Lehrer sind auch nur Menschen. Und nicht jeder trifft sich abends mit Kolleginnen abwechselnd zum Nordic Walking oder zum Fortgeschrittenenkurs in Seidenmalerei. Ich denke ich bin das Kuckucksei im Lehrerzimmer. Etwa wie ein Veganer, der ausversehen Metzger geworden ist oder ein Pilot mit Höhenangst. Oder wie eine Franzi van Almsick, die immer wieder vom Schwebebalken fällt weil sie noch nie jemand ins Wasser geschubst hat.

Mittwoch, 2. November 2016

Warum ich Facebook nicht mag und wir davon immer dümmer werden


Ich finde Facebook zum kotzen. Nein, ich hasse es. Es wimmelt von Menschen deren persönliches Tages-Highlight der Gang zur Mülltonne und der anschließende Post dazu ist.

Und dann die Anderen: täglich längere Laufstrecken, mehr Gewichte auf der Hantel, neue Medaillen der Kinder, Selfies beim Sightseeing an den stylischsten Orten dieser Welt. Ich hasse solche Menschen. Sie geben mir das Gefühl faul, arm, langweilig und erfolglos zu sein. 

Ich hasse Facebook. Ich hasse es wenn Herr Müller morgens nach dem Aufwachen bei geschlossenem Rollladen vor dem Fenster zu mir sagt: „Schatz, es hat geschneit!“ – er weiß es von Facebook. Verdammt, was bringt Menschen dazu morgens nach dem Aufwachen die Großwetterlage zu posten? 

Ich habe mich jahrelang dagegen gewehrt, ich wollte nie Teil dieser ekelhaften Parallelgesellschaft werden, die ihren Selbstwert über Likes und die Anzahl ihrer virtuellen Freunde definiert. Diese Leute sitzen dann ganz real mit dir zusammen und beschäftigen sich mit ihren virtuellen Freunden. Wie wäre es denn wenn mal jemand in mein Face kuckt, ganz ohne Book? 

Eine Seuche ist das! Eine Epidemie die uns zuerst die Fähigkeit raubt Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und danach noch sämtliche Empathie und echte Interaktionsfähigkeit auffrisst. Selbstreflexion? Pah, was für Anfänger. Lass das doch die Facebook-Gemeinde übernehmen.

Und noch was nimmt uns Facebook: die Lust zu lesen. Alles nur Junk. Ein schnelles Video von onanierenden Schimpansen, bearbeitete Bilder von konkaven Häusern auf neongrünen Rasen in denen nie ein Mensch wohnen wird, dazwischen Werbung, Bilder von hässlichen Tieren oder Menschen mit einem „Fass dich an die eigene Nase“-Sprüchlein, dann der ganze Selbstdarstellungsmist von oben plus „Kenn ich nicht ist jetzt mit kenn ich nicht befreundet“ , „Nie gehört stellt dir eine Freundschaftsanfrage“ und „wer ist das eigentlich findet gut“. Und das unterhält die Menschen. Sie beschäftigen sich damit beim Warten auf etwas, um sich zu entspannen oder gar parallel zu real menschlicher Interaktion. 

Facebook real - real unkommunikativ. Oder weiß jetzt jemand wie es hinter dem Buch aussieht?
Eins hat all diese Convenience-Unterhaltung gemeinsam: man muss nicht viel lesen. Ein paar Icons, Emojis und die immer wiederkehrenden Bildchen von Betrunkenen, Dicken, Hässlichen oder Tierbabys massieren unsere Synapsen weich. Wenn dann das Text-Bild-Verhältnis mal umschlägt krampft es im Hirn. „Orr nee. Voll viel lesen" (für mehr Wörter reicht es nicht mehr) und weiter gescrollt. 

Ich dachte schon Hörbücher seien der Anfang vom Ende. Seitdem ich aber festgestellt habe dass meine Posts besonders gut ankommen wenn ich sie mit dem intonatorischen Sarkasmusschild vorlese, revidiere ich meine Meinung.

