Lehrer sind auch nur Menschen. Und nicht jeder trifft sich abends mit Kolleginnen abwechselnd zum Nordic Walking oder zum Fortgeschrittenenkurs in Seidenmalerei. Ich denke ich bin das Kuckucksei im Lehrerzimmer. Etwa wie ein Veganer, der ausversehen Metzger geworden ist oder ein Pilot mit Höhenangst. Oder wie eine Franzi van Almsick, die immer wieder vom Schwebebalken fällt weil sie noch nie jemand ins Wasser geschubst hat.

Mittwoch, 25. April 2018

Bratpfannen, Gruppen-Masturbation und Gipfelscheißer


Es gibt kaum einen Ort, an den ich mich nicht traue - Neugier, Gutmütigkeit (soll vereinzelt vorkommen),schlichte Blauäugigkeit oder notfalls Recherche - die Gründe sind verschieden. Schachturniere, SM-Schlösser, Gottesdienste, Homopartys, Swingerclubs, martialische Fitnesskurse… Sogar ein Vorstellungsgespräch samt Betriebsführung im Bordell hatte ich. Heute erzähle ich euch vom mit Abstand seltsamsten Ort, an dem ich mich bisher aufhielt. Bedankt euch bei Herrn Müller.


Unter allen scheinpädophilen Schachtrainern, masochistischen Frauen und ihren seriösen Sadisten, Pfarrern, Transen, Studenten der Geisteswissenschaften und Puffmüttern (mit ehemaliger Führungsposition bei Bertelsmann) habe ich niemanden kennengelernt der mir so suspekt war, wie Vertriebsmitarbeiter unter sich. Ich denke Firmen mit Vertriebssystemen sind Sekten in seriösen Kostümchen.


Wenn mich zwischen Weihnachten und Neujahr das schlechte Gewissen packt und ich mich ekelhaft, fett und steinalt fühle, gehe ich laufen. Das tue ich regelmäßig -  einmal im Jahr. Meine Kondition gleicht daher der einer 85 Jahre alten, 120 Kilo schweren ehemaligen Kettenraucherin.


Kurz vor dem Herz-Kreislauf-Versagen versucht mich Herr Müller immer zu motivieren. Und dann hasse ich ihn. Dieses angewiderte Halt-deine-Fresse-Gefühl empfinde ich heute den ganzen Abend, während ich gezwungen bin, den beiden erfolgsverwöhnten Mitzwanziger-Geschäftsführern  zuzuschauen, wie sie sich gegenseitig verbal einen runterholen.


Mir macht das Kopfschmerzen (kann aber auch das Parfüm meiner Tischnachbarin sein). Ich sitze Freitagnachmittag knapp zwei Stunden auf einem Stuhl, vor mir Saft und stilles Wasser. Mit dröhnendem Schädel und Hunger höre ich nicht enden wollende Selbstbeweihräucherung, Motivationsmantras und Produktpräsentationen.


Wenn man die Bratpfanne nur heroisch genug ankündigt rastet die Freakshow in Anzügen förmlich aus. Aber der Hammer kommt erst noch. Wir verkaufen ja nicht irgendeine Bratpfanne. Wir – und nur wir – verkaufen die Bratwurst-Bratpfanne. Die kann etwas, das kann keine andere Bratpfanne. Sie kann – Achtung, es kommt gleich – Bratwürste braten.


Wenn jemand eine Pfanne zum Bratwurstbraten kaufen will und er die Wahl hat zwischen einer profanen Pfanne und einer Bratwurstbratpfanne, für welche Pfanne wird er sich wohl entscheiden? Natürlich für die Bratwurst-Bratpfanne, denn er kann gar nicht anders. Gleich springen alle aus ihren Anzügen vor Begeisterung (natürlich ging es nicht um Bratpfannen aber man könnte jedes andere Produkt von ähnlicher Weltbedeutung einsetzen).


Und weil diese Bratpfannen-Verkäufer, entschuldigt Bratwurst-Bratpfannen-Verkäufer so erfolgreich im Bratwurst-Bratpfannen-Verkauf sind, schenkt ihnen die Geschäftsleitung Urkunden, Plexiglas-Klötzer mit Firmenlogos und -Obacht- eine eigene Hymne. Ein wirklicher Gänsehaut-Moment.


Nachdem ich also diesen Business-Hengsten, Betriebsphilosophen und Motivationsgurus bei ihrem Onanie-Akt zugehört hatte, hob sich der Vorhang über dem Pausenbuffet verheißungsvoll. Nach unglaublichen Erfolgsstories und steigenden Umsätzen in Rekordzeit meint man etwas Großes erwarten zu dürfen.


Der inoffizielle Arbeitstitel „Viel Lärm um nichts“ wiederholt sich jedoch hinter diesem Vorhang. Kekse, es gibt Kekse, ganz ordinäres Sandgebäck, teilweise marmoriert. Dafür habe ich mir die Haare gekämmt, ein Kleid und Absatzschuhe angezogen (in denen ich jetzt auch noch für KEEEEKSE anstehen muss)!!! Wenn ich nur nicht solchen Hunger hätte.


Wenn harte Arbeit Früchte trägt
Nach dieser Pause zur Überlebenssicherung geht es ähnlich spannungsgeladen weiter. Der Stargast des Tages, ein Bergsteiger der auf einer unfassbaren gefährlichen Mission Unfassbares erreichte, gibt dem Motto des Abends ein Gesicht und referiert ebenfalls knapp zwei Stunden über riesige verplemperte Geldbeträge, abgefrorene Füße und Hochgebirgskacken - umrahmt von noch mehr Motivationsgelaber à la „Keiner interessiert sich für den Weg – allein das Ziel zählt“.


