Der
heutige Blogpost fällt unter die Kategorie „Ich war jung und brauchte das
Geld“. Dafür müssen wir gedanklich eine kleine Zeitreise machen. Wenn man vor etwa
20 Jahren 18 war, gerade Abi gemacht hatte, keinen Bock hatte direkt weiter zu
lernen und erstmal mit möglichst wenig Aufwand ein bisschen eigenes Geld
verdienen wollte, dann war man womöglich sehr empfänglich für Zeitungsannoncen in denen
junge Damen für Telefonflirts gesucht wurden...
Das Fräulein Müller war damals
schon aufgeschlossen, wenn auch ziemlich naiv. Mitte
der 90er-Jahre ging das noch, da durfte man mit achtzehn noch naiv sein. Man
konnte nur ins Internet, wenn die Eltern nicht gerade telefonieren mussten, hat
sein Nokia 5110 entweder zum Snake spielen genutzt oder sparsam SMS geschrieben, die höchstens 140 Zeichen lang waren und Talkshows am Nachmittag haben für uns die Grenze zum
Abseitigen markiert. Aufgeklärt wurde man sechs Jahre früher von der BRAVO.
Da
war ich also - die frisch gebackene Abiturientin Müller, die mal so gar keine
Lust auf Studium hatte und da war diese Stellenanzeige. Callcenter sucht junge
Frauen für Telefonflirts. Ich empfand nichts Schlechtes, Schmutziges oder gar
Verwerfliches daran, dachte „Das kann ich!“ und rief angelockt vom bequem
verdienten Geld an. Am anderen Ende
meldete sich eine äußerst seriös klingende Dame, geschätzt um die 50, die mich
nach allerhand Beteuerungen, wie viele Studentinnen schon für sie arbeiteten,
kurzerhand zum Vorstellungsgespräch einlud.
Weil Frauen sich nicht nur auf dem Klo zu zweit um einiges sicherer fühlen,
suchte ich mir eine passende Begleitung für diesen Business-Termin und fand
diese in Kathleen, der älteren Schwester von Herrn Müller, die mir damals schon
als Modell in Sachen „Flexible Moral“ als geeignetes Vorbild erschien. Dass wir
beide an diesem Nachmittag noch einen nicht unerheblichen Teil unserer so
„unschuldigen Seele“ verlieren würden, war nur ein vages Gefühl beim Besteigen
des von der Senior-Müllerin geborgten Kleinwagens.
Wir
parkten im Hinterhof eines unscheinbaren und als Sonnenstudio deklarierten
Häuschens am Rand der nächstgrößeren Stadt. Aufs Drücken der Klingel öffnete
uns eine Frau im knappen weißen Kleidchen die Tür. Als sie voran die Treppe zum ersten
Stock erklomm und dabei halterlose Strümpfe nicht als Frage, die sich dem
Betrachter bestrumpfter Beine zuweilen stellt, wenn er die Phantasie schweifen
lässt, sondern als Aussage zur Schau stellt, bekräftigt durch die Rocklänge, welche der
Phantasie keinerlei Spielraum lässt, keimte ein Verdacht. Dieser erhärtete sich
angesichts ihrer Absatzhöhe von mindesten 15 Zentimetern und dem
bordeauxfarbenen Anstrich der Wände im Treppenhaus. Wenn wir zwei Mädels Blicke
austauschten, dann immer aus einer Mischung von Erkenntnis, Verunsicherung und
„wie gut dass ich nicht allein bin“.
Wir
kamen an auf einem Flur, dessen schummriges Licht sowie die Deko aus
Goldlüstern und knapp bekleideten Schaufensterpuppen wenig an eine
Geschäftshaus erinnerte. Ute trat aus einer der vielen Seitentüren und wirkte
körpersprachlich wie die stolze Königin beim Empfang auf ihrem herrschaftlichen
Anwesen. Die bestrumpfte Frau, an deren Hintern ich mich besser erinnern kann
als an ihr Gesicht, verschwand. Ute sah tatsächlich aus wie sie am Telefon
geklungen hatte. Im schicken Kostümchen hätte man sie auch in eine Bank oder
ein Versicherungsbüro beamen können. Sie führte uns in eines der vielen vom
Flur abgehenden Zimmer. Die epochentypische Microfaser-Polster-Garnitur in Beige-Violett gab dem Raum
keine wirkliche Definition.
