„Nächstes Mal buch‘ dir
einen Plussize-Sitz, du Missgeburt in Überlänge – das kostet nur vier Euro
mehr. Oder fliege nicht in meinem Flugzeug!“
höre ich mich im Geiste meinem Hintermann entgegenschmettern, während sich das
Knie des Dreimetermannes mit Holzbein seit einer Stunde mit konstantem Druck
genau in die Stelle diagonal zwischen meiner linken Niere und dem Kreuzbein bohrt.
Ein innereuropäischer Flug der Discounterkategorie wirkt wie LSD auf
Misanthropensinne.
Die ersten Fünkchen im
Flächenbrand des Menschenhasses stieben bereits auf, als die unfreundliche Frau
mit dem bajuwarischen Akzent hinter der Theke mit den belegten Backwaren
mehrfach „Werte Kunden, bitte stellen sie sich in einer Schlange von rechts an“
wiehrt, während ich die Vielfalt der Auslage studiere und zu diesem Zeitpunkt
noch längst nicht entschieden habe, ob ich überhaupt Kundin von dieser bellenden
Gans mit Fönwelle sein möchte. Nein, möchte ich nicht. Nach dem vierte „Werte
Kunden“ habe ich beschlossen, auf das Frühstück zu verzichten. Gefühlsintern
die richtige Entscheidung, um der Brötchenziege hinter dem Niesschutz gegenüber
nicht handgreiflich zu werden. Gefühlsextern ein Risiko für all meine mir
persönlich bekannten Mitreisenden. Sarah erkennt das und erwirbt mir ein
Weizenmehlcroissant, vermutlich selbst unter der größten Anstrengung ihren für
gewöhnlich tödlichen Laserblick als Teil der RestingBitchFace-Grundaustattung
von „Todbringend“ auf deeskalierendes „Zutiefst verachtend“ herunter zu
regulieren.
Die Auswirkungen des
Weizenmehls auf meine Darmtätigkeit kämpfen nun mit dem Knie des misswüchsigen
Riesen hinter mir einen ziemlich hässlichen Gladiatorenkampf, bei dem zwischen
den Kontrahenten nur 2 ¾ Lagen billiges Kunstleder, ein paar Gramm
Ladyhüftspeck und einhorngleiche Knochenmasse liegen. Sein Übriges steuert der
Kleine Müller bei, der mir in regelmäßigen Abständen schlaftrunken seinen Ellbogen
in die Flanke bohrt.
Während ich also das Knie
angestrengt wegignoriere indem ich mir das Mantra meiner Yogalehrerin „Liebe den
Schmerz“ in die Synapsen zwinge, damit ich mir nicht fortwährend neue Flüche
gegen den Stelzenmann ausdenken muss, gießt der Rest der Menschen in der Kabine
kontinuierlich Öl in den misanthropischen Großbrand.
Handgepäck. Ein Kapitel
für sich. Handgepäck. Was
inDreiteufelsnamen kann außer Buch, Telefon, Geldbörse, Penisstrohhalm und
1,5kg Handtaschensedimente am Boden der Tasche in zweieinhalb Stunden über den
Wolken so wichtig sein, dass man es in einen Trolley packen muss, mit dem man
dann allen gegens Knie fährt, bis man seinen Sitz in der hintersten Reihe
erreicht hat? Und noch viel wichtiger die Frage: Warum packt man diese
Scheißteile oben in die Fächer für das leichte
Gepäck, nur um sie dann noch bevor das fucking Flugzeug seine
Reiseflughöhe erreicht hat, wieder raus zu zerren? „Das Anschnallsymbol gilt
auch für dich, du Pisser!“ schreit es wieder aus meinen Gedanken. Ich glaube,
mittlerweile zuckt mein linkes Auge nervös. Pauschalreisen. Der Cruciatusfluch
für Eigenbrötler.
„…Und wenn ein Gedanke kommt, lass ihn einfach vorbei ziehen…
rechts einatmen … verschließen… links ausatmen…“ höre ich die Stimme meiner
Yogalehrerin aus dem Off.
Die Mehrzahl der Menschen
wird, je länger man sie beobachtet, nur umso verabscheuungswürdiger. Warteschlangen
zum Beispiel sind prädestiniert für solche Studien im Zeichen der Abneigung.
Wie sie sich für das Gefühl, wenigstens einmal im Leben ganz vorne mit dabei zu
sein, auf jedes Leben stürzen, das sich morgens gegen fünf hinter einem
verwaisten Boardingschalter regt. Wie die Geier aufs Aas.
