Im heranbrechenden Sommer steht wieder das ein oder andere Konzert an. Veranstaltungen dieser Art verlangen der Misanthropin in mir einiges ab, trotzdem fühle ich mich in Hallen voller Menschen oder OpenAir auch in Menschenmengen sehr wohl. Liegt wohl daran, dass man hier auch in der Masse wunderbar alleine sein kann, ohne viel kommunizieren zu müssen...
Alles
begann mit David Hasselhoff, der die Mauer zu Fall brachte und sich direkt in mein kindliches Herz sang. Dann kamen Pferde und mit ihnen der Wunsch nach vorpubertärer Selbstbestimmung und Freiheit. Mit den Hormonen wurden aus den Vierbeinern Zweibeiner, keine Männer, aber immerhin Wesen männlichen Geschlechts. New Kids on the Block wurden gefolgt von East 17 und Caught in the Act. Auf dem Höhepunkt der Pubertät verlieh ich den emotionalen Höhen und Tiefen meines reifenden Charakters abwechselnd mit Kuschelrock und Techno musikalischen Ausdruck. Dann bin ich ausgezogen. Der Werdegang meiner Wanddekoration ist wahrscheinlich typisch für einen Teenager der 90er.
Man
hat damals nie nur Teile der Mega-Poster-Collection ausgetauscht. Es gab nur Schwarz
oder Weiss. Schmusende Pärchen in Sepia neben Marusha mit den grünen Augenbrauen hätten sicher verstörend gewirkt.
Genauso wie David Hasselhoff neben einer Haflingerstute mit Fohlen. Alle paar Monate wurde komplett neu tapeziert: Wendy, Bravo und GIRL lieferten
fleißig nach. Die Rauhfaser untendrunter hatte in ihrem kurzen Kinder- und
Jugendzimmer- Leben mit mehr Nadeln Bekanntschaft gemacht als Christiane F.
Heute
bin ich froh, meinen Leidenschaften nicht mehr über Wände Ausdruck verleihen zu
müssen. Oder tue ich das angesichts der Versace-Tapete im Wohnzimmer womöglich
doch?
Wenn
dann allerdings missverständlich, denn diese Tapete ist das einzige echte
Designer-Stück in meinem Besitz, hat mich harte Überzeugungsarbeit bei Herrn
Müller gekostet und ist nur eingezogen, weil Farbe und Muster exakt meiner unverrückbaren weiblichen Vorstellung
entsprachen. Zumindest käme ich nie auf die Idee DIESE Tapete mit Nadeln zu
traktieren.
By the way: wenn
es diese Tapete bei ALDI für ein Zehntel des Preises gegeben hätte, hätte ich
sie auch dort gekauft. Andererseits konnte ich zumindest dem Maler eine Freude
machen, der die Reste mitgenommen hat, um seiner Frau eine Versace-Tasche zu
basteln. Guter Mann!
Wie
dem auch sei - von Tapeten zurück zur Musik. Ich bin froh, heute nicht mehr den Drang zu haben, Bandposter
aufzuhängen. War meine Identifikation mit Künstlern und Musikrichtungen damals
schwarz ODER weiss ist sie heute grau, dafür in sämtlichen Tönen. Ich höre was
mir gefällt. Ob jetzt die eine Fan-Base mit der anderen kompatibel ist, ist mir reichlich egal.
Die
Begeisterung für Musik im Allgemeinen und Bands oder Künstler verschiedenster
Lager ließ mich diverse Konzerte besuchen, woraus die folgende lose
Zusammenstellung der verschiedenen Konzert-Besuchertypen wurde. Ich beanspruche
keine Vollständigkeit. Ihr seid hiermit aufgefordert, die Kategorisierung in den
Kommentaren zu ergänzen. Auch ist mir vollkommen klar, dass je nach Musikgenre des Konzerts die Dichte der jeweiligen Typen stark variiert.
