Wenn man eine Weile bloggt, sammelt sich
ein bisschen was an. Und zwar nicht nur in dem für alle öffentlich zugänglichen
Setzkasten, welcher all meine gedanklichen Ü-Ei-Figuren beherbergt, sondern
auch auf dem virtuellen „Nicht fertig“- oder „Lass liegen, vielleicht gefällt
es dir in ein paar Monaten besser“-Stapel. Genau an diesen Stapel wagt man sich,
wenn man mal wieder entweder keine Lust oder keine Zeit (oder beides) hat,
etwas Neues aus den Tasten zu quetschen. Selbiges habe ich auch heute getan. Entstanden
ist ein wirres Gedankencluster aus Ansichten und Erlebnissen von damals und
heute, welches sich hervorragend in den präsommerlochschen Kehraus einfügt.
Ich
habe kein Problem mit meinem Alter. Als ich nach meinem 30. Geburtstag
feststellte, dass ich nun aktiver gegen körperliche Verfallsprozesse vorgehen
muss weil Gesicht allein nicht mehr reicht, war das eine Erkenntnis mit der verbundenen Konsequenz, zumindest etwas
Sport zu treiben. Mehr nicht. Ich altere nicht, ich geilere. Das ist alles eine
Frage der Einstellung.
Allerdings hab ich ein Problem mit Arschlöchern. Und
mein Stoffwechsel ist ein Arschloch. Dieses Arschloch schert sich herzlich
wenig darum, ob und wie viel ich esse oder mich bewege. Nicht ich entscheide, wo
es schwabbelt und dellt, nein – das tut Arschloch Stoffwechsel. „Es gibt kein
Recht auf Gerechtigkeit“ sagte einst mein talentierter Psychotherapeut und
somit wohl auch keinen Schutz gegen Arschlöcher. Nicht im richtigen Leben und
auch nicht im Kopf. Und genau wie im richtigen Leben, kommt man an manchen
Tagen mit den Arschlöchern besser zurecht und an anderen Tagen eben schlechter.
Einen
zuverlässigeren Stoffwechsel haben vermutlich die meisten Mittzwanziger, dennoch
sind sie nicht zu beneiden. Sie haben einen furchtbaren Musikgeschmack, sind
gerade am Anfang der Familienplanung (haben also keinen Schimmer von Dammschnitten und Elternabenden) und frieren ständig an den Knöcheln. Ich
bin froh, dass ich das hinter mir habe. Allerdings fror man zu meiner Zeit eher
im Nierenbereich oder am Arschansatz.
Wir sind
heute eingeladen zu Rudis Überraschungsparty anlässlich seines 30.Geburtstags.
Rudi ist die Kurzform von Rudolf aber Rudolf heißt natürlich nicht wirklich
Rudolf. Allerdings ist Rudolfs tatsächlicher Name genauso unpassend für einen
Dreißigjährigen. So unpassend, dass die sehr direkte Sabrina einst in der
großen Runde einer Hochzeitsgesellschaft Rudis Freundin fragte: „Rudolf? Er
heißt wirklich Rudolf? Ich dachte Rudi ist nur ein Spitzname wegen irgendwas.
Wie um alles in der Welt stöhnt man denn Rudolf?“
Darauf hatte die hübsche zierliche
Frau mit der Hüftbreite einer Siebenjährigen so spontan keine Antwort, obwohl
sie sonst weniger verlegen bezüglich der Bekanntgabe sehr persönlicher
Informationen war, zumindest wenn es darum ging, mir ohne Umschweife und in
Zimmerlautstärke mitzuteilen, dass sie schon den ganzen Tag kacken muss, während
ums Eck vor dem Zugang zu den Toiletten die halbe Gästeliste unfreiwillig
mithörte.
(Ich weiß, Grundsatzdiskussion. Wer
stöhnt eigentlich den Namen seines Partners? Das macht doch kein Schwein, oder?
Nur Pornosternchen schreien ekstatisch „Jaaa, Jerome, jaa. Schneller, tiefer,
härter, du geiler Hengst.“ oder kichern mit süffisant überspitzten Stimmchen: „Hansi,
du Stier. Gib‘s mir schmutziger, als je zuvor.“ Aber ja, sie hat es trotzdem
gefragt.)
Rudis
Freundeskreis besteht überwiegend aus Mittzwanzigern. Während die Feiergesellschaft
auf das Eintreffen des Jubilars wartet, der seit heute in ihren Augen gefährlich
an der Frühbucherrabattgrenze fürs Altersheims kratzt, höre ich die folgende
Aussage einer Hipsterin gegenüber ihrer Girlsclique: „ Also wenn ich mal 30
werde, will ich nicht so ein Tamtam.“ Ich glaub ich kotze gleich. Im Strahl.
