An
sich mag ich Weihnachten. Mir bleibt im Grunde auch gar nichts anderes
übrig, dann da wo ich herkomme wird Weihnachten zelebriert. So sehr,
dass es sogar eine Art Weihnachtstourismus ins Land der Müllerin gibt und an den Wochenenden volkskunstgeile Rentner massenhaft von Reisebussen ausgespuckt werden.
Soweit
so gut. Wenn man an der Autobahn wohnt, hört man irgendwann den Verkehr
nicht mehr. Für mich bedeutet Weihnachten, dass Weinkonsum jenseits
abendlicher Dunkelheit relativiert wird solange die Spirituose dampft
und sich in einer bunten Henkeltasse befindet.
Keiner wundert sich über den
Grinch als WhatsappProfilbild und im Radio laufen diese wunderbaren
Weihnachtsschinken, die alle hassen. „Last Christmas“, "Driving home for Christmas"
und Band Aid… sorry Leute, ich liebe
es. Ich steh' sogar auf dieses uralte Mundartliedgut aus meiner Region,
das jedem Auswärtigen ein Stirnrunzeln aufs Gesicht zaubert. Und "Sind die Lichter angezündet" ist sowas wie Ritalin für eine Frau Müller, die kurz davor ist, jemanden mit Kräuselband zu erdrosseln.
Weihnachten ist ganz okay. Noch okayer sind Schnapspralinen im
Adventskalender und Mäntel, die lang genug sind um unter der Last des
Christstollens anschwellende Arschbacken und Oberschenkel zu kaschieren. Temperatur
und Witterungsbedingungen legitimieren Netflix statt Outdoor. Bis an diesen
Punkt hat die Weihnachtszeit etwas Beseeltes und Heimeliges. Hygge heißt das
doch neudeutsch, oder?
Mit der Hygge isses aber
spätestens vorbei, wenn das große Müllerkind Montagabend sagt: „Ach Mama, morgen
Abend um sechs is das Weihnachtskonzert unserer Schule!“ Und weil ich die
Hoffnung nicht aufgebe (oder einfach dumm und naiv bin), frage ich wie jedes Jahr: „Machst
du da mit?“
– selbstredend macht er da mit. Es ist eine christliche Schule.
Natürlich machen da alle mit. Und wo findet das Weihnachtskonzert einer
christlichen Schule statt. Yeeehaa – sechs Richtige: In der Kirche natürlich.
Freude, Freude!
Nun fragen sich die Kenner
unter den Lesern sicherlich, warum eine Frau wie ich, mit einem quasi nichtvorhandenem Verhältnis zum christlichen Glauben, ihr Kind an eine solche Schule
schickt. Wie soll ich das erklären. Hier auf dem Lande hat man bei der
Entscheidung für eine Schule die Wahl zwischen Pest oder Cholera. Ich bin an
sich ein Lokalpatriot und kaufe meine Weihnachtsgans beim Dorfbauern. Und auch
bei der Auswahl der Grundschule gab ich zunächst der Bildungseinrichtung in
Steinwurfentfernung eine Chance. Das Problem war allerdings, dass die Philosophie
der Chancengeberei nicht auf beiden Seiten funktionierte und die
Klassenlehrerin des großen Müllers anscheinend kein Fan der BigBangTheory war.
Jedenfalls konnte sie mit dem leicht nerdigen Leistungsverweigerer, welcher sechs Jahre zuvor meinem Becken entsprang, nicht viel anfangen.
Erlösung fanden
wir tatsächlich in den flexibleren Unterrichtsmethoden und einem sehr viel
humaneren Menschenbild der Privatschule in christlicher Trägerschaft aus dem
Nachbarort. Nützt eben nix. Jetzt verweilt der große Müller eben dort und
bereichert den Unterrichtsalltag mit glaubenskritischen Diskussionseinwürfen
und unser Weihnachtsfest alljährlich mit einer Veranstaltung, bei der wir
mitten unter betenden Menschen weilen.
Einziger Lichtblick ist
der Weihnachtsmarkt direkt vor der Kirchentür. Zwei Tassen Glühwein mit Schuss
vor Beginn des Programms ermöglichen mir zwar, das Ganze geistig durchzustehen,
spätestens nach der ersten Viertelstunde nötigt mir meine Blase allerdings
einen Besuch auf dem Heiligen Stuhl, also der Kirchentoilette, ab.
Bemerkenswert finde ich, dass es dort angesichts der gesteigerten
Luftfeuchtigkeit des alten Gemäuers, feuchtes Toilettenpapier direkt von der
Rolle gibt.
Es folgen 60 Minuten Inferno
aus Kindern, die Instrumente foltern – Blockflöte from Hell – und pickligen
Milchbärten, die mit brüchigem Bass den Einsatz beim Kanon verpassen. Die
Kombination aus einer Geige, die klingt als würde sie das Lied vom Tod spielen
und nicht „Leise rieselt der Schnee“, der Wirkung des Glühweins und der
erhöhten Konzentration elterlicher Glückshormone in der Luft versetzt mich in
einen tranceähnlichen Zustand in dem ich halluziniere, dass dem kleinen
rothaarigen Mädchen aus dem Mittelgang plötzlich gewundene Hörner und Hufe
wachsen und es dem Pfarrer an die Kehle springt.
