Ich war in den letzten Monaten unfreiwillig Tester einiger Leistungen unserers Gesundheitssystems. Nachdem ich im letzten Post vor dem Hintergrund der idyllischen Schwarzwaldklinik meine persönliche Krankenhaus-Historie dargelegt habe, geht es heute mit den jüngsten Ereignissen weiter.
In einem Zustand irgendwo
zwischen wach und Tiefschlaf fühle ich das Aufeinanderschlagen meiner Zahnreihen
und höllische Schmerzen. Irgendwer zerrt an mir herum. „Frieren sie?“ fragt jemand
aus der Ferne. Ich murmle etwas, dass die Frage bejahen soll und kurze Zeit
später wird es warm und mein Körper hört auf zu zittern.
„Hier ist die Klingel.
Drücken sie wenn was ist!“ sagt die Stimme jetzt schon etwas näher und jemand
schiebt mir das Kästchen mit dem Knopf unter die Hand. In den nächsten Stunden
kehrt das Bewusstsein zurück während sich der Vorgang Drücken – Warten – Haben
sie Schmerzen? – Hm! – Spritze – Entspannung einige Male wiederholt.
Mittlerweile habe ich das Gefühl unter dieser Decke mit Warmluftgebläse zu
schmelzen. Also wieder drücken.
Allmählich werde ich wacher.
Mein Mund fühlt sich an wie brandenburgischer Waldboden im Hochsommer. Ein
Drücker auf die Klingel. Nein, diesmal nicht Aua. Jetzt Durst. „Aber sie dürfen
nichts trinken. Der Arzt hat nichts darüber ins OP-Protokoll geschrieben.“ Sie
kommt wieder mit einer kleinen Sprühflasche. Angesichts meines immer noch
leicht vernebelten Geistes wäre „Bitte mal den Mund aufmachen“ als Aufforderung,
verbunden mit Abwarten für einen Sekundenbruchteil, angemessen gewesen.
Stattdessen sprüht sie mir eine Flüssigkeit mitten ins Gesicht, die
geschmacklich stark an das erinnert, was man nach dem Zähneputzen ins
Waschbecken spuckt. Danke dafür.
Auf dem Überwachungsmonitor
kann ich neben meinen Vitalfunktionen die Uhrzeit ablesen, es ist gleich fünf Uhr
morgens. „Schwester! Schwester! Schweeeeester! Ich muss mal!“ ruft die Stimme
eines offenbar männlichen Erwachsenen über den Gang. Die Tür ist nur angelehnt.
An den Hilferuf schließt sich minutenlanges Stöhnen und Jammern an. Nach zehn
Minuten ist Ruhe. Das ganze Hörspiel findet im Anschluss etwa stündlich statt,
immer pünktlich dann wenn ich mich an der Schwelle vom Dusel zum Schlaf
befinde.
Gegen sieben schreitet ein Arzt
herein. Außer seinen Namen und seine Funktion hat er mir nichts zu sagen, dafür
fällt das Schließen von Türen anscheinend nicht in seinen Aufgabenbereich. Ich
überlege, angesichts des stattlichen Luftzugs zwischen Tür und offenem Fenster,
wie der kleine Häwelmann angetrieben vom Laken als Segel, in meinem Bett
auf den Flur hinauszurollen.
Eine weitere Stunde später
stürmen sechs Ärzte zwischen 30 und 60 Jahren mein Zimmer und glotzen mir auf
meinen nackten Unterleib. Trotz der Verbände ist mein Tattoo auf dem Schambein,
eine subtile aber dennoch eindeutige Aufforderung zu Handlungen erotischer
Natur in verspielten Lettern, deutlich zu sehen und bleibt nicht unkommentiert.
Sehr fein, lacht ruhig. Ich sprühe ohnehin gerade vor Sexappeal. Nachdem ich
die Schwester darauf hingewiesen habe, dass ich zuletzt vor 12 Stunden etwas
getrunken hatte, dafür aber schwitze wie ein Teilnehmer des Iron Man und
offenbar auch keine Infusion an irgendeinem der Kabel und Schläuche an meinem
Körper baumelt, erbittet sie von der Männerrunde die Erlaubnis mir etwas zu
trinken zu geben. Bitte, sie soll trinken. Danke, das war mir euer dummer
Spruch wert.
