Lehrer sind auch nur Menschen. Und nicht jeder trifft sich abends mit Kolleginnen abwechselnd zum Nordic Walking oder zum Fortgeschrittenenkurs in Seidenmalerei. Ich denke ich bin das Kuckucksei im Lehrerzimmer. Etwa wie ein Veganer, der ausversehen Metzger geworden ist oder ein Pilot mit Höhenangst. Oder wie eine Franzi van Almsick, die immer wieder vom Schwebebalken fällt weil sie noch nie jemand ins Wasser geschubst hat.

Mittwoch, 20. Juni 2018

Von Dirtytalk und Hobbygärtnern: Wie man Wünsche verwirklicht und Blümchen tötet ODER (K)eine Anleitung zur Eheöffnung


Ich glaube, ich erwähnte es bereits: entgegen all der Food-, Beauty- und Fitnessblogger schreibe ich nicht um gute Ratschläge und geniale Hacks loszuwerden (außer es ist Blogtober und ich mach mal was Verrücktes), sondern um Geschichten zu erzählen oder Gedanken loszuwerden, die mir durchs Hirn spuken. Präbloggerisch meinten einige meiner privaten Kontaktpersonen, es sei manchmal recht unterhaltsam, mir zu zu hören. Unterhaltsam erzählen. Mehr wollte ich gar nicht. Mir scheint, als schaffe ich das auch das ein oder andere Mal. Und dann erreichen mich eben hin und wieder Nachrichten, die von mehr als nur guter Unterhaltung berichten. Es soll nämlich vorgekommen sein, dass in einigen wenigen Menschen etwas bewegt wurde. Von solchen Prozessen berichtete kürzlich bereits der SchMärz, aber auch ganz abseits der Folterwerkzeuge flattern hin und wieder blaue Umbruchbänder durch die Lüfte...
 
Von allen Artikeln, die im Lehrerzimmer so dahin gehobelt werden, sind die SchMärz-Geschichten sowie alle Artikel mit einem Bezug zur Quattroehe, die mit dem stärksten Feedback. Und entgegen der Erwartungen vieler, hielten sich kritische Äußerungen bezüglich unseres nennen wir es alternativen Partnerschaftsmodells eher in Grenzen. Was muss man eigentlich für einen Shitstorm noch leisten???

Mich schrieben zum Beispiel Frauen und Männer an, die ganz ähnlich leben. Vor kurzem allerding kontaktierte mich eine junge Dame, deren Nachricht mich nachdenklich stimmte. Ich muss dazu sagen, ich nehme mir für alle Nachrichten von Lesern Zeit, diese zu beantworten, so lange sie über ein „Daumen hoch“, „Hallo“ oder ein GiF, in dem ein Teddy mit einer roten Rose winkt, hinaus gehen. Ich beantworte Fragen, wenn ich dahinter ehrliches Interesse und nicht pure Neugierde oder irgendwas Ekliges wahrnehme und der Fragende nicht gleich mit der Tür ins Haus fällt. Und soweit ich das kann, berate ich auch im Rahmen meines Erfahrungshorizontes. Beratung ist ein großes Wort. Sagen wir, ich gebe meine Meinung zu einer Problemstellung ab.

