Eltern
nerven mich eigentlich immer. In letzter Zeit jedoch besonders und immer mehr. Und weil ich
nicht möchte, dass der kritische Leser zu dem falschen Schluss gelangt, ich
ziehe alles und jeden durch den Kakao und mag eigentlich nur Schwule, Einhörner
und mich selbst, fange ich direkt bei mir an. Weitere Artikel zum Thema "Eltern-Abrechnung" werden folgen...
Ich war früher eine völlig bescheuerte Mutter. Schon in der Schwangerschaft mit dem
großen Müller habe ich damit begonnen, über wirklich alles nachzudenken, was
irgendeinen Einfluss auf den Fötus in meinem Bauch haben könnte.
Zum Beispiel zog ich allabendlich gedanklich Ernährungsresümee. Ich fühlte mich schlecht, wenn ich einen Teil der
„Schwangerschaftsoptimierten-Ernährungspyramide zur Anzucht eines maximal gesunden
und intelligenten Kindes“ nicht ausreichend berücksichtigt hatte. Oh mein Gott, zu wenig „Synapsen-Optamin“
oder weiß der Geier was in meinem Mittagessen gefehlt hat. In Ratgeber XY stand,
dass das besonders wichtig ist. Es wird für das Ungeborene wahrscheinlich nur
zum Hauptschulabschluss reichen. Das Urteil lautet "Schuldig".
Während
der Stillzeit setzte sich dieser Gedanken-Irrsinn fort. Aus der „Stillen nach
Bedarf“-Empfehlung der Hebamme machte ich Stillen nach Stundenplan. Ort und
Zeit legte ICH fest. Der kleine Müller hatte natürlich öfters mal so gar keine Lust
aufs Brüste-Boot-Camp. Wahrscheinlich schmeckte er die Stresshormone raus. Mütter, die nicht oder nicht lange genug stillten waren für mich egomanische verachtenswerte Individuen.
Mein anschließendes Studium über entwicklungs-proximale
Beikost und nachfolgend Familienkost erwähne ich hier nur am Rande.
Aber
nicht nur das Essen hätte ich am liebsten handgeklöppelt. Der Kauf jedweden
Spielzeugs wurde sorgfältig mit der damals angehenden Förderpädagogin in mir
abgewogen. Ich kaufte an Weihnachten und Geburtstagen alle Geschenke selbst und
verteilte diese dann an sämtliche Tanten, Onkels, Omas und Opas.
Einzig
mein Bruder machte mir einmal einen Strich durch die Rechnung als er MEINEM Kind zum ersten Geburtstag einen
Miniatur-Spielzeug-Panzer schenkte. Der wurde natürlich erstmal ganz weit weg
gepackt. In Kisten, die kein Kleinkind je zu öffnen vermag.
Der
Irrsinn gipfelte als ich einmal zu meiner Schwiegermutter, die um mir Jung-Mama
Arbeit abzunehmen, ein paar Kinder-Kleidungsstücke selbst mit gewaschen hatte. Ich
sagte, dass das zwar lieb sei aber ich alles noch einmal waschen werde, da ich
es nicht mag wenn mein Kind nach fremden Waschmittel riecht.
Die
Arme. Und so hat sie mich auch angekuckt. Hab ich damals natürlich gar nicht
mitbekommen. Ich war ja viel zu beschäftigt damit, die Entwicklungsschritte
meines Kindes minutiös zu überwachen.
Herr
Müller durfte zu alle dem natürlich nichts sagen. Der hatte ohnehin keine Ahnung,
schließlich hatte er sich nur „weitergebildet“ wenn ich ihn dazu nötigte und ihm Broschüren und Bücher in die Dienstreisetasche packte. ICH
war die Mutter UND Fast-Pädagogin, das Kind war MEIN Projekt. In meinem
Mutter-Kind-Kosmos war er streng genommen zu viel und so etwas wie ein
„Paar“ gab es nicht mehr. Oder doch. Mein Kind und ich.
Nach
anderthalb Jahren als selbsternannte Mutter aller Mütter hatte ich im Rahmen
einer Kur (selbstverständlich MIT Kind) erstmals Kontakt mit einer Psychologin.
„Überreflektiert“ nannte sie mich. Damals war ich noch stolz drauf weil ich nur
die Hälfte kapierte. Heute weiß ich, dass das ganz schön gefährlich sein kann.
Zugegeben, Selbstreflexion ist nicht jedermanns Stärke. Aber ein Zuviel davon
führt in einen Teufelskreis aus Selbstzweifeln.