Herr Müller reißt mich aus
meinem Tagtraum, als er mich fragt ob es eigentlich erlaubt ist in der Kirche zu
essen. „Hallooo? Weißt du wie egal mir das ist? Kuck, dort drüben, die stillt.
Also kannst du auch essen. Außerdem wurde mir hier nie eine Hausordnung oder
irgendwelche Nutzungsbedingungen präsentiert. Ich hab nichts unterschrieben.“
Herr
Müller kramt in meiner
Handtasche nach den gebrannten Mandeln vom Weihnachtsmarkt. Und während
er mitten
im Gebet mit der Tüte raschelt und geräuschvoll Mandeln knuspert, denke
ich: Ein
Eismann, so wie im Kino. Das wäre jetzt gut. Dann wäre auch ein Schild
am
Kirchenportal mit der Aufschrift „Verzehr von mitgebrachten Speisen und
Getränken
verboten“ legitim. Vermutlich würde ich Nachos mit Käsedipp essen. Hier
drin isses ja schon kalt. Kirchen haben ein schlechtes Catering.
Weil wir nicht wie gute
Eltern schon vor Einlass an der Kirchentür standen um die Plätze mit der
besten Sicht zu ergaunern, sondern lieber zum Dienstagabend das Tagesgeschäft
der Budenbetreiber auf dem Weihnachtsmarkt retteten, sitzen wir jetzt hinten
irgendwo am Rand auf den Stühlen quer zur Betrichtung. Das hat den Nachteil, dass
einen beim Mandeln knuspern strafende Blicke aus allen Richtungen treffen und
man nur kurz einen Blick aufs im Klassenverband singende Müllerkind werfen
kann. Unschlagbarer Vorteil dieser Plätze ist allerdings, dass man die betenden
und singenden Menschen beobachten kann. Das ist echt lustig. Wer Walking Dead
kuckt, kann die Faszination am Menschen verstehen.
Den krönenden Abschluss
eines solchen Events bilden die Kinder mit den Kollektekörbchen am Ausgang.
Herr Müller kann den Sanifair-Wertbon vom Autobahnklo nicht so schnell finden
und ich entschließe mich spontan die Edeka-Treuepunkte doch lieber in neue
Steakmesser zu investieren. Also klimpert man im Vorbeigehen nur kurz mit den
Fingern im Kleingeld des Körbchens. Ihr wisst schon, wegen Weihnachtskarma und
wegen des Eindrucks.
Das mit dem Eindruck hat übrigens
noch nie funktioniert, weswegen dem jüngeren Müllerkind die Beschulung mit Gottes Segen verwehrt
wurde. Der geht jetzt in die Dorfschule nahe der Müllermansion und dank
gesteigerter Anpassungsbereitschaft seinerseits und seitens seiner Lehrerin
verglichen mit der Causa „Müllerkind 1“ klappt das auch ganz gut. Schade
eigentlich für die Seelenfänger unterm Kruzifix, denn der jüngste Müller ist der Einzige mit Glaubensambitionen in der Familie. Nun gut, ich denke auch er lernt
noch, dass die Gebrüder Grimm und StarWars glaubwürdiger sind.
Der Versammlungsort, an dem
ich Ende der Achtziger eingeschult und den die Dorfbewohner Volkshaus nannten,
wurde wenige Jahre nach meiner Schulanfangszeremonie dem Erdboden gleich
gemacht. Das lag nicht an mir oder meinem Matrosenkleidchen von damals, sondern viel mehr an der Bausubstanz, die den neuen
Standards nicht entsprach oder schlicht weg am Wandel der Zeit. Denke ich.
Heute steht dort ein schmucker Prunkbau der Freiwilligen Feuerwehr.
Da jedoch
im Spritzenhaus zu wenig Platz für die Familien von acht Grundschulklassen ist
und eine Bestuhlung der örtlichen Turnhalle zu aufwendig wäre, greift auch die
staatlich-weltlich finanzierte Grundschule natürlich auf welchen Veranstaltungsort
für das obligatorische Weihnachtsprimborium zurück? Selbstverständlich! Auf die
Kirche!
Zwei Kirchenbesuche in einer
Woche. Eigentlich ein Fall für Amnesty International, wie ich finde. Aber ich
mach ja gerne den Märtyrer. Weil alle wissen, dass Zeit kostbar ist,
Grundschüler sich besonders lange konzentrieren können und die
Grundschullehrerinnen unter den Dörflern hier ein besonderes Geltungsbedürfnis
haben, geht dieser darstellerische Schwanzvergleich der Unterstufenpädagogik ganze
zwei Stunden.
