Lehrer sind auch nur Menschen. Und nicht jeder trifft sich abends mit Kolleginnen abwechselnd zum Nordic Walking oder zum Fortgeschrittenenkurs in Seidenmalerei. Ich denke ich bin das Kuckucksei im Lehrerzimmer. Etwa wie ein Veganer, der ausversehen Metzger geworden ist oder ein Pilot mit Höhenangst. Oder wie eine Franzi van Almsick, die immer wieder vom Schwebebalken fällt weil sie noch nie jemand ins Wasser geschubst hat.

Mittwoch, 27. Dezember 2017

Unbefleckte Empfängnis und der Soßen-Kloß-Kreislauf: gleich zwei Weihnachtsgeschichten



Vorwort: Wem es zu anstrengend ist, die fiktionalen Anteile des ersten Teils im Geiste von den non-fiktionalen zu trennen, dem empfehle ich das Weiterscrollen zum zweiten Teil...

Erster Teil – Wie die unheilige Mutter Müller eine Pute gebar…

Erster Akt
„Boooar, kuck mich doch mal an, wie fett ich schon wieder geworden bin!“ Die unheilige Mutter Müller stand vor dem großen Spiegel am Schrank im Schlafzimmer und formte aus ihrem Innenschenkelfett eine Wurst zwischen ihren Fingern und danach aus dem Bauchspeck mit beiden Händen Jabba the Hutt während Herr Müller schon im Bett lag und seine Abendlektüre bei Autoscout studierte. „Hmm.“ 
„Und dabei ist noch nicht mal Weihnachten! Was soll das dann erst werden. Die Entgiftung nach dem AI-Urlaub im Oktober hat null gebracht. Zum Kotzen. An den Hormonen kann’s ja nicht mehr liegen." – „Hmmm.“  
„Hallooohoo! Jetzt kuck doch mal meinen Bauch an, wie dick der ist!“  
„Schatz, vielleicht musst du einfach mal wieder richtig kacken?“  
Frau Müller zog scharf die Luft ein, stampfte zum Bett, warf sich aufs Kissen, drehte sich um und grollte sich in den Schlaf.

Zweiter Akt
Trotz intermittierenden Fastens und Lowcarb-Abendessen wuchs der Müllersche Leib aus unerklärlichen Gründen weiter. „Ich hab nichts anzuziehen und ich fühl mich wie eine Qualle. Das kannst du vergessen, so geh ich nich' raus!“  
„Okay, dann lass uns wenigstens bei Sarah und Marco vorbei schauen. Du musst doch mal auf andere Gedanken kommen. Ein bisschen Couching, wir können nicht jeden Tag zu Hause hocken.“ 
Schon auf dem Weg fühlte sich Frau Müller zunehmend elend – und das, obwohl sie bewusst auf Smartphonegebrauch während der Fahrt verzichtete, weil sie wusste dass ihr davon übel wird. Die intervallartig wiederkehrenden Krämpfe erinnerten sie zunächst an ihre einstigen Gallenkoliken. 
„Nein, das kann es nicht sein! Erstens habe ich weder Räucherfisch noch Gänsebraten gegessen und zweitens wurde mir doch erst kürzlich die Gallenblase in der Schwarzwaldklinik entfernt!“ 
Mit gespitzten Lippen sog sie die Luft ein und stieß sie aus der Nase wieder aus als der Schmerz nachließ. 
„Schatz, du klingst als bekommst du ein Kind.“ 
Da war sie – just in diesem Moment: die Erkenntnis mit samt der Erinnerung an Durchfallkrämpfe multipliziert mit einer Million. Mit letzter Kraft schleppte der Mann seine Frau den Berg hinauf zum Anwesen der besseren Hälfte der Kuckucksfamilie. 
„Was ist mit dir? Musst du mal kacken?“ fragte Sarah beim Öffnen der Tür in gewohnt geliebter direkter Manier. 
„Bringt mir einen Kräuter! Ich hab Brustenge!“ presste die unheilige Mutter mit letzter Kraft hervor…

Dritter Akt
Und so begab es sich, dass die unheilige Mutter Müller eine Pute gebar. In eine Windel gehüllt, ruhte das nackte Tier in ihrem Arm. Herr Müller bettete Mutter und Geflügel auf edelstes Versandhausmöbel und reichte seiner Frau kreislaufstabilisierenden Perlwein aus einer Weißblechdose. Ein heller Stern strahlte über dem Wohnzimmerstall und wies einem Hirten und seinen Lämmern den Weg zur Müllerschen Familie. Er brachte Penisstrohhalme zu Ehren von Mutter und Pute für alle unholy Bitches in Town. Die frohe Kunde verbreitete sich schnell (via Whatsapp-Gruppe „Putengeburt“) und so fanden auch ein polygamer König und seine zwei Königinnen den Weg zum Sofa. Sie traten nicht ohne Geschenke heran. Dosenprosecco, Schnapspralinen und Whisky trugen sie herbei um die Ankunft des Tieres zu würdigen.

Über den Häuptern aller schwebte ein schwuler Elvis. Gemeinsam mit dem jungen Einhorn zu Füßen der unheiligen Mutter verlieh er der frommen Gesellschaft magischen Glanz. Keiner stellte unbequeme Fragen, wie denn trotz einer unlängst zurückliegenden Doppel-Vasektomie diese jenseits der Grenzen ihrer Quattroehe keusch lebende Frau eine Pute gebären konnte. Zweifel, Verwirrung und Misstrauen wurden von Glückseligkeit hinfort gespült. Die bunte Truppe feierte noch bis in den Morgen die Ankunft des Weihnachtsgeflügels und schlief dann beseelt ein.


