Lehrer sind auch nur Menschen. Und nicht jeder trifft sich abends mit Kolleginnen abwechselnd zum Nordic Walking oder zum Fortgeschrittenenkurs in Seidenmalerei. Ich denke ich bin das Kuckucksei im Lehrerzimmer. Etwa wie ein Veganer, der ausversehen Metzger geworden ist oder ein Pilot mit Höhenangst. Oder wie eine Franzi van Almsick, die immer wieder vom Schwebebalken fällt weil sie noch nie jemand ins Wasser geschubst hat.

Mittwoch, 21. Juni 2017

Betriebsführung im Bordell: Tatü-Tata, die Domina ist da...



In der Annahme zu einem Bewerbungsgespräch in einem piefigen Callcenter eingeladen zu sein, machte ich mich mit meiner Schwägerin Kathleen vor fast 20 Jahren auf den Weg ins Ungewisse. Wir fanden uns wieder auf einer Couch, die nach uns vermutlich noch vielen aufgeschlossenen Frauen eine Wirkungsstätte bieten sollte. Ute, ihres Zeichens Bordellbetreiberin, setzt noch dem nahezu unverfänglichen Smalltalk von letzter Woche heute nun zur Offensive an und bringt uns Backstage in den Puff...

Der „Besuch“ von Lady Bella brachte Ute auf die Idee, uns doch einfach mal den ganzen „Betrieb“ zu zeigen. So konnte sie uns die möglichen Betätigungsfelder vor Ort erläutern. Los gings gleich im Kerker, Bellas Wirkungsstätte – Peitschen, Andreaskreuz, Pranger und der ganze Plug- und Dildokram.

Heute mit Mitte Dreißig wirft mich das nicht mehr aus der Bahn, auch wenn ich stolz darauf bin, nie Shades of Grey gelesen zu haben. Mittlerweile kenne ich auch indem Bereich MEINE Rosinen aus dem Kuchen. Aber ihr könnt euch vielleicht vorstellen, dass mich als 18-Jährige der Holzschemel mit aufgesetzen Edelstahldorn in der Größe "Ausgewachsenes Einhorn" dann schon ein wenig verstörte. Die von Ute ganz nebensächlich erwähnten Stromanschlüsse an dem Teil setzen dem das Krönchen auf. 

Wie ferngesteuert folgten wir der Frau im Kostüm in den Nebenraum. Sie nannte ihn die Klinik, tatsächlich fühlte man sich wie in eine Arztpraxis gebeamt. Nur die Details verrieten, dass es hier nicht um Krebsvorsorge gehen sollte. Zumindest hängt bei meiner Frauenärztin kein riesiger Spiegel über dem Behandlungsstuhl. Ausgestattet mit diesem Gynäkologenstuhl, einem Schreibtisch für die Ärztin und kleinem Empfangsbereich sowie allerhand medizinischem Gedöns käme dieser Raum für uns als Wirkungsstätte wohl eher nicht in Frage meint Ute, immerhin braucht man zum Legen von Kathedern oder Zugängen eine rudimentäre Ausbildung im medizinischen Bereich. Für einen Einlauf würde unser Know-how vielleicht noch reichen.
Stripperstiefel sind kleine Wunderwerke und erstaunlich bequem. Diese hier haben noch nie ein freudbetontes Etablisement von innen gesehen, wohl aber die ein oder andere Faschingsveranstaltung optisch enorm bereichert
Rückblickend hatte ich von diesem ganzen „schwarzen SM“ ja schon mal was läuten hören, selbst als Teenie. Aber dass es das Ganze auch in Weiß gibt war mir neu und verstörte mich zum damaligen Zeitpunkt latent. Heute denk ich mir: jedem Tierchen sein Plaisierchen.

Ute zeigte uns weitere Räume, darunter auch den Massageraum. Hier fand sich auch die nach der Außenreklame erwartete Sonnenbank. Ich vermute mal für die Angestellten. Oder geht jemand ins Bordell um sich zu sonnen? Vielleicht auch nur als Alibi für die Gewerbeaufsicht? Weiß der Geier.

In der Mitte die Massageliege. Ganz unschuldig stand sie da. Drum herum verspiegelte Wände, in denen sich meine bestrumpften Beine wohl vertrausendfachen würden. Das tun sie so effektiv dass es wohl nie zur Notwenigkeit des „Nachhelfens“ am Schluss der Massage kommen würde?! Die Vielzahl an Plastikpflanzen und Bambusdetails ließ mich an einen skurrilen botanischen Garten denken, mit Kondomen als Blüten und winzigen Dildos mit Schmetterlingsflügeln.

