Wichtig: Selbstverständlich
habe ich die Namen aller Kinder geändert um ihre Anonymität zu wahren.
Dennoch war ich bemüht, allen Schülerpersönlichkeiten einen möglichst passenden Namen zu
geben. Ihr kennt das möglicherweise. Jeder von uns verknüpft bestimmte Namen
mit Verhaltensweisen. Man sieht ein Kind und denkt: DAS kann nur ein Kevin
sein...
Die Ausgabe der Jahreszeugnisse rückt
allmählich näher. Schon in ein paar Wochen werde ich vor diesen Tasten
sitzen und mir für jedes Kind eine Beurteilung aus den Fingern saugen. Bei etwa einem Drittel
der Schüler geht einem diese Arbeit von der Hand. Für das nächste Drittel
braucht man etwas mehr Mühe und beim letzten Drittel fragt man sich: „Wer war
das gleich noch?“. Die Herausforderung dabei ist,
möglichst wenig herabwürdigend oder entmutigend zu sein und dennoch ehrlich genug zu schreiben, um den Eltern eine realistische Vorstellung des Leistungsvermögens ihrer
kleinen „Einsteins“ zu vermitteln und gleichzeitig mit dem Zaun winkend dazu aufzufordern, doch mal statt Kippen einen Bleistift zu kaufen. Das ist nicht leicht. Bedenkt bitte: Intelligenz wird etwa zur Hälfte vererbt und zur anderen Hälfte erworben. Ihr versteht das Dilemma?
Vorher werde ich noch das machen, was alle Lehrer in den letzten Tagen eines Schuljahres tun: überdurchschnittlich viele Kontrollen schreiben, weil mir erst jetzt auffällt, dass es bisher viel zu wenig Zensuren gab.
Ich lass heute schon
mal alles raus, was ich mir sonst verkneife. Vielleicht vereinfacht dieser Artikel in diesem Schuljahr meinen
bevorstehenden pädagogischen Schaffensprozess. Wir werden sehen.
Außerdem kündigen sich in naher
Zukunft einige tiefgreifende Veränderungen in der intellektuellen Landschaft meines Klassenzimmers an. Also ist Zeit
für eine Bestandsaufnahme.
Vorweg: Ich gehe wenig professionell bei der Einschätzung und
Beschreibung der Schülerindividuen in diesem Artikel vor und werde mich nicht an Teilbereichen wie
Lernleistungsverhalten oder sozio-emotionalen Kompetenzen aufhalten. Ich
schreibe was mir spontan einfällt. Und jaaa. Ich bin eine gaaanz schlechte
Lehrerin. Ich mach die Kinder nur schlecht. Und uuuhuuuu. Hoffentlich denken
nicht alle Lehrer so. Ach und Blablabla. Beruf verfehlt.
Macht’s doch einfach besser. Ist mein Blog.
Macht’s doch einfach besser. Ist mein Blog.
Wir beginnen mit Kimberly.
Sie ist unsere Pummelfee. Die kindliche Elsa wenn Eiszapfen Kalorien hätten. Sie
kann ein A nicht von einem M unterscheiden und verbringt die dadurch
entstehende Freizeit im Deutschunterricht gerne damit, ihre Haaraccessoires neu
anzuordnen, zumindest so lange bis sie auf meinem Tisch liegen. In Mathe hat
sie durchaus lichte Momente so lange nicht allzu viel logisches Denken
erforderlich ist. Kimberly ist üppig ausgestattet, egal ob Gel-Stifte von Neon
bis Glitzer oder Tupperdöschen mit Pausensnacks – von allem ist genug bis zu
viel vorhanden. Kimberlys soziale Kompetenzen sind hochentwickelt. Ihr gelingt
es außerordentlich gut, Schwachstellen anderer zu entdecken und diese in selbst
erhaltene Aufmerksamkeit umzuwandeln. Kurz: Kimberly ist eine Petze. Durch
Stirnfalten und gekräuselte Lippen generiert sie einen Vereisungsblick, mit dem
sie Kritik des Lehrers einfach einfriert, gegenüber Mitschülern kombiniert sie
dies gerne noch mit einem gezischten „Lass mich!“. Optisch erinnert sie in
diesen Momenten schwer an eine diabolische Version von Mrs. Doubtfire.
Justin ist einer der
heimlichen Stars in Absurdistan. Auf dem Blog und bei Facebook hat er durch
einige Soloauftritte wahrscheinlich schon eine eigene kleine Fangemeinde.
