Lehrer sind auch nur Menschen. Und nicht jeder trifft sich abends mit Kolleginnen abwechselnd zum Nordic Walking oder zum Fortgeschrittenenkurs in Seidenmalerei. Ich denke ich bin das Kuckucksei im Lehrerzimmer. Etwa wie ein Veganer, der ausversehen Metzger geworden ist oder ein Pilot mit Höhenangst. Oder wie eine Franzi van Almsick, die immer wieder vom Schwebebalken fällt weil sie noch nie jemand ins Wasser geschubst hat.

Mittwoch, 29. August 2018

Nachbarn, nackte Schafe und Naturschönheiten ODER Misanthropen beim Lasertag


Wenn ich am Sonntagvormittag aus meinem Küchenfenster schaue und sehe, wie sich die Nachbarn generationsübergreifend zum lockeren Wochenrückblick mit Boulevardnewssparte am Gartenzaun versammeln und die Sterbeanzeigen der Lokalzeitung kommentieren, widert mich das an. Ich kann noch nicht mal genau sagen warum. Vielleicht weil ich Dreiviertel der Beteiligten (Kinder eingeschlossen) einfach nicht leiden kann. Das ist nichts persönliches, ich kann den Großteil der Menschheit nicht leiden. Da ist Dreiviertel schon optimistisch formuliert und zeugt von einem ausgeglichenen Seelenzustand meinerseits in dem Moment, in dem ich diese Worte niederschreibe. Schnell veröffentlichen. Morgen kann das schon ganz anders aussehen. 

Aber ich meine, den Typen mit der Rotzbremse, der in typischer Dreiecksbadehose mit seinen Kindern auf der Straße Federball spielt, kann man einfach nur ablehnen. Und das Aas, welches extra die Hecke unterhalb seiner eigenen Augenhöhe beschneidet um meine Einkäufe im Kofferraum stalken zu können, verdient meine Akzeptanz ebenfalls nicht. Aber hey, ich hasse tatsächlich nicht alle meine Nachbarn. Die alte Fraumit den zerzausten Haaren, die früher mal Lehrerin war und sich heute zum Brötchen holen nur ne Jacke mit Sofamuster übers Frotteenachthemd wirft, ist mir sehr sympathisch. Lediglich die Tatsache, dass sie mit ihrem knapp dreißig Jahre alten Opel Corsa ausgerechnet zur Kirche fährt, nachdem sie mit viertausend Umdrehungen raketengleich rückwärts aus ihrer Einfahrt geschossen ist, verleitet mir ihren Vorbildcharakter etwas. Die Kirche, nicht das Auto.

Beim idyllischen Familienspaziergang (dafür müssen die Parameter Temperatur, Niederschlag, Luftfeuchtigkeit, Tageszeit und Verkehrsaufkommen in einem sehr sensiblen Gleichgewicht aufeinander abgestimmt sein), meide ich bestimmte Wege und Straßen, um nicht auf Bekanntschaften zu treffen, von denen ich erwarte, zum pseudofreundlichen Endlos-Smalltalk genötigt zu werden. Die Frau mit den dauergeröteten Bäckchen drei Straßen weiter hat es sogar drauf, mit dem Auto neben mir anzuhalten und bei heruntergelassener Scheibe ein Gespräch zu inszenieren in dem sie mir, unter dem Wissen dass ich die Lehrerin der Parallelklasse ihres Sohnes bin, Informationen jenseits meiner Schweigepflicht zu entlocken versucht. Fällt dieses Verhalten schon unter Stalking? Kann man das anzeigen? Irgendwann springe ich vermutlich in den Straßengraben, wenn ich das KfZ dieser distanzgeminderten Person herannahen sehe. Oder ich zieh‘ einfach um.

Diese Frau steht nur beispielhaft für eine ganze Reihe von Menschen, die mich von ihren Unkrauteimern aufblickend und gummibehandschut mit einem freundlichen Lächeln grüßen während ich froh bin, dass man hinter meiner Sonnenbrille das Augenrollen nicht sieht.