Beim
kleinen Müller wiederholte sich das Schauspiel. Nachdem ich meine tiefe
Verzweiflung und Wut überwunden hatte, vom Leben so benachteiligt zu werden
und gleich zwei Jungen zu bekommen - So hab ich gedacht, heute schäme ich mich
dafür - wo doch das perfekte Bild in meinem Kopf eigentlich einen großen Bruder samt
kleiner Schwester beinhaltete, startete ich Nachwuchs-Optimierung Part 2.
Die
Tatsache, dass ich meine Aufmerksamkeit und Kräfte jedoch zwischen beiden
„Kinder-Baustellen“ teilen musste, nagte an mir. Wollte ich morgens um halb
sieben mit Neun-Monats-Wampe im Sandkasten hocken weil der große Müller sich
das von seiner engagierten Mutter so wünschte, konnte ich dem Fötus keine gute
Mutter sein, die ihrem Körper die vom Baby benötigte Ruhe gönnte. Forderte der
Mini in seinem „Nest“ nachmittägliche Ruhe ein, konnte ich dem Maxi nicht das
täglich notwenige Abitur-vorbereitende Förderprogramm zuteilwerden lassen. Und
wieder SCHULDIG!
Als
der zweite Müller ein knappes Jahr alt war, hielten die Menschen um mich herum
und ich mich selbst nicht mehr aus.
Station 1: meine Flucht mit dem Kinderwagen. Und alle so: "Irgendwas stimmt mit ihr nicht!"
Station 2: Notbremse Hausarzt. Erziehungsurlaub Herr Müller.
Station 3: Innerhalb der Sitzungen beim Psychotherapeuten lernte ich, warum ich so geworden bin wie ich war. Als Teenager hatte ich eine Essstörung (von der ich bis zum Beginn der Therapie geglaubt habe, sie selbst geheilt zu haben WEIL sich gute Mütter schließlich unter Kontrolle haben). Mein Wunsch, die Kontrolle zu BEhalten und gleichzeitig Anerkennung zu ERhalten war der unterbewusste Antrieb.
Station 1: meine Flucht mit dem Kinderwagen. Und alle so: "Irgendwas stimmt mit ihr nicht!"
Station 2: Notbremse Hausarzt. Erziehungsurlaub Herr Müller.
Station 3: Innerhalb der Sitzungen beim Psychotherapeuten lernte ich, warum ich so geworden bin wie ich war. Als Teenager hatte ich eine Essstörung (von der ich bis zum Beginn der Therapie geglaubt habe, sie selbst geheilt zu haben WEIL sich gute Mütter schließlich unter Kontrolle haben). Mein Wunsch, die Kontrolle zu BEhalten und gleichzeitig Anerkennung zu ERhalten war der unterbewusste Antrieb.
Darauf,
woher dieser Wunsch kam, möchte ich hier nicht weiter eingehen. Als ich dann
Mutter wurde, verkleidete sich meine Essstörung. Sie versteckte sich in
Eltern-Ratgebern, Nährstoff-Tabellen, pädagogisch- und ökologisch wertvollen
Spielzeugkatalogen und Pekip-Kursen. Der Wunsch nach Kontrolle und Anerkennung
blieb der gleiche. Und der Drang danach
ALLES kontrollieren zu wollen hatte mich noch vor meinem dreißigsten Geburtstag
in eine Überlastungsdepression, besser bekannt als Burnout, getrieben. Ich
grollte gegen alles und jeden, war selbstgerecht und gleichzeitig traurig und
kraftlos.
Heute
geht’s mir gut, meistens zumindest. Den Müller-Jungs samt Herrn Müller übrigens auch. Ja, er ist
bei mir geblieben. Verrückt, oder? Ich muss ein klein wenig sentimental werden.
Ich bin ihm sehr dankbar. Ohne ihn hätte ich das alles gar nicht angepackt und
wäre wahrscheinlich immer noch so „drauf“ wie damals.
Was
ist aus den Müllerkindern geworden? Der große Müller ist unser Nerd. Liebevoll
auch Sheldon genannt. Als sogenannter Under-Achiver macht er uns
das Eltern-Leben nicht immer leicht. Dennoch ist er unglaublich empathisch, so
gar nicht wie Sheldon. Das liebe ich besonders an ihm. Er hasst Gemüse (obwohl ich mir doch soo viel Mühe gegeben habe beim Brei kochen .. oder vielleicht gerade deshalb). Die Neigung, auf das eigene Recht zu bestehen, hat er wohl von mir.
Der kleine Müller
steht mit der Schule (noch) nicht so auf Kriegsfuß. Seine Art zu nerven, wenn er
etwas möchte, fällt unter das Waffengesetz und trotzdem weiß er wie er mit
Charme jeden Kriegsverbrecherprozess für sich entscheidet. Mal Diva und mal Don Juan ist er ein echter Charakterkopf.
