Lehrer sind auch nur Menschen. Und nicht jeder trifft sich abends mit Kolleginnen abwechselnd zum Nordic Walking oder zum Fortgeschrittenenkurs in Seidenmalerei. Ich denke ich bin das Kuckucksei im Lehrerzimmer. Etwa wie ein Veganer, der ausversehen Metzger geworden ist oder ein Pilot mit Höhenangst. Oder wie eine Franzi van Almsick, die immer wieder vom Schwebebalken fällt weil sie noch nie jemand ins Wasser geschubst hat.

Mittwoch, 16. Mai 2018

Spielzeug für Erwachsene, ein hungriger Abend und anders lieben


Ein Artikel, für alle die sich bei all der Theorie fragen, wie man eine Quattroehe ganz praktisch lebt.

„Ich haaaabe was zu berichten!“ platzt es aus Sandra heraus, meiner Fachfrau für Kunststoffnägel, mit denen man auch mehrere Kubikmeter kantigen Kies in neu angelegten Gartenteichen verteilen kann, die man sich aber beim Yoga versehentlich auch mal im Nagelbett bis aufs Blut umkrempelt und dann nur dank meditativ begünstigter Schmerzresistenz nicht alle Mit-Yogis aus dem Shavasana zurück holt. Sandra hat einen Pathos in der Stimme, als hätte sie die letzten drei Nächte mit allen Chippendales auf einmal verbracht. Dabei macht sie mit Armen und Händen eine Geste, vermutlich zum Druckausgleich um nicht zu platzen.

Sandra kenne ich schon lange und Sandra kannte die Quattroehe schon, als Facebook sie noch nicht kannte. Wenn ich spüre, dass Menschen mit der Wahrheit gut zurechtkommen, dann mache ich auch kein Geheimnis aus unserem Lebensstil. Wer Fragen hat, der möge fragen, dann bekommt er auch eine Antwort. Sandra modellierte meine Nägel schon, als die Müllers noch monogam unterwegs waren und als Airbrush-Design noch angesagt war. Um genau zu sein, löste sie den netten Vietnamesen ab, der mir seine undefinierbaren Pinseleien immer mit den Worten „iiist Kuunst“ und diesem charmanten asiatischen Lachen schmackhaft zu machen versuchte. 

Mit Sandra habe ich French Nails, oder wie sie es nennt „Porno-Nägel“, genauso gemeinsam verbal beerdigt wie die Vorgänger von Sarah und Marco. Sandra lebt in ihrer Ehe sicherlich aufgeschlossener als der deutsche Durchschnitt, hat Shades of Grey gelesen aber kritisch analysiert, könnte sich allerdings niemals vorstellen, ihren Mann wenn auch nur kurz, eineranderen Frau zu überlassen.

„Ich habe ein neues Spielzeug, du weißt schon, dieses Teil, das du mal bei Facebook gewinnen wolltest, weil es leogemustert war“, strahlt sie mich an. Ich muss kurz überlegen. Sie hilft mir auf die Sprünge. 
„Ach daaaas! Ich erinnere mich. Ist schon ein Stückchen her. Das hat uns die Dildofee damals vorgestellt. Wir durften nur an der Nasenspitze probieren. Sie hat gemeint, wer das Ding hat, braucht eigentlich keinen Mann mehr. Mir war das Ding schlicht zu teuer.“ 
„Jaaa“, sagt sie, „die günstige Version war jetzt im Angebot, da hab ich zugeschlagen. Also, ich muss sagen... ich wusste nicht wohin mit mir - ich bin unter einer Minute gekommen.“ Dabei rutscht sie aufgeregt auf ihrem Stuhl herum und unterbricht sogar das Feilen.

Wir diskutieren noch ein Weilchen über Sinn und Unsinn von Sexspielzeug. Ich persönlich bin kein all zu großer Fan. Mir ist das Zeug meistens in Nachtschränkchentemperatur einfach zu kalt und mir fehlt das Gewicht eines Mannes, der auf mir liegt. Bei allen Höhepunkten, die ich mir dank Technik und medizinischem Silikon verschaffen konnte, während Herr Müller vor ein paar Jahren einige Wochen beruflich im Ausland verweilte, fehlte mir stets das Gefühl, postorgasmisch gegen circa 80 Kilo anatmen zu müssen. Wenn Zementsäcke nicht so staubig wären, hätte ich in dieser Zeit möglicherweise den einen oder anderen Baumarkt von innen gesehen.

Weil die Müllerin eben aber auch nur eine Frau ist, verfehlt Werbung aus vertrauenswürdigen Quellen in Verbindung mit einem unschlagbaren Sonderangebot ihre Wirkung nicht. Dank des Hermesboten (Zeus hab ihn selig) rappelte es drei Tage später bei Müllers im Karton in neutraler Verpackung.
„Ich hab ein neues Spielzeug, das müssen wir unbedingt ausprobieren“ schreibe ich Sarah und Marco und hoffe dabei vermutlich vergeblich, dass vor allem Sarah vorfreudige Aufgeregtheit aus meiner Nachricht herausliest. 