Soziale Netzwerke sind überall, sogar im Lehrerzimmer. Man wird aktenkundig belehrt, dass man in seinem so geschätzten Lehreramt auch im Privatleben darauf zu achten habe wie man sich öffentlich darstellt. Von da an hasse ich Facebook noch mehr. Vielleicht war dieser dienstliche Belehrungsakt aber auch so eine Art Stein des Anstoßes. Ein Weckruf an das trotzige Kind in mir? Klar, ich bin bekloppt. Aber so bekloppt nun auch nicht wieder. Kinder müssen ernährt, Autos getankt und Kredite abbezahlt werden. Ich kann die Hand ja nicht beißen die mich füttert (sagt man doch so oder?).  Ich nicht – aber Frau Müller kann (klingt irgendwie schizophren).

Meine Freundin Sarah hasst Facebook genauso wie ich. Als ich ihr von Frau Müllers Plänen erzählte, Teil der von uns so geächteten Cyber-Community zu werden war das für sie der einzige Grund dem „Druck von außen“ endlich nachzugeben. Ich betrachte es als großen Liebesbeweis und Ausdruck tiefster Verehrung dessen was ich hier tue, dass sie diesen schweren Weg mit mir gemeinsam geht.
 
Ich muss mich beugen, mir eingestehen dass auch ich MANCHMAL mit der Herde gehen muss, auch wenn man da bekanntlich meist nur Ärsche sieht. Ich war damals auch überzeugt das Internet eine Eintagsfliege ist aber unbelehrbar bin ich nicht. 

Der mittelalterliche Ausrufer hat längst ausgedient. Bei den Benzinpreisen ist ein Touren von Ort zu Ort um auf dem Marktplatz stehend seine Gedanken ins Volk zu tragen auch zu kostspielig, vor allem bei Lehrergehalt. Dort auch noch mit den Megaphonen von AfD und Pegida zu konkurrieren stelle ich mir deutlich anstrengender vor als belanglose Auswürfe auf der Basis von Sozial-Exhibitionismus aus meiner Timeline zu löschen (hoffentlich heißt das so). 

Nicht falsch verstehen, es ist nicht der Exhibitionismus. Daran ist überhaupt nichts schlecht. Es ist die Belanglosigkeit. Wobei das wiederum etwas sehr subjektives ist. Wenn im Leben sonst nichts passiert dann ist das Mittagessen bei McDonalds schon mal ein Highlight und damit wertvoll genug per Schnappschuss mit der ganzen Welt geteilt zu werden. 

Teilen von subjektiv aufgewerteten Belanglosigkeiten. Facebook in fünf Worten. Das verstehen ALLE User. Da mach ich auch mal mit, ich hab das Gefühl das wird zum Trend. 

In der Lehrerzimmer-Außenstelle mach ich mich fast täglich zur Hure des Freiers namens "Social Media".

7 Kommentare:

  1. Das ist gut. Ich bemühe mich nun, eher schlicht zu schreiben, wobei bereits das Wort "schlicht" nicht schlicht ist. Finde ich. Ich bin auch bei fatzebuk und habe heraus gefunden, dass zu viele Buchstaben dort nicht gut ankommen. Ich versuche es eher mit Bildern. Klappt. Kannste ja auch mal versuchen :-) Du schreibst echt klasse, ich hoffe, es kommt noch mehr in dieser Art! LG
    Petra

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  2. Liebes Gartenäffchen (ich finde den Namen toll deswegen schreibe ich bewusst nicht "Liebe Petra", meine Vorstellung eines Gartenäffchens weckt in mir den Wunsch auch eins haben zu wollen... wie der ALF, den ich mir immer gewünscht habe, der aber nie in unser Garagendach gestürzt ist),
    erstmal erhältst du von mir den Ehrenpreis für den ersten öffentlichen Kommentar hier im Lehrerzimmer: er besteht aus meiner ungeteilten Anerkennung und Dankbarkeit sowie einem imaginären Belobigungssticker.
    Zu deinem Kommentar: mit Bildern hab ich es nicht so. Irgendwie sieht das was auf dem Bildschirm zu sehen ist nie so toll aus wie das Original, egal ob ich dabei vor oder hinter der Kamera bin ;) Worte sind meins und bleiben es. Und ich werd mich denk ich auch nicht mehr für die visuellen Junkies bei Facebook verbiegen. Wer sich nicht die Zeit nimmt zu lesen ist meine Worte nicht wert.

