Ich musste mir eine Jacke anziehen. Dabei war mir gar nicht kalt. Ich wollte gar keine Jacke. Jacken, vor allem sehr dicke Jacken, engen meistens ein. Sie sorgen dafür, dass wir uns bewegen wie Marshmallowmännchen. Oftmals gelingt es mir, um den Jackenzwang einen Bogen zu machen. Und manchmal werde ich schwach.
Menschen ohne Jacken werden zwischen Jackenmenschen schnell krank und schwach und schließlich sterben sie. Zumindest wenn die Abwehrkräfte nicht stimmen und das Wetter beschissen ist. Und mit den Abwehrkräften ist das so ne Sache. An Apple each day - ihr wisst schon.
Äpfel mag ich nicht.Äpfel sind ein bisschen wie Menschen. Meistens langweilig. Wenn man doch mal einen isst, ist man hinterher enttäuscht. Und meistens sind es diese besonders schön glänzenden, die die sich rausgeputzt haben, die dann in ihrem Inneren so mehlig sind, dass einem der Staub aus den Ohren kommt.
Oft ist es ja auch oft so: Du schaust zum Fenster hinaus, weil du wissen willst, wie das Wetter ist und alle Menschen tragen eine Jacke. Du ziehst dir auch eine an – du tust es einfach, weil alle es tun. Selber darüber entscheiden, hinfühlen und denken „Brauche ich eine oder nicht?“ - dieses Bedürfnis haben wir verlernt.
Das Feine ist: wenn man sich
ne bestimmte Jacke anzieht, dann erkennen einen die Leute leichter. Is ganz
simpel: du weißt, der mit dem weißen Kittel ist der Arzt und der mit der blauen
Jacke ist Dieter Bürgy. Alle anderen sind einfach Menschen. Wäre eigentlich
auch schön so. Ist aber nicht so einfach. Weil man Menschen nun mal nicht so
einfach einteilen kann. Aber Menschen möchten einteilen und eingeteilt werden.
Am eingeteilt werden ist das Schöne, dass man sich nicht so oft neu erklären
muss.
Ich hab mir mal die
Polyjacke angezogen. Nicht Polyester - Polyamorie. Als ich sie anhatte, dachte ich: Naja, so gut passt die
eigentlich auch nicht. Der Reißverschluss klemmt und die Ärmel sind zu kurz.
Aber besser als erfroren.
Das Interessante war: nicht nur die Anderen mit den Polyjacken nehmen mich jetzt wahr, sondern man selbst hat plötzlich auch einen anderen Blick auf die Menschen mit den gleichen Jacken. Die anderen – die Monojacken – interessieren einen eigentlich gar nicht. Das sind viele, richtig viele. Die sind eben da – nicht mehr und nicht weniger. Die tragen halt ne Jacke, wie ich. Nur ne andere. Wenn interessiert es.
Das Interessante war: nicht nur die Anderen mit den Polyjacken nehmen mich jetzt wahr, sondern man selbst hat plötzlich auch einen anderen Blick auf die Menschen mit den gleichen Jacken. Die anderen – die Monojacken – interessieren einen eigentlich gar nicht. Das sind viele, richtig viele. Die sind eben da – nicht mehr und nicht weniger. Die tragen halt ne Jacke, wie ich. Nur ne andere. Wenn interessiert es.
Wirklich merkwürdig an
den Monojackenträgern ist aber: Sie kucken so komisch. Pah, kann einem egal
sein, denkt man. Und ist es auch. Aber wehe man fragt sie, warum sie eigentlich
so kucken.
„Na hast du dich mal
angeschaut? Weißt du denn gar nicht, dass wir ALLE diese eine Jacke tragen
sollten? Das wissen ALLE. Und du? Hältst dich für was Besonderes? Wie sieht
denn das jetzt aus? Alle halten sich dran. Nur ihr mit euren lächerlichen
Polyjacken müsst hier einen auf bunten Vogel machen? Wollt wohl unbedingt was Besseres sein? Könnt ihr euch nicht entscheiden? Habt wohl noch zig andere
Jacken im Schrank, hä? Wahrscheinlich ist euch gar nicht bewusst, wie kostbar
so eine Jacke ist. Wenn man seine Jacke gut pflegt, dann hält die ein Leben
lang. Wollt ihr unbedingt abweichen. Das hier jeder die Jacke anzieht die er
will, das hättet hier wohl gerne? Soweit kommts noch! Und überhaupt: meine
Monojacke war sehr teuer, sie ist mir wichtig. Ohne diese Jacke bin ich nichts!
Nackt! Das lass ich mir von euch schrägen Polyvögeln doch nicht kaputt machen!"
Tja, ööhm. Okayyyyy. Hätte
ich mal lieber nicht gefragt. Wer ist eigentlich dieser ALLE, der bestimmt hat,
welche Jacke akzeptiert ist?
Während dieses
Monojacken-Monologs laufen ziemlich viele Monojackenmenschen vorbei. Die
meisten rufen Dinge wie:
"Ja, mal ehrlich!"
