Lehrer sind auch nur Menschen. Und nicht jeder trifft sich abends mit Kolleginnen abwechselnd zum Nordic Walking oder zum Fortgeschrittenenkurs in Seidenmalerei. Ich denke ich bin das Kuckucksei im Lehrerzimmer. Etwa wie ein Veganer, der ausversehen Metzger geworden ist oder ein Pilot mit Höhenangst. Oder wie eine Franzi van Almsick, die immer wieder vom Schwebebalken fällt weil sie noch nie jemand ins Wasser geschubst hat.

Mittwoch, 13. Juni 2018

Todesschränke, Gremlins und eigenwillige Peristaltik ODER Licht und Schatten der Anonymität


Wenn die fürsorglichen Mütter der Nachbarskinder und aus den anliegenden Straßen ihren nach harter Arbeit wohl verdienten Feierabend auf der Hollywoodschaukel zwischen Schmetterlingsflieder und Fingerahorn antreten und die mittlerweile einsvierzig großen Leibesfrüchte mit mehr Plastikmüll in den Hosentaschen als in allen Weltmeeren zusammen, nachdem am ökologisch korrekten, aus heimischen Hölzern von einarmigen Häftlingen zum Zwecke der Wiedereingliederung ins Berufsleben gefertigten Schreibtisch gewissenhaft die Hausaufgaben erledigt wurden, rufen „Mutti, ich geh raus spielen!“, dann antworten die Mütter: „Aber natürlich mein Schatz. Wo willst du denn hin?“ 

Die Antwort der kleinen Nachwuchsbalotellis mit dem runden Leder unterm Arm lautet: „Zu den Müllers!“ Und so lehnen sich die umsichtigen Mamis zurück in die Geborgenheit spendenden Polster des Outdoorrelaxmöbels, greifen zum Pilcher-Schinken und lauschen in die nachmittägliche Ruhe, mit dem guten Gefühl, ihr Kind bestens aufgehoben zu wissen. Die Müllers. Ach. Bei der Lehrerin. Na dann ist ja alles gut.

In meiner Küche gibt es einen Schrank, der familienintern Todesschrank genannt wird. Eigentlich trägt dieser Todesschrank diese Bezeichnung völlig zu Unrecht, denn es war sein Vorgänger in der alten Küche, der einmal versucht hat, mir gleich drei Finger gleichzeitig abzubeißen. Seitdem machte ich einen großen Bogen um diesen Schrank mit der Klappe und dem Feststell-Scharnier, dass so zuverlässig seinen Dienst verrichtete, wie ein Neuntklässler der Förderschule seine Physikkontrollen unterschreiben lässt.

Aber weil jede Küche, nein jeder Haushalt, einen Todesschrank braucht, nämlich auch einen Schrank, in den man so selten rein schaut, dass darin all die Dinge ihren Stammplatz finden, die man sehr wenig oder eigentlich gar nicht mehr braucht, wurde das kleine Fach über Backofen und Mikrowelle in der umgebauten Küche ebenso getauft. 

In diesem Schrank befindet sich neben Backblechen und allen noch original verpackten Anleitungen der Küchengeräte, eine kleine Dose mit grünen Kräutern, die ich einst bei großstädtischen Studentenfreunden gegen eine Babyerstausstattung eintauschte und die mir in Zeiten höchster Anspannung oder einfach Samstagabend per Inhalation ein äußerst entspanntes Gefühl bescheren.

Außerdem befindet sich in diesem Schrank ein roter 40 Zentimeter langer Doppeldildo. Um es vorweg zu nehmen: das Ding war eine Enttäuschung. Aber darum soll es hier nicht gehen. Denn die Frage, wie dieses anstößige Stück Kunststoff in meinen Küchenschrank kommt, findet der seriöse Leser vermutlich wesentlich spannender. Ich persönlich möchte allerdings zunächst erklären, warum es immer noch dort ist, insbesondere nachdem es vor einiger Zeit dem Herrn Schwiegermüller beinahe in die Hände gefallen wäre, als er spontan das Platzangebot unserer Küchenschränke inspizierte, da er eine Modernisierung der schwiegermüllerschen Kochräumlichkeiten plante.
Panische Blicke zwischen Herrn und Frau Müller, angesichts des in die Tiefen des Schrankes vordringenden Endfünfzigers inklusive. 

Wir hätten ihm ja schlecht erklären können, dass sein Sohn es für eine tolle Idee hielt, seinen beiden Frauen das Teil in den ersten gemeinsamen Quattroeheurlaub mitzunehmen, seine Schwiegertochter beim Auspacken der Koffer angesichts nahender Kinderfüße einfach auf die Schnelle den Todesschrank zur Goodieschublade umfunktioniert hat und wir beide seit dem einfach auf die passende Gelegenheit warten, das Teil weiter zu verschenken.

Vielleicht traue ich mich irgendwann, das gute Stück selbstverständlich anonym verpackt beim Schrottwichteln in der Schule unter die Kollegen zu bringen oder aber ich lerne das Häkeln und mache einen Zugluftdildo oder Türstopper draus. Die Fenster in der MüllerMansion sind allerdings alle dicht. Ja, diese Episode ist um einiges errötender, als die Frage des großen Müllers, was da für ne coole Powerbank auf meinem Nachttisch liegt.

