Lehrer sind auch nur Menschen. Und nicht jeder trifft sich abends mit Kolleginnen abwechselnd zum Nordic Walking oder zum Fortgeschrittenenkurs in Seidenmalerei. Ich denke ich bin das Kuckucksei im Lehrerzimmer. Etwa wie ein Veganer, der ausversehen Metzger geworden ist oder ein Pilot mit Höhenangst. Oder wie eine Franzi van Almsick, die immer wieder vom Schwebebalken fällt weil sie noch nie jemand ins Wasser geschubst hat.

Mittwoch, 31. Mai 2017

Was uns die Schwarzwaldklinik verschwieg ODER Wenn die Leber keinen Bock auf Urlaub hat



„Ich würde ihnen raten, in ihrem Urlaub auf Alkohol zu verzichten. Wenn ich nicht wüsste, dass sie geimpft sind, würde ich aufgrund ihrer Leberwerte denken sie haben Hepatitis!“ 
Zwei Tage vor dem Abflug in einen All-Inclusive-Urlaub zählt dieser Satz wohl zu den unbeliebtesten, die man sich aus dem Hörer eines Telefons, auf dem man gerade die Nummer seines Hausarztes gewählt hat, vorstellen kann. Karma is ne Bitch. 
Zwei Wochen später, am letzten Urlaubstag, verabschiedet mich der Barkeeper der Poolbar, der mich bei jedem zweiten Drink, den ich mit dem Zusatz „No alcohol, please!“ bestellte mit Hundeaugen ansah und fortwährend  „Only a little bit?“ fragte, mit folgenden Worten:
„Your doctor said alcohol is not good for you? You have to change your doctor!”
Ich habe meinen Arzt nicht gewechselt, ihn aber sehr wohl über den Rat des Barkeepers in Kenntnis gesetzt. 

Weitere zwei Wochen und zwei Ultraschalluntersuchungen später bezog ich ein nettes Zwei-Bett-Zimmer in der Schwarzwaldklinik. Selbstredend nicht die Schwarzwaldklinik, aber Lage, Größe und Stimmung erinnerten stark daran. Dort sollte in einer Routine-OP den endlich lokalisierten Verursachern meiner hepatitisartigen Leberwerte und der barbarischsten Koliken, die man sich als halbwegs schmerzresistenter Mensch vorstellen kann, der Mietvertrag in meinem Körper gekündigt werden.
Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass es sich bei diesem stationären Eingriff um den ersten richtigen Krankenhausaufenthalt meines optimistisch betrachtet jungen Lebens handelte. Krankenhäuser übten bis zu diesem Zeitpunkt einen sagen wir eher abschreckenden Effekt auf mich aus. Tun sie im Übrigen immer noch. Selbst bei den Geburten der Müller-Nachkommen verbrachte ich keine Minute zu viel dort. Mit dem Glück zweier Lehrbuchgeburten wurde mir gleichzeitig das Privileg zuteil, zwei Stunden nach dem Abnabeln duschen zu gehen, mich anzuziehen und samt Kind wieder auszuchecken. Dass Herr Müller auf dem Heimweg mit Frau und Kind auf dem Rücksitz die Straßenbahn blockierte, während er Essen für alle beim Asiaten holte, sei hier nur am Rande erwähnt.

Was mir beide Kinder bei ihrer Ankunft an Krankenhaustagen ersparten, schenkten sie mir später in den ersten vier Jahren ihres Lebens. Rückblickend muss ich sagen, ist es kaum angenehmer als Mutter auf einer Klappliege neben dem Gitterbettchen schlafen zu müssen, womöglich mit weiteren zwei Kindern ohne mütterliche Betreuung an ihrer Seite, der nächtlichen Unfähigkeit der Krankenschwestern Türen leise zu schließen ausgeliefert zu sein und diesen unsäglichen Fraß aus der Krankenhausküche essen zu müssen, als selbst der Patient zu sein. 
Der Geschäftigkeit einer Uniklinik und ihrer Zimmer, in denen Patienten mit Magen-Darmerkrankungen zusammen eingesperrt werden, ist auch nur dann das idyllische Altbau-Klinikum am Rande der Stadt vorzuziehen, wenn man dabei sicher gehen kann mit seinem 20 Monate alten Kind nicht in einem Zimmer zu landen, in dem gleich zwei gleichaltrige Kinder ohne ihre Mütter liegen. Kind 1, Nachwuchs minderjähriger Eltern, die den nervösen Kleinen stereorauchend im Buggy durch den Park chauffierten, Vormundschaft beim Jugendamt. Kind 2, nicht deutscher Abstammung. Nachmittags Besuch vom ganzen Heimatdorf, strikt getrennt nach Männern und Frauen. Nachts: alle zwei Stunden Theater wenn die Kohlehydratspeicher des faltig gemästeten Stammhalters, der an einen Shar-Pei mit starkem Übergewicht oder eine Miniversion des Marshmellowmanns aus Ghostbusters erinnerte, nicht pünktlich mittels Fläschchen aufgefüllt wurden. Wenn dich dein eigenes Kind noch nie an den Rande des Wahnsinns getrieben hat, dann tut es diese Kombination sehr zuverlässig.

