Wenn
ich am Sonntagvormittag aus meinem Küchenfenster schaue und sehe, wie sich die
Nachbarn generationsübergreifend zum lockeren Wochenrückblick mit
Boulevardnewssparte am Gartenzaun versammeln und die Sterbeanzeigen der
Lokalzeitung kommentieren, widert mich das an. Ich kann noch nicht mal genau
sagen warum. Vielleicht weil ich Dreiviertel der Beteiligten (Kinder
eingeschlossen) einfach nicht leiden kann. Das ist nichts persönliches, ich
kann den Großteil der Menschheit nicht leiden. Da ist Dreiviertel schon
optimistisch formuliert und zeugt von einem ausgeglichenen Seelenzustand
meinerseits in dem Moment, in dem ich diese Worte niederschreibe. Schnell
veröffentlichen. Morgen kann das schon ganz anders aussehen.
Aber ich meine,
den Typen mit der Rotzbremse, der in typischer Dreiecksbadehose mit seinen
Kindern auf der Straße Federball spielt, kann man einfach nur ablehnen. Und das
Aas, welches extra die Hecke unterhalb seiner eigenen Augenhöhe beschneidet um
meine Einkäufe im Kofferraum stalken zu können, verdient meine Akzeptanz ebenfalls
nicht. Aber hey, ich hasse tatsächlich nicht alle meine Nachbarn. Die alte Fraumit den zerzausten Haaren, die früher mal Lehrerin war und sich heute zum
Brötchen holen nur ne Jacke mit Sofamuster übers Frotteenachthemd wirft, ist
mir sehr sympathisch. Lediglich die Tatsache, dass sie mit ihrem knapp dreißig
Jahre alten Opel Corsa ausgerechnet zur Kirche fährt, nachdem sie mit
viertausend Umdrehungen raketengleich rückwärts aus ihrer Einfahrt geschossen
ist, verleitet mir ihren Vorbildcharakter etwas. Die Kirche, nicht das Auto.
Beim
idyllischen Familienspaziergang (dafür müssen die Parameter Temperatur,
Niederschlag, Luftfeuchtigkeit, Tageszeit und Verkehrsaufkommen in einem sehr
sensiblen Gleichgewicht aufeinander abgestimmt sein), meide ich bestimmte Wege
und Straßen, um nicht auf Bekanntschaften zu treffen, von denen ich erwarte,
zum pseudofreundlichen Endlos-Smalltalk genötigt zu werden. Die Frau mit den
dauergeröteten Bäckchen drei Straßen weiter hat es sogar drauf, mit dem Auto
neben mir anzuhalten und bei heruntergelassener Scheibe ein Gespräch zu
inszenieren in dem sie mir, unter dem Wissen dass ich die Lehrerin der
Parallelklasse ihres Sohnes bin, Informationen jenseits meiner Schweigepflicht
zu entlocken versucht. Fällt dieses Verhalten schon unter Stalking? Kann man
das anzeigen? Irgendwann springe ich vermutlich in den Straßengraben, wenn ich
das KfZ dieser distanzgeminderten Person herannahen sehe. Oder ich zieh‘
einfach um.
Diese
Frau steht nur beispielhaft für eine ganze Reihe von Menschen, die mich von
ihren Unkrauteimern aufblickend und gummibehandschut mit einem freundlichen
Lächeln grüßen während ich froh bin, dass man hinter meiner Sonnenbrille das
Augenrollen nicht sieht.
Mir
drängt sich eine Frage auf: Ist mein Denken und Verhalten pathologisch? Und
wenn ja, macht mich das zu einem schlechten Menschen? Oder bin ich vielleicht
einfach wählerisch, was die Menschen angeht, denen ich meine Beachtung und
Achtung schenke. Womöglich ist es eine Art Unverträglichkeit. Ähnlich wie bei
Lactose oder Gluten?
