Lehrer sind auch nur Menschen. Und nicht jeder trifft sich abends mit Kolleginnen abwechselnd zum Nordic Walking oder zum Fortgeschrittenenkurs in Seidenmalerei. Ich denke ich bin das Kuckucksei im Lehrerzimmer. Etwa wie ein Veganer, der ausversehen Metzger geworden ist oder ein Pilot mit Höhenangst. Oder wie eine Franzi van Almsick, die immer wieder vom Schwebebalken fällt weil sie noch nie jemand ins Wasser geschubst hat.

Mittwoch, 6. Juni 2018

Vom Arschloch Stoffwechsel, Laubpfauen und sexuell bedingt schütterem Haar


Wenn man eine Weile bloggt, sammelt sich ein bisschen was an. Und zwar nicht nur in dem für alle öffentlich zugänglichen Setzkasten, welcher all meine gedanklichen Ü-Ei-Figuren beherbergt, sondern auch auf dem virtuellen „Nicht fertig“- oder „Lass liegen, vielleicht gefällt es dir in ein paar Monaten besser“-Stapel. Genau an diesen Stapel wagt man sich, wenn man mal wieder entweder keine Lust oder keine Zeit (oder beides) hat, etwas Neues aus den Tasten zu quetschen. Selbiges habe ich auch heute getan. Entstanden ist ein wirres Gedankencluster aus Ansichten und Erlebnissen von damals und heute, welches sich hervorragend in den präsommerlochschen Kehraus einfügt.
  
Ich habe kein Problem mit meinem Alter. Als ich nach meinem 30. Geburtstag feststellte, dass ich nun aktiver gegen körperliche Verfallsprozesse vorgehen muss weil Gesicht allein nicht mehr reicht, war das eine Erkenntnis mit der verbundenen Konsequenz, zumindest etwas Sport zu treiben. Mehr nicht. Ich altere nicht, ich geilere. Das ist alles eine Frage der Einstellung. 
Allerdings hab ich ein Problem mit Arschlöchern. Und mein Stoffwechsel ist ein Arschloch. Dieses Arschloch schert sich herzlich wenig darum, ob und wie viel ich esse oder mich bewege. Nicht ich entscheide, wo es schwabbelt und dellt, nein – das tut Arschloch Stoffwechsel. „Es gibt kein Recht auf Gerechtigkeit“ sagte einst mein talentierter Psychotherapeut und somit wohl auch keinen Schutz gegen Arschlöcher. Nicht im richtigen Leben und auch nicht im Kopf. Und genau wie im richtigen Leben, kommt man an manchen Tagen mit den Arschlöchern besser zurecht und an anderen Tagen eben schlechter.

Einen zuverlässigeren Stoffwechsel haben vermutlich die meisten Mittzwanziger, dennoch sind sie nicht zu beneiden. Sie haben einen furchtbaren Musikgeschmack, sind gerade am Anfang der Familienplanung (haben also keinen Schimmer von Dammschnitten und Elternabenden) und frieren ständig an den Knöcheln. Ich bin froh, dass ich das hinter mir habe. Allerdings fror man zu meiner Zeit eher im Nierenbereich oder am Arschansatz. 

Wir sind heute eingeladen zu Rudis Überraschungsparty anlässlich seines 30.Geburtstags. Rudi ist die Kurzform von Rudolf aber Rudolf heißt natürlich nicht wirklich Rudolf. Allerdings ist Rudolfs tatsächlicher Name genauso unpassend für einen Dreißigjährigen. So unpassend, dass die sehr direkte Sabrina einst in der großen Runde einer Hochzeitsgesellschaft Rudis Freundin fragte: „Rudolf? Er heißt wirklich Rudolf? Ich dachte Rudi ist nur ein Spitzname wegen irgendwas. Wie um alles in der Welt stöhnt man denn Rudolf?“
Darauf hatte die hübsche zierliche Frau mit der Hüftbreite einer Siebenjährigen so spontan keine Antwort, obwohl sie sonst weniger verlegen bezüglich der Bekanntgabe sehr persönlicher Informationen war, zumindest wenn es darum ging, mir ohne Umschweife und in Zimmerlautstärke mitzuteilen, dass sie schon den ganzen Tag kacken muss, während ums Eck vor dem Zugang zu den Toiletten die halbe Gästeliste unfreiwillig mithörte.