Mir drängt sich eine Frage auf: Ist mein Denken und Verhalten pathologisch? Und wenn ja, macht mich das zu einem schlechten Menschen? Oder bin ich vielleicht einfach wählerisch, was die Menschen angeht, denen ich meine Beachtung und Achtung schenke. Womöglich ist es eine Art Unverträglichkeit. Ähnlich wie bei Lactose oder Gluten?

Ich glaube, ich bin schon von Berufswegen täglich in so hohem Maße sozial, dass ich mir im Privatleben ohne schlechtes Gewissen eine gute Portion Misanthropie leisten kann. Das ist ein bisschen so wie sozio-emotionales Yoga. In den Asanas, also den Yogaübungen, versuche ich die Situation so gut es geht zu meistern, ich achte auf richtige Atmung, meine Haltung und die richtige Stellung der Gelenke. In meiner Arbeit tue ich das gleiche. Ich bin professionell (meistens), nehme Probleme ernst und bin Ansprechpartner für Kinder und Eltern. Weil es anstrengend ist, so professionell zu sein – beim Yoga ebenso wie in der Schule – verdient man sich eben Entspannung. Entweder in Form von Phantasiereisen durch die Körperzonen unter Begleitung von Klangschalen oder eben als ausgelebte Misanthropie. Ich gehöre sicher nicht zu den Menschen, die mit ihrem Freundeskreis den Jupiter bevölkern könnten und flüchtige Bekanntschaften, die nicht den intrinsischen Wunsch hegen, mich näher kennen zu lernen, neigen dazu mich zuweilen als arrogant einzuschätzen.

Es sprechen aber durchaus auch Argumente für meine erhöhte Sozialkompatibilität. So war ich vor einiger Zeit zum Beispiel zum Junggesellinnenabschied einer sehr langjährigen und sehr wichtigen Freundin eingeladen, die mir vorher extra noch gestand, dass ich eine der Personen sei, auf die sie bei diesem Unternehmen am wenigsten verzichten möchte. Warum kann ich mir jetzt auch nicht so gut erklären. Ich bin ja gerne mal die Frau fürs Grobe beziehungsweise Übernehme die Aufgabe des Auslotens der schmalen Grenzen zwischen fürchterlich lustig und unsagbar peinlich. Früher nannte man das glaube ich Klassenclown. Aber ob es jetzt wirklich daran lag?
Na klar nehme ich mir die Zeit für so etwas, ich bin ja sozusagen selbsternannte Junggesellenabschiedologin, beschäftige mich im Nebenfach mit dieser Art der kontroversen Freizeitgestaltung häufiger und verblogge das auch gerne mal. Und so fand ich mich ein halbes Jahr später in einer Gruppe Frauen wieder, welche allesamt Look „Ewige Studentin – ein Akademiker kennt keine Stylingzwänge“ einigte. Man stelle sich eine Schafherde vor, alle Schafe naturbelassen und ungeschoren. Nur eines steht „nackt“ dazwischen.

Nichts ist wie es scheint
Wir verbrachten bei aller Verschiedenheit einen durchaus kurzweiligen Tag in der Großstadt, auch wenn die Organisatorinnen noch viel über die Ausgestaltung eineserfolgreichen JGAs lernen sollten. Man erkennt nämlich die erfahrungslose Ersttäterin daran, dass sie vermutlich gegoogelte typisch „junggesellenabschiedische“ Freizeitaktivitäten auf die Tagesordnung setzt, bei der sie die Eignung der Teilnehmerinnen unberücksichtigt lässt.
Nicht zu vergessen der Fauxpas mit dem Alkohol. Ich habe das an anderer Stelle schon erwähnt: nur bei den Wenigsten steckt hinter der Aussage „Ich kann auch ohne Alkohol Spaß haben“ ein Fünkchen Wahrheit. Die meisten Spaßbremsen, die das behaupten, trauen sich noch nicht mal nüchtern im Auto zu singen weil sie Angst haben, jemand beobachtet sie im Rückspiegel. Vier Piccoloflaschen Sekt für acht Frauen sind zu wenig! Das trinke ich zum Warm-up auf dem Weg zur Straßenbahn. Kennt ihr den Ausdruck "Nur im Suff zu ertragen"? Er wurde erfunden, um Junggesellenabschiede in fünf Wörtern zu beschreiben.
Die nüchternen Akademikerinnen finden sich wieder beim Lasertag. Vorweg eine Preisfrage: Welche Personengruppe bildet an samstäglichen Nachmittagen im Sommer in der Großstadt wohl das Hauptklientel einer Lasertag-Anlage? Richtig! Der Kandidat hat 1 Million Punkte und gewinnt die Collectors Edition Wunderbäume und ein Originalpaar Filzpantoffeln handmade im Chemnitzer Umland. Es sind betrunkene Männergruppen.

