„Ich
würde ihnen raten, in ihrem Urlaub auf Alkohol zu verzichten. Wenn ich nicht
wüsste, dass sie geimpft sind, würde ich aufgrund ihrer Leberwerte denken sie
haben Hepatitis!“
Zwei Tage vor dem Abflug in einen All-Inclusive-Urlaub zählt
dieser Satz wohl zu den unbeliebtesten, die man sich aus dem Hörer eines
Telefons, auf dem man gerade die Nummer seines Hausarztes gewählt hat, vorstellen
kann. Karma is ne Bitch.
Zwei Wochen später, am letzten Urlaubstag,
verabschiedet mich der Barkeeper der Poolbar, der mich bei jedem zweiten Drink,
den ich mit dem Zusatz „No alcohol, please!“ bestellte mit Hundeaugen ansah
und fortwährend „Only a little bit?“ fragte, mit folgenden Worten:
„Your doctor said alcohol is not good for you? You have to change your doctor!”
Ich
habe meinen Arzt nicht gewechselt, ihn aber sehr wohl über den Rat des
Barkeepers in Kenntnis gesetzt.
Weitere zwei Wochen und zwei
Ultraschalluntersuchungen später bezog ich ein nettes Zwei-Bett-Zimmer in der
Schwarzwaldklinik. Selbstredend nicht die Schwarzwaldklinik, aber
Lage, Größe und Stimmung erinnerten stark daran. Dort sollte in einer Routine-OP den endlich lokalisierten Verursachern meiner
hepatitisartigen Leberwerte und der barbarischsten Koliken, die man sich als halbwegs schmerzresistenter Mensch vorstellen kann, der Mietvertrag in meinem Körper gekündigt werden.
Es
darf nicht unerwähnt bleiben, dass es sich bei diesem stationären Eingriff um
den ersten richtigen Krankenhausaufenthalt meines optimistisch betrachtet
jungen Lebens handelte. Krankenhäuser übten bis zu diesem Zeitpunkt einen
sagen wir eher abschreckenden Effekt auf mich aus. Tun sie im Übrigen immer
noch. Selbst bei den Geburten der Müller-Nachkommen verbrachte ich keine Minute
zu viel dort. Mit dem Glück zweier Lehrbuchgeburten wurde mir gleichzeitig
das Privileg zuteil, zwei Stunden nach dem Abnabeln duschen zu gehen, mich
anzuziehen und samt Kind wieder auszuchecken. Dass Herr Müller auf dem Heimweg mit Frau und
Kind auf dem Rücksitz die Straßenbahn blockierte, während er Essen für alle
beim Asiaten holte, sei hier nur am Rande erwähnt.
Was mir
beide Kinder bei ihrer Ankunft an Krankenhaustagen ersparten, schenkten sie mir
später in den ersten vier Jahren ihres Lebens. Rückblickend muss ich sagen, ist
es kaum angenehmer als Mutter auf einer Klappliege neben dem Gitterbettchen
schlafen zu müssen, womöglich mit weiteren zwei Kindern ohne mütterliche
Betreuung an ihrer Seite, der nächtlichen Unfähigkeit der Krankenschwestern Türen
leise zu schließen ausgeliefert zu sein und diesen unsäglichen Fraß aus der
Krankenhausküche essen zu müssen, als selbst der Patient zu sein.
Der
Geschäftigkeit einer Uniklinik und ihrer Zimmer, in denen Patienten mit
Magen-Darmerkrankungen zusammen eingesperrt werden, ist auch nur dann das
idyllische Altbau-Klinikum am Rande der Stadt vorzuziehen, wenn man dabei
sicher gehen kann mit seinem 20 Monate alten Kind nicht in einem Zimmer zu
landen, in dem gleich zwei gleichaltrige Kinder ohne ihre Mütter liegen. Kind 1,
Nachwuchs minderjähriger Eltern, die den nervösen Kleinen stereorauchend im Buggy durch
den Park chauffierten, Vormundschaft beim Jugendamt. Kind 2, nicht
deutscher Abstammung. Nachmittags Besuch vom ganzen Heimatdorf, strikt getrennt
nach Männern und Frauen. Nachts: alle zwei Stunden Theater wenn die
Kohlehydratspeicher des faltig gemästeten Stammhalters, der an einen Shar-Pei
mit starkem Übergewicht oder eine Miniversion des Marshmellowmanns aus Ghostbusters erinnerte, nicht pünktlich mittels Fläschchen
aufgefüllt wurden. Wenn dich dein eigenes Kind noch nie an den Rande des
Wahnsinns getrieben hat, dann tut es diese Kombination sehr zuverlässig.