(Ich weiß, Grundsatzdiskussion. Wer stöhnt eigentlich den Namen seines Partners? Das macht doch kein Schwein, oder? Nur Pornosternchen schreien ekstatisch „Jaaa, Jerome, jaa. Schneller, tiefer, härter, du geiler Hengst.“ oder kichern mit süffisant überspitzten Stimmchen: „Hansi, du Stier. Gib‘s mir schmutziger, als je zuvor.“ Aber ja, sie hat es trotzdem gefragt.)

Rudis Freundeskreis besteht überwiegend aus Mittzwanzigern. Während die Feiergesellschaft auf das Eintreffen des Jubilars wartet, der seit heute in ihren Augen gefährlich an der Frühbucherrabattgrenze fürs Altersheims kratzt, höre ich die folgende Aussage einer Hipsterin gegenüber ihrer Girlsclique: „ Also wenn ich mal 30 werde, will ich nicht so ein Tamtam.“ Ich glaub ich kotze gleich. Im Strahl. Nicht weil ich mich in diesem Moment um 20 Jahre gealtert fühle. Nein, so habe ich mich tatsächlich nur einmal gefühlt, als ich zu einem Konzert der Band Kraftklub mitten in 5000 bezahnspangten Teenies mit einem BMI unter 15 stand und sich Müllers nach dem Konzert einen Fluchtweg durch den Konvoi wartender Eltern bahnen mussten. 
Vielmehr habe ich den sicheren Eindruck, diese Aussage erwuchs nicht aus dem respektablen Keim der Bescheidenheit einer Person, die nicht gerne im Mittelpunkt steht und weiß, dass Luftballons eine Gefahr für Meerestiere sind. Nein, sie hätte ebenso sagen können „Wenn ich sterbe, dann möchte ich kein Hochglanzgrab aus poliertem Marmor mit Bronzeengel in Lebensgröße. Bitte streut meine Asche nur in aller Stille in den Wind.“ Alle metasprachlichen Parameter wären die gleichen.  

Warum glauben viele Menschen in den Zwanzigern, 30 zu werden ist etwas Schreckliches? Es gibt schlimmere Dinge, als einen lahmen Stoffwechsel. Milchstau, Maggifix, Rosenthaler Kadarka oder H&M zum Beispiel. Ja, man wird im Alter anspruchsvoller in vielen Dingen. Auch das habe ich an diesem Abend gemerkt. „Wer gut tanzen kann, kann auch gut vögeln.“ schnappe ich am Rande der Tanzfläche auf. Das mag gut möglich sein aber: so wie ich nicht zu allem tanze, vögle ich auch nicht mit jedem. Und noch was hat Tanzmusik mit Sex gemeinsam: Je nüchterner du bist, desto wählerischer bist du auch.

Diese Mittzwanziger-Wunschmusik ist auf jeden Fall bestialisch: sie feiern wie die Tiere zu alemannischen Botox-Blondinen mit Dyspnoe bei Dunkelheit oder Adolf Presley (wäre der mal lieber auf seinem Trecker geblieben) mit Schmalzfrise und Stricksocken. Ohne jedweden Anspruch auf hochwertige Unterhaltung. Und genauso scheinen die auch über Sex zu denken. Rudi (seines Zeichens Trauzeuge zur Quattroehe-Schließung durch den Dragqueenpfarrer.. oder die Pfarrerin?) meint zu Sarah mit Blick auf das Pärchen, dass uns am Tisch schräg gegenüber sitzt: „Die würden auch gut in eure Gruppe passen.“ 
Hallo? Gruppe? Ich meine: Wer sind wir? Das THW? Wo jeder mitmachen kann, der Lust dazu hat?Wir sind die Quattroehe. Wir sind quasi verheiratet.

Abgesehen davon warten Männer Mitte Zwanzig scheinbar alle noch auf den letzten Wachstumsschub. Die sind irgendwie klein. Ich hab mal gehört, dass Männer im Alter deswegen zu Glatzenbildung neigen, weil das Hirn nochmal wächst und daher die Kopfhaut spannt. Ich glaube ja eher, dass die Haare sich in dem Alter einfach ergeben, weil sich schon so viele Frauen drin festgekrallt haben. Dass diese fünfundzwanzigjährigen großen Jungs noch so dicht bewachsene Hinterköpfe haben, ist in dem Zusammenhang Indikator für fehlende sexuelle Qualitäten und hohen Fortbildungsbedarf. Was genau Ü30-Sex so erstrebenswert macht, habe ich übrigens HIER schon mal ausführlicher verbloggt
  