Warum schreibe ich das alles und vor allem: Was um alles in der Welt hat das mit der kleinen Fremdbratze und seiner miese Belletristik lesenden Mutter zu tun? Es ist ganz einfach: wenn diese Mütter wüssten - und ich schreibe bewusst Mütter, denn die eingangs beschriebenen Erziehungsberechtigten stehen exemplarisch für gefühlt alle Eltern der Nachbarschaft im Alter des kleinen Müllers plus minus zwei Jahre - dass ich es bin, die in ihrem Küchenschrank Sexspielzeug und Zauberkräuter aufbewahrt, die zwischen Messern und Gabeln in der Besteckschublade Penisstrohhalme hortet, die mit dem Mann ihrer besten Freundin schläft und mit selbiger gerne um dieWette rülpst, dann könnte ich meine Nachmittage vielleicht auch in wohlverdienter Ruhe genießen, nachdem mich von Berufs wegen bereits am Vormittag plärrende Blagen folterten.

Weil Menschen aber in Schubladen und keineswegs um die Ecke denken können, findet im Garten der MüllerMansion an etlichen Nachmittagen des Sommers so eine Art Woodstock für unter 10 Jährige statt, an dessen Ende ein Schlachtfeld aus riesigen Plastikflinten, Kindersocken, Eisstäbchen und allen Bällen, die in der Garage aufzutreiben waren, zurück bleibt. Die Geräuschkulisse ähnelt einer Achterbahn in Dauerschleife. Dabei scheinen sich diese Kinder, deren Namen ich mitunter noch nicht einmal kenne, zu vermehren wie Gremlins, wenn sie nass werden. Immer wenn man kurz weg und wieder hin schaut, wird die Kindersuppe im Pool dicker.

Sie betreten den Umkleide- und Cafeteriabereich (Bad, Küche, Flur und Wohnzimmer) bevorzugt ohne zu fragen durch die Hintertüre. „Können wir das hier liegen lassen?“ – „Äääh, nein? In meinem Bad ist vielleicht Platz für drei halbfertige Menschen wie euch, aber ich steige ungern über einen kniehohen Klamottenhaufen, wenn ich mal kacken muss.“ 

Ich wollte immer ne coole Mutti sein. Und vermutlich bin ich das auch, immerhin fragt mich das zwölfjährige Müllerkind gerne ebenso wenig verkrampft wie unvermittelt, wozu man eigentlich Sexspielzeug braucht und ob alte Menschen denn auch noch Sex haben. Außerdem würden sich die kleinen Kurzbeine vermutlich nicht so gerne hier aufhalten, wenn es anders wäre. Bei näherer Betrachtung der heutigen Situation, erschließt sich mir der tiefere Sinn meiner damaligen Ambitionen allerdings nicht wirklich.

Ja, das wäre fein. Wenn diese Mütter sagen würden: „Was? Zu den Müllers? Nein, mein Kind – da geh mal lieber nicht hin. Die Frau Müller ist doch Lehrerin. Die hat sich doch auch mal einen Nachmittag verdient, an dem sie nicht von einer unnatürlich großen Anzahl lärmender Kinder umgeben ist.“ Dabei meinen sie das natürlich gar nicht so rücksichtsvoll, wie sie es sagen. Nur möchten sie ihrem Kind eben auch nicht antworten: „What? Zu dieser irren Müllerin, bei der in jeder Ecke Pornokram rumliegt und die mit ihrem Mann und diesen anderen Leuten Sodom und Gomorrha feiert? Zu denen gehst du nicht. Zum Schluss erstickst du vielleicht noch an einem Penisstrohhalm!“ 
Dem kleinen Rambo im Polyester-Trikot ist das ohnehin egal. Müllers haben einen Pool, nen Trampolin und eine Babykatze. Das ist, was zählt. Wen interessieren schon Dildos und Quattroehen.

Aber auch wenn die verlockende Stille und Poolwasser ohne den Schweiß fremder Kinder durchaus einen ernstzunehmenden Anreiz darstellen, Schluss zu machen mit der Anonymität und beim nächsten Elternabend „Frau Müller“-Flyer mit einem QR-Code direkt zum Blog auszuteilen, lass ich es lieber. Denn stellt euch vor, ich könnte plötzlich nicht mehr darüber schreiben, wie amüsant es war, als das große Müllerkind vor einiger Zeit von einer Schwester auf der Krankenhaustoilette seinen ersten Einlauf verpasst bekam, weil ihn eine ordentliche Verstopfung plagte und er mit zusammen gekniffenem Hintern während der Einwirkzeit erst meckerte, dass ich kein feuchtes Toilettenpapier in der Handtasche habe und dann bettelte, dass ich mit ihm noch vor der großen Eruption nach Hause fahre, damit der Herr Heimscheißer in gewohnter Umgebung sein Geschäft verrichten kann.

 Und weil wir gerade bei Fäkalien in ungünstigen Aggregatszuständen sind – auch die Episode, wie der kleine Müller in der Lobby eines thailändischen Fünfsternehotels plötzlich über einer kleinen braunen Pfütze stand, weil er am Vormittag zu viel Salzwasser geschluckt und am Nachmittag einen Furz unterschätzt hatte, woraufhin Sarah, Marco und Herr Müller den verdutzten kleinen Kerl einfach an den Händen schnappten und mit Unschuldsmiene davon eilten, müsste ich euch vorenthalten. Beiden Kindern wäre es vermutlich unangenehm, wenn sie wüssten, dass ihre Mutter ihre zuweilen unzuverlässige Peristaltik wortreich in die Welt hinaus posaunt.

Weil wir aber nun mal die Müllers sind und ich ne gute Mama, unterhalte ich euch weiterhin mit Peinlich- und Schlüpfrigkeiten der ganzen Familie. Dafür ertrage ich die Gremlins in meinem Pool doch gerne.  

Alle für die Öffentlichkeit
eigentlich viel zu persönlichen
Episoden aus Absurdistan, der MüllerMansion
und einer Quattroehe, die es nicht in einen
Blogartikel wie diesen hier schaffen,

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