Vierter Aufzug
In den späten Morgenstunden erwachte die unheilige Mutter Müller durch ein Ziehen und Grummeln unterhalb ihres Brustbeins, welches das obere Ende ihres jetzt wieder damenhaft flachen Bauches im Mittdreißigernormbereich markierte. Eine innere Stimme verriet ihr, dass die Pute gefüllt werden wollte. Noch während die Gesellschaft schlief, entfernte sie die Windel, wusch das anmutige Tier, füllte es mit Äpfeln, Portweinpflaumen, Zwiebeln und Orangen und bettete es in den Backofen. Dort reifte es bis binnen weniger Stunden wodurch es zwar nicht an Größe gewann, dafür jedoch an Teint und Genießbarkeit. Angelockt von verheißungsvollen Aromen aus der angrenzenden Küche erwachte im Nebenraum die Feiergesellschaft vom Vorabend aus ihrem Rausch und strömte zum festlich gedeckten Tisch, an dem als krönender Abschluss auch die Pute Platz nahm.

Fünfter Akt
Fresskoma

Zweiter Teil: Der Soßen-Kloß-Kreislauf und eine Million Batterien

Prolog
Müllers beim Frühstück und die zwischen Erwartung, Erleichterung und Qual vorgetragene Bitte: „Darf ich jetzt endlich aufstehen und mein Zimmer aufräumen?“ und die Antwort "Ja, mein Sohn, du darfst. Aber nächstes Mal vergiß die Anrede Werte Frau Mutter nicht."

Erster Akt
Die Ankunft des Weihnachtsmannes bereits am Nachmittag, jede Menge leere Versprechungen rund um aufgeräumte Zimmer und Hausaufgaben, inkonsequente Eltern, Geschenke, die ab diesem Zeitpunkt unter dem Baum auf die Bescherung in fünf Stunden warten und Müllerkinder, die plötzlich die Uhrzeit im Minutentakt ansagen, inklusive der Berechnung wie lang es noch bis zur Bescherung dauert.

Zweiter Akt
Der Soßen-Kloß-Kreislauf: kurz vor der geplanten Beendigung der Mahlzeit ist, mangels planloser Befüllung des Tellers zu Beginn des Essens, plötzlich die Soße aufgebraucht aber die Reste des Kloßes sind zu üppig, um soßenlos hinuntergewürgt zu werden. Also gibt man sorgfältig abgemessen genau 0,137l Soße auf den Teller, eine Menge von der dank eines sensiblen Rechenfehlers nach Verspeisen des schlüpfrigen Soßenkloßes noch 0,037l Bratensoße auf dem Teller verbleiben. Zu kostbar um dem Geschirrspüler zum Opfer zu fallen, also sucht man am Tisch nach Verbündeten, die sich selbstloser Weise für die zweite Hälfte des nun erforderlichen Kloßes opfern. Kurz vor dem totalen Verzehr der Kloßhälfte wiederholt sich die oben bereits beschriebene Soßen-Notwendigkeit, wodurch sich der Kreislauf fortsetzt.

Einziger eleganter Ausweg aus dem Kreislauf vor dem Ausscheiden durch fresskomabedingtes K.O. ist die Zuhilfenahme eines Teelöffels, bevor man zum nächsten Kloß greift, um das kostbare Braun vom Teller zum Schlund zu befördern.

Dritter Akt
Dem Tränen und des Wahnsinns nahe Müllerkinder, angesichts des Bedürfnisses der Erwachsenen, ihren Wein noch vor der Geschenkeschlachtung auszutrinken und des Vorschlags, doch einen kleinen Verdauungsspaziergang durchs Dorf vorzulagern.

Vierter Akt
Liebevoll geknüpfte Schleifen und kunstvoll mit Klebefilm verwobenes Papier werden mit unfertigen Kinderhänden in einer Mischung aus Sadismus und der ausgehungerten Gier eines nach Konsum geifernden geretteten fernab jeglicher Zivilisation Gestrandeten binnen eines mit dem bloßen Auge kaum wahrnehmbaren Sekundenbruchteils von Spielzeugumverpackungen gerissen.

In den darauf folgenden Minuten werden genau 125 R6-Batterien verlangt. Da aber nur 118 Batterien unter Einbezug der seniormüllerschen Vorräte auf Lager sind, wird Improvisation erforderlich und alle Taschenlampen zwischen Keller und Dachboden der Müllermansion werden ausgeweidet. Mit dem Satz: „Papa, fotografier‘ mal mein Gerät und schick es Tante Kathleen!“ endet dieser Akt.

Fünfter Akt – Die Zugabe
Am nächsten Tag folgen gewohnt unkonventionelle Geschenke des Müller-Onkels an seine Nichten und Neffen. Im letzten Jahr unter anderem: ein Holzscheit und eine Kartoffel. In diesem Jahr: Suppengrün für allle. Und damit Cousine Marie, die ihrem Bruder ein unablehnbares Tauschgeschäft vorschlägt: „Krieg ich deine Möhre? Du kannst dafür auch meinen Lauch haben.“

Nachwort: Bei Müllers überlegt man angesichts des sich in den Feiertagen angesammelten Leerguts im Augenblick, ob es sich lohnt, bei der Landkreisentsorgung nach einem Altglascontainer für den Garten zu fragen. Womöglich verbirgt sich hier die Antwort auf das die Putengeburt in Teil 1 überspannende Fragezeichen.

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