Ich
glaube, ich bin schon von Berufswegen täglich in so hohem Maße sozial, dass ich
mir im Privatleben ohne schlechtes Gewissen eine gute Portion Misanthropie
leisten kann. Das ist ein bisschen so wie sozio-emotionales Yoga. In den
Asanas, also den Yogaübungen, versuche ich die Situation so gut es geht zu
meistern, ich achte auf richtige Atmung, meine Haltung und die richtige
Stellung der Gelenke. In meiner Arbeit tue ich das gleiche. Ich bin
professionell (meistens), nehme Probleme ernst und bin Ansprechpartner für
Kinder und Eltern. Weil es anstrengend ist, so professionell zu sein – beim Yoga
ebenso wie in der Schule – verdient man sich eben Entspannung. Entweder in Form
von Phantasiereisen durch die Körperzonen unter Begleitung von Klangschalen oder
eben als ausgelebte Misanthropie. Ich gehöre sicher nicht zu den Menschen, die
mit ihrem Freundeskreis den Jupiter bevölkern könnten und flüchtige
Bekanntschaften, die nicht den intrinsischen Wunsch hegen, mich näher kennen zu
lernen, neigen dazu mich zuweilen als arrogant einzuschätzen.
Es
sprechen aber durchaus auch Argumente für meine erhöhte Sozialkompatibilität. So
war ich vor einiger Zeit zum Beispiel zum Junggesellinnenabschied einer sehr
langjährigen und sehr wichtigen Freundin eingeladen, die mir vorher extra noch
gestand, dass ich eine der Personen sei, auf die sie bei diesem Unternehmen am
wenigsten verzichten möchte. Warum kann ich mir jetzt auch nicht so gut
erklären. Ich bin ja gerne mal die Frau fürs Grobe beziehungsweise Übernehme die Aufgabe des Auslotens
der schmalen Grenzen zwischen fürchterlich lustig und unsagbar peinlich. Früher
nannte man das glaube ich Klassenclown. Aber ob es jetzt wirklich daran lag?
Na
klar nehme ich mir die Zeit für so etwas, ich bin ja sozusagen selbsternannte Junggesellenabschiedologin, beschäftige mich im Nebenfach mit dieser Art der
kontroversen Freizeitgestaltung häufiger und verblogge das auch gerne mal. Und
so fand ich mich ein halbes Jahr später in einer Gruppe Frauen wieder, welche allesamt Look „Ewige Studentin – ein Akademiker kennt keine Stylingzwänge“ einigte. Man
stelle sich eine Schafherde vor, alle Schafe naturbelassen und ungeschoren. Nur
eines steht „nackt“ dazwischen.
Wir
verbrachten bei aller Verschiedenheit einen durchaus kurzweiligen Tag in der Großstadt,
auch wenn die Organisatorinnen noch viel über die Ausgestaltung eineserfolgreichen JGAs lernen sollten. Man erkennt nämlich die erfahrungslose
Ersttäterin daran, dass sie vermutlich gegoogelte typisch
„junggesellenabschiedische“ Freizeitaktivitäten auf die Tagesordnung setzt, bei
der sie die Eignung der Teilnehmerinnen unberücksichtigt lässt.
Nichts ist wie es scheint |
Nicht
zu vergessen der Fauxpas mit dem Alkohol. Ich habe das an anderer Stelle schon
erwähnt: nur bei den Wenigsten steckt hinter der Aussage „Ich kann auch ohne
Alkohol Spaß haben“ ein Fünkchen Wahrheit. Die meisten Spaßbremsen, die das
behaupten, trauen sich noch nicht mal nüchtern im Auto zu singen weil sie Angst
haben, jemand beobachtet sie im Rückspiegel. Vier Piccoloflaschen Sekt für acht
Frauen sind zu wenig! Das trinke ich zum Warm-up auf dem Weg zur Straßenbahn. Kennt ihr den Ausdruck "Nur im Suff zu ertragen"? Er wurde erfunden, um Junggesellenabschiede in fünf Wörtern zu beschreiben.
Die
nüchternen Akademikerinnen finden sich wieder beim Lasertag. Vorweg eine
Preisfrage: Welche Personengruppe bildet an samstäglichen Nachmittagen im Sommer in der
Großstadt wohl das Hauptklientel einer Lasertag-Anlage? Richtig! Der Kandidat
hat 1 Million Punkte und gewinnt die Collectors Edition Wunderbäume und ein
Originalpaar Filzpantoffeln handmade im Chemnitzer Umland. Es sind betrunkene
Männergruppen.