Allmählich geht mir die
Geschäftigkeit auf dieser Überwachungsstation auf den Keks. Ich sehne mich nach
einem Kämmerchen, in dem ich in Ruhe mit meinem Schmerz kommunizieren kann ohne
dass Türen fliegen, jemand um Hilfe schreit oder Alarmtöne erklingen. Drei
Stunden später werde ich auf die Pflegestation verlegt. Ruhe sollte ich dort
nicht finden. Dafür fand ich Berta.
Was war zuvor geschehen? Ich bin kein großer Fan von Ärzten und Krankenhäusern. Ein Arztbesuch verlangt mir
in der Regel mehr Motivation ab als ein 10.000-Teile-Puzzle einer Allgäuer Bergwiese.
Wenn es mir also nicht richtig richtig schlecht geht, therapiere ich mich
bevorzugt selbst mit einem Medikamentencocktail aus Ignoranz, Globuli und
Paracetamol. So richtig richtig schlecht ging es mir eigentlich auch nicht, aber
irgendein Gefühl und Herr Müller sagten mir, es sei wohl doch besser zum Freitagabend
die Notaufnahme aufzusuchen.
„Nein, beim Hausarzt war ich nicht, der macht nämlich Freitagmittag Feierabend. War ja nich so
schlimm, bis jetzt. Jetzt hab ich aber Fieber und komische Schmerzen!“ – „Na dann setzen se sich ma!“.
Das tat ich und so saßen wir die nächsten anderthalb Stunden.
„Soll ich ihren Mann jetzt
holen?“ fragte mich die Schwester nach den Eingangsuntersuchungen. Ich bejahte und
sie rauschte ab. Den Kerl, der zwanzig Sekunden später in der Türe stand, hatte ich
noch nie gesehen. „Das ist der falsche Mann!“ sagte ich und sie dampfte wieder
ab. Kurz nach Herrn Müller, der im zweiten Anlauf seiner Frau richtig
zugeordnet wurde, rollte ein Arzt samt Ultraschallgerät herein. In den nächsten
zwei Stunden kamen noch weitere zwei Ärzte aus anderen Fachbereichen plus
deren Ultraschallgeräte dazu. Ergebnis des Konsiliums: wir wissen, dass wir
nichts wissen aber wir müssten da mal reingucken. Arzt Nummer vier – seines Zeichens
Anästhesist – stieß hinzu und dann ging alles ganz schnell.
Übrigens sollten
wir Deutschen uns mal ernsthaft Gedanken über unsere Sprache machen, wenn einem
Nicht-Muttersprachler das Wort „kotzen“ geläufiger ist als „übergeben“ oder „erbrechen“.
Das nur so am Rande.
Man machte also Nägel mit
Köpfen oder besser gesagt Patienten mit Narkosen.
Nach der letzten Narkose bei einer ambulanten OP (die zwischen dieser und der
in der Schwarzwaldklinik) hatte ich die Sache eigentlich in guter Erinnerung.
Nach einer Leck-mich-am-Arsch-Pille gepflegt auf den OP-Tisch schweben, ein lallendes Schwätzchen mit dem Team und im
Aufwachraum ein Eis für den eben noch intubierten Hals kann man schon ertragen.
Diesmal musste aber alles recht flott gehen. Not-OPs auf nicht nüchternen
Magen sind ziemlich unentspannt. Es folgte ein Filmriss bis zum Nahtod durch
Erfrieren auf der Aufwachstation.
Zurück zu Berta. Man brachte
mich also nach diesem intensivmedizinischen Horror in ein Dreibettzimmer. Ich
hatte mir, wie bereits erwähnt, etwas Ruhiges ruhigeres erwartet. Stellt euch vor ihr
verlasst den Ballermann und geht, um runterzukommen, in den Megapark. Und Berta
ist Jürgen Drews. Guter Vergleich. Kurz: vom Vorzimmer der Hölle direkt in die Hölle.
Nachdem ich mit meinem Bett über jede
Schwelle des Krankenhauses gerattert war, öffnete sich eine Tür und dahinter
hörte ich eine Stimme, die überaus kleidsam für eine Barkeeperin der ältesten
Kneipe St.Paulis hätte sein können. Berta hatte morgens gegen elf Besuch von ihrem Mann und es gab jede Menge Verwandte und Bekannte durch den Kakao zu ziehen.