Diese Leserin schrieb mir also sinngemäß, dass sie die Art, wie wir unsere Vierecksbeziehung leben, ganz klasse findet und obwohl sie seit einigen Jahren verheiratet ist, die monogame Art zu leben als nicht normal und langweilig empfindet. Sie würde ihren Partner gerne überzeugen, aber das sei sehr schwierig, schrieb sie außerdem. Bei dem Wort überzeugen begann mein Inneres unruhig auf seinem Stuhl herum zu rutschen. 
Was rat man in so einem Fall? Tagelang von nichts anderem reden und wenn es sein muss, laut und deutlich schmollen? Ich denke, diese Strategie funktioniert, wenn es um überteuerte Schuhe, notfalls noch die Wahl des Urlaubsziels oder die Anschaffung einer dritten Katze geht. Bei dem Vorhaben, eine Beziehung zu öffnen, und sei es auch nur ein klitzekleines Stückchen, ist Vorsicht und Einfühlungsvermögen die Mutter im Porzellanladen. Wo bitte gibt es eigentlich einen Porzellanladen?
Wie dem auch sei. Ich habe kein Patentrezept, keinen To-Do-List oder einen Fünf-Stufen-Plan zum Erreichen sexueller Offenheit jenseits ehelicher Grenzen. Ich weigere mich zu sagen: Tu dies oder mach jenes. Menschen und Wege sind verschieden. Und sicherlich erzählt jeder Swinger oder Poly oder anders alternativ lebend und oder liebender Mensch seine Geschichte anders. Nur Sex. Nur Liebe. Sex und Liebe. Allein, zu zweit, zu dritt, zu viert, mit festen, mit wechselnden Partnern. Jeder sucht sich aus, was er mag. Was alle gemeinsam haben, ist das Einvernehmen. Mit allen Beteiligten.
Was also raten, einer jungen Frau, die nicht unglücklich aber für sich selbst scheinbar langweilig verheiratet ist, mit einem Mann, der sich von Experimenten jenseits der Zweierintimität nur mäßig begeistert zeigt. Ich rate nichts, ich erzähle. Das kann ich besser. 

Bei den Müllers war es eigentlich weniger die Langeweile, als vielmehr der Wunsch danach, einige der blumig ausgeschmückten Dirtytalkgeschichten in die Realität umzusetzen. Dirtytalk ist für mich persönlich schon ein Qualitätsmerkmal für guten Sex, vor allem dann, wenn er über Standard-Pornodialoge wie "Oh ja" und "Mmmh" hinausgeht. 

Diese Art der Gesprächsführung ist für mich eine Art Anzucht von Gesprächskeimlingen. Ihr wisst schon, diese klitzekleinen Sonnenblumenkerne, die man auf der Fensterbank im Joghurtbecher zunächst heranwachsen lässt, um sie später ins Beet umzusetzen. So funktioniert das auch mit Wünschen und Vorstellungen sexueller Natur. Man kümmert sich gemeinsam um das kleine Pflänzchen, achtet ganz sorgfältig darauf, was der andere tut, ob er es gießt oder in die Sonne stellt und richtet sich danach. Bloß nicht überwässern oder vertrocknen lassen. Wenn das Wunschpflänzchen groß genug ist, dann kann man es in den Alltag pflanzen. Beim Autofahren, Kaffeetrinken oder Fernsehen wird weiter sinniert. So kann ein Wunsch durchaus Gestalt annehmen.

Bei Müllers war es zunächst der Wunsch nach einer zweiten Frau. Und der kam wider allgemeinen Erwartens nicht von Herrn Müller. Nein, ein Mann fühlt sich nun mal an wie ein Mann (und das ist gut und richtig so) aber um eine Frau zu fühlen, braucht es nun mal ne Frau. Bis zu diesem Punkt scheint das für die meisten Leser vermutlich keine großen Einbußen für den Mann zu bringen. Aber ihr werdet lachen: wenn man ins Gespräch kommt, trifft man tatsächlich auf nicht wenige Männer, für die es schon eine Hürde ist, die eigene Frau mal einer anderen Frau zu überlassen. Wenn die Herren der Schöpfung dann noch nicht mal zuschauen dürfen, wird’s noch schwieriger…