Ich mag unsere exklusive Gruppenbildung ja sehr, aber was diese jungen Menschen unter Gruppenbildung verstehen, finde ich schon schräg. Als Pärchen dort angekommen, scheinen sie den restlichen Abend unter so etwas wie Geschlechtertrennung zu verbringen. Am Frauentisch eher wenig Alkohol. Schließlich befindet man sich ja in der Familienplanung, stillt noch oder muss morgen früh fit sein weil die lieben Kleinen ja keine Rücksicht nehmen. Hipster-Mutti-Themen: Schnittmuster für Partnerlook-Mützchen und Brei kochen im Thermomix. Die Männer am anderen Ende des Raumes müssen ihr Bier heute mal nicht in der Garage auf einem Bierkasten sitzend trinken, sondern dürfen mit Geschlechtsgenossen unter dem wachsamen Glucken-Blick vom Mutti-Tisch öffentlich männlich sein. Na, wer will jetzt nochmal Mitte Zwanzig sein?

Ich habe an solchen Abenden immer das Gefühl, der Pfau in der Entenschar zu sein. Oder die Rose im Laubhaufen. Klar, der Stoffwechsel der Rose, mit der ich mich hier vergleiche, ist sicher noch kein Arschloch. Dafür ist das Laub schon tot. Aber darum geht es nicht. Laub ist nur hübsch wenn Herbst ist, jemand einen Filter drüber legt oder die Sonne drauf scheint. Und im Herbst scheint die Sonne nun mal selten. Ansonsten ist Laub eben Laub. Rosen haben Würde. Versteht das nicht falsch. Ich mag Enten. Und Laubhäufen. Letztere sind wichtig im Kampf gegen Igel-Obdachlosigkeit. Aber beide, der Pfau und die Rose wirken in diesem Setting deplatziert. Man vergleicht nicht, weil man nicht vergleichen kann, was in unterschiedlichen Ligen spielt.
  
Weil die Musik nicht besser wird, als diese jungen Erwachsenen anfangen ihrer Ehrfurcht vor dem Alter durch Klassiker und Oldies auszudrücken und mein Versuch auf dem Klo einfach zu sterben scheitert, beschließen wir zu gehen. Wir bahnen uns den Weg durch die rauchenden Pfirsichwangen vor der Tür, die nur davon träumen können, bei gleichbleibender Nikotin-Exposition in zehn Jahren noch meine Haut zu haben.

Mir drängt sich in dem Moment eine Frage auf: Du kannst dreimal die Woche Yoga oder Crossfit machen um nicht körperalt zu werden. Du kannst teuer schmieren und günstig nichtrauchen um nicht gesichtsalt zu werden. Aber was kannst du AKTIV tun, um nicht kopfalt zu werden? Damit meine ich weniger senil als viel mehr unbeweglich. Gibt es da gesicherte Erkenntnisse?

Im Auto provoziert mich Herr Müller: „Schatz, wenn du 30 wirst, schmeiß‘ ich dir auch so ne Party.“ Ich antworte ihm nur mit einem hysterischen Lachen. Ich möchte jetzt nicht an Partys denken. Ich möchte raus aus diesem engen Kleid, den furchtbar hohen Schuhen und aufs Sofa zu meinem Einteiler. Dort sollte man mir morgen früh wortlos eine Kopfschmerztablette und einen Eierlikör reichen und mich die nächsten 72 Stunden für nichts einplanen. Schließlich bin ich nicht mehr die Jüngste, feiern ist anstrengend und dann ist da ja auch noch das Stoffwechselarschloch. Das hält sich in meinem Alter gerne länger an Alkohol und Pizzabrötchen auf.


An dieser Stelle stelle ich den Laptop beiseite, lehne mich in mein Terrassensofa zurück und nehme Mittwochnachmittag kurz nach fünf einen großen Schluck gekühlten Riesling. Dank fernspielender Müllerkinder ist es hier so ruhig, dass ich zwischen Vogelgezwitscher das leise "wuuuäääähhh" aus den Kinderwägen der Mittzwanziger hören kann, die vorne auf der Straße vorbei rollen. 
Absurdistan,
die Quattroehe und
alle wichtigen und weniger
wichtigen Protagonisten rund
um die MüllerMansion haben
um nichts zu verpassen. 

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