Hier werden Patienten schneller kalt als ihre Betten... |
Wenn man jahrelang neben einem
Flughafen wohnt, hört man die Triebwerke der startenden Maschinen irgendwann
nicht mehr. Sobald es allerdings Änderungen in der Geräuschkulisse gibt, horcht
man auf und der Prozess der Habituation startet neu. Bertas Mann gab sich mit
der Putzfrau nämlich die Klinke in die Hand. Zum Inhalt der nun folgenden
Konversation kann ich nicht viel sagen, Gesprächsatmosphäre und Lautstärke erinnerten
an ein Vorstandstreffen der Hells Angels-Leadership.
Diese Dame im fortgeschrittenen Alter war aber nicht nur im
Dialog nervig. Selbst im Monolog erweckte sie fortwährend meine negative
Aufmerksamkeit. Wie ein Perpetuum Mobile für Klänge produzierte sie fortwährend
Schallwellen indem sie schmatzte, laut seufzte, nach dem Essen fünfzehn bis zwanzig
Mal aufstieß oder jede ihrer Handlungen kommentierte. Mit meinem Schlafplatz
direkt neben der Wand zum Bad durfte ich quasi, ähnlich wie bei diesen
Blinden-Kommentaren im Fernsehen, bei ihrer Körperkultur morgens und abends
live dabei sein. Verschlafen konnte ich ihren Gang zum Bad keinesfalls, da sie
das Ende meines Bettes konsequent als Stütze für ihre wackligen Gehversuche
nutzte und mich dabei jedes Mal durchschüttelte.
Die Frau in dem Bett zwischen
Blubber-Berta und mir war Philanthropin aus Überzeugung und schaffte es ein
Ying zu meinem Yang zu erzeugen. Zumindest bis die Nervensäge am zweiten Abend
explosionsartigen Durchfall bekam. Berta schaffte es nicht rechtzeitig bis zum
Klo und hinterließ eine Spur, die es sogar dem Förderschul-TKKG leicht gemacht
hätte, sie in ihrem gefliesten Versteck zu orten. Ihr war das natürlich
unangenehm und sie versuchte nach Kräften das Malheur mit Klopapier zu
beseitigen. Sauber genug für die einzige Schwester der Schicht, nicht sauber
genug jedoch für die zwei frisch am Verdauungstrakt operierten
Zimmergenossinnen, mich eingeschlossen.
„Ich kann ja wohl jetzt keine
Endreinigung machen. Das sieht doch sauber aus. Desinfizieren sie sich die
Hände wenn sie im Bad waren. Und hier. Ich stelle noch eine Packung
Desinfektionstücher hin.“ Aha. Das ist also der Umgang mit möglichen
Magen-Darm-Viren und Krankenhauskeimen in einem Klinikum mit über 600 Betten
und deutschlandweiten Filialen.
Herrn Müller hatte das
gereicht um seiner Frau gleich am nächsten Tag ein Zimmer auf der Wahlleistungsstation
zu buchen. Es erwartete mich neben einer Minibar, einem Blumenarrangement auf
dem Nachttisch, einem Bademantel und der Tageszeitung eine Mitbewohnerin, die
zwar genauso alt wie Berta war, allerdings stumm zu sein schien und sich das
Bewegungsmuster mit einem Chamäleon teilte. Herrlich, das war fast wie alleine
sein. Über die Schreie der Patienten auf den psychiatrischen Stationen unter
uns, die sich ins idyllische Vogelgezwitscher vor dem Fenster mischten, sehe
ich da gerne hinweg. Alles war besser als Berta und ihre Kamikaze-Diarrhoe.
Kurze Gegenüberstellung „Feldlazarett
versus ärztlich begleiteter AIl Inklusive-Urlaub“:
Kassenfinanziert
- - ein TV-Gerät für drei Patienten. Es herrscht das Recht des Ältesten.
- - „Salat? Gibt’s nur Mittwochs. Eier nur Sonntags. Ich könnte ihnen eine Gewürzgurke anbieten.“
- - Klingeln bei Durst, Schwester erscheint nach 15 Minuten und verspricht gleich etwas zu bringen. Sie wurde nie wieder gesehen.
- - Nachtschwester: welche Nachtschwester?