Immerhin wurden dieses Jahr die Eintrittskarten pro Familie auf
Drei beschränkt. Entweder die Brandschutzbeauftragten der örtlichen Feuerwehr haben
nach dem Chaos des letzten Jahres die Auflagen verschärft oder eine der Mütter
im Elternbeirat hatte genau wie ich nicht im Schlafsack vor der Kirche
übernachtet, um einen der wenigen Sitzplätze mit Blick auf die Aktionsfläche zu
bekommen und musste ebenso auf graue Kaltwellen, Halbglatzen und die Digitalkamera-haltenden
Filzärmel in gedeckten Farbtönen von Urgroßtante Ursula und Stiefschwippschwager
Herbert starren.
Aktionsfläche ist das
Stichwort. Die Architektur einer Kirche ist nicht gemacht für eine Revue mit
170 halben Menschen unter 1.50m. Sie ist gemacht für genau einen
Selbstdarsteller, der viel zu viele Jahre Studium und damit vermutlich
staatliche Ausbildungsförderung darauf verschwendet hat, etwas sehr hanebüchenesaus einem Buch zu studieren, dass mich bei der Lektüre in die Gefühlswelt eines
Legasthenikers mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom schlüpfen lässt. Dieser
Selbstdarsteller steht sonntags auf dem eigens für ihn gezimmerten hölzernen
Podest und erzählt entweder schräges Zeug oder übersetzt grundlegende Regeln
eines friedlichen und respektvollen Miteinanders ins Wort von Jesus Crispus.
Jedenfalls haben alle frommen Menschen einen guten Blick auf den Referenten des
Herrn. Ich habe jetzt nur einen guten Blick auf seine leere Kanzel und die
geschnitzten Hipster in weißen Bettlaken an der Wand. Kinderstimmen kommen aus
dem Off und Lautstärke steigt bei einigen Jungtalenten proportional mit gesanglicher Inkompetenz.
Hatte ich schon erwähnt,
dass es in unserem Dorf nur einmal im
Jahr an einem einzigen Adventssonntag nachmittags öffentlich Glühweinausschank
gibt. Dieser Tag ist nicht heute. Und der Ort, an dem das Büdchen steht, ist auch
mehr als eine Becherfüllung von der Kirche entfernt.
Wie dem auch sei: wenn ich
nach zu viel Tag – und dieser Tag war verdammt viel Tag für einen einzigen Tag –
noch so nüchtern bin, ist der Grat zwischen resignierter Starre und emotionalem
Ausbruch schmal. Es war nur Glück für die fremde Frau hinter dem großen
Müllerkind, dass Herr Müller zwischen ihm und mir saß, als sie ihn recht
unfreundlich aufforderte, das Handyspielen zu unterlassen. Niemand hätte
den Bitchfight zum Ende des Programms dokumentieren können, weil alle Handyakkus
am 6-Minuten-Löffelpolka starben. Und wenn das Kind nicht Handy zocken darf,
dann faltet es eben Origami-Schwäne aus den herumliegenen Krippenspielflyern für
Heilig Abend.
Ob nun ein flüchtiger Blick
auf mein vor Publikum popelndes Kind, ein beherztes Gähnen seinerseits just in
dem Moment als sich die Kaltwellen und Halbglatzen vor mir lichten oder aber ein mit
inbrünstiger Mimik und Gestik vorgetragenes Lied: Bekommt Kinder, haben sie
gesagt. Sie machen Freude, haben sie gesagt. Tun sie auch. Nur manchmal muss
man die Freude eben suchen.
zwar nicht beim Geschenke einpacken oder
Teig ausrollen, aber möglicherweise
lenkt sie euch davon ab. Ob das jetzt
besser oder schlechter ist,
müsst ihr selbst entscheiden. Also
brav liken. Dann bringt euch auch
der Weihnachtsmann einen Gutschein
für den Drogeriemarkt. Oder so.
Göttlich Frau Müller :-)
AntwortenLöschenZwar habe ich keine Kinder und somit auch keine kirchlichen Verpflichtungen ( aus derselben bin ich schon vor Jahren ausgetreten ) Aber dennoch habe ich beim lesen sehr gelacht!
LG Perdita
Für das Lachen der Leser klimper' ich doch gerne ein bisschen im Kleingeld des Kollektekörbchens... :-))))
LöschenLG
Frau Müller
Herrliches Betthupferl! Danke! Übrigens verlinke ich immer mit sehr großer Freude meine beste Freundin. Ihres Zeichens Oberschulrätin im Gymnasium 🤣
AntwortenLöschenUnd wie findet die Kollegin das so? ;-)
LöschenIch habe keine Kinder, jedoch eine pflegebedürftige Mutter, die wenigstens einmal im Jahr den Pfarrer sehen möchte. Naja, es ist ja Weihnachten... haha, oh je, ein Fall für Amnesty, unbedingt! Und das mit dem feuchten Klopapier von der Rolle ist in Süddeutschland ganz genauso. Schade, dass ich nur Tee intus hatte. Haha, Danke für den Beitrag :-)
AntwortenLöschenIch sage dir: DAS ist gelebte WAHRE Nächstenliebe. Für Menschen, die man liebt in die Kirche gehen. ;-)
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