Sozialkompatibilität hat auch bei den ehemaligen Pädagogikstudentinnen ihre Grenzen und die Vorstellung mit diesen betrunken „Wilden“ in einen dunklen Kellerraum bei Schwarzlicht gesperrt zu sein, erregt einiges an Besorgnis bei meinen Begleiterinnen, nein, es versetzt sie geradezu in eine Art Schockstarre, die nur durch intensives Diskutieren zu lösen ist.
Sozialkompatibilität hat auch bei den ehemaligen Pädagogikstudentinnen ihre Grenzen und die Vorstellung mit diesen betrunken „Wilden“ in einen dunklen Kellerraum bei Schwarzlicht gesperrt zu sein, erregt einiges an Besorgnis bei meinen Begleiterinnen, nein, es versetzt sie geradezu in eine Art Schockstarre, die nur durch intensives Diskutieren zu lösen ist.
Nachdem
auch die Letzte verstanden hat, dass Lasertag nichts mit Besenreißern oder
Sehfehlern zu tun hat und man pazifistisches Gedankengut hier eher schlecht
unter die Leute bringt, folgt eine Grundsatzdiskussion, deren Länge in keinem
Verhältnis zur eigentliche Spielzeit steht. Die Braut erhebt ein Machtwort – „man
könnte es doch einfach mal probieren, denn schließlich ist man schon mal hier“ –
und beweist damit, dass jede noch so wortreiche Diskussion mit nur wenigen richtigen Worten entschieden werden kann.
Der hoch motivierte und durchaus sympathische Betreiber (Ja, ich fand ihn sympathisch!) weckt mit den
Worten „Los, Mädels – macht die Jungs platt!“ die Amazonen mit Killerinstinkt
in den Pippi Langstrumpfs: Feministinnen aller Lager vereinigt euch gegen den
Chauvinismus in Biermarinade.
Das
erste Spiel zur Orientierung noch verloren, sind wir durchaus angefixt nach 20
Minuten Jagd auf Männer, von denen viele schon bei der Wahl des
Hauptschulbildungsganges unseren weiblichen Respekt verwirkt hatten. Spiel 2
gewinnen wir in der Unterzahl gegen eine Gruppe „männlicher Kampfmaschinen“,
die mangelnde Orientierung und Koordinationsfähigkeit in der Dunkelheit durch
brutales Umrennen der Leichtbauwände kompensierten. Da halfen ihnen auch plumpe
Betrugsversuche nichts.
Als
Killerinnen hatten meine skeptischen Mitstreiterinnen binnen kürzester Zeit
Taktik entwickelt. Als Siegerin in der Gesamtwertung entpuppte sich allerdings
meine Taktik „Schießen auf alles, was sich bewegt“ als die erfolgreichste. Am
Schluss wird deutlich: Berufspädagoginnen und Trägerinnen akademischer Titel
rücken bei einer Treibjagd auf Männern die Gewehrläufe eng zusammen.
Ich
muss wirklich zugeben, ich hatte auf diese Art der Freizeitgestaltung wirklich
keine Lust, vielmehr hätte ich mir etwas ladyhafteres gewünscht. Poledance
beispielsweise, wobei ich mir meine wuschlig-wollige Schafherde dabei auch
ungerne vorstellen möchte. Wahrscheinlich hätte der artistische Stangentanz mit
exotischen Elementen zu ähnlichen Grundsatzdiskussionen im Vorfeld geführt wie
der Lasertag-Plan. Aber auch Frau Müller irrt sich mal und muss sich
revidieren. Mädels, das macht echt Spaß! Vergesst nur Sagrotan,
Wechselklamotten und Duschsachen nicht! Ich mag meine Laserpistole nicht gerne,
wenn überall an ihr Schweiß und Sabber von fremden Männern klebt. Ich bin eine Lady!
Kommen
wir zurück zur Ausgangsfrage. Bin ich sozial nicht kompatibel? Ist meine
Abneigung einer Vielzahl von Menschen gegenüber gar pathologisch? Weil es so
aufschlussreich ist: bleiben wir beim kollektiven Brautverramschen. Bei einem
anderen JGA, welchem ich beiwohnte, war ein Viertel der Beteiligten schwanger.
