Lehrer sind auch nur Menschen. Und nicht jeder trifft sich abends mit Kolleginnen abwechselnd zum Nordic Walking oder zum Fortgeschrittenenkurs in Seidenmalerei. Ich denke ich bin das Kuckucksei im Lehrerzimmer. Etwa wie ein Veganer, der ausversehen Metzger geworden ist oder ein Pilot mit Höhenangst. Oder wie eine Franzi van Almsick, die immer wieder vom Schwebebalken fällt weil sie noch nie jemand ins Wasser geschubst hat.

Mittwoch, 28. Juni 2017

Die Wahrheit über Ferien, ein Hausmeister-Einhorn und schon wieder Justin


Achtung - Kann Spuren von Ironie enthalten.
Ferien sind etwas, um das die meisten Normalen Menschen Lehrer vermutlich beneiden. In der Tat, die Sache hat was für sich - das kann ich euch bestätigen. Doch wo Licht ist, da ist auch Schatten...
  
Aaaaahhhh, Ferien. Herrlich. Hier sind sie schon angekommen. An dieser Stelle halte ich kurz inne und gedenke der Kollegen, die noch bis zu vier Wochen vor sich haben, bevor sie abhängig vom Frustrationsgrad entweder die Tasche in die Ecke werfen und die nächsten fünf Wochen mit dem Staubsauger galant drum herum cruisen oder gleich am ersten Ferienmontag ihren Schreibtisch aufräumen und den Taschenboden vom Schuljahresschlamm befreien, bevor dieser zu Braunkohle wird.


Für mich bedeuten Ferien auch endlich mal vormittags einkaufen gehen können, in der Hoffnung sich nicht wie Super Mario zwischen den Monsterblumen zu fühlen, wenn jede Regalreihe von Rentnergrüppchen belagert wird. Ich nahm an, vormittags sitzen diese entweder im Wartezimmer oder kucken Serien im Öffentlich Rechtlichen, da sie ja sonst erfahrungsgemäß immer nachmittags einkaufen. Die Erkenntnis kam jäh: Rentner gehen zu jeder Tageszeit einkaufen UND -noch schlimmer- man trifft jetzt auch noch Schüler im Supermarkt. Die wissen anscheinend die nächsten sechs Wochen vormittags nichts Besseres mit sich anzufangen als in Einkaufszentren rumzulungern. Zumindest wenn es in der Nähe kein Kinderfest gibt, auf dem man rumhängen kann.

Die eigenen Kinder mal nicht im Schlepptau ganz in Ruhe in den Wühltischen nach Silikonbackpinseln, Barfußeinlege-Sohlen und Lebensmittelmottenfallen stöbern - das war mein Plan. Eine traumhafte Vorstellung! 

Doch schon im ersten Gang endet dieser Traum jäh mit einer Schülersichtung. Und dann ausgerechnet ein Justin. Es gibt ja auch Schüler, die grüßen schüchtern, flüstern ihrer Mutter mehr oder weniger unauffällig "Das is eine Lehrerin" zu und beobachten dann nur noch aus der Ferne. Justins tun das nicht. Vermutlich weil ihnen sonst niemand zuhört, der nicht dienstlich dazu verpflichtet ist.
 
Man versucht sich unsichtbar zu machen, wechselt mehrfach die Richtung, täuscht links an und fährt rechts, versteckt sich in Nischen, darauf wartend dass der Verfolger vorbei zieht - wie ein polnischer Autodieb auf der Flucht vor Cobra 11. Aber nix da, Schüler haben genau wie Lehrer ein eingebautes Feind-Radar.

Es passiert kurz vorm Obst- und Gemüse-Stand: 
„Hallo, Frau Müller!“ (kein normales Hallo, mehr ein "Ha, hab ich dich ertappt" mit bedrohlichem Unterton)
– „Hallo, Justin!“ 
Man beschleunigt den Schritt weil man verzweifelt hofft, dass die Konversation mit dem Beginn auch direkt endet. Aber nichts da - Justin ist wie Herpes. Hat man es einmal, wird man es nicht wieder los. Man wird zur Gejagten. Mit hastigen Schritten und fahrigen Bewegungen wirft man das Nötigste in den Wagen. Alles was man auch nur ansieht, kommentiert das Schlaumeierchen um eine Nähe zu erzeugen, die nur einer Seite angenehm zu sein scheint: 
„Oh, Frau Müller? Sie essen auch gerne Pomelo?“
"Diesen Sekt kauft meine Mutter auch immer!" 
"Ich wusste gar nicht, dass Lehrer auch Cola trinken!" 
(Booooaar, nein du Alphakevin. Ich trinke sonst auch keine Cola. Nur heute kaufe ich die. Um dir zu zeigen, dass ich ein normaler Mensch bin. Sonst trinke ich nur stilles Wasser, darauf kotzt es sich am besten nach solch bescheuerten Aussagen!")