Nicht weil ich mich in diesem Moment um 20 Jahre gealtert fühle. Nein, so habe
ich mich tatsächlich nur einmal gefühlt, als ich zu einem Konzert der Band
Kraftklub mitten in 5000 bezahnspangten Teenies mit einem BMI unter 15 stand
und sich Müllers nach dem Konzert einen Fluchtweg durch den Konvoi wartender
Eltern bahnen mussten.
Vielmehr habe ich den sicheren Eindruck, diese Aussage erwuchs nicht aus dem respektablen Keim der Bescheidenheit einer Person, die nicht gerne im Mittelpunkt steht und weiß, dass Luftballons eine Gefahr für Meerestiere sind. Nein, sie hätte ebenso sagen können „Wenn ich sterbe, dann möchte ich kein Hochglanzgrab aus poliertem Marmor mit Bronzeengel in Lebensgröße. Bitte streut meine Asche nur in aller Stille in den Wind.“ Alle metasprachlichen Parameter wären die gleichen.
Vielmehr habe ich den sicheren Eindruck, diese Aussage erwuchs nicht aus dem respektablen Keim der Bescheidenheit einer Person, die nicht gerne im Mittelpunkt steht und weiß, dass Luftballons eine Gefahr für Meerestiere sind. Nein, sie hätte ebenso sagen können „Wenn ich sterbe, dann möchte ich kein Hochglanzgrab aus poliertem Marmor mit Bronzeengel in Lebensgröße. Bitte streut meine Asche nur in aller Stille in den Wind.“ Alle metasprachlichen Parameter wären die gleichen.
Warum
glauben viele Menschen in den Zwanzigern, 30 zu werden ist etwas Schreckliches?
Es gibt schlimmere Dinge, als einen lahmen Stoffwechsel. Milchstau, Maggifix, Rosenthaler Kadarka oder H&M zum Beispiel. Ja, man wird im Alter anspruchsvoller in vielen Dingen. Auch das habe ich an
diesem Abend gemerkt. „Wer gut tanzen kann, kann auch gut vögeln.“ schnappe ich
am Rande der Tanzfläche auf. Das mag gut möglich sein aber: so wie ich nicht zu allem tanze, vögle ich auch nicht mit
jedem. Und noch was hat Tanzmusik mit Sex gemeinsam: Je nüchterner du bist,
desto wählerischer bist du auch.
Diese
Mittzwanziger-Wunschmusik ist auf jeden Fall bestialisch: sie feiern wie die
Tiere zu alemannischen Botox-Blondinen mit Dyspnoe bei Dunkelheit oder Adolf
Presley (wäre der mal lieber auf seinem Trecker geblieben) mit Schmalzfrise und
Stricksocken. Ohne jedweden Anspruch auf hochwertige Unterhaltung. Und genauso
scheinen die auch über Sex zu denken. Rudi (seines Zeichens Trauzeuge zur Quattroehe-Schließung durch den Dragqueenpfarrer.. oder die Pfarrerin?) meint
zu Sarah mit Blick auf das Pärchen, dass uns am Tisch schräg gegenüber sitzt:
„Die würden auch gut in eure Gruppe
passen.“
Hallo? Gruppe? Ich meine: Wer sind wir? Das THW? Wo jeder mitmachen
kann, der Lust dazu hat?Wir sind die Quattroehe. Wir sind quasi verheiratet.
Abgesehen
davon warten Männer Mitte Zwanzig scheinbar alle noch auf den letzten
Wachstumsschub. Die sind irgendwie klein. Ich hab mal gehört, dass Männer im Alter deswegen zu Glatzenbildung neigen,
weil das Hirn nochmal wächst und daher die Kopfhaut spannt. Ich glaube ja eher,
dass die Haare sich in dem Alter einfach ergeben, weil sich schon so viele Frauen
drin festgekrallt haben. Dass diese fünfundzwanzigjährigen großen Jungs noch so
dicht bewachsene Hinterköpfe haben, ist in dem Zusammenhang Indikator für
fehlende sexuelle Qualitäten und hohen Fortbildungsbedarf. Was
genau Ü30-Sex so erstrebenswert macht, habe ich übrigens HIER schon mal ausführlicher verbloggt…
Ich
mag unsere exklusive Gruppenbildung
ja sehr, aber was diese jungen Menschen unter Gruppenbildung verstehen, finde
ich schon schräg. Als Pärchen dort angekommen, scheinen sie den restlichen
Abend unter so etwas wie Geschlechtertrennung zu verbringen. Am Frauentisch
eher wenig Alkohol. Schließlich befindet man sich ja in der Familienplanung,
stillt noch oder muss morgen früh fit sein weil die lieben Kleinen ja keine Rücksicht
nehmen. Hipster-Mutti-Themen: Schnittmuster für Partnerlook-Mützchen und Brei
kochen im Thermomix. Die Männer am anderen Ende des Raumes müssen ihr Bier
heute mal nicht in der Garage auf einem Bierkasten sitzend trinken, sondern dürfen mit Geschlechtsgenossen
unter dem wachsamen Glucken-Blick vom Mutti-Tisch öffentlich männlich sein. Na, wer will
jetzt nochmal Mitte Zwanzig sein?