Aber
zurück zur Schwarzwaldklinik. Noch am Tag der OP sollte ich mehrere Dinge
lernen: erstens vertrage ich Narkosen nicht und muss mich beim Aufwachen
übergeben. Zweitens ist es tatsächlich möglich, sich komplett vollzukotzen
ohne dass einen das auch nur einen Hauch kümmert. Kotzen, rumdrehen,
weiterschlafen. Womöglich denkt jetzt der ein oder andere: 'Was ist daran so besonders? Das habe ich schon in meinen frühen Teenager-Jahren gelernt.' Ja seid froh. Ich
nicht. Exakt so stelle ich mir aber kotzen unter Vollrausch vor. Mein Magen
scheint für solche Ausbrüche zu geizig zu sein. Im Übrigen musste ich mir genau
wie ihr damals das Erbrochene später selbst abwaschen.
Auch
Aufklärungsgespräche sind nicht das was man erwartet. Während einen die künstlichen
Darmausgänge und dauerhaften Schädigungen der Stimmlippen durch die Intubation als
mögliche Komplikationen ablenken, bleiben diese netten Handtaschen, welche
nach solchen OPs etwa drei Tage am Körper baumeln und sich ganz von alleine mit
ansehnlichen und unansehnlichen Körperflüssigkeiten füllen, völlig unerwähnt.
Drainagebeutel sind für Operationen das, was wunde Brustwarzen und Dammrisse
für eine Geburt sind: das hässliche Gesicht, welches lieber im Verborgenen
bleibt, von dem aber jeder hinterher sagt ‚Hätte man sich eigentlich auch
denken können‘.
Ich erspar euch den Beutel |
Wenn man es erfolgreich geschafft hat, sein operativ eingeschränktes Leben
zu leben und bei jedem Klogang rechtzeitig daran dachte, das Ding vom Bett
abzufriemeln und brav nebenher zu tragen ohne bei einem schmerzhaften Ruck
durch Mark und Bein an seine Existenz erinnert zu werden, ist erst die halbe
Miete rein. Der Schlauch muss ja schließlich auch wieder raus und die
Freude darüber, das Ding loszuwerden verhallt jäh in der Erkenntnis, dass das
fast fingerdicke Gummiteil schlingenartig wie bei einer Fußbodenheizung im
Gedärm verlegt ist: „Holen sie bitte kurz tief Luft!“
Was sie aber nicht vergessen ist dir kurz vor einer OP zu sagen, dass der Nagellack ab muss. Tja,ähm. Hm. Nagellack war gestern. Das sind fest verbaute Zusatzteile. Die sind vom TÜV geprüft und in der Zulassung eingetragen. Nagellackentferner kannst du dir wieder in den Kittel stecken. Wird nicht funktionieren. Wenn das Ganze hier noch zwei Stunden Zeit hat bin ich kurz weg und komm ohne die Dinger wieder. Oder ihr bringt mir einen Dremel. Dann krieg ich das auch selber hin... sagte die Frau in OP-Hemdchen, Thrombosestrümpfen und mit Häubchen auf dem Kopf. Was soll ich sagen, man überlebt OPs auch erfolgreich MIT gefährlich roten Acrylnägeln.
Ich
kann mich noch vage daran erinnern, dass ich als Kind die
Senior-Müllerin einmal fragte, ob man unbedingt ins Krankenhaus muss um Kinder
zu kriegen. „Eigentlich schon“ sagte sie und ich antwortete „Dann will ich
keine Kinder!“. Ich war nämlich der naiven Annahme, dass ein
Krankenhausaufenthalt zwingend mit einer Infusion, also einem Tropf verbunden
ist. Der Zugang sozusagen als AI-Bändchen im Krankenhaus. Dieses Teil war mir als Kind höchst suspekt. Hatte ich wohl im
Fernsehen, damals sehr wahrscheinlich in der Schwarzwaldklinik, gesehen.
Drainagebeutel kamen (und kommen) glaub ich nicht vor die Kamera. Gut so. Oder
auch nicht. Oder habt ihr so ein Teil schon mal in irgendeiner Arztserie gesehen?