Schwangere sind auch nicht meine bevorzugte Peergroup, aber auch hier kam es zu
keinerlei ernsthaften inneren oder äußeren Spannungen, die sich auf mangelhafte
Kompatibilität meinerseits zurückführen ließen.
Ich
empfinde den Wechsel aus Schwangeren, Ökofrauen, missratenen Kinder sowie deren
Eltern und meiner Hand voller sehr guter Freunde - die berühmte exklusive Sammlung
ausgewählter Irrer, die Facebook so oft lobpreist - als Kneippkur für mein Seelenwohl. Ich denke
es ist wichtige Psychohygiene, wenn ich mich selbst vor Konversation und
sozialen Interaktionen schütze, die weder meinen Geist noch mein Herz
bereichern.
Eine
Flora gedeiht besonders gut, wenn das Gleichgewicht zwischen den guten und
schlechten Bakterien ausgeglichen ist. Das wissen wir schon aus den Antworten von Dr.Sommer, die es auf weniger reißerische Fragen gab. Ja, ich habe immer die ganze Doppelseite gelesen. Ich sorge für den Ausgleich wenn ich
sonntags Umwege im Dorf gehe und auch bei bedecktem Himmel Sonnenbrille trage,
mich dafür aber auch mal mit studierten Naturschönheiten in einen finsteren
Keller sperren lasse und auf Spruchshirts mit Bier- und Senfflecken schieße.
auf FACEBOOK und macht
werdet Teil des Menschenhass-
Shavasana... Oooohmmm.
Hach, herrlich! Irgendwie ist dein Facebook Link weg, sag bloß, den hat jemand wegen “Nacktheit” gemeldet?!!
AntwortenLöschenWunderbarer Eintrag, kommt mir sehr bekannt vor. Von Berufswegen her immer freundlich lächeln, da kann man privat schon mal andere Menschen scheiße finden. Und noch wichtiger: das auch kundtun.
Bin bei dir! Liebe Grüße, Sandra
Hab vergangene Woche bei einem sonntäglichen Zoobesuch (ich weiß, Kopfschuss) festgestellt, dass Menschen hassen und kundtun, noch viel mehr Spaß macht, wenn die die gehasst werden, scheinbar richtige Menschenfreunde sind. Das klappt gut bei blutjungen Studentinnen in Sommerkleidern mit Ökolabel und Trekkingssandalen. Die Blicke sind unbezahlbar. Irgendwas zwischen Schreck, Traurigkeit und Unverständnis. Balsam auf der Misanthropenseele...
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AntwortenLöschenImmer wieder lustig zu lesen Deine Blogs. Langsam ist aber wohl auch Ende der Fahnenstange, so von der gefühlten Ubergestapo die nicht als Anne Frank et al bezahlt wird,.. was natürlich auf dem Umstand der ursächlichen Mistandsnovitäten hinweist, etwa wie ein Kreuzungshinweis.
AntwortenLöschenAber eine Frage drängt sich mir auf, welche den Horizont der final bezüglich Definiertheiten nur etwas verschwommen sichtbar werden lassen kann: Können Akademikerrinnen nackt sein? Wohlmöglich auf Basis des Abschlusses vom "Vom kleinen Kästchen"?
Aber ich kann mir das nicht vorstellen.
Habt ihr Fatum mit Verdikt rückwärts? Da müsste mal was Officielles, was auf Rom und mehr zurückreicht, ihr genotypes Muster, zur Veränderung der Zukunftswirklichheit der Welt, radikal anwenden. Aber wo ist denn jetzt das Erdsumpfloch!!??
Mir hat die DSGVO das Bloggen vermiest, nun war ich ne lange Weile nicht hier. Seitdem ich täglich mit Schülern im Rahmen ihrer Berufsfindung zu tun habe - Berufseinstiegsbegleiterin an einer Oberschule, aktuell zuständig für die zehnten KLassen - und den Lehrern, den Eltern und wer da sonst noch so herumschwirrt, bin ich zum Feierabend froh, wenn niemand mit mir spricht und ich mit niemandem sprechen muss. Eigentlich kann ich Menschen nämlich auch nicht leiden... aber ich konnte sie auch schon VOR meinem aktuellen Beruf nicht leiden, stelle mir nur die Frage, warum ich das ignoriert habe...
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