Sommerzeit ist nicht nur
Hochzeits- sondern auch Schulanfangs-Saison. Diese beiden Festakte zum
Einläuten eines neuen Lebensabschnittes teilen sich dank stetig wachsender
Elternliebe nicht mehr nur die Saison sondern mittlerweile auch das Maß des
Aufwandes, der betrieben wird um diesen Tag für alle? Beteiligten unvergesslich
zu machen.
"Und wo lässt du den Zuckertütenaufsatz machen?", die Muttis kucken mich mit großen Augen an.
"Wie, Wo? Na äh, selber? Also selber machen. Ich mach den selbst. So paar Bänder und Blumengedöns. Das kann doch keine Wissenschaft sein"
- der Mutti-Verschwörungs-Augenaufschlag weicht einem Gesichtsausdruck, der mich stark an die Mimik der Dorfbewohner am Biertisch nach Ricks Outing mit der Aussage "Ich bin beidseitig bespielbar!" erinnert...
"Und wo lässt du den Zuckertütenaufsatz machen?", die Muttis kucken mich mit großen Augen an.
"Wie, Wo? Na äh, selber? Also selber machen. Ich mach den selbst. So paar Bänder und Blumengedöns. Das kann doch keine Wissenschaft sein"
- der Mutti-Verschwörungs-Augenaufschlag weicht einem Gesichtsausdruck, der mich stark an die Mimik der Dorfbewohner am Biertisch nach Ricks Outing mit der Aussage "Ich bin beidseitig bespielbar!" erinnert...
Die Causa Schultüte ähnelt
heutzutage in ihrer Komplexität dem Bau eines Atomreaktors. Ähnlich dem Erwerb
eines Brautkleides beginnt die engagierte Mutter etwa ein Jahr vor dem Tag X
mit der Recherche. In Mütterforen wird aus einer schlichten Frage an die
Schwarmintelligenz schnell ein Mommy-War, da in Sachen Schulanfang Weltanschauungen
aufeinander prallen. Vom Religionskrieg unterscheidet man sich nur noch durch
die harten Waffen. Hass, Ablehnung und Selbstgerechtigkeit sind absolut vergleichbar.
Schaggeline ist verzweifelt: „Hilfe,
der 19Zoll-Laptop passt nicht in die Zuckertüte! Emily-Chantal hat doch schon
einen 15Zoll-PC. Wir haben keine Ahnung was wir schenken sollen!“
Birte scheut weder Kosten
noch Mühen: „Gibt es Firmen, die gluten-,laktose-, zucker- und E234-freie
Fertigzuckertütenfüllungen verkaufen? Wenn es geht Fairtrade!“
Bastel-Mami ist zu allem
bereit: „Mein Kind interessiert sich so sehr für ägyptische Archäologie. Wo
gibt es Zuckertüten mit passendem Aufdruck? Oder sollte ich vielleicht selbst
eine basteln in Form der Cheops-Pyramide? Kennt jemand ein passendes Tutorial?“
Mutti Pippilotta (Pseudonym) will nichts falsch machen: „Wie befestige ich das Steiff-Opossum
Größe XXL sicher auf der Zuckertüte, so dass Bjarne-Sören bei einem Trotzanfall
auch mal damit mit Wucht gegen seine Oma hauen kann und die Bilder des
Fotografen trotzdem ein unvergesslicher Genuss für die Nachwelt sind?“
Die Akte „Zuckertüte“ füllt
sich allmählich dank investigativer Eltern-Kind-Interviews, durch Beobachtungen
des engagierten Privatdetektivs und der unbezahlbar wertvollen Tipps erfahrener Mit-Mütter mit Daten, ungeachtet der Tatsache, dass
Kindervorlieben häufig eine Halbwertzeit von weniger als 10 Minuten haben, etwa
ein dreiviertel Jahr vorher.
Im Frühjahr starten die Zuckertüten- und
Schulranzenmessen. Für mich persönlich genauso überflüssig und grauenvoll wie
Hochzeitsmessen und dennoch strömen die Eltern mit dem Drang nichts falsch zu
machen scharenweise in die bunten Hallen voller Pappe und Nylon.