Justin ist Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Oder ein bisschen wie der Unglaubliche Hulk. Leistungsmäßig
gibt es nicht viel über ihn zu sagen. Mit ihm arbeiten ist ein bisschen wie
Hochseilakrobatik. Alles ist gut solange man das sensible Gleichgewicht zwischen
Grenzen setzen und Bauchmietzeln hält. Verliert man die Kontrolle, geht es nur
noch abwärts. Zunächst ändert sich Justins Mimik und Gesichtsfarbe. Stirnfalten
und vital gerötete Bäckchen zeigen allerhöchste Alarmstufe. Mitschüler sollten besser "die Fresse halten" oder ihn am besten gar nicht erst
anschauen. Der Lehrer hat verloren, wenn er sich dienstrechtlich nicht
angreifbar machen will.
Stufe 1: verbale Provokationen
Stufe 2: fliegende
Arbeitsmittel und Möbel
Stufe 3: Sitzblockade
Stufe 4: völliger
Verlust der Selbstbeherrschung
Marvin ist Chantals
Zwillingsbruder. Ohne es sicher zu wissen, vermute ich ganz stark, dass er
seiner Schwester im Mutterleib den ohnehin schon spärlichen Sauerstoff
weggeatmet hat. Er hält sich für die hellste Laterne im düsteren Lampenladen.
Intellektuell ist er seiner Schwester weit überlegen. Wie sagt man: unter den Blinden
ist der Einäugige König? DAS ist Marvin. Tatsächlich hat aber auch er seine
Schaltpausen. Wenn alle zum Beispiel schon längst den halben Text abgeschrieben
haben, fragt mich Marvin gerne: Sollen wir mit Füller oder mit Bleistift
schreiben. Und auch, dass man Zahlen in Kästchen und Wörter in Zeilen schreibt,
ist für unser Klassen-Brain nach drei Schulbesuchsjahren noch keine
Selbstverständlichkeit.
Jerome erinnert mich an
Tolkiens Gollum. Wenn er mit irrem Blick, wirrem Haar und verschlungen Beinen
auf seinem Stuhl hockt, den Mund zu einem Lächeln verzieht, das nur noch die
Eckzähne schmücken und sich wie besessen dabei die Hände reibt dann bin ich
LIVE auf dem Schicksalsberg. Jerome ist Opfer seiner Gene (wie wahrscheinlich
90 Prozent aller Schüler unserer Schulart). Er gehört einer Dynastie an, die
uns schon seit etlichen Generationen mit ihrer Einzigartigkeit beehrt. Seine
Mutter ist wie BigFoot: keiner hat sie je wirklich gesehen aber es gibt
Hinweise auf ihre Existenz. Jerome ist wegen Zahnstatus „Ruine“ manchmal schwer
zu verstehen. Seine Ticks und die desaströse Feinmotorik machen seine
schriftsprachlichen Äußerungsversuche ebenso unverständlich. Dank meiner im
Berufsalltag erworbenen forensisch-anthropologischen Fähigkeiten gelingt es mir
mittlerweile einigermaßen Jeromes Botschaften zu entschlüsseln.
Chantal hatte ebenso wie
Justin schon diverse Kurzauftritte in Frau Müllers wortgemaltem Menschenkino.
Als Marvins Schwester hat sie definitiv die weniger leistungsfähige
Genkombination erwischt. Und ja, bevor Fragen aufkommen, Vater und Mutter sind
bei beiden Kindern gleich. Liegt sicher daran, dass es Zwillinge sind. Wobei: Kann man sich sicher sein?
Wenn irgendwann einmal ein Impfstoff gegen zu hohe Intelligenz entwickelt werden soll, dann wird er wohl aus Chantal extrahiert. Ich pflege immer zu sagen: Wenn man so doof ist, dass man nicht merkt dass man doof ist dann ist man sehr doof. Chantal war meine Inspiration. Sie ist so fleißig, willig und motiviert, dass es fast schon schmerzt, sie für ihre völlig deplazierten Antworten nicht loben zu können. Ich denke Chantal wir irgendwann einmal Influencerin oder hat einen eigenen YouTube-Kanal.
Wenn irgendwann einmal ein Impfstoff gegen zu hohe Intelligenz entwickelt werden soll, dann wird er wohl aus Chantal extrahiert. Ich pflege immer zu sagen: Wenn man so doof ist, dass man nicht merkt dass man doof ist dann ist man sehr doof. Chantal war meine Inspiration. Sie ist so fleißig, willig und motiviert, dass es fast schon schmerzt, sie für ihre völlig deplazierten Antworten nicht loben zu können. Ich denke Chantal wir irgendwann einmal Influencerin oder hat einen eigenen YouTube-Kanal.
Kevin gehört zusammen mit
Kimberly und Chantal zu den Leistungsträgern der Klasse. Wenn diese drei
Schüler fehlen, steigert sich das intellektuelle Niveau schlagartig um 300
Prozent. Kevin benötigt zum Lösen der Aufgabe 5 plus 3 neben seinen
Fingern außerdem Nasenspitze und sämtliche Stifte seines Mäppchens. Er wirkt
bei diesen Zähltechniken so geübt, dass die Anzahl seiner Fehler für mich
völlig unverständlich ist. Kevin fehlt oft im Unterricht, Schuld ist die Mama.