Die Hoffnung, dass der aufgezwungene Kommunikationspartner durch minimale bis gar keine Reaktion inklusive "Geh einfach"-Metabotschaft seines Gesprächspartners von allein feststellt, dass er unerwünscht ist, löst sich bei genauerem Nachdenken und Einbeziehen sämtlicher justinscher Reflexionskompetenzen (also keine) von selbst in Luft auf.  

Nach der Erkenntnis, dass die ursprüngliche Einkaufs-Vision schon kurz nach dem Eingang zum Luftschloss wurde, sucht man den kürzesten Weg zur Kasse und hofft, dass vielleicht die lieben Mit-Kunden durch das übliche Gedrängel im Kassenbereich dem Problem ein Ende setzen. Heute ist alles ganz entspannt und die Massen überschaubar. Ach ja, sind ja Ferien.

Also veredelt Justin auch die Wartezeit an der Kasse durch seine heitere Art mich und die anderen Kunden zu unterhalten. Inständig hoffe ich, dass die Umstehenden unser Lehrer-Schüler-Bekanntschaftsverhältnis durchschauen. Kaum auszudenken, wenn der ein oder andere auf die absurde Idee käme, man wäre vielleicht verwandt oder die Basis der Bekanntschaft beruhe auch nur einen Hauch auf Freiwilligkeit.

Kurz um, diese liebenswerte Schülerpersönlichkeit begleitete mich bis zum Kofferraum meines Autos und bereicherte meinen Vormittag auch hier mit seiner Gesellschaft bis der letzte Soja-Joghurt sicher verpackt war. Toll.  Immerhin hat er meinen Einkaufswagen weggebracht.
Noch toller allerdings war die Erkenntnis beim späteren Auspacken des Einkaufs: WAS habe ich eigentlich eingekauft und vor allem WO sind die Dinge die ich BRAUCHE?

Ferien dienen der Erholung von Lehrern UND Schülern. Sachlicher Fakt für alle, die es interessiert: Lehrer haben etwa 30 Tage Urlaub, die sie wie die meisten anderen Arbeitnehmer ordnungsgemäß zu Beginn des Kalenderjahres beantragen müssen, die sie aber NUR IN DEN FERIEN nehmen dürfen. Für alle übrigen Tage gilt: Vor- und Nachbereitungszeit bei weitgehend freier Einteilung. So ist es zumindest bei uns an der Schule. Ich weiß aber, dass es viele Schulen gibt, in denen den Kollegen weitaus weniger freie Zeiteinteilung zugestanden wird.
 
Es dürfte klar werden: für den Einzelnen verbirgt sich hier natürlich enormer Interpretationsspielraum. Dieser hängt stark von der Fähigkeit ab, ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen Psychohygiene und Konsequenz bezüglich beruflicher Verantwortung herzustellen. Erweitert oder beschränkt wird das Ausmaß der Freizeit zudem je nach Arbeitseinstellung des Vorgesetzten, der sich bei Verdacht auf Faulenzerei die Tätigkeiten im unterrichtsfreien Zeitraum durchaus nachweisen lassen darf. 
Wenn man wie ich jedoch einen Vorgesetzten hat, der die Arbeit scheut wie Katzen das Wasser und gleichzeitig so inkompetent ist wie ein Säugling beim Bauen eines Kartenhauses, dann verschafft einem das enorm viel Freizeit.

Der Lehrer-Ferien-Freizeit-Spaß wird aber nicht nur durch Schüler getrübt. Drei Dinge sollte man außerdem bedenken.

Erstens: hat man selbst Kinder, haben die auch Ferien. Dingdong! Alles klar! Animiert man sonst vormittags fremde Kinder etwas halbwegs Sinnstiftendes zu tun, sind es jetzt die eigenen. Juhu. Nicht.

Zweitens: wenn man wie ich nicht mit Lehrern befreundet ist -ist ja kaum auszuhalten, ich mag die nicht besonders- ist die Auswahl der Menschen, mit denen man den Tag verbringen kann recht übersichtlich. Die anderen müssen ja ständig arbeiten. Man schreibt vormittags halb elf eine Whatsapp und bekommt fiesen Shitstorm à la „Frau Oberlehrerin hat ja Ferien…“ zurück. Das ist verletzend, Leute. Wer ist denn den ganzen Tag einsam weil keiner Zeit hat und muss sich die Zeit mit schlafen, putzen und Wäsche waschen vertreiben obwohl er sich nach der wochenlangen Plagerei in der Irrenanstalt mal was Schönes verdient hat? Selbst bei Hunden weist man darauf hin, dass sie nicht zu lange alleine zu Hause sein sollten, Katzenhaltern empfiehlt man die Anschaffung eines Partnertieres um Symptome der Vereinsamung zu lindern. Aber kein Mensch denkt an die LEHRER! Ja, jede Medaille hat zwei Seiten. 