Lass uns doch heute die
Saurier-Tüte kaufen, nur hier gibt es 15
Prozent Rabatt, eine auslaufsichere Trinkflasche und einen 5Euro-Verrechnungsgutschein
auf den Schulranzen mit dem gleichen Motiv. Die Wahrscheinlichkeit, dass die
Eltern sechs Wochen vor der Einschulung noch eine zweite Zuckertüte mit Rittern
kaufen, weil Thorben-Malte beim Frühstücken seiner Bio-Hirse-Dino-Flakes beiläufig
erwähnt, dass er Dinos langweilig findet, sind deutlich höher als 15 Prozent.
Tipp am Rande: Zuckertüten
mit Pferden, Autos, Fußballern oder Delfinen gibt es jedes Jahr. Möglicherweise
ist der Ferrari aus dem Vorjahr silbern lackiert und nicht wie in diesem Jahr
rot. Wenn Johannis-Marvin damit leben kann, stellt der Erwerb einer Schultüte
aus der Vorjahreskollektion sicher, dass der verehrte Sohnemann nicht einer von
acht Jungen der zukünftigen 1a ist, der eine „roter Ferrari“-Tüte in die Kamera
des Fotografen hält.
Aber halt! Stimmt, ich vergaß.
Das wahre Statussymbol, materiell ausgedrückte Individualität und Elternliebe,
ist der Aufbau AUF dem buntbedruckten Papp-Geschoss. Auch hier fängt der frühe
Vogel natürlich den Wurm denn: die Zuckertüten-Dekorations-Fachfrau mit
überregionalem Ruf, welche in der Nebensaison Trockenblumengestecke verschachert, ist very busy. Anmeldeschluss: 10 Wochen vor Tag X. So ein Ikebana
aus ökologischen Buntstiften, Barbiepuppen, frischen Nelken aus glücklicher
Blumenzucht und nicht zu vergessen dem Barbie-Pferdeanhänger braucht schließlich seine
Zeit. Auch hier spielt man wieder Roulette mit dem unsteten Interesse der
unfertigen Menschen, die es mit dem Bauwerk glücklich zu machen gilt.
Man gibt
also alles in Auftrag, führt dazu ein Beratungsgespräch, dass von Umfang und
Aufbau her an den Erwerb einer Einbauküche erinnert und kauft am besten den
Großteil der Zuckertütenfüllung auch gleich noch im Laden der
Schulanfangs-Oligarchin. 20 Prozent Rabatt auf das Tüten-Krönungsdingens kann
man sich schließlich nicht entgehen lassen. Noch schnell ein Pröbchen des
sorgsam ausgewählten pinken Schleifenbandes eingepackt und ab zum
Serviettengroßhändler, es will schließlich ein EVENT geplant werden. Danach noch schnell ein Blick auf die Summe am unteren Ende der Gästeliste und ab zum Grafiker. Jetzt, wo das Farbkonzept steht, können endlich auch die Einladungen final überarbeitet werden.
Wenn man es nicht in die
Reihen der privilegierten Auftraggeber schafft oder gar nicht rein will weil
man sich zu Höherem befähigt fühlt, bastelt man selbst: die Auswahl an Anleitungen
ist unüberschaubar und die Materialien überteuert. Wer trotz aller
Do-it-yourself-Ambitionen zu doof ist eine Schleife so zu binden, dass sie
nicht nur zwei Enden zusammenhält sondern auch noch aussieht wie eine Schleife,
der kauft eine fertig Gebundene, für die Dank der Aufschrift „In Deutschland
handgefertigt“ 15 Euro Verkaufspreis absolut legitim erscheinen.
Der
ritterliche Plan sich mittels Selbstbautüte vom breiten Kommerzwahnsinn zu
distanzieren, geht nur dann auf wenn der kleine Wilhelm-Siegbert mit seinen
sieben Jahren dank konsequenter Erziehungsarbeit ein ebenso vernünftiges
Verhältnis zum Kommerz hat.
