Wenn die fürsorglichen
Mütter der Nachbarskinder und aus den anliegenden Straßen ihren nach harter
Arbeit wohl verdienten Feierabend auf der Hollywoodschaukel zwischen
Schmetterlingsflieder und Fingerahorn antreten und die mittlerweile einsvierzig
großen Leibesfrüchte mit mehr Plastikmüll in den Hosentaschen als in allen
Weltmeeren zusammen, nachdem am ökologisch korrekten, aus heimischen Hölzern
von einarmigen Häftlingen zum Zwecke der Wiedereingliederung ins Berufsleben
gefertigten Schreibtisch gewissenhaft die Hausaufgaben erledigt wurden, rufen „Mutti,
ich geh raus spielen!“, dann antworten die Mütter: „Aber natürlich mein Schatz.
Wo willst du denn hin?“
Die Antwort der kleinen Nachwuchsbalotellis
mit dem runden Leder unterm Arm lautet: „Zu den Müllers!“ Und so lehnen sich
die umsichtigen Mamis zurück in die Geborgenheit spendenden Polster des
Outdoorrelaxmöbels, greifen zum Pilcher-Schinken und lauschen in die
nachmittägliche Ruhe, mit dem guten Gefühl, ihr Kind bestens aufgehoben zu
wissen. Die Müllers. Ach. Bei der Lehrerin. Na dann ist ja alles gut.
In meiner Küche gibt es
einen Schrank, der familienintern Todesschrank genannt wird. Eigentlich trägt
dieser Todesschrank diese Bezeichnung völlig zu Unrecht, denn es war sein
Vorgänger in der alten Küche, der einmal versucht hat, mir gleich drei Finger
gleichzeitig abzubeißen. Seitdem machte ich einen großen Bogen um diesen
Schrank mit der Klappe und dem Feststell-Scharnier, dass so zuverlässig seinen
Dienst verrichtete, wie ein Neuntklässler der Förderschule seine
Physikkontrollen unterschreiben lässt.
Aber weil jede Küche, nein
jeder Haushalt, einen Todesschrank braucht, nämlich auch einen Schrank, in den
man so selten rein schaut, dass darin all die Dinge ihren Stammplatz finden,
die man sehr wenig oder eigentlich gar nicht mehr braucht, wurde das kleine
Fach über Backofen und Mikrowelle in der umgebauten Küche ebenso getauft.
In diesem Schrank befindet
sich neben Backblechen und allen noch original verpackten Anleitungen der
Küchengeräte, eine kleine Dose mit grünen Kräutern, die ich einst bei
großstädtischen Studentenfreunden gegen eine Babyerstausstattung eintauschte
und die mir in Zeiten höchster Anspannung oder einfach Samstagabend per
Inhalation ein äußerst entspanntes Gefühl bescheren.
Außerdem befindet sich in
diesem Schrank ein roter 40 Zentimeter langer Doppeldildo. Um es vorweg zu nehmen: das
Ding war eine Enttäuschung. Aber darum soll es hier nicht gehen. Denn die
Frage, wie dieses anstößige Stück Kunststoff in meinen Küchenschrank kommt,
findet der seriöse Leser vermutlich wesentlich spannender. Ich persönlich
möchte allerdings zunächst erklären, warum es immer noch dort ist, insbesondere
nachdem es vor einiger Zeit dem Herrn Schwiegermüller beinahe in die Hände
gefallen wäre, als er spontan das Platzangebot unserer Küchenschränke
inspizierte, da er eine Modernisierung der schwiegermüllerschen
Kochräumlichkeiten plante.
Panische Blicke zwischen Herrn und Frau Müller,
angesichts des in die Tiefen des Schrankes vordringenden Endfünfzigers
inklusive.
Wir hätten ihm ja schlecht erklären können, dass sein Sohn es für
eine tolle Idee hielt, seinen beiden Frauen das Teil in den ersten gemeinsamen Quattroeheurlaub mitzunehmen, seine Schwiegertochter beim Auspacken der Koffer angesichts
nahender Kinderfüße einfach auf die Schnelle den Todesschrank zur Goodieschublade
umfunktioniert hat und wir beide seit dem einfach auf die passende Gelegenheit
warten, das Teil weiter zu verschenken.
Vielleicht traue ich mich
irgendwann, das gute Stück selbstverständlich anonym verpackt beim
Schrottwichteln in der Schule unter die Kollegen zu bringen oder aber ich lerne
das Häkeln und mache einen Zugluftdildo oder Türstopper draus. Die Fenster in
der MüllerMansion sind allerdings alle dicht. Ja, diese Episode ist um einiges
errötender, als die Frage des großen Müllers, was da für ne coole Powerbank auf
meinem Nachttisch liegt.
Warum schreibe ich das alles
und vor allem: Was um alles in der Welt hat das mit der kleinen Fremdbratze und
seiner miese Belletristik lesenden Mutter zu tun? Es ist ganz einfach: wenn
diese Mütter wüssten - und ich schreibe bewusst Mütter, denn die eingangs
beschriebenen Erziehungsberechtigten stehen exemplarisch für gefühlt alle Eltern
der Nachbarschaft im Alter des kleinen Müllers plus minus zwei Jahre - dass ich
es bin, die in ihrem Küchenschrank Sexspielzeug und Zauberkräuter aufbewahrt,
die zwischen Messern und Gabeln in der Besteckschublade Penisstrohhalme hortet,
die mit dem Mann ihrer besten Freundin schläft und mit selbiger gerne um dieWette rülpst, dann könnte ich meine Nachmittage vielleicht auch in wohlverdienter
Ruhe genießen, nachdem mich von Berufs wegen bereits am Vormittag plärrende Blagen folterten.