- - Blutergüsse von Thrombosespritzen, die auch zwei Wochen später noch schmerzen
- - Verbandswechsel auf Nachfrage oder alle drei Tage
Privatzahler
- - SKY oder auf Wunsch DVDs, mit im Programm: „Stirb langsam“ und „Stirb an einem anderen Tag“, Nicht mit auf der Liste "Sudden Death" oder "Haus der stummen Schreie"
- - „Was wünschen sie als Beilage zum großen Salatteller? Putenbrust? Feta? Thunfisch?“ – beim Servieren: „Ach, mir ist heute doch nicht nach Salat.“ – „Kein Problem. Möchten sie vielleicht eine Suppe? Tomate? Spargel? Kartoffel?“
- - Minibar und Wasser in Glasflaschen auf dem Servicewägelchen zweimal am Tag, nicht zu vergessen das Kuchenwägelchen am Nachmittag
- - Nachtschwestern vorhanden und mit Special-Skills im Bereich „Türen leise schließen“ ausgestattet
- - Wettbewerbsorientiertes Spritzensetzen mit dem Ziel möglichst keine dauerhaften Spuren zu hinterlassen.
- - Verbandswechsel täglich, Arzt binnen dreißig Minuten, Blutwerte in einer Stunde, Entlassungspapiere nach etwa 10 Minuten druckerwarm
Was soll ich sagen. Egal ob Tapetenkleister mit Blumenkohlaroma zu Mittag oder langsam gedünsteter Lachs im Nudelbett. Krank sein ist kacke. Punkt. Ich scheiß auf Pay-TV und Gerbera auf dem Nachttisch. Ich bin nicht verwöhnt. Zumindest nicht in jeder Hinsicht. Selbstversorgerurlaub oder Camping? Warum nicht. Was ist also die Hard- und Software eines Genesungsprozesses? Aus meiner Sicht: Hygiene und ein Minimum an Menschlichkeit. Schwestern, die eine ganze Station alleine stemmen müssen und dadurch so überarbeitet sind, dass Patienten für sie zu Anonymen werden sind der falsche Weg. Während die Schwarzwaldkliniken dieser Welt geschlossen werden, wachsen die Franchise-Krankenhäuser und Versorgungszentren sowie deren Bettenzahlen ins Unermessliche. Möglichst viele Patienten so wirtschaftlich wie möglich abgefertigt.
Halt. Ich wollte eigentlich
gar nicht politisch werden. Nachdem in den letzten acht Monaten insgesamt
dreimal in meinem Inneren herumgedoktert wurde, reicht es jetzt langsam. Ich
habe für euch eine kassenfinanzierte Methode getestet, bei der man Gewicht reduziert
indem man sich nicht lebenswichtige Organe oder Teile davon entfernen lässt. War
scheiße, hat nicht funktioniert mit der Körperoptimierung, zumal nach solch
einer Aktion Bauchmuskeltraining für mindestens acht Wochen Tabu ist. Also
macht mir solche Aktionen eher nicht nach. Und wenn, dann seht zu, dass ihr ein
Bett in der Schwarzwaldklinik erwischt.
Und noch etwas: alle Indikationen, die diesen ganzen Schnippelkram notwendig machten, waren pillepalle im Vergleich zu dem, was so viele andere Konsumenten von Leistungen unseres Gesundheitssystems binnen zum Teil wochen- oder monatelanger Krankenhausaufenthalte ertragen müssen. Oft mit gelinde gesagt beschissenen Diagnosen. Ich zieh den Hut vor euch.
Und nun Schluss. Es soll nicht der Eindruck von Wartezimmer-Smalltalk entstehen. Nächste Woche schreibe ich mal wieder was Schlüpfriges, denke ich.
Bonusheftchen und IGEL-Leistungen gibt es bei mir nicht.
Wohl aber eine Facebook-Präsenz, die als Vorsorge dafür, nichts zu verpassen zwar hoch wirksam ist, allerdings von den Krankenkassen
nicht bezuschusst wird. Klickt hier für die Wahlleistung FACEBOOK.
Danke für diesen erfrischenden Krankenhausbericht, bei dem sicher so ziemlich jede/r noch etwas beizutragen hätte. Ich wünsche beste Besserung.
AntwortenLöschenDa bin ich mir sicher. Wäre bestimmt Stoff für eine ganze Buchreihe.
LöschenIch danke dir.
LG
Frau Müller