Thema Festveranstaltung. Der
frühe Vogel hat auch hier wieder die Nase, äh den Schnabel vorn. Das Datum des
Schulanfangs lässt sich schließlich nicht aussuchen, ist einige Jahre im Voraus
bekannt und die Auswahl an Locations, welche sowohl komfortabel als auch repräsentativ
genug erscheinen, ist nur begrenzt. Eltern, die ihre Aufgabe ernstnehmen,
reservieren den gewünschten Austragungsort bereits nach dem Errechnen des
Geburtstermins. Man telefoniert die auf der im Frühjahr besuchten Messe
eingesammelten Flyer ab, bestellt Heliumluftballons, ein Pony samt Streichelzoo
und ein Spanferkel.
Die Torte, um Himmelswillen,
vergesst die Torte nicht. Ausgerechnet an die hatte bis acht Wochen vorher
niemand gedacht. Ein zufällig belauschtes Gespräch zwischen zwei Mitmüttern in
der Garderobe des Kindergarten reißt gewaltsam die Schuppen von den Augen. Das
ganze Projekt „Schulanfang“ gerät mit einem Mal gefährlich ins Wanken. Nach
einem Telefonmarathon steht fest: gegen ordentlichen Aufpreis liefert eine renommierte
Konditorei aus dem Nachbarbundesland die Torte am Tag der Tage ins gemietete
Kongresszentrum. Zum Glück feiert das Anrainer-Bundesland erst eine Woche
später.
Am Tag der Tage gibt es kein
gemeinsames Frühstück, da Mama morgens einen Friseurtermin hat und anschließend
die Arbeit des Deko-Teams überwachen muss. Sie hat am Vorabend einen Anruf von
Tante Brigitte bekommen, sie lebt seit 4 Wochen getrennt von Onkel Herbert und
bittet darum, am Tisch nicht neben ihrem Exmann sitzen zu müssen. Thorben-Maltes
Cousine Shanaia hat eine Tierhaarallergie und darf daher nicht zu nah am Kaninchengehege
sitzen. Also überarbeitet die Mutter noch ganz geschwind die Sitzordnung. Zum
Glück hält das Profi-Make-up den Schweißperlen auf der Stirn stand.
Papa holt die Zuckertüte bei
der „Herrin der Schleifen“ (die Oligarchin) – kurzer Schreckmoment nach der Behauptung die Tüte
wäre schon abgeholt worden – und bringt sie zum Festsaal. Am Zuckertütenbaum
ist zwischen all den Moosgummi-Tüll-Spielzeug-Monumenten kaum noch Platz. Jetzt
aber schnell noch das gemietete Cabrio abholen. Thorben-Malte wollte ein
Schwarzes, hoffentlich hat es der Autohändler, bei dem wir vor drei Jahren
unseren Mini-Van gekauft haben, noch geschafft das Fahrzeug vom Partnerautohaus
zu organisieren, denkt der Vater. Er mag sich gar nicht vorstellen, wie Thorben-Malte
reagiert wenn das gewünschte Gefährt nicht seiner Lieblingsfarbe entspricht.
Der Tag, SEIN Tag, wäre ruiniert.
Die eigentliche Zeremonie
geht dann schnell vorbei. Soraya-Xenia bekommt ihre Zuckertüte zuletzt,
Schicksal wenn der Nachname mit einem Z beginnt. Sorayas Papa hat Mühe, alles
für die Ewigkeit festzuhalten, da er vergaß die Speicherkarte der
Spiegelreflexkamera von den Bildern ihres letzten Ballettauftritts zu befreien.
Mama vergießt sintflutartig Tränen. Auf den gestellten Bildern zieht das
Töchterlein eine Fluppe. Gestern hat sie in der Werbung eine Einhorn-Kutsche
gesehen – DIE hatte sie auf ihrer Zuckertüte erwartet. Das Pferd, welches vor
dem Festsaal wartet und Soraya standesgemäß zum Sektempfang transportieren soll
schafft es auch nicht, ihr ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Es stinkt.