Der Freundes- und Bekanntenkreis war gedanklich schnell ausgewildert. Nee, dat war den Müllers nix. Was, wenn der Sex mies ist? Werde ich dann jemals wieder mit diesen Menschen unbefangen grillen können?
Erotikforen sind für mich persönlich eine absolute Bereicherung. Dank Nickname bleibt man anonym und kann sich als Pärchen erstmal in Ruhe umschauen, stößt auf andere Pärchen und auch das hilft, das Wunsch-Sonnenblümchen weiter gedeihen zu lassen. Nachdem Müllers festgestellt hatten, dass Frauen, die gerne ein Gastspiel auf ehelichen Laken geben, recht rar sind, orientierte man sich in Richtung zweites Paar. Hier gab es nämlich erstaunlich viele Mitsuchende, deren Wunschkonstellation ähnlich geartet war, wie die der Müllers. Man zog einen Swingerclubbesuch in Erwägung und machte seine ersten Erfahrungen. An anderer Stelle ging ich bereits näher darauf ein (Hier klicken).
Nach diesen ersten Erfahrungen war allerdings erstmal gar nichts so richtig in Butter. Denn das was man sich vorgenommen hatte und das was am Schluss dabei heraus kam, lagen so weit auseinander wie Nord- und Südpol. Plan: ein zaghafter Anfänger-Vierer bei dem sich die Männer zurückhalten und die Frauen Spaß haben, mehr neben- als miteinander. Was tatsächlich geschah: Partnertausch in getrennten Räumen. Die Königsdisziplin sozusagen. Der Effekt: Computernerd läuft Ironman. Nulllinie.

Wie es zu diesem folgenreichen wrong turn kam, habe ich auch bereits an anderer Stelle ausführlicher erzählt. Das Pflänzchen war totgegossen. Und daran hatten zunächst wir beide und danach vor allem die Müllerin Schuld. Weil wir auf falsche Gärtner hörten, die sagten: „Je mehr du gießt, desto schneller wächst die Blume.“ Das kam uns absolut logisch vor. Schließlich waren die beiden Experten. Ab einem gewissen Punkt goss nur noch die Müllerin, so sehr beschäftigt mit dem Gießen, dass sie nicht bemerkte, dass Herr Müller bereits aufgehört hatte zu gießen und mäßig angetan war, angesichts der Emsigkeit seiner Frau.
Wir fanden uns wieder an einem Punkt, an dem Herr Müller grundlegende Zweifel an der Sinnhaftigkeit des ganzen Versuchs hatte und ich für mich die Feststellung machte, dass ich mindestens auf Frauen nicht mehr verzichten wollte. Schwierige Tage und Wochen und die Beziehung ins Mark erschüttert. An einem Punkt, an dem man feststellt, dass die Bedürfnisse – wenn auch nur scheinbar – auseinander gehen, wird jede Beziehung auf eine Zerreißprobe gestellt. Jemand hat ein grundlegendes Bedürfnis, dem der andere nicht nachkommen kann und oder will. Setzt man die Bedürfnisse durch, verbiegt sich der andere. Stellt man seine Bedürfnisse zurück, existiert fortan ein impliziter Vorwurf, mit dem der andere Partner leben muss. Dünnes Eis für eine Ehe. 

Jetzt könnte man meinen, ein Kompromiss wäre die einfachste und fairste Lösung. Fair möglicherweise. Einfach mitnichten. Dafür wäre es ja zunächst nötig, den Standpunkt des jeweils Anderen zu akzeptieren. Das ist selbst in unserer scheinbar ach so modernen Gesellschaft heutzutage für jemanden, der sich eine Öffnung seiner Beziehung wünscht, nicht ganz leicht, denn Akzeptanz für dieses Lebensmodell findet man nicht mal ebenso am Straßenrand. Im ungünstigsten Fall möchte man in den Augen des Partners also etwas völlig Absurdes und noch dazu Unmoralisches. Etwas, das die Vorstellungskräfte mancher Menschen weit überschreitet und vor diesem Hintergrund zwangsläufig in einer Flut aus Vorwürfen endet: Reiche ich dir nicht?

