fehlentscheidung spätestens dann, wenn die Haut
Falten und der Verstand Vernunft annimmt und gibt dafür außerdem noch viiiel viiiel Geld aus, das in einem Fond zur Altersvorsorge weitaus besser aufgehoben wäre. Als Lehrer ist man schließlich Vorbild für die
jungen Seelen auf der Suche nach Orientierung. Sagt die Allgemeinheit.
Schluss mit dem ganzen
Quatsch. Zurück zur Realität. Dass ich weder innerlich noch äußerlich dem
Lehrerklischee entspreche, habe ich an anderer Stelle bereits erwähnt. Ich
wurde in der Vergangenheit bereits für eine Friseurin, Nageldesignerin oder gar Tätowiererin gehalten - alles ehrenwerte Berufe. Wenn
ich Fremden die Art meines Broterwerbs verrate, fallen die meisten Reaktionen
unter die „Willst du mich verscheißern?“-Kategorie. Ich finde das nicht schlimm. Lehrer und Lehrerinnen riechen
nach der Auffassung der Allgemeinheit nach Kaffee, Salami und alten Karten aus dem Geographiekabinett. Sie haben kein
oder ein langweiliges Privatleben und reden überall zu laut.
Ich habe alles
andere als Lust, mich in dieses Klischee einzureihen. Auch als Insider (der weiß, dass Lehrer manchmal
auch nach 4711 oder billigem Rasierwasser riechen und öfters auch mal Apfelschnitze essen) mag ich nicht so recht dazugehören. Denn die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen sind
hässlich. Und damit meine ich nicht gesichtshässlich,
wie man möglicherweise im ersten Moment denken mag. Ich rede von einem
hässlichen Charakter. Sie vereinen alle schlechten Eigenschaften, die Frauen und Lehrern häufig zugeschrieben werden. Sie sind hinterfotzig, besserwisserisch,
reden ständig übereinander aber nicht miteinander und glauben von sich selbst,
härter als alle anderen zu arbeiten.
Also bin ich einfach ich. Im
Dienst mit Abstrichen. Man tausche Schneewitchen und die sieben Zwerge gegen Jeans, lässt den roten
Lippenstift und die Haarschleifen weg und hebt sich das Mittelfingershirt für
Freitagnachmittag auf. Es soll ja niemand überfordert werden. Anfangs trug ich im
Sommer immer einen Cardigan wegen der bunten Arme, bis vorletztes Jahr auch immer
wenigstens eine dünne EINFARBIGE Leggings, auch wenn es sehr warm war. Ich kann
noch nicht mal genau sagen warum. Zu wenig Erfahrung, zu viel
gesellschaftliches „Lehrer sollten…“. Ja, was sollten Lehrer denn? Ihren Job
machen! Wahrscheinlich wollte ich keinen Anlass für Kritik bieten. Dumm
eigentlich.
Das einzige Tattoo, an dem mich garantiert KEIN KOLLEGE erkennt |
Nachdem ich dann vor vielen
Monaten nach einer Auseinandersetzung mit der Chefetage den Sinn und Wert
meines gesamten Wirkens anzweifelte, der Nährboden dieser existenziellen Krise
allerdings einfach nur die nicht vorhandene Wertschätzung meiner Arbeit und der
des gesamten Kollegiums durch meine Vorgesetzte war, änderte ich meine
Grundeinstellung:
Das
Ganze ist immer noch NUR ein Job. Und das, was du zurückbekommst ist es mitnichten
wert, sich zu verbiegen oder auf etwas zu verzichten, an dem du Freude hast und
das ein Teil von dir ist.
Gesagt hat bis heute wegen
der Tattoos niemand etwas – zumindest nichts Negatives und zumindest nicht zu
mir. Was ändern die Farben meiner Haut an der Qualität meiner Arbeit? Ich bin
beispielsweise überdurchschnittlich oft in der Elternberatung tätig – und das
recht erfolgreich, möchte ich behaupten, habe dadurch außerdem häufig Kontakt
zu Erziehern und Lehrern aus allen möglichen Kitas und Schulen des Landkreises.
Noch nie hatte ich den Eindruck, wegen meiner Tätowierungen schief angeschaut oder gar nicht ernstgenommen
zu werden. Ganz im Gegenteil. Zur Einschulungsfeier meiner Erstklässler trug ich selbstverständlich ein Tanktop. Ohne pseudoseriöses Blazerchen drüber - warum auch? Es war warm. Und außer mir wollte den Job niemand...
Ich sehe die Sache
heute entspannt bis ignorant. Mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag in einem
Bundesland, dass an chronischem Lehrermangel leidet, geht
farbtechnisch schon noch einiges. Gemessen an Ausbildungen und der damit
verbundenen Einsatzfähigkeit in Bereichen, für die es in unserer Schule wenig
bis gar kein Personal gibt, stelle ich mir eine Diskussion zu meinem geplanten
Handrückentattoo mit der Schulleitung eher witzig vor.
Die wichtigste Meinung haben
wir vergessen. Die der Kinder. Schließlich bin ich wegen den kleinen
Rotzlöffeln Lehrer geworden und nicht wegen ihrer Eltern oder gar meiner Kollegen.
Okay, Gehalt und Arbeitszeiten können keine Auskunft geben.
Kinder kucken. Und
sie kucken wieder weg.
"Ah, du hast da ein Minion, Frau Müller."
"Ja, das hab ich."
"Ich hab auch ein Minion, da – auf meiner Brotdose."
Fertig.
Bei den großen „Kindern“
sind Tattoos Vorteil- und Nachteil zugleich. Körperbemalung scheint Distanzen abzubauen und führt dazu, dass Kevin sich zuweilen überschätzt und glaubt mit
seinem Kugelschreiber-Ohr-Tunnel bei mir punkten zu können ("Nein, Kevin – du musst
das im Sportunterricht trotzdem rausnehmen."), Chantal sich aber von mir eher den
Hinweis auf dünner gespachteltes Make-up annimmt, als von einer naturbelassenen
Mittfünfziger-Kollegin.
Was ich mit wieder einmal viel zu vielen Worten eigentlich einfach sagen wollte (Wollte
ich das wirklich - oder habe ich das durchs Schreiben dieses Textes
streng genommen erst selbst erkannt? Man weiß es nicht...) : Kein Job ist es wert, sich zu verstellen - nicht für die Anderen und nicht für sich selbst. Und: Stress hat man nicht, Stress macht man sich.
Im Referendariat fragte ich
mal einen der wenigen männlichen Mitstreiter nach den Reaktionen seiner
Vorgesetzten auf seine recht auffälligen Tätowierungen. Er antwortete, dass
bisher alle recht entspannt damit umgegangen seien, er sich da aber auch
niemals etwas vorschreiben lassen würde, denn schließlich könne er ja auch
nicht von Kolleginnen, deren Frisur ihm nicht gefällt verlangen, im Dienst eine
Mütze zu tragen…
Mit diesen klugen Worten
eines bunten Mannes möchte ich mich verabschieden. Ich muss dringend ein paar Autos
knacken, Drogen konsumieren und mein Zuhälter versucht auch schon die ganze
Zeit anzurufen….
Alle Artikel zur Blogparade „Ja, ich bin tätowiert und habe einen Job“ ab 18.03.auf:
Mehr Herzensthemen
und Alltagsrecycling gibt's auf
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