Aber zurück zur Schwarzwaldklinik. Noch am Tag der OP sollte ich mehrere Dinge lernen: erstens vertrage ich Narkosen nicht und muss mich beim Aufwachen übergeben. Zweitens ist es tatsächlich möglich, sich komplett vollzukotzen ohne dass einen das auch nur einen Hauch kümmert. Kotzen, rumdrehen, weiterschlafen. Womöglich denkt jetzt der ein oder andere: 'Was ist daran so besonders? Das habe ich schon in meinen frühen Teenager-Jahren gelernt.' Ja seid froh. Ich nicht. Exakt so stelle ich mir aber kotzen unter Vollrausch vor. Mein Magen scheint für solche Ausbrüche zu geizig zu sein. Im Übrigen musste ich mir genau wie ihr damals das Erbrochene später selbst abwaschen.

Auch Aufklärungsgespräche sind nicht das was man erwartet. Während einen die künstlichen Darmausgänge und dauerhaften Schädigungen der Stimmlippen durch die Intubation als mögliche Komplikationen ablenken, bleiben diese netten Handtaschen, welche nach solchen OPs etwa drei Tage am Körper baumeln und sich ganz von alleine mit ansehnlichen und unansehnlichen Körperflüssigkeiten füllen, völlig unerwähnt. 
Drainagebeutel sind für Operationen das, was wunde Brustwarzen und Dammrisse für eine Geburt sind: das hässliche Gesicht, welches lieber im Verborgenen bleibt, von dem aber jeder hinterher sagt ‚Hätte man sich eigentlich auch denken können‘. 
Ich erspar euch den Beutel

Wenn man es erfolgreich geschafft hat, sein operativ eingeschränktes Leben zu leben und bei jedem Klogang rechtzeitig daran dachte, das Ding vom Bett abzufriemeln und brav nebenher zu tragen ohne bei einem schmerzhaften Ruck durch Mark und Bein an seine Existenz erinnert zu werden, ist erst die halbe Miete rein. Der Schlauch muss ja schließlich auch wieder raus und die Freude darüber, das Ding loszuwerden verhallt jäh in der Erkenntnis, dass das fast fingerdicke Gummiteil schlingenartig wie bei einer Fußbodenheizung im Gedärm verlegt ist: „Holen sie bitte kurz tief Luft!“

Was sie aber nicht vergessen ist dir kurz vor einer OP zu sagen, dass der Nagellack ab muss. Tja,ähm. Hm. Nagellack war gestern. Das sind fest verbaute Zusatzteile. Die sind vom TÜV geprüft und in der Zulassung eingetragen. Nagellackentferner kannst du dir wieder in den Kittel stecken. Wird nicht funktionieren. Wenn das Ganze hier noch zwei Stunden Zeit hat bin ich kurz weg und komm ohne die Dinger wieder. Oder ihr bringt mir einen Dremel. Dann krieg ich das auch selber hin... sagte die Frau in OP-Hemdchen, Thrombosestrümpfen und mit Häubchen auf dem Kopf. Was soll ich sagen, man überlebt OPs auch erfolgreich MIT gefährlich roten Acrylnägeln.  

Ich kann mich noch vage daran erinnern, dass ich als Kind die Senior-Müllerin einmal fragte, ob man unbedingt ins Krankenhaus muss um Kinder zu kriegen. „Eigentlich schon“ sagte sie und ich antwortete „Dann will ich keine Kinder!“. Ich war nämlich der naiven Annahme, dass ein Krankenhausaufenthalt zwingend mit einer Infusion, also einem Tropf verbunden ist. Der Zugang sozusagen als AI-Bändchen im Krankenhaus. Dieses Teil war mir als Kind höchst suspekt. Hatte ich wohl im Fernsehen, damals sehr wahrscheinlich in der Schwarzwaldklinik, gesehen. Drainagebeutel kamen (und kommen) glaub ich nicht vor die Kamera. Gut so. Oder auch nicht. Oder habt ihr so ein Teil schon mal in irgendeiner Arztserie gesehen?