Der Pädagoge in mir möchte schon nach zwanzig Minuten Stillsitzen von seinem Sitznachbarn mit dem Igelball massiert werden oder zu einem Bewegungslied mit dem Tamburin singen und tanzen. Ich schau mich im Saal um und sehe gebannt zuhörende Verkaufstalente, die die Worte ähnlich dörrer Naturschwämme in sich aufsaugen.


Dazwischen vereinzelt Angehörige die wie ich auch gegen Hunger, Müdigkeit und Steißbein-Embolie kämpfen. Spontan überlege ich eine Selbsthilfegruppe für Familienangehörige von Vertrieblern zu gründen.


Endlich gibt es was zu essen -keine Kekse- und vor allem gibt es endlich Alkohol. Ich wollte zwischendurch schon googlen, wieviel Apfelsaft man trinken muss um betrunken zu sein. Im Halbdunkel versuche ich an einem Stehtisch unterzutauchen und beobachte diese Wirtschafts-Strategen. Nebenbei versuche ich meine Kopfschmerzen weg zu ignorieren.


Immer wenn ich denke, ja – jetzt wird es besser, stellt sich jemand neben mich und nötigt mir Gesprächsbereitschaft ab. ‚Herr Müller ist ein ganz Toller‘, sagen sie und wie ich es hier finde wollen sie wissen. Ich antworte immer das gleiche: "Irgendwie freaky das Ganze hier". Angewiderte Faszination. Wie Autobahnunfallgaffen für Menschen ohne Führerschein.
 

Mit vollem Magen und ausgestattet mit einem gesunden Pegel Blutalkohol bin ich mental knapp bereit für den dritten Teil des Abends, das Highlight. Wenn ich die Augen schließe, dreht sich mein Stuhl… Huiiiii.


Dem klugen Kopf hinter dem Veranstaltungskonzept gelingt es tatsächlich die Gruppen-Masturbation aus Teil eins mit der Gipfelbesteigung aus Teil zwei zu verknüpfen und so werden wir alle Teil der firmeneigenen Expedition und klinken uns ein in das selbst geknüpfte Seil aus Teamspirit, Kampfgeist und Wille zu Anstrengung und Erfolg.


Auf der Leinwand in Sepia und SlowMotion präsentierte Colgate-Gesichter, hinter denen die Nebelmaschine Charisma und Kampfgeist sichtbar macht, werden per Conquest of Paradies zur unversichtbaren Reisebegleitung aufgewertet.


"Herr!" denke ich, "reiß die Erde auf und verschling mich oder ich kotze jetzt gleich auf meine hübschen Schuhe!". Meine Freundin Sarah schreibt mir, dass sie einen Pickel auf dem Rücken hat. Ich soll kommen und ihn ausdrücken. Das würde ich jetzt so viel lieber tun.


Was dann folgt, ist der menschliche Teil der Veranstaltung. Endlich sind alle betrunken. Auf dem Klo höre ich den Chef ins Mikrophon singen. Er ist der DJ des Abends. Zum Glück ist er Geschäftsführer geworden. 

Der Abend endet für mich als ich kurz nach Mitternacht zur Bar wanke und mir vernünftigerweise ein Wasser bestelle. Der Barkeeper weist mich darauf hin, dass ich mein Getränk nun selbst zahlen müsse. Das sei der Wunsch der Geschäftsleitung. Ich antworte „Lieber verdurste ich“ und gehe.


Als ich am nächsten Morgen aufwache, hat mein Körper spontan angefangen zu menstruieren. Ich denke, er möchte sich von innen reinigen. Heute werde ich MICH mal feiern, denke ich und fange direkt damit an. 

Im Einteiler sitze ich ungekämmt am Küchentisch und gieße mir Eierlikör in den Milchkaffee. Zum Glück sind Lehrer nicht so furchtbar erfolgreich, um dauernd einen Grund zum Feiern zu haben.

Achtung: Mitgliedsanträge für die Selbsthilfegruppe, sowie vertrauliche Seelsorge für Aussteiger gibt es GRATIS zum Abo von Frau Müller auf Facebook hier.

2 Kommentare:

  1. OOOOOOOOhhh, herrlich!!!!! Weißt du was? du bist böse! Ich ja auch und dann treffen wir uns in der Hölle. Mensch, die sind da alle glücklich! Ich hab mal vertrieb gemacht , während des Studiums - was du erzählst ist genau so!!!!!! Unglaublich oder? Und warum biste nicht los, den Pickel ausdrücken? Wie geht es denn deiner Freundin? Die hat jetzt bestimmt ein Furunkel. Und du bist schuld hihiii... Ganz liebe Grüße, Petra

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  2. Ui, das wird fein in der Hölle. Die Vertriebler lassen wir dann Feuerholz nachlegen ;-) Und zum Thema Pickel: meine Freundin meinte nach dem Lesen nur 'Na zum Glück hab ich dir nicht geschrieben WO der Pickel ist. Sonst hättest du das auch noch geschrieben...!" *huch* Ich hab heute zu Herrn Müller gesagt wir müssen mehr solche abgefahrenen Sachen machen, das werden die besten Blogeinträge. Allerdings müssen wir uns jetzt ne neue Sekte suchen denn zur Bratpfannen-Huldigungs-Weihnachtsfeier-Session werden wir wohl nach diesem Post nicht mehr eingeladen. Ich werd mich wohl mal undercover bei den Zeugen des Sofas umsehen...;-)

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