Die Rangsitzer
Ich weiß, die Meinungen gehen da auseinander. Ich verstehe
allerdings nicht, warum sich gesunde kinderlose Menschen freiwillig einen Rangplatz kaufen,
wenn es sich bei der Veranstaltung nicht gerade um ein Musical handelt. Ganz
ehrlich, warum besorgen sich diese Leute von dem Geld nicht einfach eine
LIVE-DVD und genießen ihre Musik bequem vom Sofa aus?
Ich
bin nur knapp über 1,60m aber mein Bewegungsdrang lässt sich bei entsprechender
Musik nur schwerlich unterdrücken. Sicher, ich sehe wenig Künstler, dafür umso
mehr Rücken und 120 Minuten auf Zehenspitzen sind anstrengend, zudem wiege ich
mehr als 45 Kilo und möchte meine Last Herrn Müller nicht mehr als einen Titel
lang zumuten aber für mich gehört tanzen, angerempelt werden, fremder Schweiß
und „Bierregen“ trotzdem zum Gesamtpaket.
Die Display-Kucker
Die Display-Kucker
Sie verfolgen das Konzert auf ihrem Handydisplay, wenn sie nicht
gerade whatsappen. Keine Ahnung, wo die das Netz in der Halle und den
Speicherplatz für einen kompletten Konzertmitschnitt hernehmen. Vielleicht
flippen sie ja dann beim Anschauen des selbst gemachten Clips oder den Likes der virtuellen Gemeinde richtig aus.
Während des Konzerts selber wirken sie aber eher teilnahmslos, abgesehen vom
aktuellen Whatsapp-Chat. Ist ja auch nachvollziehbar: beim Tanzen oder Klatschen würde das
Bild verwackeln. Daher macht es besonders Spaß diese Hobbyregisseure beim Tanzen versehentlich anzurempeln.
Typischerweise
handelt es sich meist um Personen (überwiegend Frauen) um die 20, die mit ihrer
Körpersprache maximales Desinteresse ausdrücken, so als wären sie täglich Gast auf
Veranstaltungen mit Tausenden von Menschen, die ihren Idolen vom anderen Ende
der Welt huldigen.
Vielleicht
können Personen meines Alters diese Coolness aber auch deshalb einfach nicht
nachvollziehen, weil wir noch zur Kreisch-Quetsch-Ohnmachts-Fangeneration von
damals gehören - Eloy, ich liebte dich aufrichtig. Wie auch immer: ich finde ein bisschen Respekt haben die
Künstler auf der Bühne schließlich verdient.
Die Nerds
Sie sehen aus, als wären sie nur widerwillig aus ihrem platt gesessenen
Bürostuhl aufgestanden um das Konzert im gleichen T-Shirt zu verfolgen, wie beim
letzten Auftritt vor zwei Jahren (selbstverständlich höchstens einmal
gewaschen). Eher arm an Bewegungsdrang brechen sie nur einmal richtig aus, wenn
sie ihren halbvollen Bierbecher nach hinten oder vorn in die Menge werfen.
"Sponsored by Mutti"
Abiturienten
vermutlich, die die Karte von den Eltern gesponsert bekommen haben und in zwei
Stunden dreimal rauchen, viermal Getränke holen und fünfmal aufs Klo müssen.
Immer im Grüppchen. Und dann drängeln sie sich an den Platz zurück, wo der Rest
der Gang schon wartet. Diese Spezies ist eng mit der Display-Kategorie
verwand.Die Selfie-Süchtigen
Logischerweise meist Frauen bis etwa Ende 30. Sie nutzen das
Konzert als perfekte Kulisse für aktualisierte Profilbilder nach dem Motto
„Schaut her wie wild ich jenseits des Büros bin“. Dabei benutzen sie die Foto-App
mit dem „Fick mich“-Filter, den ich auch immer benutze, die Hang-Loose-Geste
(ihr wisst: schon Faust mit abgespreizten kleinen und Zeigefinger) und blenden
die Menschen um sich rum beim Posing völlig aus.
Manche
habe eine Art Selfie-Gesicht antrainiert. Man selbst steht daneben und fühlt
sich irgendwie deplatziert, möchte seine Hilfe anbieten und hat das unerklärbare Bedürfnis
immer in die Richtung zu schauen in die die Kameralinse zeigt, um herauszufinden
was da so interessant ist.