Sozialkompatibilität hat auch bei den ehemaligen Pädagogikstudentinnen ihre Grenzen und die Vorstellung mit diesen betrunken „Wilden“ in einen dunklen Kellerraum bei Schwarzlicht gesperrt zu sein, erregt einiges an Besorgnis bei meinen Begleiterinnen, nein, es versetzt sie geradezu in eine Art Schockstarre, die nur durch intensives Diskutieren zu lösen ist.
Nachdem auch die Letzte verstanden hat, dass Lasertag nichts mit Besenreißern oder Sehfehlern zu tun hat und man pazifistisches Gedankengut hier eher schlecht unter die Leute bringt, folgt eine Grundsatzdiskussion, deren Länge in keinem Verhältnis zur eigentliche Spielzeit steht. Die Braut erhebt ein Machtwort – „man könnte es doch einfach mal probieren, denn schließlich ist man schon mal hier“ – und beweist damit, dass jede noch so wortreiche Diskussion mit nur wenigen richtigen Worten entschieden werden kann. Der hoch motivierte und durchaus sympathische Betreiber (Ja, ich fand ihn sympathisch!) weckt mit den Worten „Los, Mädels – macht die Jungs platt!“ die Amazonen mit Killerinstinkt in den Pippi Langstrumpfs: Feministinnen aller Lager vereinigt euch gegen den Chauvinismus in Biermarinade.
Das erste Spiel zur Orientierung noch verloren, sind wir durchaus angefixt nach 20 Minuten Jagd auf Männer, von denen viele schon bei der Wahl des Hauptschulbildungsganges unseren weiblichen Respekt verwirkt hatten. Spiel 2 gewinnen wir in der Unterzahl gegen eine Gruppe „männlicher Kampfmaschinen“, die mangelnde Orientierung und Koordinationsfähigkeit in der Dunkelheit durch brutales Umrennen der Leichtbauwände kompensierten. Da halfen ihnen auch plumpe Betrugsversuche nichts.
Als Killerinnen hatten meine skeptischen Mitstreiterinnen binnen kürzester Zeit Taktik entwickelt. Als Siegerin in der Gesamtwertung entpuppte sich allerdings meine Taktik „Schießen auf alles, was sich bewegt“ als die erfolgreichste. Am Schluss wird deutlich: Berufspädagoginnen und Trägerinnen akademischer Titel rücken bei einer Treibjagd auf Männern die Gewehrläufe eng zusammen.
Ich muss wirklich zugeben, ich hatte auf diese Art der Freizeitgestaltung wirklich keine Lust, vielmehr hätte ich mir etwas ladyhafteres gewünscht. Poledance beispielsweise, wobei ich mir meine wuschlig-wollige Schafherde dabei auch ungerne vorstellen möchte. Wahrscheinlich hätte der artistische Stangentanz mit exotischen Elementen zu ähnlichen Grundsatzdiskussionen im Vorfeld geführt wie der Lasertag-Plan. Aber auch Frau Müller irrt sich mal und muss sich revidieren. Mädels, das macht echt Spaß! Vergesst nur Sagrotan, Wechselklamotten und Duschsachen nicht! Ich mag meine Laserpistole nicht gerne, wenn überall an ihr Schweiß und Sabber von fremden Männern klebt. Ich bin eine Lady!
Kommen wir zurück zur Ausgangsfrage. Bin ich sozial nicht kompatibel? Ist meine Abneigung einer Vielzahl von Menschen gegenüber gar pathologisch? Weil es so aufschlussreich ist: bleiben wir beim kollektiven Brautverramschen. Bei einem anderen JGA, welchem ich beiwohnte, war ein Viertel der Beteiligten schwanger. Schwangere sind auch nicht meine bevorzugte Peergroup, aber auch hier kam es zu keinerlei ernsthaften inneren oder äußeren Spannungen, die sich auf mangelhafte Kompatibilität meinerseits zurückführen ließen.
Ich empfinde den Wechsel aus Schwangeren, Ökofrauen, missratenen Kinder sowie deren Eltern und meiner Hand voller sehr guter Freunde  - die berühmte exklusive Sammlung ausgewählter Irrer, die Facebook so oft lobpreist -  als Kneippkur für mein Seelenwohl. Ich denke es ist wichtige Psychohygiene, wenn ich mich selbst vor Konversation und sozialen Interaktionen schütze, die weder meinen Geist noch mein Herz bereichern.
Eine Flora gedeiht besonders gut, wenn das Gleichgewicht zwischen den guten und schlechten Bakterien ausgeglichen ist. Das wissen wir schon aus den Antworten von Dr.Sommer, die es auf weniger reißerische Fragen gab. Ja, ich habe immer die ganze Doppelseite gelesen. Ich sorge für den Ausgleich wenn ich sonntags Umwege im Dorf gehe und auch bei bedecktem Himmel Sonnenbrille trage, mich dafür aber auch mal mit studierten Naturschönheiten in einen finsteren Keller sperren lasse und auf Spruchshirts mit Bier- und Senfflecken schieße. 
auf FACEBOOK und macht
werdet Teil des Menschenhass-
Shavasana... Oooohmmm. 