Ute stellte
sich ohne lange Umschweife vor als die Inhaberin der ersten Nachtclubs in
Frauenhand. Sie hatte zuvor jahrelang für einen großen deutschen Verlag
gearbeitet, erkannte dann ihre Nische im – nennen wir es Dienstleistungssektor
und führte zu diesem Zeitpunkt mehrere Tanzbars und Massagestudios oder kurz:
Bordelle.
In
dem sich aus diesem Selbst-Exposè entwickelnden Einstellungsgespräch erklärte
sie uns sie wolle expandieren, sich zusätzlich den Hotline- und Webcam-Sektor
erschließen und dafür brauchte sie natürlich Nachwuchs. Man müsse sich aber
nicht festlegen, sie besetz jederzeit nahezu jede Tätigkeit in ihren Clubs neu
bei Talent, Eignung und Interesse.
Da
wäre zunächst natürlich der Job als Empfangsdame: sie empfängt wie der Name
schon sagt die Kunden, zeigt ihnen die Räumlichkeiten und erklärt die Regeln
(Duschen und Gummi), sofern es kein Stammkunde ist. Vorgeschriebene
Arbeitsbekleidung: besagte Halterlose plus minimum 15cm Absätze plus breiter
Gürtel. Aus heutiger Sicht für mich ein wirklich interessanter Job. Regeln erklären kann ich. Laufen auf Highheels auch. Die Einblicke ins Klientel der Besucherschaft wären mir das kleine Scham-Speckröllchen oberhalb des selbsthaftenden Spitzenrandes meiner Strümpfe wert.
Dann
gibt es die Massage-Ladys. Ute hatte als gestandene Businessfrau sicher ein
Gefühl für die zwei Unschuldslämmer aus der Kleinstadt, die ihr in diesem
Moment gegenüber saßen und erklärte es uns möglichst „vorabendprogrammtauglich“:
ihr massiert die Kunden und tragt dabei selbstverständlich oben beschriebene
Arbeitskleidung. Massieren ist dabei in diesem Stadium tatsächlich wörtlich
und nicht zweideutig gemeint, wobei sicherlich kein Physiotherapie-Niveau
erwartet wurde. Am Ende der Massage sind die meisten Männer schon gekommen,
wenn nicht müsst ihr eben ein wenig nachhelfen. Also jetzt das "nicht-wörtliche" Massieren. Am Schluss der
Stellenbeschreibung nannte sie eine Summe X, welche man in diesen 30 Minuten Arbeit verdient hat. Ich möchte an dieser Stelle nichts über Käuflichkeit und
Moral schreiben, nur so viel: ich hätte dort in zwei Stunden mehr verdient als
heute an einem Arbeitstag.
Plötzlich
klopfte es und die Tür ging einen Spalt breit auf, herein schaute eine junge
Frau im Look „Schwarze Witwe“. Sie fragte uns nach Getränkewünschen und eilt
nach Aufnahme derer wieder davon. „Das war übrigens Lady Bella, unsere Domina.“ meinte Ute beiläufig.
Erleuchtet schaut sie Kathleen plötzlich an: „Ich glaube für dich wäre das auch
was. Du wirkst, als würdest du gerne Männer quälen.“ Da ist er wieder, der
Blickaustausch. Lady Bella serviert uns den unschuldigen O-Saft und ich muss
spontan an meinen Bruder denken, der für ein Bier in einem solchen Etablissement
schon mal stolze 25 Mark bezahlt hatte während er auf die Rückkehr seines
Kollegen am Tresen wartete. Ich bezahlte diesen Orangensaft wohl mit einem
kleinen Teil meiner Würde, bekam dafür aber Einblicke in einen Bereich unserer
Gesellschaft, die ich auch nicht missen möchte. Ich denke unsere individuellen
Tellerränder können sehr verschieden sein. Meiner trug an diesem Tag halterlose
Strümpfe....
Natürlich
war mit dem Gratis-O-Saft der Spaß noch nicht vorbei. In Teil 2 leistet Ute viel Überzeugungsarbeit und fasziniert uns mit einer Betriebsführung vor und hinter den Kulissen. Welche Entdeckungen wir dort machten und vor allem ob unter den vielen Beschäftigungsoptionen in diesem Gewerbe etwas für uns dabei war, lest ihr im nächsten Blogartikel am 21.6.
Und noch was. Abonniert mich doch am besten. Hier oder
auf Facebook. Als Stammkunden
muss ich euch nicht jedes Mal den "Gummi und Duschen"-Vortrag halten. ;-)
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