Ich
habe an solchen Abenden immer das Gefühl, der Pfau in der Entenschar zu sein.
Oder die Rose im Laubhaufen. Klar, der Stoffwechsel der Rose, mit der ich mich
hier vergleiche, ist sicher noch kein Arschloch. Dafür ist das Laub schon tot.
Aber darum geht es nicht. Laub ist nur hübsch wenn Herbst ist, jemand einen
Filter drüber legt oder die Sonne drauf scheint. Und im Herbst scheint die
Sonne nun mal selten. Ansonsten ist Laub eben Laub. Rosen haben Würde. Versteht das nicht falsch.
Ich mag Enten. Und Laubhäufen. Letztere sind wichtig im Kampf gegen
Igel-Obdachlosigkeit. Aber beide, der Pfau und die Rose wirken in diesem
Setting deplatziert. Man vergleicht nicht, weil man nicht vergleichen kann, was
in unterschiedlichen Ligen spielt.
Weil
die Musik nicht besser wird, als diese jungen Erwachsenen anfangen ihrer Ehrfurcht
vor dem Alter durch Klassiker und Oldies auszudrücken und mein Versuch auf dem
Klo einfach zu sterben scheitert, beschließen wir zu gehen. Wir bahnen uns den
Weg durch die rauchenden Pfirsichwangen vor der Tür, die nur davon träumen können, bei
gleichbleibender Nikotin-Exposition in zehn Jahren noch meine Haut zu haben.
Mir
drängt sich in dem Moment eine Frage auf: Du kannst dreimal die Woche Yoga oder
Crossfit machen um nicht körperalt zu werden. Du kannst teuer schmieren und
günstig nichtrauchen um nicht gesichtsalt zu werden. Aber was kannst du AKTIV
tun, um nicht kopfalt zu werden? Damit meine ich weniger senil als viel mehr
unbeweglich. Gibt es da gesicherte Erkenntnisse?
Im
Auto provoziert mich Herr Müller: „Schatz, wenn du 30 wirst, schmeiß‘ ich dir auch so ne
Party.“ Ich antworte ihm nur mit einem hysterischen Lachen. Ich möchte jetzt
nicht an Partys denken. Ich möchte raus aus diesem engen Kleid, den furchtbar
hohen Schuhen und aufs Sofa zu meinem Einteiler. Dort sollte man mir morgen
früh wortlos eine Kopfschmerztablette und einen Eierlikör reichen und mich die
nächsten 72 Stunden für nichts einplanen. Schließlich bin ich nicht mehr die
Jüngste, feiern ist anstrengend und dann ist da ja auch noch das Stoffwechselarschloch.
Das hält sich in meinem Alter gerne
länger an Alkohol und Pizzabrötchen auf.
An dieser Stelle stelle ich den Laptop beiseite, lehne mich in mein Terrassensofa zurück und nehme Mittwochnachmittag kurz nach fünf einen großen Schluck gekühlten Riesling. Dank fernspielender Müllerkinder ist es hier so ruhig, dass ich zwischen Vogelgezwitscher das leise "wuuuäääähhh" aus den Kinderwägen der Mittzwanziger hören kann, die vorne auf der Straße vorbei rollen.
An dieser Stelle stelle ich den Laptop beiseite, lehne mich in mein Terrassensofa zurück und nehme Mittwochnachmittag kurz nach fünf einen großen Schluck gekühlten Riesling. Dank fernspielender Müllerkinder ist es hier so ruhig, dass ich zwischen Vogelgezwitscher das leise "wuuuäääähhh" aus den Kinderwägen der Mittzwanziger hören kann, die vorne auf der Straße vorbei rollen.
Absurdistan,
die Quattroehe und
alle wichtigen und weniger
wichtigen Protagonisten rund
um die MüllerMansion haben
auch auf Facebook ein Zuhause.
um nichts zu verpassen.
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