Alle anderen „Arbeitszimmer“ waren thematisch eingerichtet – definitiv war die Handschrift einer Frau zu erkennen. Ein bisschen so, als hätte man Phantasia-Land bewohnbar gemacht und mit einer Überdosis Nanu-Nana garniert. Oder auch wie die FSK18-Version des Barbie-Traumhauses, nur mit weniger Pink dafür umso mehr Gold.

Da war das Dschungelzimmer mit Whirlpool, Bambus-Thron und mehr Gummigrünzeug als in allen Erlebnisbädern dieser Erde zusammen. Ich kann mir heute lebhaft vorstellen, dass in dieser Atmosphäre jeder Bürohengst in Sekundenschnelle seine Krawatte zur Liane umfunktioniert. 

Es gab auch eine Kornkammer, eingerichtet mit Bauermöbeln, bekannt aus dem elterlichen Schlafgemach und liebevoll dekoriert mit authentischen Strohballen und Mohn-Kornblumen-Bouquets aus Plastik und Polyester. Die sich hier abspielenden Szenen könnten vermutlich als Outtakes aus „Bauer sucht Frau“ nach Mitternacht zwischen den Sexy Sport Clips auf den Sportkanälen laufen.

Ute erklärte uns ihr Geschäfts-Konzept in etwa so: Da eine nicht unerhebliche Anzahl der Kunden nicht nur zum Zwecke des erleichternden Geschlechtsverkehrs die Räumlichkeiten aufsucht sondern vor allem Geborgenheit, eine Schulter zum Anlehnen und ein zuhörendes Ohr vermisst, sei es besonders wichtig ein solches Wohlfühl-Ambiente zu bieten, dass den Eindruck vermittelt, nicht nur eine Dienstleistung zu verkaufen.

Der Rundgang endet mit dem Personalraum. Also so etwas wie das Lehrerzimmer für Prostituierte. Küchenzeile, Dusche, Couchgarnitur und viel Nikotin. Das Thema dieses Zimmers erschloß sich mir nicht ganz, jedenfalls schien hier die Funktion VOR dem Wohlfühlfaktor zu stehen. Mutmaßungen zum Raumthema wären an dieser Stelle von meiner Seite nicht wertungsfrei.
Nur so viel: während Cinderella die perfekte Ergänzung zu ihrem Schloss in Disney-Land bildet schienen die Frauen, welche hier in Lurex-Stretch und Nieten-Highheels die Aschenbecher quälten, nicht die Kirsche auf dem eben besichtigten Sextopia zu sein.

Am Ende unserer Führung verabschiedete sich Ute auf ihre seriöse Art. Wir sollen über die Eindrücke schlafen und uns melden, wenn was für uns dabei ist. Kathleen vor allem. Die Domina-Version von ihr schien Ute zu begeistern. Natürlich haben wir uns nicht mehr gemeldet.

Und dennoch: ich danke in erste Linie mir selbst für meine Naivität, die mir diesen Einblick ermöglicht hat. Welche Frau mit meinem Werdegang kann schon behaupten einmal ein Bordell und seine Belegschaft kennengelernt zu haben. 

Dann danke ich Kathleen, die auch im späteren Leben nie Domina geworden ist. Vielleicht tatsächlich verschwendetes Potential – wir werden es wohl nie erfahren. Stellen wir uns vor, Ute wäre Berufsberaterin des Arbeitsamtes geworden und wäre in Kathleens zehntem Schulbesuchsjahr auf dieses vielversprechende Talent gestoßen. Die Geschichte hätte wohl einen anderen Verlauf genommen. Ich weiß nicht ob meine Schwägerin damals genauso ahnungslos war wie ich oder einfach Frau genug um mich nicht hängen zu lassen.

Alle Welt bildet sich oft ohne jedweden Background ein, über diese Menschen, ihr Gewerbe und ihre Kundschaft urteilen zu müssen. Ich kann und möchte mir selbst nach dieser Erfahrung keines erlauben. Zugeben muss ich allerdings, dass mich der Job als Empfangsdame durchaus gereizt hätte. Wo sonst lernt man mehr über die Kundschaft als auf den Wegen zwischen Klingel, Dusche und Bambusthron? Ist es mit Mitte Dreißig schon zu spät für einen Quereinstieg in dieses Gewerbe?

Ihr denkt, dieser Ausflug war skurill? Ich finde meinen Alltag
in der Schule oft nicht weniger seltsam bis ulkig. Wenn ihr nichts 
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Kuriositätenkabinetts "Menschen", dann abonniert mich doch hier

1 Kommentar:

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