Ich bin Lehrer. Für das Erziehen meiner eigenen Kinder werde ich nicht bezalht, pflege ich zu sagen. Wie es allerdings oft im Leben ist, gelingen die Dinge besonders gut, bei denen man es nicht zwanghaft perfekt machen will. Das ist der Grund, warum die Müllerkinder recht pflegeleicht sind und so öfters mal bei ihren Kumpels nächtigen dürfen. Gelegentlich geißle ich mich unter der verständnislosen Reaktion Herrn Müllers auch selbst und erlaube fremden Kindern die Übernachtung in der Müllermansion. Punkte fürs Karmakonto und erhöhte Chancen auf kinderfrei Abende in der Zukunft. So auch am Tag des Eintreffens dieses von Sandra so fulminant angekündigten Wundergeräts.

Mal wieder raus aus dem Einteiler und schick essen gehen lautete der Plan. Auch und vor allem deshalb, weil keiner Bock hat, etwas zu kochen. Eine Quattroehe ist eben auch eine Ehe und wenn man nicht aufpasst, verbringt man zu viele Abende in Wohlfühlacryl auf dem Sofa und teilt nur die Freuden des StreamingTV miteinander. Also was Hübsches anziehen und denken: „Als ich den Onesie anhatte, war die Speckrolle noch nicht da.“ 
Danach kurz jammern, nichts anzuziehen zu haben, theatralisch mit dem imaginären Handrücken vor der Stirn in die Gruppe schreiben „Geht alleine. Ich komm nicht mit. Ich hab nichts anzuziehen“ plus Heulsmiley, Totenkopfsmiley und Smiley mit verdrehten Augen und auf ihn gerichteter Pistole und dann etwas aus dem Schrank holen, das man versehentlich eine Nummer zu groß gekauft hat, nur um sich gleich darüber zu freuen, dass das Teil nicht ganz so stramm sitzt, wie man erwartet hätte.

Man wählt ein Restaurant mit Bedacht, in dem die Portionsgröße dem schmalen Grat zwischen Sarahs vernichtendem Gesichtsausdruck bei Hunger und Unzufriedenheit und dem Fresskoma einer belgischen Mastgans entspricht. Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass vier Menschen sich die Bäuche haltend, wie gekeulte Robben auf dem Sofa liegen und nur stöhnen, weil jede Bewegung schmerzt bis sie schließlich einschlafen. Ehe eben. 

Der Italiener heute ist aber ein Volltreffer, abgesehen von der langen Wartezeit nach unserer Bestellung, in der wir Sarah mehrfach nur knapp davon abhalten können, die spielenden Kinder zwischen den Tischen in den am Sommergarten gemütlich vorbei rauschenden Fluss zu schubsen und mit ihrem alles durchdringenden Laserblick den mit Tellern für die anderen Gäste vorbei eilenden Kellner in Brand zu setzen. Zerstreuung bereiten uns die verwirrten Blicke der Umsitzenden, über deren Köpfen von Zeit zu Zeit Fragezeichen bezüglich der „Wer mit Wem“-Konstellation immer dann aufploppen, wenn wir die beim Anstoßen üblichen Zärtlichkeiten austauschen.

Zu Hause angekommen geht alles ganz schnell. Zum Glück ist man beim Stillen dieser unanständigen Art von Hunger nicht auf die Motivation und Expertise der Küchenhilfen angewiesen. Hungriger Sex braucht keine Spielzeuge. Es ist ein bisschen so wie der Fressflash am Kühlschrank, bei dem man die Mayo direkt aufs Roastbeef quetscht und alles animalisch in den Mund stopft um es ohne zu kauen runter zu würgen. Der designstarke Neuerwerb aus dem Internetversandhandel für Erwachsene liegt die ganze Nacht mit ungeduldig blinkendem Akku-LED neben dem Bett und sieht Szenen, für die man selbst den Katzen die Augen mit Seife waschen müsste. Letztere gucken allerdings deutlich vorwurfsvoller angesichts all des Keuschens und der rhythmischen Bewegungen. Zu guter Letzt starren sie lieber die Wohnungstüre an. Jeder, der damals seine Eltern beim Kopulieren gehört oder gar versehentlich gesehen hat, kann die Gemütslage der Katzen vermutlich bestens nachvollziehen.