Die Stylischen
Wahrscheinlich Inhaberinnen von Fashion-Blogs. Sie schmücken
die Konzert-Halle mit Hotpants, Designer-Mützen auf geglätteten Haaren und
Absatzschuhen in denen ich noch nicht mal einen einzigen Song auf meinem
Stehplatz ertragen würde. Während der Vor-Vorband bewegen sie sich flanierend
im Zuschauerraum umher. Trifft man sie nach dem Konzert, sehen Haare und Make-up
exakt wie vorher aus.
Freezies
Sie sind so geerdet, dass sie sich während der gesamten Dauer des
Gigs weder vom Fleck noch am Fleck bewegen. Stattdessen stehen sie mit
verschränkten Armen, leicht geöffneten Beinen und zur Bühne gerichteten Blick wie
zur Salzsäule erstarrt. Ein kaum wahrnehmbares rhythmisches Nicken ist das
höchste der Gefühle. Auf Nachfragen hin fanden sie das Konzert aber
„hammermäßig!“ und man selbst ist bei dieser emotionalen Beschreibung der Szenerie sofort wieder mitten drin.
Der Prinz und sein Pferd
Er wiegt geschätzt fünf bis acht Kilo
weniger als sie, dennoch ist er Manns genug, sie mindestens die Hälfte der
Veranstaltung auf Händen, äh – auf Schultern zu tragen. Während die
Pummelprinzessin auf die Menge herabblickt bemerkt sie gar nicht, dass Prinz
Stiernacken unter ihr feuerrot anläuft und ab morgen wohl Physio und eine
Halskrause braucht.
Mir
würden jetzt noch die Bodensitzer einfallen, wobei es die ja nicht nur auf
Konzerten sondern häufig auch in Innenstädten und an Bahnhöfen gibt. Über
Betrunkene schweige ich mich hier lieber aus, auch deren Existenz beschränkt sich ja nicht nur auf Veranstaltungen mit Live-Musik. Wenn ich plane, mich zu betrinken,
dann habe ich immer gute Freunde dabei, die meine Umwelt und mich vor den
Schäden bewahren, die wir uns gegenseitig zufügen würden. Das sollten die
Konzert-Trinker auch beherzigen.
Ich
schließe meinen Beitrag mit einem Wunsch meiner „Dinge-die-ich-vor-meinem-Tod-unbedingt-noch-machen-möchte-Liste“:
Crowdsurfen. Ich hoffe nur, dass ich nicht zu vielen Display-Süchtigen oder Freezies „zugereicht“
werde, sonst endet meine Reise über den Köpfen der Meute wohl jäh.
Sicherlich entlarvt der Kenner an den beschriebenen Typen auch die Art der Konzerte, für welche ich mich begeistere. Ihr seid also
an der Reihe. Wen hab ich in meiner Konzert-Besucher-Typologie vergessen? Da wären zum Beispiel auch noch die, die pogen – um die mach ich aber immer einen Bogen. Nobelpreisverdächtiges Wortspiel. Für diese Art kollektiver Eskalation ist mein
Körperbau nicht geeignet. Das würde enden wie bei Shrek und Fiona. Oder auch die Headbanger, bei denen mir schon bloßes Zusehen Schmerzen bereitet... Abschließend schenke ich euch ein Zitat einer meiner Lieblingsbands, welches die Botschaft dieses Artikels in wenigen Worten zusammenfasst:
"Counting all the assholes in the room - Well I'm definitely not alone..." (Volbeat in Still Counting)
Ich wünsche euch viel Spaß im Konzertsommer 2017, dem Menschenkino und euren Studien dazu. Vielleicht trifft man sich ja.
"Counting all the assholes in the room - Well I'm definitely not alone..." (Volbeat in Still Counting)
Ich wünsche euch viel Spaß im Konzertsommer 2017, dem Menschenkino und euren Studien dazu. Vielleicht trifft man sich ja.
Kuckt mal bei Frau Müller auf Facebook rein. Da geht's seltener um Musik aber dafür um so öfter um Menschen.
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