Soraya mag nichts, was stinkt.
Zwei Stunden später hat sich
nach dem Anschnitt der Torte in „Märchenschloss-Form“ die Sitzordnung
aufgelöst. Onkel Herbert ist gar nicht erst erschienen weil er mit seiner neuen
Freundin last minute in die Türkei geflogen ist. Shanaia füttert mit triefender
Nase und tränenden Augen die Häschen mit den Smarties aus ihrer Mini-Gastkind-Zuckertüte,
die Erwachsenen sprechen dem Alkohol zu (man muss sich für den ganzen
Vorbereitungsstress schließlich belohnen) und Soraya versucht die Schultüten-Barbie von Vorgestern
im Klo runterzuspülen. Geht nicht, jetzt klemmt sie fest. Also ordentlich
Klopapier oben drauf damit’s niemand sieht.
Nachdem sich das braune Häschen,
welches die Smarties besonders gierig gemuffelt hat, nicht mehr rührt setzen
Shanaia und Soraya es in den Pferdeanhänger aus dem Zuckertütenaufbau. Der
Plan, diesen mittels Dekoband an das für die kleinen Gäste bereitstehende
Bobbycar zu binden und damit Slalom auf dem Gehweg zu fahren scheitert nur an
der Unentwirrbarkeit der „in Deutschland hangefertigten“ Schleife. Mami und
Papi bekommen von Sorayas kreativen Einfällen nichts mit. Sie verfolgen gerade
gebannt die Vorstellung der engagierten Artistengruppe aus China.
Keine selbst programmierte Gratis-App zur perfekten Planung
des Jahrhundert-Schulanfangs gibt es
Dafür aber mehr unalltäglich Alltägliches
garniert mit dem Stilmittel der maßlosen Übertreibung. Schaut rein.
Die kurze Erwähnung der Hochzeitsmessen könnte Inspiration für einen entsprechenden Blogpost meinerseits sein... :)
AntwortenLöschenOh, da bin ich aber gespannt. Gib mir Bescheid zur gegenseitigen Verlinkung der Messe-Liebhaber ;-)
LöschenDu hast so völlig Recht! Man weiß nicht ob man lachen oder mit dem Kopf schütteln soll. Wir haben nun auch am Samstag Schulanfang von meinem Sohn. Ich habe sehr versucht nicht im Stress auszuarten und der Zufall wollte es auch alles sehr entspannt. Zuckertüte billig erstanden, Ranzen leider nicht... Torte backe ich entspannt selbst. Outfit im Sale gekauft.🤣 Ich mache trotzdem 3 Kreuze wenn der Tag rum ist. Aber wenn es dich tröstet, es gibt auch noch normale Menschen! 😁 Ich verstehe den Hype darüber überhaupt nicht. Wir haben auch gerade so ein Platz noch gefunden. Umd das vor 1 Jahr. Da muss man wirklich mit dem Kopf schütteln. Wo führt das alles nur noch hin? Ich wünsche dir trotzdem einen angenehmen Schulstart!!
AntwortenLöschenDanke, den hatte ich. Ich glaube Kinder und alles was damit zu tun hat, werden für einen bestimmten Teil der Bevölkerung erstens zu einer Art Statussymbol. Was das Kind kann, hat, weiß oder leistet, auch was ich dem Kind biete, definiert auch was ich als Vater oder Mutter geleistet habe. Und dann ist so ein Primborium vielleicht auch ein klein wenig partygewordene Elternliebe? Was nicht automatisch bedeutet, dass diejenigen, die nicht solch einen Zirkus veranstalten, ihr Kind weniger lieb haben. Aber für die Eltern selbst, könnte es nicht nur eine materielle Selbstbestätigung sondern auch die sichtbare Bestätigung der Liebe zum eigenen Kind sein? Wäre ja nur ein Symptom mehr, für eine immer kranker werdende Gesellschaft? Das sind zumindest meine Gedanken...
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