Eine Stunde später liegen vier Menschen nackt im Bett, quatschen und lachen. Lachen, weil sie Szenen aus jenem gemeinsamen Urlaub gefühlt zum tausendsten Mal revuepassieren lassen, in dem ich den schüchternen Darm erfand und Herr Müller erst den fast antiken Schlüssel der ungarischen Toilettentür abbrach, sich anschließend McGyver-mäßig selbst einen Dietrich bastelte und damit für seine Befreiung sorgte, nur damit Marco, dessen Darm kein bisschen schüchtern war, die Tür von innen zu halten musste, während der mit einer Wasserpumpenzange bewaffnete aber weder der deutschen noch englischen Sprache mächtige Vermieter sich an der Tür zu schaffen machte. Hätten wir vor der Tür nicht alle so lachen müssen, wäre es uns vielleicht mit aussagekräftigen Gesten möglich gewesen, dem motivierten Ungaren verständlich zu machen, dass das Problem mit der Tür lange vor seiner Ankunft gelöst war. Lustige Geschichte. Die bekommt mal einen eigenen Blogpost.
Nich Ungarn.. aber auch Urlaub. Und neue Anekdoten aus dem Verdauungstrakt...
„Ach, wir müssen noch das Teil ausprobieren“ meint Sarah, als ihr Blick am nächsten Morgen zwischen all den Armen und Beinen auf den Nachttisch fällt. Das übliche „Kommt mal her, Männer, das wird erst bei euch ausprobiert“ nebst „Verdammt, weg von meinen Nippeln“ und „Ob man da auch Cellulite damit wegsaugen kann?“ können wir uns trotz aller ernsthaften Ambitionen eines objektiven und professionellen Testdurchlaufs nicht sparen. Kurze Zeit später werden wir Zeuge, wie Sarah mit einem angespannt analytisch bis leicht gelangweilten Gesichtsausdruck im Bett liegt, der wahrscheinlich meinem eigenen ähnelt, als unsere Kreditberaterin uns damals den Tilgungsplan erklärte. Dann macht sie dieses kleine Geräusch, dass ein bisschen nach dem Übermut klingt, der Menschen zuweilen bei einer Kissenschlacht packt, die kleinen Härchen an ihrem Unterarm stellen sich auf und der Gesichtsausdruck verändert sich zu jenem, den noch nicht mal Babykatzen, ein SALE-Schild im richtigen Laden, gekühlter Chardonnay in ausgedörrter Damenkehle oder ein heißes Wannenbad nach dem Weihnachtsmarkt hervorzaubert. 

Für mich persönlich gibt es kaum etwas faszinierenderes, als eine andere Frau beim Orgasmus zu beobachten. Noch faszinierender ist es nur, wenn man diesen Orgasmus selbst herbeigeführt hat. Sarahs ebenso nüchtern wie befriedigtes Testurteil: „Ja, macht was es soll.“ wird gefolgt von „Ich hab Hunger. Männer, macht mal Frühstück!“
 
DARUM und aus tausend weiteren Gründen liebe ich meine Lieblingsmenschen. Kaum vorstellbar auf solche Episoden im Leben verzichten zu müssen.
DARUM ist es gut, mit seiner Nageltante nicht nur über Arbeit und Kinder zu reden.
Und DARUM verstehe ich nicht, warum es so viele Menschen gibt, die sich anmaßen, Beziehungen, die von der monogamen Norm abweichen, abzuwerten, obwohl sie diese nur von außen kennen. Ich kenne beides und werte weder das eine noch das andere auf oder ab. Man darf sagen: Meins wär’s nicht. Aber man darf nicht sagen: Eure Liebe ist keine richtige Liebe. Es gibt nur diese eine Liebe. Denn es gibt eben nicht nur diese eine Liebe – man kann verschieden lieben. Und damit meine ich nicht Mehr oder Weniger. Ich meine anders. Ich denke, man muss dafür kein Freak, Egoist, Mitläufer, Hipster oder auch Gegendenstromschwimmer sein, sondern es nur zulassen und natürlich ein wenig Glück haben, auf Menschen im Leben zu treffen, die diese Art von Liebe wecken. Die meisten Menschen haben nur wahrscheinlich keine Antennen dafür  - weil sie sich eher von gesellschaftlichen Konventionen als von ihrem Herzen leiten lassen. Eine klassisch monogame Beziehung ist dennoch nicht weniger wert. Es ist schlicht ein Äpfel-Birnenvergleich.

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aus Absurdistan und der Müllermansion

2 Kommentare:

  1. Liebe Frau Müller,
    es sind nicht nur die anderen, sondern auch die eigenen Zweifel und moralischen Konzepte im Kopf, die einem das Leben schwer machen, wenn man liebt wie man halt liebt. Jedenfalls ist das bei mir so. Und immer diese Labels, die man sich suchen muss. Wie Sie in einem anderen Artikel geschrieben haben, würde ich mir am liebsten auch keine Jacke suchen. Aber gerne eine Quattroehe. :-) Aber dazu gehört wohl dann doch Glück und doch wieder ein Label, um zu erklären was man will oder doch nicht? Ich bin mir immer noch unsicher...;-) Alles Liebe! Lolomie

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    1. Da muss ich dir recht geben. Glück oder Label. Auch wenn das mit dem Glück echt ausgelutscht klingt. Aber es erleichtert die Sache schon ungemein, wenn alle von vorn herein wissen, wohin die Reise gehen soll. Letztendlich ist wohl beides wichtig. Ich wünsch dir ganz viel Glück und Geduld beim "ins Label pressen" .
      LG
      Frau Müller

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