"Was denkst du dir eigentlich!?"
oder "Also ich finde das auch unerhört!"
Einige laufen einfach vorbei, kucken gleichgültig und kümmern sich nicht. Und wenige tippen ihrem Monomitmensch auf die Schulter und raunen: „Fahr dich mal runter, is doch nur ne Jacke.“
"Ja, mal ehrlich!"
"Was denkst du dir eigentlich!?"
oder "Also ich finde das auch unerhört!"
Einige laufen einfach vorbei, kucken gleichgültig und kümmern sich nicht. Und wenige tippen ihrem Monomitmensch auf die Schulter und raunen: „Fahr dich mal runter, is doch nur ne Jacke.“
Der Monomensch schimpft
immer noch, er hört gar nicht mehr auf, wird wütend und beleidigend und man
selbst geht in der Polyjacke einfach weiter. Vereinzelt trifft man auf andere
Polyjackenträger, die einem zulächeln, vielleicht sogar ein Stück des Weges mitgehen,
ein wenig netter Smalltalk. Sie haben alle schon mal Monojackenmonologe gehört.
Zur Zeit ist die Grippewelle
in vollem Gange und die Jackendiskussion in aller Munde. Du musst dir eine Jacke anziehen, wenn du ein Teil der Gesellschaft sein willst. Ohne geht nicht. Wann immer jemand auch
nur zaghaft eine Alternative zur Monojacke vorschlägt, fühlen sich die
Herdentiere unter den Jackenträgern bedroht und der Monolog beginnt von neuem. Dabei scheint es, als wird die Polyjacke nur pro forma vorgeschlagen, damit sie alle Welt anschauen kann und feststellt: Näää, das is doch keine richtige Jacke! Ein bisschen wie Haute Couture. Schräg. Trägt kein Mensch.
Hey! Keiner interessiert
sich für eure Jacken. Sie scheinen euch zu passen, mir persönlich gefällt das
Modell nicht, mir steht‘s auch nicht. Und gut. So what. Tragt doch was ihr
wollt.
Warum definieren Menschen
den Wert von etwas nicht für sich selbst? Warum glauben sie, sie müssten etwas,
dass sie selbst als Norm definieren, durch gesellschaftliche Anerkennung
rechtfertigen?
Eigentlich hätte ich mir am
liebsten gar keine Jacke angezogen. Niemand sollte eine Jacke anziehen müssen. Man
stelle sich diesen bunten Menschenhaufen vor. Keiner weiß, wie der andere lebt
und es interessiert auch niemanden. Aber wäre ich dann ins Gespräch gekommen?
Hätte ich Leute kennengelernt, die sich auch gegen die Monojacke entschieden
haben? Hätte ich vielleicht nie erfahren, dass sich der ein oder andere von
ihnen genauso eingezwängt fühlt, wie ich in dieser Jacke? Vermutlich wäre man
aneinander vorbei gegangen und nicht ins Gespräch gekommen.
Aber der Mensch ist ja von Natur aus ein soziales Wesen. Austausch mit Artgenossen und Kommunikation sind intrinsische Bedürfnisse. Es sei denn, der Austausch hat uns müde gemacht. Erschöpfender Empathiemangel, zu viel Selbstgerechtigkeit, zu lange Monologe, die gesprochen wurden ohne je für gegenteilige Meinungen erdacht worden zu sein.
Aber der Mensch ist ja von Natur aus ein soziales Wesen. Austausch mit Artgenossen und Kommunikation sind intrinsische Bedürfnisse. Es sei denn, der Austausch hat uns müde gemacht. Erschöpfender Empathiemangel, zu viel Selbstgerechtigkeit, zu lange Monologe, die gesprochen wurden ohne je für gegenteilige Meinungen erdacht worden zu sein.
Aber hilft es, die bösen
argwöhnischen Gesichter der Monojacken zu ignorieren? Läuft man nicht Gefahr,
irgendwann genauso selbstgerecht und voller Misstrauen auf „die mit den anderen
Jacken zu schauen“? Ist es nicht viel sinnvoller auf diese Menschen zu zugehen
und zu sagen: Hey, chill mal. Deine Jacke ist hübsch aber mir passt die gar
nicht.
Mir kommt gerade ein
Gedanke: Tragen diese Monomenschen ihre Jacke vielleicht mit so viel
Überzeugung, weil es für sie eine Uniform ist? Eine Universaljacke, die aus allen
gemeinsam eine große, starke Einheit macht? Was ist ein Heer, bei dem jeder am
Tag der Schlacht was anderes anzieht? Es ist machtlos. Weil keiner weiß, wer Freund
und wer Feind ist.