Dass man nach laparoskopischen Eingriffen eine gute Woche aussieht als hätte man nicht eine halbe Stunde geschlafen sondern sieben Monate, in denen im Körper eine bis dahin unentdeckte Schwangerschaft ihren Lauf genommen hat, erwähnt auch keiner im Vorfeld. Die Herren und Damen Operateure brauchen Platz für ihre Instrumente und gute Sicht, also kommt ordentlich Gas in den Bauch. Ich stelle mir das ein bisschen wie das Basteln dieser Schiffe in den Glasflaschen vor. In einem unaufgeblasenen schlabbrigen Luftballon wäre das unmöglich. Auf die Art WIE die viele Luft die ballonartige Körpermitte wieder verlässt, möchte ich hier nicht eingehen. Im Übrigen lauert hier gleich die nächste Parallele zur großen Schwangerschaftslüge. Kind raus - Bauch weg is nämlich auch nicht. Trauriger Luftballon zwei Tage nach dem Kindergeburtstag. So sieht's aus. Es gibt ein Foto der Familie Müller kurz vor der Abreise aus der Geburtsstation, auf dem der frisch Geschlüpfte in der Babyschale schnarcht und aussieht wie geklaut, weil ich daneben stehe und man ausschließlich an meinem monochromen Teint erkennt, dass eine Geburt hinter mir liegt. Bauch sieht noch aus wie beim Einchecken zwölf Stunden zuvor.

Menschen sagen ja gerne so Sachen wie „Naja, dann erhol dich wenigstens ein paar Tage mal wenn du im Krankenhaus bist.“ um wenigstens irgendwas zu sagen. 
„Viel Spaß!“, „Hau rein!“ oder „Gute Reise!“ wäre auch irgendwie unpassend. Für mich gehört zum Erholen mindestens guter Schlaf und ordentliches Essen. An ersteres ist in Mehrbettzimmern nicht zu denken. Entweder es schnarcht jemand, was zumindest fürs gute Zuhause-Gefühl sorgt oder eine Nachtschwester demonstriert eindrucksvoll ihre oben bereits erwähnte Unfähigkeit Türklinken zu benutzen. An guten Schlaf schließt sich für mich logischerweise Ausschlafen an, also das Gegenteil von „Guten Morgen, waren sie schon im Bad?“ um 6.30Uhr aus dem Mund eines gefühlt fünfzehnjährigen Pflegers unmittelbar nachdem er mich durch das Einschalten der Flutlichtanlage geweckt hat. 
„Nein, du Larry! Seh ich so aus? Ich hab gerade erst meine verfluchten Augen aufgemacht!“ schreit es IN mir. Contenance. Zum Dank für meine abgebrochene Tiefschlafphase gibt es zum Frühstück Puddingsuppe, die nach Erdbeeren riecht und nach Sellerie schmeckt, dazu Weißbrot mit 80 Prozent Luftanteil. So sieht Erholung aus.

Suppe mit Suppe. Dazu Suppe.
Frau Müller macht sich die Welt so gut es geht wie sie ihr gefällt und weil ich eben die wahre Antwort auf den Weckruf dieses adoleszenten Pflegers nur gedacht und nicht ausgesprochen habe, gelang es mir später auch ihm ein ordentliches Bäcker-Brötchen als Ersatz für diese Beleidigung in Gestalt eines Frühstücks abzuschwatzen. 
Überhaupt sollten, wie ich finde, auf Krankenhausfluren viel weniger Bademäntel und Adiletten getragen werden. Mit rosa Plüscheinteiler und Einhornpuschen zauberte ich beim Gang vorbei am Schwesternzimmer immer allen ein Lächeln ins Gesicht, nur der olle Drainagebeutel wollte nicht so recht zum Outfit passen. Vielleicht lass ich die Senior-Müllerin nächstes Mal was häkeln.

Apropos nächstes Mal: das nächste Mal Drainagebeutel, beschissene Nächte und Tapetenkleister zu Mittag sollte leider gar nicht so lange auf sich warten lassen. Zum Häkeln eines ordentlichen Handtäschchens für alles notwendige Übel, passend zum fröhlichen Strampelanzug mit Katzenöhrchen, kam es nicht. Wie sagt Herr Müller treffend: „Mit dir ist es wie mit einem Motor, wenn man da ein einziges Mal dranrum schraubt, hat der danach ständig was anderes!“ Er sollte Recht behalten. Dazu mehr im nächsten Blogpost.
Zumindest meine Leberwerte entsprechen jetzt wieder in angemessenem Maße denen einer Gelegenheitstrinkerin Mitte Dreißig und nicht mehr einer Hepatitispatientin. Nur so viel: Chardonnay und Prosecco waren unschuldig! Also Prost: der nächste All Inclusiv-Urlaub mit Barkeeper statt Schwester hinterm Tresen ist bereits gebucht.

Frau Müller ist zum Glück seltener im Krankenhaus, LEIDER  auch im Urlaub aber dafür öfter in Absurdistan oder der MüllerMansion. News, Anekdoten und alles unwissenswert Unterhaltsame all ihrer Wirkungsstätten gibts hier auf FACEBOOK. Abonnieren ;-)


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