Die Flugbeleiterin rollt mit
dem Fressalienwägelchen vorbei. Essen und Getränke gibt es, genau wie
Beinfreiheit, bei ALDIfly nur gegen
24 Stunden vorher online zu entrichtendes Entgelt. Für die Kurzentschlossenen
gibt’s Muffins mit dem Feuchtigkeitsgehalt einer Dose Babypuder zum Preis
eines Fertigteilhauses. Ich verstehe Menschen nicht, die morgens halb sieben
auf einem innereuropäischen Flug unbedingt eine warme Mahlzeit brauchen, die noch
dazu weder schmeckt noch einen Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe der
Müllvermeidung leistet. Diabetiker natürlich ausgeschlossen. Sind wir doch mal
ehrlich. 98,9% der Menschen in diesem Flieger werden die nächsten 7 bis 14 Tage
zwischen Strandliege, Buffet und Poolbar verbringen. ALDIfly könnte stattdessen gratis Brotdosen , von mir aus in
Trolleyform, an alle Fluggäste verteilen, in denen sich dann jeder für den
nächsten Flug selbst geschmierte Stullen belegt mit Mett und Radieschen plus
mundgerecht geschnippelte Kohlrabischnitze für’s kollektive Geschmacks-,
Lausch- und Duftvergnügen, verpacken und im Handgepäck mitführen könnte.
Das bindet gleichzeitig auch den Fluggast ans Unternehmen. Ja, Business kann
ich auch.
Vermutlich würde diese olfaktorische Sinfonie aus 250 Brotdosen auch
genauso widerlich duften, wie das Bouquet aus Rindergulasch und
Kichererbsen-Masala, welches sich gerade eben in der Kabine ausbreitet während hinter den Fenstern die Morgensonne freundlich strahlt. Lasst
euch euer Umami-Frühstück schmecken, ihr Unmenschen.
Jetzt kommt die Halstuchfrau
mit dem Müllwägelchen vorbei. Warum wasche ich mir eigentlich meine Haare mit unverpackten
Seifenstücken, während diese Verpackungsfaschisten jeden Scheißkeks zum Kaffee
extra in Folie wickeln?
Gerade hab ich gesehen, dass
der Typ rechts vor mir ne Brotbüchse auf seinem Klapptischchen liegen hat. Sympathischer
Typ. Den Pluspunkt bekommt er, wenn auch auf wackligen Füßen, da auf dem Schoß
seiner Freundin neben ihm ein gefährlich kleines Kind sitzt. Die kleine Kröte
schläft. Er darf seinen Sympathiebonus vorerst behalten.
Fünf Minuten später quäkt
der Hosenscheißer. Scheiß auf die Brotbüchse. Alles Idioten hier. Und
überhaupt. Was sind das eigentlich für Menschen, die ständig durch das Flugzeug
latschen müssen. Vier Mal aufs Klo in zwei Stunden oder was? Wie wäre denn zur Abwechslung
mal ein Wanderurlaub in der sächsischen Schweiz? Da lacht sogar die Venenpumpe.
Wir haben es inzwischen fast
geschafft. Jetzt nur noch die Landeklatscher. Versteht mich nicht falsch, ich
habe weder viel Vertrauen in Technik noch in Personen und gehe auch nicht davon
aus, dass jeder meiner Mitmenschen seine Gefühlsausbrüche ebenso gut
unterdrücken kann, wie ich. Aber der Pilot macht seinen Job. Okay, es ist für
uns alle wichtig, dass er ihn gut macht. Aber sollte man das nicht von Jedem
bezüglich der Ausübung seines Broterwerbs erwarten dürfen? Ich meine, mir applaudiert auch keiner, wenn
täglich alle meine Schüler am Mittag das Klassenzimmer lebend und ohne
offensichtlich bleibende Schäden verlassen. Ich habe auch Helmut und Lieselotte
noch nie wie wild klatschen sehen, kurz bevor sie Herrmannplatz/Ecke
Brechtstraße die Tram verlassen. Keiner feiert die Wurstfachverkäuferin fürs
grammgenaue Mortadellaabwiegen und niemand springt aus dem Jackett, wenn er
sein KfZ mit frisch montierten Winterreifen aus der Werkstatt abholt. Das
könnte man noch ein Weilchen so fortführen. Und wo bitte bleibt eigentlich der
Applaus für jede gewechselte Windel und all die gefütterten Senioren im
Altersheim? Für 15 schlafende Terroristen in Spiderman-Schlafanzügen zur Mittagszeit im Kindergarten?
Mit den letzten Klatschern
klicken im noch rollenden Flugzeug auch schon die ersten Gurtschnallen und die
Geier machen sich zum Sturzflug auf den ersten Platz bereit. Wer das Flugzeug
eher verlässt, ist länger im Urlaub, lautet die Devise. 2 Stunden, zwei Martini
und ein Ouzo Sunrise, 6 Euro für drei Runden Airhockey und einen beinahe zertrümmerten
Lobbycouchtisch später, sind Knie, Geier und Rindergulasch fast vergessen und
meine Yogalehrerin im Kopf hat Feierabend. Der Seelenfrieden hält bis ich von
meinem Balkon aus beobachte, wie vier stark übergewichtige Britinnen drei
Kleinkinder, vier Luftmatratzen, ein Volleyballnetz und ungezählte Bälle in den
Sharingpool werfen, während sie Bier aus Dosen trinken und die aktuellen UK
Charts grölen. "Oooohm… einatmen.... ausatmen..."