    Grüße ans senile Katerchen
    es dankt Frau Müller

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  3. Hallo Frau Müller, ich bin auch Frau Müller und möchte auch ein Gartenäffchen haben, oder ein Faultier habe ich doch schon zwei). Ich finde Deinen Beitrag super geschrieben. Facebook finde ich persönlich auch absolut irrelevant, ausser natürlich die lustigen Katzenvideos. Nein aber mal Spaß beiseite, manchmal ist es auch ganz nützlich, wenn man irgendwelche lange verschollenen Personen sucht, oder einfach zur Unterhaltung ohne Nachdenken. Wie das Mittagsmagazin bei RTL, das schaue ich gerne beim Kochen und Putzen. Die Teenager sind ja mittlerweile richtig süchtig nach Facebook Freunden, Likes und Followern, wobei, wer so wirklich hip ist, ist nicht mehr auf Facebook, sondern auf Instagram oder Tumblr. Auf Facebook sind nur noch die Muttis um ihre Kinder zu stalken oder die Freunde der Kinder. Meine Tochter hat mich ertappt.
    LG die andere Frau Müller alias Frau Rotkohl

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  4. Hallo Frau Rotkohl aka Frau Müller,
    vielen Dank fürs Mutige Kommentieren. Da beugt man sich dem gesellschaftlichen Druck und dann isses wieder zu spät. Der Zug schon abgefahren. Mein Hirn muss sich erstmal mit der FB-Infiltration abfinden bevor es sich an die anderen SocialMedia-Kanäle wagt. Sonst krampft es endgültig. Aber ich hab ja schon längst gemerkt dass ich schon wieder zu den ahnungslosen "Alten" gehöre. So lange ich keine Freundschaftsanfragen von Schülern oder gar Eltern kriege ist alles im neon-grünen Bereich ;-)
    Was das Kinderstalken angeht... im Moment sind die beiden Müllers noch nicht in der FB-Hölle angekommen und wenn es mal soweit ist hab ich bisschen Bedenken dass die eher mich Stalken, hinsichtlich der langfristig geplanten Bloginhalte 🙈

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  5. "Du bist was Du isst" - das ist der Spruch der mir immer zuerst bei Facebook einfällt. In dem Fall ist es natürlich eher "Du siehst was du likest". Ok, der Spruch sieht zwar grauenhaft aus, trifft es aber recht gut. Wenn du nur Katzenvideos ein Like spendierst dann wirst du auch damit öfter zu tun haben. Genauso verhält es sich mit den Freunden, wenn man alles ungefiltert mitnimmt was die so von sich geben. Ich für meinen Teil habe sehr sorgfältig ausgesucht was ein Like verdient oder welcher meiner Freunde auch etwas von sich geben darf was ich lesen will. Zugegeben, es hat eine Weile und ein paar Accounts gedauert bis ich das so hatte wie ich es wollte, aber es geht. Dann ist auch Facebook nicht schlimm... bis auf die Werbung.
    Damit filtert man allerdings nur. Unter der Oberfläche sind trotzdem noch die die das Essen von McDonalds posten, aber du siehst sie nicht mehr. Das sind dann aber auch die die immernoch RTL anschauen und das Programm toll finden oder Bild lesen etc. Diese Leute wird man wohl nie los. ;)

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  6. Danke fürs Kommentieren, mein Lieber. Wenn ich als Social-Media-Langzeit-Verweigererin erstmal alle FB-Grundfunktionen verinnerlicht habe werd ich dann auch mal die Spreu vom Weizen trennen.
    Was mich bezüglich dieser Likerei im Augenblick mehr ärgert ist dieses ganze Pseudogetue was dahinter steckt. Ich like dich damit du mich likest. Tatsächlich tue ich das nur um meine Zahlen aufzubessern. Was du schreibst interessiert mich nicht. Ein Like für ein Like finde ich schräg. ICH Like nur was mir gefällt. Und ich möchte auch nur von Leuten geliked werden denen wirklich gefällt was ich mache.

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    1. Da gehen wir auch d'accord.
      Ich glaube ja das es vorallem mit fehlendem Selbstwertgefühl oder Sucht nach Bestätigung zu tun hat. Meine Vermutung ist das es in der menschlichen Natur liegt und es einfacher ist sich selbst zu reflektieren an der Meinung anderer. Eine Abhandlung im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung würde ich da interessant finden, allerdings von fachlich kompetenteren Leuten als mir :D

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