Wie soll man(n) oder frau also akzeptieren. Letztendlich müssen beide Partner, wenn es zu einem Kompromiss kommt, ein Stück weit von ihrem Standpunkt abrücken. Wie genau das beim tatsächlichen Ausleben des Wunschs nach mehr Offenheit funktioniert, kann ich nicht sagen. Ich kann aber am müllerschen Beispiel beschreiben, wie zumindest der Weg hin zur Offenheit zum Kompromiss wurde.
Ebenso viel Schweigen wie Reden, eine (beruflich bedingte Zwangs-) Sexpause und das Zurückerinnern an das hübsche Pflänzchen, das man gemeinsam groß gezogen hatte, bevor es totgewässert wurde, half den Müllers beim Neustart in Richtung Wunscherfüllung und ausgewachsene Sonnenblume. Ganz ohne Verabredung inklusive Erwartungen besuchten wir den Swingerclub vom Anfang nocheinmal. Wir hatten erstaunlich wenig gesehen von dem hübschen Ambiente bevor wir quasi von den Wölfen in ihren Bau gezerrt wurden. 

An diesem Abend hatten wir Sex, viel Sex und ausgezeichneten Sex. Und ausschließlich miteinander. Diese Erfahrung und die Erkenntnis, dass auch zwischenmenschlich wenig bis gar nichts in unserer Startkonstellation mit den Wölfen gestimmt hatte, ließen das neue Pflänzchen kräftig wachsen. Das Eingeständnis an uns selbst, dass völlig anonymer Sex, bei dem höchstens Vornamen eine Rolle spielen und Sympathien über das gemeinsame Glas Sekt an der Bar nicht notwendig sind, nichts für uns ist, war die eigentliche Öffnung. 

Der darauffolgende Weg, in den Artikeln der Reihe „Friends with benefits“ schon ausführlich beschrieben, war auch nicht ohne jeden Stein, aber wir gingen ihn gemeinsam bis an den Punkt, an dem wir heute stehen und rundum glücklich sind.

Ich bin nicht die Päpstin der Beziehungsöffnung. Und am Rande: so offen ist die Beziehung der Müllers nicht. Wir sind monogam in unserem Viereck und Alleingänge gibt es nicht. Wenn das für einige Schandmäuler und Überdrüssige der eigenen Einöde aus dem Bekanntenkreis schon reicht, um von Orgien zu sprechen, dann bitte schön. Manchmal verrät man damit schon sehr viel über den eigenen Horizont – und wenn dieser nur vom Ortseingangs- zum Ortsausgangschild reicht. Kleiner, nicht verkneifbarer Seitenhieb aus gegebenen Anlass.
Alle, die sich nun durch die knapp 1500 Wörter quälten, auf der Suche nach echtem Mehrwert und einer aus Piktogrammen bestehenden Anleitung zum Selbstbau eines unendlichen Sexuniversums belohne ich abschließend mit den ersehnten Ratschläge – aber nur drei und nur, weil sie aus den müllerschen Erfahrungen wuchsen - die Sonnenblumenkerne sozusagen:
  • Achtet aufeinander und überredet nicht.
  • Das Tempo bestimmt der Langsamere.
  • Ihr beide habt ein Recht darauf, dass der jeweils Andere eure Wünsche ernstnimmt.
Das Leben ist kein Swingerclub.
Manchmal ist auch eine ordentliche
Portion Absurdistan dabei und
schließlich hat vermutlich jeder
seine ganz eigene MüllerMansion.
Den Newsticker aus allen drei
Mikrouniversen gibt's per

2 Kommentare:

  1. So genial wie schlicht - was generell und sowieso keinen Gegensatz darstellt. Danke! Das bestätigt meine Erfahrung, wenngleich unsere zweite Sonnenblume (die erste wurde kurzerhand von Frau Meier geköpft) gerade mal im Beet angekommen ist...

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    1. Geköpft von Frau Meier???? Oje oje. Dann wünsch ich der zweiten Sonnenblume maximales Gedeihen. Und nimm' Frau Meier die Machete weg ;-)
      LG
      Frau Müller

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