Die verpennt nämlich immer das Schülertaxi und für einen Anruf in der Schule
reicht das Prepaid-Guthaben auf dem Handy nur sehr selten bis nie. Kevins
Lieblingssatz ist „Neee, ICH hab nichts gemacht!“ inklusive einer überzeugenden Unschuldsmine als Teil einer ausgeklügelten
Vertuschungsstrategie von Anfeindungsversuchen seinen Mitschülern gegenüber.
Ich kann nicht leugnen, dass
ich Lieblingskinder habe. Ich bin authentisch. Thorben ist solch ein Kind.
Allerdings das Gegenteil eines Lieblingskindes. Unprofessionelle Kollegen
würden womöglich Arschlochkind sagen. Thorben interessiert sich in
überdurchschnittlichem Maß für alles was ihn gar nichts angeht und fightet
engagiert mit Kimberly um den Petzen-Oscar. Optisch erinnert er mich von
Gesichtsfarbe und –ausdruck her an Rüdiger, den kleinen Vampir. Das Antlitz
krönt ein roter Schopf. Herzig. Die Sportlehrerin klagt über Unfallgefahr, da
Rüdiger - HALT! Thorben - häufig beide Hände im Schritt seiner Hose vergraben
hat. Alles in allem hätte Thorben mit seinem Talent für Koordination und Bewegung mindestens
Backgroundtänzer in Michael Jacksons Thriller-Clip werden können.
Oleg hat, wie der Name
vermuten lässt, osteuropäischen Migrationshintergrund. Er ist ein niedliches
Bürschchen, dem allerdings sein Denk- und Arbeitstempo auf Valiumniveau stark
handicapt. Oleg gehört wie Jerome zu den Schreibern, die mir bei
Korrekturarbeiten dank ihrem kryptischen Gekrakel Kopfschmerzen bereiten.
Ansonsten gibt es über Oleg nicht viel zu erzählen. Also ein „Drittes-Drittel-Kind“.
Johannis ist so harmlos wie
anstrengend. Eine viel zu hohe Stimme in Verbindung mit extrem weinerlichen
Tonfall plus Sommersprossen plus Rotschopf stellen eine enorme Herausforderung
für den völlig unvoreingenommenen Pädagogen dar. Die Art seiner individuellen
Gesamtkomposition allein bedarf keine zusätzlichen liebenswerten Charaktereigenschaften
um ihn ins Herz zu schließen. Johannis lebt in einer sehr sparsamen
Pflegefamilie, die, um das verdiente Pflegegeld möglichst gewinnbringend
anzulegen, mit der Ausstattung der zu pflegenden Kinder sehr sparsam umgeht.
Kurz: Im Sommer T-Shirt ohne Erb-Pullunder, im Winter MIT. Das reicht. Johannis sucht
gerne 20 Minuten seine Mütze während er sie auf dem Kopf hat und vergisst alles
außer seinen Namen. Ebenfalls Arbeitstempotyp „Valium“.
Sophie bildet den Abschluss.
Immer niedlich und immer angepasst kann man ihr fast nicht böse sein. Viel zu
klein und viel zu schmächtig für ihr Alter steckt, im Klassenvergleich
betrachtet, vermutlich am meisten bildbare Hirnmasse in dem Mäuschen. Ein
bisschen wie die niedliche und „schlauere“ Variante von Chantal. Ein
Drittes-Drittel-Kind. Ich hätte gerne mehr davon. Vermutlich weiß Sophie das,
denn sie deckt mich gerne mit Liebesbriefen ein.
Zwei Dinge verbinden mich sicher mit meinem kleinen Blinkie-Rudel: Kevin, Kimberly und ihre
Klassenkameraden sind im Sommer bestimmt genauso froh, sechs Wochen Pause von meiner Wenigkeit zu bekommen wie
andersherum.
Außerdem sind wir ALLE nicht
nachttragend: ich habe Justin auch nach unserem Ausflug im Streifenwagen noch
gerne und Johannis sagt mir ebenso regelmäßig wie schön ich bin, wie ich ihm
sage, dass er einschläft wenn er noch langsamer läuft. Ich bin mir sicher, sie würden
mir auch solch ein herzliches Zeugnis schreiben wie ich ihnen. Wenn sie
könnten.
nach Absurdistan und in die MüllerMansion ;-)
(Ich danke Marco und Sarah für's zur Verfügung stellen ihrer Urlaubsfotos von der Affeninsel)
An der Stelle, mit Chantal wird Influenzerin musste ich mein iPad putzen. Naja, wurde eh mal Zeit.
AntwortenLöschenLG Thomas
Ich bin immer wieder hoch erfreut, wenn ich erfahre, welch positive Nebeneffekte mein Blog hat ;-)
LöschenLG
Frau Müller