Ich liebe beide, genauso wie ich sie
damals liebte. Heute brauche ich aber nichts mehr, mit dem ich meine
Mutterliebe definiere. Sie ist einfach da.
Ein
Abendessen vor dem Fernseher (und kein Tisch-Spruch inklusive Anfassritual),
eine Polizei-Reality-Doku am Nachmittag (kein zweistündiges
Kreativ-Knetmasse-Programm am Küchentisch),
Mc Donalds nach dem Schwimmbad
(keine CO2-freien Bio-Apfelschnitze),
ein Sonntag im Schlafanzug (anstelle
eines Familienspaziergangs) und eine High-End-Schaumstoff-Pfeil-Pistole vom
Wunschzettel des Herzens (statt nachhaltige Holzbausteine)
– das alles gibt’s
bei Müllers. Mal mehr mal weniger. Und alle sind GESUND und glücklich. Das ist
was zählt.
All
das macht ein Kind später nicht zum Kriminellen oder Schulabbrecher. Ich hab
als Teenager jeden Nachmittag Talkshows gekuckt und mir selbst Fertignudeln
gekocht während meine Eltern arbeiteten. Und hey, ich habe Familie, einen
Studienabschluss, einen unbefristeten Arbeitsvertrag und keine Allergien.
Außerdem bin ich nicht vorbestraft. Ich bin auch nicht bindungsunfähig weil ich
genau wie die Müllerkinder schon früh fremdbetreut wurde. Ich bin seit über 15
Jahren mit Herrn Müller glücklich.
Ich möchte damit weder sagen, dass
engagierte Mütter alle Fälle für den Psycho-Doktor sind, noch dass bestimmte
Aufwachsbedingungen für eine gesunde Entwicklung keine Rolle spielen. Auch wir
lesen vor, helfen bei den Hausaufgaben und kaufen nicht nur Weißbrot und
Ketchup ein.
Weiterhin
möchte ich MICH nicht als das mütterliche Non-Plus-Ultra verkaufen. Eingangs
schrieb ich „ich war mal eine völlig bescheuerte Mutter!“ Ich bin mir nicht
sicher, ob das heute nicht immernoch so ist. Wenn dann aber definitiv „anders
bescheuert“.
Nur eins will ich damit sagen: Mütter,
zieht euch endlich den Stock aus dem Arsch!
Mehr (hobby)psychologische Weisheiten nebst unterhaltsamer Alltagsabsurditäten (manchmal auch als Mutter) gibt's bei Frau Müller auf Facebook.
Du sprichst mir aus tiefster Seele.
AntwortenLöschenIch glaube ja, dass die Gelassenheit bei der Kindererziehung erst mit der Zeit kommt...am Anfang will doch jede von uns die "Perfekte" Mutter sein...so wie wir es aus Ratgebern und Heile-Welt-Werbungen vorgesetzt bekommen. Wenn dann aber das Leben dazwischenfunkt muss man sich ernsthaft überlegen was man will: chaotisch-glücklich oder angestrengt-Möchtegernperfekt.
In meinem Fall definitiv ersteres.
Noch so ein Thema in der Reihe könnte auch der After-Baby-Body sein. Heidi Klum,Kate Middleton und Co.sorgen bei mir für penisdicke Halsschlagader beim bloßen Gedanken an ihr Auftreten kurz nach der Geburt des Babys...
Danke für dein liebes Feedback. Ich glaube die Erkenntnis, dass das wahre Leben mit Kindern eben nicht wie in der Werbung oder in den niedlichen Babyratgebern aussieht wirft einen dann erst so richtig aus der Bahn... wenn das Konstrukt zerbricht. Was den After-Baby-Body angeht hast du Recht, wobei ich alles in allem denke "jeder wie er mag". Wenn das ganze "Muster-Mami-Drum-Herum" einmal enttarnt ist und man damit im Reinen ist dann einfach "lächeln und winken" ;-) Mit Koch, Nanny, Coach und Schöhnheitschirurg is das doch keine Kunst.
LöschenLG Frau Müller
Neu hier und kriegt die penisdicke Halsschlagader nicht mehr von der inneren Mattscheibe. Wie sieht das bloß aus????
AntwortenLöschenSchön geschriebener Artikel ansonsten, in dem ich mich sowohl in der Rolle der Mama Controletti als auch als Beobachterin von Jungeltern wiederfinde.
LG,
Marie
Schon penisdick? Also MEINE nicht,höchstens daumensdick ;-) Da gibts hier ein zwei andere Artikel in denen es vom pulsieren zum bersten nicht mehr weit ist :)))) Oder meintest du deine :P Danke dir für's Feedback. Gut zu wissen dass es noch mehr Menschen gibt, die im Spagat zwischen Momster und Momster-Jäger täglich Höllenqualen leiden.
LöschenLG Frau Müller