Weil Menschen aber in
Schubladen und keineswegs um die Ecke denken können, findet im Garten der
MüllerMansion an etlichen Nachmittagen des Sommers so eine Art Woodstock für
unter 10 Jährige statt, an dessen Ende ein Schlachtfeld aus riesigen
Plastikflinten, Kindersocken, Eisstäbchen und allen Bällen, die in der Garage
aufzutreiben waren, zurück bleibt. Die Geräuschkulisse ähnelt einer Achterbahn
in Dauerschleife. Dabei scheinen sich diese Kinder, deren Namen ich mitunter
noch nicht einmal kenne, zu vermehren wie Gremlins, wenn sie nass werden. Immer
wenn man kurz weg und wieder hin schaut, wird die Kindersuppe im Pool dicker.
Sie betreten den Umkleide-
und Cafeteriabereich (Bad, Küche, Flur und Wohnzimmer) bevorzugt ohne zu fragen
durch die Hintertüre. „Können wir das hier liegen lassen?“ – „Äääh, nein? In
meinem Bad ist vielleicht Platz für drei halbfertige Menschen wie euch, aber
ich steige ungern über einen kniehohen Klamottenhaufen, wenn ich mal kacken
muss.“
Ich wollte immer ne coole
Mutti sein. Und vermutlich bin ich das auch, immerhin fragt mich das zwölfjährige Müllerkind gerne ebenso wenig verkrampft wie unvermittelt, wozu man eigentlich Sexspielzeug braucht und ob alte Menschen denn auch noch Sex haben. Außerdem würden sich die kleinen
Kurzbeine vermutlich nicht so gerne hier aufhalten, wenn es anders wäre. Bei näherer
Betrachtung der heutigen Situation, erschließt sich mir der tiefere Sinn meiner
damaligen Ambitionen allerdings nicht wirklich.
Ja, das wäre fein. Wenn
diese Mütter sagen würden: „Was? Zu den Müllers? Nein, mein Kind – da geh mal lieber
nicht hin. Die Frau Müller ist doch Lehrerin. Die hat sich doch auch mal einen
Nachmittag verdient, an dem sie nicht von einer unnatürlich großen Anzahl
lärmender Kinder umgeben ist.“ Dabei meinen sie das natürlich gar nicht so
rücksichtsvoll, wie sie es sagen. Nur möchten sie ihrem Kind eben auch nicht
antworten: „What? Zu dieser irren Müllerin, bei der in jeder Ecke Pornokram
rumliegt und die mit ihrem Mann und diesen anderen Leuten Sodom und Gomorrha
feiert? Zu denen gehst du nicht. Zum Schluss erstickst du vielleicht noch an
einem Penisstrohhalm!“
Dem kleinen Rambo im Polyester-Trikot ist das ohnehin
egal. Müllers haben einen Pool, nen Trampolin und eine Babykatze. Das ist, was
zählt. Wen interessieren schon Dildos und Quattroehen.
Aber auch wenn die
verlockende Stille und Poolwasser ohne den Schweiß fremder Kinder durchaus
einen ernstzunehmenden Anreiz darstellen, Schluss zu machen mit der Anonymität
und beim nächsten Elternabend „Frau Müller“-Flyer mit einem QR-Code direkt zum
Blog auszuteilen, lass ich es lieber. Denn stellt euch vor, ich könnte plötzlich
nicht mehr darüber schreiben, wie amüsant es war, als das große Müllerkind vor
einiger Zeit von einer Schwester auf der Krankenhaustoilette seinen ersten
Einlauf verpasst bekam, weil ihn eine ordentliche Verstopfung plagte und er mit
zusammen gekniffenem Hintern während der Einwirkzeit erst meckerte, dass ich
kein feuchtes Toilettenpapier in der Handtasche habe und dann bettelte, dass
ich mit ihm noch vor der großen Eruption nach Hause fahre, damit der Herr Heimscheißer
in gewohnter Umgebung sein Geschäft verrichten kann.
Und weil wir gerade bei Fäkalien in
ungünstigen Aggregatszuständen sind – auch die Episode, wie der kleine Müller
in der Lobby eines thailändischen Fünfsternehotels plötzlich über einer kleinen
braunen Pfütze stand, weil er am Vormittag zu viel Salzwasser geschluckt und am
Nachmittag einen Furz unterschätzt hatte, woraufhin Sarah, Marco und Herr
Müller den verdutzten kleinen Kerl einfach an den Händen schnappten und mit
Unschuldsmiene davon eilten, müsste ich euch vorenthalten. Beiden Kindern wäre
es vermutlich unangenehm, wenn sie wüssten, dass ihre Mutter ihre zuweilen
unzuverlässige Peristaltik wortreich in die Welt hinaus posaunt.
Weil wir aber nun mal die
Müllers sind und ich ne gute Mama, unterhalte ich euch weiterhin mit Peinlich-
und Schlüpfrigkeiten der ganzen Familie. Dafür ertrage ich die Gremlins in
meinem Pool doch gerne.
Alle für die Öffentlichkeit
eigentlich viel zu persönlichen
Episoden aus Absurdistan, der MüllerMansion
und einer Quattroehe, die es nicht in einen
Blogartikel wie diesen hier schaffen,
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