Dass
man nach laparoskopischen Eingriffen eine gute Woche aussieht als hätte man
nicht eine halbe Stunde geschlafen sondern sieben Monate, in denen im Körper
eine bis dahin unentdeckte Schwangerschaft ihren Lauf genommen hat, erwähnt
auch keiner im Vorfeld. Die Herren und Damen Operateure brauchen Platz für ihre
Instrumente und gute Sicht, also kommt ordentlich Gas in den Bauch. Ich stelle
mir das ein bisschen wie das Basteln dieser Schiffe in den Glasflaschen vor. In
einem unaufgeblasenen schlabbrigen Luftballon wäre das unmöglich. Auf die Art WIE
die viele Luft die ballonartige Körpermitte wieder verlässt, möchte ich hier
nicht eingehen. Im Übrigen lauert hier gleich die nächste Parallele zur großen Schwangerschaftslüge. Kind raus - Bauch weg is nämlich auch nicht. Trauriger Luftballon zwei Tage nach dem Kindergeburtstag. So sieht's aus. Es gibt ein Foto der Familie Müller kurz vor der Abreise aus der Geburtsstation, auf dem der frisch Geschlüpfte in der Babyschale schnarcht und aussieht wie geklaut, weil ich daneben stehe und man ausschließlich an meinem monochromen Teint erkennt, dass eine Geburt hinter mir liegt. Bauch sieht noch aus wie beim Einchecken zwölf Stunden zuvor.
Menschen
sagen ja gerne so Sachen wie „Naja, dann erhol dich wenigstens ein paar Tage
mal wenn du im Krankenhaus bist.“ um wenigstens irgendwas zu sagen.
„Viel Spaß!“,
„Hau rein!“ oder „Gute Reise!“ wäre auch irgendwie unpassend. Für mich gehört
zum Erholen mindestens guter Schlaf und ordentliches Essen. An ersteres ist in
Mehrbettzimmern nicht zu denken. Entweder es schnarcht jemand, was zumindest
fürs gute Zuhause-Gefühl sorgt oder eine Nachtschwester demonstriert
eindrucksvoll ihre oben bereits erwähnte Unfähigkeit Türklinken zu benutzen. An
guten Schlaf schließt sich für mich logischerweise Ausschlafen an, also das
Gegenteil von „Guten Morgen, waren sie schon im Bad?“ um 6.30Uhr aus dem Mund
eines gefühlt fünfzehnjährigen Pflegers unmittelbar nachdem er mich durch das
Einschalten der Flutlichtanlage geweckt hat.
„Nein, du Larry! Seh ich so aus?
Ich hab gerade erst meine verfluchten Augen aufgemacht!“ schreit es IN mir.
Contenance. Zum Dank für meine abgebrochene Tiefschlafphase gibt es zum
Frühstück Puddingsuppe, die nach Erdbeeren riecht und nach Sellerie schmeckt,
dazu Weißbrot mit 80 Prozent Luftanteil. So sieht Erholung aus.
Suppe mit Suppe. Dazu Suppe. |
Frau
Müller macht sich die Welt so gut es geht wie sie ihr gefällt und weil ich eben
die wahre Antwort auf den Weckruf dieses adoleszenten Pflegers nur gedacht und
nicht ausgesprochen habe, gelang es mir später auch ihm ein ordentliches
Bäcker-Brötchen als Ersatz für diese Beleidigung in Gestalt eines Frühstücks
abzuschwatzen.
Überhaupt sollten, wie ich finde, auf Krankenhausfluren viel
weniger Bademäntel und Adiletten getragen werden. Mit rosa Plüscheinteiler und
Einhornpuschen zauberte ich beim Gang vorbei am Schwesternzimmer immer allen
ein Lächeln ins Gesicht, nur der olle Drainagebeutel wollte nicht so recht zum
Outfit passen. Vielleicht lass ich die Senior-Müllerin nächstes Mal was häkeln.
Apropos
nächstes Mal: das nächste Mal Drainagebeutel, beschissene Nächte und
Tapetenkleister zu Mittag sollte leider gar nicht so lange auf sich warten
lassen. Zum Häkeln eines ordentlichen Handtäschchens für alles notwendige Übel,
passend zum fröhlichen Strampelanzug mit Katzenöhrchen, kam es nicht. Wie sagt
Herr Müller treffend: „Mit dir ist es wie mit einem Motor, wenn man da ein einziges
Mal dranrum schraubt, hat der danach ständig was anderes!“ Er sollte Recht
behalten. Dazu mehr im nächsten Blogpost.
Zumindest meine Leberwerte
entsprechen jetzt wieder in angemessenem Maße denen einer Gelegenheitstrinkerin
Mitte Dreißig und nicht mehr einer Hepatitispatientin. Nur so viel: Chardonnay
und Prosecco waren unschuldig! Also Prost: der nächste All Inclusiv-Urlaub mit
Barkeeper statt Schwester hinterm Tresen ist bereits gebucht.
Frau Müller ist zum Glück seltener im Krankenhaus, LEIDER auch im Urlaub aber dafür öfter in Absurdistan oder der MüllerMansion. News, Anekdoten und alles unwissenswert Unterhaltsame all ihrer Wirkungsstätten gibts hier auf FACEBOOK. Abonnieren ;-)
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