Ich kenne Herrn Müller seit
17 Jahren, mehr als vier Jahre davon sind wir verheiratet. Die Müllerkinder
sind 7 und 11 Jahre alt. Seit über dreieinhalb Jahren verbindet uns mit Marco und Sarah eine Freundschaft, die den „beste Freunde“-Status weit überschritten
hat. Man teilt alles miteinander, auch das Bett. Nur gibt es kein 1+1+1+1
sondern ein 2+2. Das beschreibt am kürzesten, was wir sind. Das Paar ist
Partner in einer Beziehung zu einem anderen Paar. Nennt mir eine Schublade, die
es dafür gibt. Ich hab noch keine gefunden. Und im Grunde brauchen wir die ja
auch nicht. Wir nennen es Quattroehe.
Wir alle vier hatten ganz „normale“ monogame Rollenvorbilder in Kindheit und Jugend. Wir haben monogam lebende Freunde. Wir haben die Entscheidung, wie wir leben wollen, für uns getroffen. Nicht monogam. Soviel steht fest. Aber poly? Ist das so? Polyamorie wird definiert als „Liebe zu mehreren Menschen“.
Ich als Individuum liebe dieses Paar, bzw. beide einzelnen Personen des Paares nicht wie meinen Ehepartner. Vielmehr empfinde ich mich in Verbindung mitmeinem Ehemann als Einheit, die wiederum eine aus zwei Personen bestehendeEinheit liebt.
Herunter reduziert auf die Verbindungen zwischen den einzelnen vier Personen wäre es nicht das gleiche. Ein Äpfel- und Birnenvergleich. Hört sich kompliziert an. Ist es aber eigentlich nicht. Denn man lebt einfach.
Kompliziert wird es erst, wenn man eine passende Jacke sucht und es zu wenig Auswahl gibt. Also schneidert man selbst. Ungeachtet der eigenen Fähigkeiten in Design und Umgang mit Nadel und Nähmaschine. Wir schneidern eine Jacke, die nur uns passt, die dafür aber wie angegossen sitzt. Eine Jacke - unsere Jacke - in der wir uns wohlfühlen.
„Wie läuft die denn rum?“
„Naja, mein Geschmack wäre das nicht, aber wem’s gefällt!“
„Wie krass, wo hast du diese geile Jacke her?“
Manchmal überraschen uns Menschen, die Jacken, welche sie tragen und ihre Reaktionen auf mutiges Selbstdesign auch. Und manchmal wartet auch schon der nächste Monolog auf uns.
Wir alle vier hatten ganz „normale“ monogame Rollenvorbilder in Kindheit und Jugend. Wir haben monogam lebende Freunde. Wir haben die Entscheidung, wie wir leben wollen, für uns getroffen. Nicht monogam. Soviel steht fest. Aber poly? Ist das so? Polyamorie wird definiert als „Liebe zu mehreren Menschen“.
Ich als Individuum liebe dieses Paar, bzw. beide einzelnen Personen des Paares nicht wie meinen Ehepartner. Vielmehr empfinde ich mich in Verbindung mitmeinem Ehemann als Einheit, die wiederum eine aus zwei Personen bestehendeEinheit liebt.
Herunter reduziert auf die Verbindungen zwischen den einzelnen vier Personen wäre es nicht das gleiche. Ein Äpfel- und Birnenvergleich. Hört sich kompliziert an. Ist es aber eigentlich nicht. Denn man lebt einfach.
Übrigens gibt's auch Polyhosen... oder Einteiler... |
Kompliziert wird es erst, wenn man eine passende Jacke sucht und es zu wenig Auswahl gibt. Also schneidert man selbst. Ungeachtet der eigenen Fähigkeiten in Design und Umgang mit Nadel und Nähmaschine. Wir schneidern eine Jacke, die nur uns passt, die dafür aber wie angegossen sitzt. Eine Jacke - unsere Jacke - in der wir uns wohlfühlen.
„Wie läuft die denn rum?“
„Naja, mein Geschmack wäre das nicht, aber wem’s gefällt!“
„Wie krass, wo hast du diese geile Jacke her?“
Manchmal überraschen uns Menschen, die Jacken, welche sie tragen und ihre Reaktionen auf mutiges Selbstdesign auch. Und manchmal wartet auch schon der nächste Monolog auf uns.
Gedanken, Anekdoten und
Synapsenkurzschlüsse aus
Absurdistan, der Müllermansion
oder dem Atelier alternativer
Beziehungsformen ;-)
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HIER ALLE ARTIKEL DER "FRIENDS WITH BENEFITS"-REIHE rund um die Entstehung unserer Quattroehe:
Frau Müller, Sie treffen wieder mal den Nagel auf den Kopf oder so...
AntwortenLöschenIch war schon immer anders als die Anderen und immer auf Krawall gebürstet. Quasi der eine Pinguin von Uli Stein mit dem Schild "Dagegen"
Ich habe beschlossen (weil ich nen neuen Job suche) was schicker zu werden. Und weil alles langweilig ist und mir nicht entspricht bin ich grade dabei einen Rotkäppchen Umhang zu nähen. In schwarz mit lila changierenden Futter... Bin sehr gespannt ob sich jemand traut mich überhaupt anzusprechen oder zu fragen... In diesem Sinne! Horrido!