5 Kommentare:

  1. Hach, herrlich! Irgendwie ist dein Facebook Link weg, sag bloß, den hat jemand wegen “Nacktheit” gemeldet?!!

    Wunderbarer Eintrag, kommt mir sehr bekannt vor. Von Berufswegen her immer freundlich lächeln, da kann man privat schon mal andere Menschen scheiße finden. Und noch wichtiger: das auch kundtun.

    Bin bei dir! Liebe Grüße, Sandra

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    1. Hab vergangene Woche bei einem sonntäglichen Zoobesuch (ich weiß, Kopfschuss) festgestellt, dass Menschen hassen und kundtun, noch viel mehr Spaß macht, wenn die die gehasst werden, scheinbar richtige Menschenfreunde sind. Das klappt gut bei blutjungen Studentinnen in Sommerkleidern mit Ökolabel und Trekkingssandalen. Die Blicke sind unbezahlbar. Irgendwas zwischen Schreck, Traurigkeit und Unverständnis. Balsam auf der Misanthropenseele...

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  2. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  3. Immer wieder lustig zu lesen Deine Blogs. Langsam ist aber wohl auch Ende der Fahnenstange, so von der gefühlten Ubergestapo die nicht als Anne Frank et al bezahlt wird,.. was natürlich auf dem Umstand der ursächlichen Mistandsnovitäten hinweist, etwa wie ein Kreuzungshinweis.
    Aber eine Frage drängt sich mir auf, welche den Horizont der final bezüglich Definiertheiten nur etwas verschwommen sichtbar werden lassen kann: Können Akademikerrinnen nackt sein? Wohlmöglich auf Basis des Abschlusses vom "Vom kleinen Kästchen"?
    Aber ich kann mir das nicht vorstellen.
    Habt ihr Fatum mit Verdikt rückwärts? Da müsste mal was Officielles, was auf Rom und mehr zurückreicht, ihr genotypes Muster, zur Veränderung der Zukunftswirklichheit der Welt, radikal anwenden. Aber wo ist denn jetzt das Erdsumpfloch!!??

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  4. Mir hat die DSGVO das Bloggen vermiest, nun war ich ne lange Weile nicht hier. Seitdem ich täglich mit Schülern im Rahmen ihrer Berufsfindung zu tun habe - Berufseinstiegsbegleiterin an einer Oberschule, aktuell zuständig für die zehnten KLassen - und den Lehrern, den Eltern und wer da sonst noch so herumschwirrt, bin ich zum Feierabend froh, wenn niemand mit mir spricht und ich mit niemandem sprechen muss. Eigentlich kann ich Menschen nämlich auch nicht leiden... aber ich konnte sie auch schon VOR meinem aktuellen Beruf nicht leiden, stelle mir nur die Frage, warum ich das ignoriert habe...

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