Noch nicht mal der eigene Partner -natürlich kein Lehrer, das ist ja krank- kann dem wohlverdienten Regenerationszeitraum beiwohnen, der muss ja auch arbeiten. Das schlimmste: abends ist er müde, ab halb neun etwa. Noch vor den Kindern, denn die haben ja auch Ferien. Man selbst läuft um die Zeit erstmal zu Hochform auf, schließlich ist man ausgeschlafen. Die Folge: man geht mit ins Bett - aus Liebe- und liegt hellwach neben dem Scheintoten. Aktivitätsmodus: Eichhörnchen auf Speed.

Die Chancen auf Sex sind bei diesen ungleichen Wettkampfvorraussetzungen so groß wie die Siegeschance eines Teddy-Hamsters beim Rückenschwimmen. Das wiederum ist echt beziehungsgefährdend. Hat es da mal statistische Erhebungen gegeben? Werden Ehen, bei denen nur einer Lehrer ist womöglich deshalb öfter geschieden? Oder ist das der Grund, warum es gefühlt in keinem anderen Berufsstand so viele Paare gibt wie unter Lehrern? Werden aufgrund dieses Umstands in den Ferien statistisch mehr (Lehrer-)Kinder gezeugt? Fragen über Fragen. Sollte man echt mal überprüfen.

Ich hoffe jedenfalls der empathische Leser empfindet zukünftig weniger Neid und mehr Mitleid, wenn das Auto des Nachbar-Lehrers noch in der Einfahrt steht, während man selbst morgens zur Arbeit gehen DARF!

Dritte Schattenseite: Wenn alles gut läuft, genießt man vielleicht zwei, höchstens drei richtige Urlaubswochen, idealerweise im Ausland. Man bedenke auch hier: Nebensaison-Reisen zu Top-Preisen mit einem geringen Kinderanteil in Flugzeug und Hotel, weil man ja sonst schon so überkindert ist, fallen aus!

Man DARF ja nur in den Ferien Urlaub machen. Und jetzt stellen wir uns den Worst Case vor: man bezahlt viel Geld für eine Reise, die einem weit fort bringen soll. Fort von Begriffsstutzigkeit und Fettflecken auf Mathekontrollen. Und dann triffst man am gefühlt anderen Ende der Welt Lehrer. Es sind ja Ferien. Halt, noch schlimmer. Man trifft SCHÜLER. Und nur eins kann den Horror-Faktor von Schülern außerhalb der Schule multiplizieren: ihre ELTERN. Weil man als Lehrer logischerweise keinen Urlaub im Ferienlager macht, ist die Wahrscheinlichkeit Schüler in Begleitung ihrer Eltern anzutreffen also recht hoch. Ich sage euch, ALLES schon passiert! Das will KEINER! 

Der Lehrer-Job ist ein Leben am Limit. Und Ferien sind, wenn man alle Nachteile in die Waagschale wirft – nicht schöner als jeder stinknormale Urlaub auch.

Ich ende mit einem weiteren Horror-Szenario, das den sagenumwobenen Ferien den Glitzer nimmt. Ferien sind ein äußerst beliebter Zeitraum für familieninterne Seuchenausbrüche. So kann eine Woche Osterferien wunderbar damit verbracht werden, dass alle Familienmitglieder der Reihe nach zunächst unkontrollierbar Toilette und/oder Eimer befüllen um anschließend hinter dem nächsten Opfer mit dem Desinfektionsmittel zu nebeln.
Natürlich erfreuen sich alle pünktlich zum ersten Schultag wieder bester Gesundheit, ebenso Frau Müller. Die freut sich schon darauf, in den nächsten acht Schulwochen wieder gummi-behandschuht halbverdaute Cornflakes in flockigem Kakao von Tischen zu wischen oder mit Schülern im Fahrstuhl eingeschlossen zu sein, während diese aus Leibeskräften in den vorausblickend mitgenommenen Papierkorb brüllen.

Eine letzte Illusion muss ich dem erkenntnisgebeutelten Leser in diesem Zusammenhang rauben:  der Hausmeister im grauen Overall, der mit seinem Wischmob-Wägelchen stets dienstbeflissen um die Ecke gerollt kommt um zuverlässig und geruchsneutral Schüler-Kotze wegzuwischen, ist eine Erfindung der amerikanischen Unterhaltungsbranche und wurde in der Realität noch nie gesehen. Oder habt ihr die Beseitigung von Körperflüssigkeiten schon mal in der Stellenbeschreibung eines Facility Managers gelesen?
In meiner Stellenbeschreibung stand das auch nicht. Aber irgendeiner muss es ja weg machen. Das waren zumindest die Worte meines Vorgesetzen, als ich nach der ersten Kotzpfütze fragte, wer für die Beseitigung verantwortlich sei. So. Wer möchte jetzt noch Lehrer sein?

Schaut auch im Lehrerzimmer bei Facebook vorbei. Garantiert seuchenfrei und auch in den Ferien durch eine hochmotivierte Frau Müller besetzt. Sei kein Justin und klicke hier.

 

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